Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 27.11.2012, Az.: 2 U 147/12

Prüfung der Entscheidungszuständigkeit des Gerichts eines EU-Mitgliedsstaates zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens durch das Gericht des Zweitstaates

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
27.11.2012
Aktenzeichen
2 U 147/12
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2012, 30160
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2012:1127.2U147.12.0A

Fundstellen

  • AnwBl 2013, 104-105
  • NZI 2013, 8
  • NZI 2013, 127
  • ZInsO 2013, 1002-1004
  • ZVI 2013, 218-219

Amtlicher Leitsatz

Die Entscheidungszuständigkeit des Gerichts eines EU-Mitgliedsstaates zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ist von dem Gericht des Zweitstaates nicht zu überprüfen.

Tenor:

Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit bezüglich des Beklagten zu 1 seit dem 15. Oktober 2012 unterbrochen ist.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

1

I. Der Kläger begehrt von den Beklagten als Gesamtschuldnern die restliche Rückzahlung eines Darlehens von ursprünglich insgesamt 300.000,00 € in Höhe von noch 100.000,00 € zzgl. Zinsen und vorgerichtlicher Anwaltskosten.

2

Das Landgericht hat mit Urteil vom 24. August 2012 den Beklagten zu 1 verurteilt, an den Kläger 30.000,00 € nebst Zinsen und vorgerichtlicher Anwaltskosten zu zahlen und den Beklagten zu 2 verurteilt, an den Kläger 70.000,00 € nebst Zinsen und vorgerichtlicher Anwaltskosten zu zahlen und die Klage im Übrigen abgewiesen.

3

Gegen das am 29. August 2012 zugestellte Urteil hat der Beklagte zu 1 mit vorab per Telefax am 27. September 2012 eingegangenem Schriftsatz vom gleichen Tag und der Beklagte zu 2 mit vorab per Telefax am 28. September 2012 eingegangenem Schriftsatz vom gleichen Tag Berufung eingelegt.

4

Mit Verfügung vom 12. Oktober 2012 hat der Senat die Berufungsbegründungsfrist für den Beklagten zu 1 bis zum 29. November 2012 und mit Verfügung vom 24. Oktober 2012 die Berufungsbegründungsfrist für den Beklagten zu 2 bis zum 28. November 2012 verlängert. Mit dem am 16. November 2012 eingegangenem Schriftsatz vom 15. November 2012 (Bl. 330 f.) hat der Beklagte zu 1 seine Berufung begründet.

5

Mit Schreiben vom 23. Oktober 2012 hat der Beklagte zu 1 beantragt gemäß § 352 Abs. 1 S. 1 InsO die Unterbrechung des Rechtsstreit zu beschließen und in Kopie einen Beschluss (Bankrupty Order on Debtor`s Petition) des St. A. C. C. vom 15. Oktober 2012 vorgelegt.

6

Mit Schriftsätzen vom 31. Oktober 2012 und 26. November 2012 wendet sich der Kläger gegen die Unterbrechung und bestreitet, dass es sich um die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens im Sinne des § 352 InsO handelt. Auch bestreitet er die Zuständigkeit des St. A. C. C., weil der Beklagte zu 1 zum Zeitpunkt der Klageerhebung seinen Wohnsitz in V. hatte.

7

Einen Nachweis über einen Wohnsitz in G. könne der Beklagte zu 1 auch nicht durch Mietverträge und Stromabrechnungen führen. Am Wochenende sei der Beklagte zu 1 in V. zu erreichen. Insoweit bietet der Kläger Beweis an.

8

Die Anerkennung eines ausländischen Insolvenzverfahrens würde zu einem Ergebnis führen, dass mit den wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar sei. Auf Grund der deutlich schnelleren Restschuldbefreiung nach englischem Recht läge ein rechtsmissbräuchliches Verhalten nahe.

9

II. Der Rechtsstreit ist in Bezug auf den Beklagten zu 1 gemäß § 352 Abs. 1 S. 1 InsO in Verbindung mit § 240 ZPO durch Eröffnung des englischen bankrupty-Verfahrens unterbrochen.

10

1. Der Senat schließt sich insoweit der Ansicht des 10. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs an, dass für den Fall, dass Streit über eine Unterbrechung besteht, die Unterbrechung durch Beschluss festzustellen ist (BGH NJW-RR 1995, 573, Rn. 3; OLG Nürnberg NJW 2012, 862 [OLG Nürnberg 15.12.2011 - 1 U 2/11]; Musielak/Stadler, ZPO, 9. Auflage, § 240, Rn. 9).

