Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 05.11.2012, Az.: 13 Verg 9/11
Anforderungen an die Abhilfeentscheidung des Rechtspflegers im Kostenfestsetzungsverfahren; Grundsätze zur Verzinsung der festgesetzten Kosten im Vergabenachprüfungsverfahren
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 05.11.2012
- Aktenzeichen
- 13 Verg 9/11
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2012, 31070
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2012:1105.13VERG9.11.0A
Rechtsgrundlagen
- § 3 RPflG
- § 11 Abs. 2 S. 2, 3 RPflG
- § 78 S. 3 GWB
- § 120 Abs. 2 GWB
- § 128 Abs. 4 S. 4, 5 GWB
- § 104 Abs. 1 S. 2 ZPO
Amtlicher Leitsatz
1. Zu den Mindestanforderungen für eine Abhilfeentscheidung des Rechtspflegers nach § 11 Abs. 2 Satz 2, 3 RPflG.
2. Setzt der Rechtspfleger beim Oberlandesgericht sowohl die Kosten für das Beschwerdeverfahren als auch die Kosten für das Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer in einem Kostenfestsetzungsbeschluss fest, sind auch die für das Verfahren vor der Vergabekammer festgesetzten Kosten ab Eingang des Kostenfestsetzungsantrages zu verzinsen (im Anschluss an OLG München, Beschluss vom 22. September 2011 - Verg 5/11).
Tenor:
Auf die Erinnerung der Beigeladenen wird der Kostenfestsetzungsbeschluss der Rechtspflegerin beim Oberlandesgericht vom 13. September 2012 abgeändert.
Die in dem angefochtenen Beschluss von der Antragstellerin an die Beigeladenen zu erstattenden, auf 20.985,63 € festgesetzten Kosten sind in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 16. Januar 2012 zu verzinsen.
Die Kosten des Erinnerungsverfahrens trägt die Antragstellerin.
Wert des Erinnerungsverfahrens: Bis 600 €.
Gründe
I. Mit dem angefochtenen Beschluss hat die Rechtspflegerin beim Oberlandesgericht die von der Antragstellerin an die Beigeladenen zu erstattenden Kosten auf 20.985,63 € festgesetzt. Zinsen seien indes lediglich auf einen Betrag in Höhe von 12.824,37 € zu zahlen. Denn eine Verzinsung der festgesetzten Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer können nicht erfolgen, da sie in § 128 GWB nicht vorgesehen seien und eine analoge Anwendung der §§ 103 ff. ZPO für den Bereich der Kostenfestsetzung nach § 80 VwVfG abgelehnt werde. Dagegen richtet sich die Erinnerung der Beigeladenen, der die Rechtspflegerin nicht abgeholfen hat.
II. Die nach §§ 120 Abs. 2 i. V. m. § 78 Satz 3 GWB, 103 Abs. 3, 567 Abs. 1 und 2 ZPO, 11 Abs. 2 RPflG, 569 Abs. 1 ZPO zulässige Erinnerung der Beigeladenen, über die der Senat zu entscheiden hat (vgl. MünchKommZPO-Lipp, 3. Aufl., § 573 Rn. 13; Bassenge/Roth, RPflG, 12. Aufl., § 11 Rn. 37), hat Erfolg.
1. Der Nichtabhilfebeschluss der Rechtspflegerin vom 2. Oktober 2012 ist verfahrensfehlerhaft. Die Verfahrensweise der Rechtspflegerin genügt nicht den an ein Abhilfeverfahren zu stellenden Mindestanforderungen.
Gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2, 3 RPflG hat der Rechtspfleger einer begründeten Erinnerung abzuhelfen, weshalb es nach Einlegung einer Erinnerung einer Überprüfung der angefochtenen Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht bedarf. Es ist insoweit eine Amtspflicht des erkennenden Rechtspflegers, den Inhalt der Erinnerungsschrift daraufhin zu überprüfen, ob die angefochtene Entscheidung ohne Vorlage an den Richter zu ändern ist. Dies erfordert, dass der Rechtspfleger das Vorbringen eines Erinnerungsführers zu Kenntnis nimmt, das gesamte Erinnerungsvorbringen im Einzelnen prüft und darlegt, dass und aus welchen Gründen das Vorbringen eine Änderung der angegriffenen Entscheidung nicht rechtfertigt. Eine Nichtabhilfeentscheidung, die sich im Wesentlichen darauf reduziert, nur auf die Ausgangsentscheidung Bezug zu nehmen, oder die sich auf eine floskelhafte Begründung reduziert, ist einer fehlenden Begründung grundsätzlich gleichzusetzen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Beschwerde keine neue Begründung enthält oder in der angefochtenen Entscheidung schon auf sämtlichen von dem Rechtsmittelführer vorgetragenen Gesichtspunkte eingegangen worden ist (st. Rspr., vgl. z. B. OLG München, Beschluss vom 4. Februar 2010 - 31 Wx 13/10, juris Rn. 4 f.; OLG Köln, Beschluss vom 24. August 2009 - 4 WF 88/09, juris Rn. 2 f.).
