Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 22.11.2012, Az.: 8 U 178/12

Auslegung von AVB; Agrarpolice

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
22.11.2012
Aktenzeichen
8 U 178/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2012, 44386
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG - 12.06.2012 - AZ: 5 O 274/11

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Bei der Auslegung einer sog. Agrarpolice tritt an die Stelle eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers ein durchschnittlicher Landwirt.
Dieser muss nicht annehmen, dass mit Grünland auch Heideland gemeint ist.

[Das Urteil ist rechtskräftig nach Rücknahme der Nichtzulassungsbeschwerde]

Tenor:

1.  Die Berufung der Beklagten gegen das am 12. Juni 2012 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

2. Die Urteile sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagten wird gestattet, die Vollstreckung des Klägers gegen Sicherheitsleistung in Höhe eines die vollstreckbare Forderung um 20 % übersteigenden Betrages abzuwenden, soweit nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 25.000 € festgesetzt.

Auf Antrag der Nebenintervenientin vom 27. November 2012 wird das Urteil des Senats vom 22. November 2012 im schriftlichen Verfahren nach Anhörung der Parteien dahingehend ergänzt, dass die Beklagte auch die Kosten der Nebenintervention zu tragen hat (§§ 321, 97 Abs. 1, 101 Abs. 1  1. Alt. ZPO).

Gründe

I.

Der Kläger macht mit seiner Klage weitere Ansprüche wegen eines Brandschadens in einer Strohscheune geltend, wogegen die Beklagte den Einwand der Unterversicherung erhoben hat.

Der Kläger unterhält bei der Beklagten seit 2006 eine sog. Agrarpolice (Police und Bedingungen Bl. 9 ff.). Im Jahr 2010 beantragte der Kläger über die Streithelferin eine Ergänzung des Vertrages. Zur Flächennutzung machte der Kläger Angaben gemäß Bl. 8.

Den Neuwertschaden kürzte die Beklagte wegen behaupteter Unterversicherung (Bl. 69). Der Kläger habe bei der Vertragsergänzung Heideflächen nicht angegeben, die der Landkreis X. von ihm gepachtet habe, um dort eine touristische Attraktion zu unterhalten (s. Bestätigung des Landkreises Bl. 104). Der Kläger habe entsprechend seiner vertraglichen Verpflichtung dort zeitweise seine Heidschnuckenherde weiden lassen.

Gemäß den zuletzt gestellten Anträgen (Bl. 2, 96, 164) hat das Landgericht der Klage stattgegeben.

Der Einwand der Unterversicherung greife nicht durch. Heideflächen seien nicht als landwirtschaftliches Grünland einzuordnen. Unabhängig davon fehle es an einer Selbstbewirtschaftung der Heideflächen durch den Kläger im Sinne des Antrags. Bewirtschaftet worden seien die Flächen durch den Landkreis X. Unklarheiten bei der Antragstellung müsse sich die Beklagte zurechnen lassen.

Gegen das Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung unter Aufrechterhaltung ihres Klagabweisungsantrages.

Das Landgericht habe verkannt, dass § 75 VVG allein darauf abstelle, ob objektiv die Versicherungssumme erheblich niedriger sei als der Versicherungswert zur Zeit des Eintritts des Versicherungsfalles. Unstreitig sei beim Versicherungsvertrag eine Fläche von 108,7 ha nicht berücksichtigt worden, da der Kläger diese nicht angegeben habe. Unklarheiten im Antrag der Beklagten könnten nur insoweit eine Rolle spielen, als es um ein Beratungsverschulden der Beklagten nach § 6 VVG gehe, was aber von vornherein ausscheide, da der Vertrag über die Streithelferin vermittelt worden sei. Entscheidend sei das zu versichernde Risiko der Beklagten. Dieses berechne sich nach der gesamten Betriebsfläche. Die Schafherde, die der Kläger unterhalte, und die nicht angegebenen Flächen zum Beweiden erhöhten das zu versichernde Risiko. Außerdem gehöre Heideland im weiteren Sinne auch zu Grünland. Unklarheiten gebe es insoweit nicht.

Die Beklagte beantragt (Bl. 192),

1. unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts Lüneburg vom 12.06.2012 (Az.: 5 O 274/11) die Klage abzuweisen,

2. die Revision zuzulassen.

Der Kläger beantragt (Bl. 209),

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Er vertritt die Auffassung, der Versicherungswert bestimme sich allein nach den von der Beklagten im Antrag abgefragten Flächen. Damit seien die Flächen bestimmt worden, die zur Berechnung des Versicherungswertes heranzuziehen seien. Der Kläger verweist ergänzend darauf, dass Heideflächen auch ganz anders bewertet würden als dies bei Grünland der Fall sei. Die Heideflächen hätten nicht zu seinem Betrieb gehört. Es habe ihm auch nicht klar sein müssen, dass er Heideflächen mit angeben müsse.

Die Streithelferin hat sich dem Antrag des Klägers angeschlossen (Bl. 225).

Wegen der Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien samt Anlagen, das angefochtene Urteil sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlung verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung der Beklagten bleibt in der Sache ohne Erfolg. Im Ergebnis zutreffend hat das Landgericht der Klage auf weitere Versicherungsleistungen stattgegeben.