11

2. Die Eröffnung des englischen bankrupty-Verfahrens über das Vermögen der Beklagten zu 1 hat zur Unterbrechung des vorliegenden Rechtsstreits geführt, weil der Rechtsstreit die Insolvenzmasse betrifft (Art. 15, Art. 2 a VO (EG) 1346/2000 (EuInsVO) i. V. m. Anlage A, Durchführungsverordnung (EU) Nr. 210/2010 Anhang I, § 352 Abs. 1 S. 1 InsO) und die Eröffnungsentscheidung des St. A. C. C. wirksam war.

12

a) Die Unterbrechung ist nach § 240 Abs. 1 ZPO und § 352 InsO eingetreten, ohne dass es darauf ankommt, ob das englische Insolvenzrecht eine Unterbrechungswirkung anordnet. Denn Art. 15 Art. 15 EUInsVO regelt, dass es für die Wirkungen eines ausländischen Insolvenzverfahrens auf das Recht des Gerichtsstaats ankommt ("lex fori processus")(vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 28. August 2012, 5 U 150/11, Rn. 13 zitiert nach juris).

13

b) Der nach § 343 InsO anzuerkennende Eröffnungsbeschluss muss sich schon dem Wortlaut nach auf ein "Insolvenzverfahren" beziehen. Als Orientierungshilfe dienen hierbei die in den Anhängen A und B der EuInsVO genannten Verfahren (vgl. MüKo-InsO/Reinhardt, § 343, Rn. 11). Für das United Kingdom ist das "Bankrupty"-Verfahren ausdrücklich genannt.

14

c) Das St. A. C. C. war auch zuständig. Das ausländische Insolvenzgericht muss gemäß unseren inländischen Vorschriften international zuständig sein (§ 343 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Das ist dann der Fall, wenn der Schuldner gemäß Art. 3 EuInsVO bzw. analog § 3 InsO seinen allgemeinen Gerichtsstand im Staat des Verfahrensstaates hat (MüKo aaO., Rn. 12). Maßgeblicher Zeitpunkt ist der Zeitpunkt des Eröffnungsantrages (Andres/Leithaus-Dahl, InsO, 2. Auflage, § 343, Rn. 13).

15

Der Einwand des Klägers, der Beklagte zu 1 habe zum Zeitpunkt der Klageerhebung seinen Wohnsitz in V. gehabt, ist nicht geeignet, ein "Erschleichen" der insolvenzgerichtlichen Zuständigkeit in G. zu begründen.

16

aa) § 343 InsO dreht die Beweislast bezüglich der Anerkennung um. Die Anerkennung ist die Regel (MüKo aaO., Rn. 1). Für die Anerkennung spricht eine Vermutung (FK-InsO/Wimmer, § 43, Rn. 6).

17

Demnach obliegt die Darlegungslast für die Ausnahme der Versagung der Anerkennung dem Kläger. Dem ist er durch den bloßen Vortrag zum Wohnsitz des Beklagten zu 1 zum Zeitpunkt der Klageerhebung nicht nachgekommen. Auch der Vortrag des Klägers aus dem Schriftsatz vom 26. November 2012, dass der Beklagte zu 1 sich an den Wochenenden regelmäßig in V. aufhalte, steht einem Wohnsitz im Zuständigkeitsbereich des St. A. C. C. nicht entgegen. Zu Recht stellt der Kläger im Ausgangspunkt darauf ab, dass dem Lebensmittelpunkt entscheidende Bedeutung zukommt. Aufenthalte am Wochenende in V. stehen einem Lebensmittelpunkt in G. jedoch nicht entgegen, selbst wenn bis Mai 2012 noch der Name des Beklagten zu 1 auf dessen Briefkasten stand und teilweise sein Auto auch in der Woche vor der Tür in V. stand.

18

Aus dem Beschluss des St. A. C. C. ergibt sich weiterhin, dass dem englischen Insolvenzgericht bekannt war, dass der Beklagte zu 1 ursprünglich seinen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland hatte. Es ist daher davon auszugehen, dass es seine Zuständigkeit geprüft hat, was sich auch ausdrücklich aus dem Beschluss ergibt: "da das Gericht sich davon überzeugt hat, dass die EU-Verordnung in Anwendung kommt". Dies korrespondiert mit dem Vortrag des Beklagten zu 1, gegenüber dem englischen Insolvenzgericht die Aufenthaltsnachweise durch einen Mietvertrag und Stromabrechnungen geführt zu haben.

19

bb) Letztendlich kann dies jedoch dahinstehen, weil dem Senat die Überprüfung der Zuständigkeit des ausländischen Insolvenzgerichts auf Grund der Regelung des Art. 16 EuInsVO nicht möglich ist.