Nach dieser Maßgabe ist der formelhafte Nichtabhilfebeschluss der Rechtspflegerin vom 2. Oktober 2012, mit der diese der Erinnerung der Beigeladenen "aus den Gründen des angefochtenen Beschlusses" nicht abgeholfen hat, verfahrensfehlerhaft.
Die Antragstellerin hat in der Erinnerung insbesondere auf die - nachfolgend unter Ziffer 2 zitierte - Entscheidung des OLG München vom 22. September 2011 (Verg 5/11) verwiesen, in der die Rechtsauffassung der Beigeladenen - mit ausführlicher Begründung - bestätigt wird. Die Beigeladene hat ferner darauf hingewiesen, dass die Fundstelle, auf die die Rechtspflegerin ihre angegriffene Entscheidung gestützt hat (Willenbruch/Bischoff, Vergaberecht, 1. Aufl., § 128 GWB Rn. 79), nicht mehr aktuell ist und in der aktuellen 2. Auflage die Auffassung vertreten wird, auf die sich auch die Beigeladene beruft (Willenbruch/Widdekind, Vergaberecht, 2. Aufl., § 78 GWB Rn. 29). Aus dem Umstand, dass die Rechtspflegerin in ihrer Nichtabhilfeentscheidung auf all dies mit keinem Wort eingegangen ist und stattdessen lediglich lapidar ausgeführt hat, dass der Erinnerung "aus den Gründen des angefochtenen Beschlusses" nicht abgeholfen werde, muss der Senat schließen, dass die Rechtspflegerin entgegen ihrer Verpflichtung aus § 11 Abs. 2 Satz 2, 3 RPflG verfahrensfehlerhaft entweder das Erinnerungsvorbringen gar nicht zur Kenntnis genommen oder dieses zumindest nicht erwogen hat. Mit dieser Vorgehensweise hat die Rechtspflegerin das rechtliche Gehör der Beigeladenen verletzt.
Der Senat sieht davon ab, die Nichtabhilfeentscheidung der Rechtspflegerin - wie aber eigentlich geboten (vgl. OLG München und OLG Köln, jeweils aaO.) - aufzuheben und die Sache zur erneuten Abhilfeentscheidung an die Rechtspflegerin zurückzuverweisen und entscheidet stattdessen sogleich in der Sache selbst.
2. Die Erinnerung der Beigeladenen ist begründet. Die zuständige Rechtspflegerin beim Oberlandesgericht hat zu Unrecht eine Verzinsung für die festgesetzten außergerichtlichen Kosten für das Verfahren vor der Vergabekammer nicht ausgesprochen.
Nach § 120 Abs. 2 GWB findet u. a. für das Beschwerdeverfahren die Vorschrift des § 78 Satz 3 GWB Anwendung. Nach § 78 Satz 3 GWB gelten die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Kostenfestsetzungsverfahren entsprechend. Entsprechend anwendbar ist mithin § 104 Abs. 1 Satz 1 und 2 ZPO. Danach entscheidet das Gericht des ersten Rechtszugs über den Festsetzungsantrag; auf Antrag ist auszusprechen, dass die festgesetzten Kosten vom Eingang des Kostenfestsetzungsantrags mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB zu verzinsen sind. Durch die Neuregelung des § 120 Abs. 2 GWB durch das Vergabemodernisierungsgesetz ist die in § 128 Abs. 4 Satz 4 GWB enthaltenen Verweisung auf § 80 Abs. 3 VwVfG entfallen und in § 128 Abs. 4 Satz 5 GWB ausdrücklich normiert, dass ein gesondertes Kostenfestsetzungsverfahren vor der Vergabekammer nicht mehr stattfindet.