20

aaa) Bei Art. 16 EuInsVO ist die Entscheidungszuständigkeit des eröffnenden Gerichts nicht zu überprüfen, wenn es eine Zuständigkeit aufgrund der EuInsVO angenommen hat; das ergibt sich unmittelbar aus Erwägungsgrund Nr. 22 der VO (EG) 1346/2000 (EuGH EuZW 2006, 337/338 [EuGH 02.05.2006 - C 341/04]). Entscheidend ist nicht, ob nach Auffassung des Gerichts des Zweitstaats das Eröffnungsgericht tatsächlich international zuständig war, sondern ausschließlich, ob dieses die Zuständigkeit nach Art. 3 VO (EG) 1346/2000EuInsVO in Anspruch genommen hat (Reinhart, in: MK-InsO, 2. Aufl., Art. 16 Rn. 12, 13). Dies gilt auch im Rahmen der Anerkennung hinsichtlich der Unterbrechungswirkung des § 352 InsO (OLG Nürnberg NJW 2012, 862 [OLG Nürnberg 15.12.2011 - 1 U 2/11]; OLG Frankfurt, Urteil vom 28. August 2012, 5 U 150/11 zitiert nach juris). Lediglich gegenüber Drittstaaten besteht eine Prüfungskompetenz (FK-InsO Wimmer, § 343, Rn. 9).

21

Das englische St. A. C. C. hat seine Zuständigkeit nach Art. 3 VO (EG) 1346/2000EuInsVO in dem Beschluss vom 15. Oktober 2012 angenommen, so dass die Zuständigkeit nicht zu prüfen ist.

22

bbb) Auch ein Verstoß gegen den ordre public (Art. 26 VO 1346/2000) liegt insoweit nicht vor. Art. 26 der VO (EG) 1346/2000 verlangt, dass die Anerkennung oder Vollstreckung der Entscheidung zu einem Ergebnis führt, das offensichtlich insbesondere mit den Grundprinzipien oder den verfassungsmäßig garantierten Rechten und Freiheiten des Einzelnen unvereinbar ist. Die Anerkennung einer Entscheidung nach Art. 26 kann folglich nicht alleine deshalb verweigert werden, weil diese inhaltlich unrichtig oder im Rahmen der Entscheidung das anzuwendende Recht falsch angewandt worden ist (OLG Nürnberg aaO.). Grundsätzlich ist in solchen Fällen davon auszugehen, dass das in jedem Mitgliedstaat eingerichtete Rechtsbehelfssystem, ergänzt durch das Vorabentscheidungsverfahren, eine ausreichende Garantie bietet; die fehlende internationale Zuständigkeit kann deshalb nur im Entscheidungsstaat selbst im Wege eines Rechtsmittels geltend gemacht werden (EuGH EuZW 2006, 337 [BGH 11.01.2006 - VIII ZR 268/04][EuGH 02.05.2006 - C 341/04]) Es ist in erster Linie Sache des englischen Gerichts, auf Vorbringen von Gläubigern zu überprüfen, ob seine Eröffnungsentscheidung zu Unrecht ergangen ist. Selbst wenn das englische Gericht die Voraussetzungen seiner Zuständigkeit nur unzureichend geprüft haben sollte, hat dies nicht zur Folge, dass die Anerkennung der Insolvenzeröffnung mit Grundprinzipien der deutschen Rechtsordnung offensichtlich unvereinbar wäre, weil auch nach deutschem Recht fehlerhafte Annahmen der (Un-)Zuständigkeit gebilligt werden. So sind zum Beispiel fehlerhafte Verweisungsentscheidungen nach § 281 ZPO bis zur Grenze der Willkür hinzunehmen (Thomas/Putzo, ZPO, 32. Aufl., § 281 Rn. 12 m. w. N.).

23

d) Der Kläger kann auch nicht damit gehört werden, dass die grundsätzliche Anerkennung des englischen Insolvenzverfahrens auf Grund der deutlich schnelleren Restschuldbefreiung gegen den ordre public verstoßen würde. Von der Rechtsprechung wird ein Verstoß gegen den ordre public dann angenommen, wenn das Ergebnis der Anwendung eines ausländischen Rechts zu den Grundgedanken der deutschen Regelungen im starken Widerspruch steht, so dass es für untragbar gehalten wird (BGHZ 50, 370, Rn. 13).

24

Es ist mittlerweile jedoch anerkannt, dass die nach einem ausländischen Insolvenzverfahren gewährte Restschuldbefreiung unter den gleichen Voraussetzungen wie ein ausländisches Insolvenzverfahren anzuerkennen ist (FK-InsO Wimmer, § 343, Rn. 9 m. w. N.). Der deutsche Gesetzgeber hat durch die Schaffung des § 352 ZPO gerade gezeigt, dass er gewillt ist, ausländische Insolvenzverfahren anzuerkennen.

25

Im Übrigen dürften die Differenzen in den Fristen für die Restschuldbefreiung auch keinen derart starken Widerspruch darstellen, dass die Anwendung des ausländischen Rechts untragbar wird.

26

3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 574 ZPO nicht vorliegen.