Aus dieser Rechtslage folgt zunächst, dass die Kostenfestsetzung für die außergerichtlichen Aufwendungen für das Verfahren vor der Vergabekammer weder von der Vergabekammer noch von einer anderen Verwaltungsbehörde durchgeführt werden kann. Auch nach der Rechtslage vor Inkrafttreten des Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes hat die Vergabekammer die Kosten für das Nachprüfungsverfahren dann nicht festgesetzt, wenn in einem Beschwerdeverfahren eine Entscheidung in der Hauptsache erging. In diesen Fällen war der Rechtspfleger des Oberlandesgerichts nicht nur für die Festsetzung der Kosten des Beschwerdeverfahrens, sondern auch des Nachprüfungsverfahrens zuständig. Der Grund für diese Rechtsprechung lag darin, dass das Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer mit dem verwaltungsrechtlichen Widerspruchsverfahren Ähnlichkeit besitzt und deshalb entsprechend § 164 VwGO der Rechtspfleger als Organ der ersten gerichtlichen Instanz die Kosten auch für das vorangegangene Nachprüfungsverfahren festsetzen sollte (vgl. z. B. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 22. November 2010 - Verg 55/09, juris Rn. 7).
An dieser Rechtslage hat sich durch die Neuregelung des § 128 GWB nichts geändert. Die durch das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz entfallene Verweisung auf § 80 Abs. 3 Satz 1 VwVfG betraf und betrifft nicht die Kostenfestsetzung durch das Oberlandesgericht. Das Beschwerdegericht ist nach wie vor zu einer Kostenfestsetzung auch für die Aufwendungen im Verfahren vor der Vergabekammer befugt, soweit es mit einer Beschwerde befasst war. Eine Änderung ist durch das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz lediglich insoweit eingetreten, als nun für die Kostenfestsetzung eine ausdrückliche Verweisung auf die Vorschriften der ZPO in § 120 Abs. 2 i. V. m. § 78 Satz 3 GWB enthalten ist. Verwiesen wird damit auch auf § 104 Abs. 1 Satz 2 ZPO, der eine mögliche Verzinsung ab Eingang des Festsetzungsantrags vorsieht. Da es sich bei dem Kostenfestsetzungsbeschluss um einen einheitlichen Beschluss und Vollstreckungstitel handelt, ist kein Grund erkennbar, der für einen Teil des Kostenfestsetzungsbeschlusses eine Verzinsung verbieten würde. Die Kostenfestsetzung geschieht nicht durch einen Verwaltungsakt, sondern durch gerichtlichen Beschluss. Gegen die entsprechende Anwendung von § 104 Abs. 1 Satz 2 ZPO bestehen daher keine Bedenken (vgl. OLG München, Beschl. v. 22. September 2011 - Verg 5/11, juris Rn. 7 ff.; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 22. November 2010 - Verg 55/09, juris Rn. 6 f.; Hardraht in Willenbruch/Widdekind, Vergaberecht, 2. Aufl., § 78 Rn. 29; Weyand, ibr-online-Kommentar Vergaberecht, Stand 28. August 2012, § 128 GWB Rn. 394; Losch in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, § 128 GWB Rn. 46).
Soweit sich die Antragstellerin in ihrer Erwiderung auf die Erinnerung der Beigeladenen auf eine dem Vorstehenden angeblich entgegenstehende Entscheidung des OLG Dresden vom 30. November 2011 (Verg 0006/11) beruft und meint, dass der Senat, sollte er von dieser Entscheidung abweichen wollen, zur Vorlage an den Bundesgerichtshof entsprechend § 124 Abs. 2 GWB verpflichtet sei, ist das rechtsirrig. Eine Vorlage an den Bundesgerichtshof entsprechend § 124 Abs. 2 GWB kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil es sich bei der von der Antragstellerin zitierten Entscheidung des OLG Dresden um einen bloßen Kostenfestsetzungsbeschluss des Rechtspflegers handelt. Eine Vorlagepflicht nach § 124 Abs. 2 GWB besteht aber - selbstverständlich - nur in Bezug auf abweichende Entscheidungen anderer Vergabesenate. Entscheidungen von Vergabesenaten, die im Hinblick auf die hier vertretene Rechtsauffassung - zur Rechtslage zeitlich nach dem Vergaberechtsmodernisierungsgesetz - eine abweichende Auffassung vertreten, sind dem Senat nicht bekannt und von der Antragstellerin auch nicht aufgezeigt worden.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO entsprechend.