Anwendung findet das Versicherungsvertragsgesetz von 2007. Dort ist in § 75 bestimmt, dass dann, wenn die Versicherungssumme erheblich niedriger ist als der Versicherungswert zur Zeit des Eintritts des Versicherungsfalls, der Versicherer nur verpflichtet ist, die Leistung nach dem Verhältnis der Versicherungssumme zu diesem Wert zu erbringen.

Dabei sind vorliegend das Überschreiten der Geringfügigkeitsgrenze (Ziffer A 4.2 der Allgemeinen Bedingungen für die Agrarpolice) ebenso wie die in Rede stehenden Beträge zwischen den Parteien nicht im Streit. Dem Versicherungsverhältnis liegt eine Fläche von 581 ha zugrunde, darunter 86 ha Grünland (vgl. Antrag Bl. 8). Die Beklagte hat demgegenüber bei Abrechnung des - ebenfalls unstreitigen - Versicherungsfalls 689,77 ha zugrunde gelegt (Bl. 69). Die Differenz besteht in 108,7 ha Heidefläche.

Beruft sich - wie hier - der Versicherer auf eine Unterversicherung, hat er diese substantiiert darzulegen und erforderlichenfalls auch zu beweisen. Der Streit geht vorliegend allein darum, ob der Kläger bei Antragstellung unter „selbstbewirtschaftete Fläche (einschließlich Stilllegungsfläche und Pachtland)“ auch die Heidefläche anzugeben hatte. Dies ist entsprechend der ausführlichen Erörterung der Sache in der mündlichen Verhandlung zu verneinen.

1. a) Die erste Frage ist damit diejenige nach der Auslegung des Begriffs „Grünland“. Sie ist dahingehend zu beantworten, dass im vorliegenden Zusammenhang Heidefläche davon nicht erfasst ist.

Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach ständiger Rechtsprechung nicht wie Gesetze, sondern so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs sie verstehen muss. Dabei kommt es in der Regel auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers  ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse an (BGHZ 123, 83, 85; weitere Rechtsprechungsnachweise bei Römer in Römer/Langheid, VVG, 2. Aufl., vor § 1 Rn. 16). Maßstab ist der um Verständnis bemühte Versicherungsnehmer (BGH, IV ZR 148/10, Urteil v. 20 Juli 2011 zur sog. strengen Wiederherstellungsklausel). Ein  solcher Versicherungsnehmer geht vom Wortlaut der Klausel aus (BGH, IV ZR 322/02, Urteil v. 25 Juni 2003). Der Wortlaut ist in erster Linie maß-gebend (BGH, IV ZR 117/09, Urteil v. 25. Mai 2011).

Werden Versicherungsverträge - wie hier - typischerweise mit einem und für einen bestimmten Personenkreis geschlossen, so sind die Verständnismöglichkeiten und Interessen der Mitglieder dieses Personenkreises maßgebend (BGH, IV ZR 117/09, Urteil v. 25. Mai 2011). Dieser Rechtsprechung wird man Bedeutung auch beimessen können für die Formulierung von Fragen in einem Antragsformular, das der - zukünftige - Versicherungsnehmer auszufüllen hat. Das Abstellen insbesondere auf Grünland und Pachtfläche findet sich ohnehin auch in den AVB der Beklagten (Ziffer E 12.3 zur Unterversicherung).

Die Argumentation des Landgerichts, es sei auf die Frage der Farbe abzustellen   - die Heide sei eben nicht grün -, erschöpft zwar die Problematik nicht. Im Ergebnis aber ist sie zutreffend. Ein durchschnittlicher Landwirt, der hier an die Stelle eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers tritt, darf zwischen Grün- und Heideland differenzieren, weil es insoweit durchaus nennenswerte Unterschiede gibt. Gerade dann, wenn man mit der Beklagten auf das Risiko abstellt, gibt es solche Unterschiede deswegen, weil Heideland deutlich weniger wertvoll ist.

Der Antrag lässt nicht hinreichend sicher erkennen, dass die Beklagte davon ausgeht, dass jedwede Fläche unter die im Antrag genannten Begriffe Ackerfläche, Grünland und Forstfläche subsumiert werden muss, was dann für den Kläger möglicherweise Anlass gegeben hätte, bei der Beklagten nachzufragen. Der Antrag lässt auch das Verständnis zu, dass es der Beklagten auf andere Flächen wie auch Heideflächen insbesondere wegen ihrer geringeren Bedeutung für einen Versicherer eben nicht ankommt. Nach einer Gesamtfläche ist im Antragsformular nicht gefragt; eine solche Frage hätte Unklarheiten der hier zu beurteilenden Art vermeiden können, denn für diesen Fall wäre eine offenkundige Differenz   zwischen der genannten und der gesamten Fläche zutage getreten.

Der vom Senat zugrunde gelegten Auffassung, dass der Kläger nicht davon aus-gehen musste, dass Heideland Grünland ist, steht nicht der Grundsatz entgegen, dass dann, wenn Allgemeine Versicherungsbedingungen einen Ausdruck enthalten, den die Rechtssprache mit einem fest umrissenen Begriff verwendet, im Zweifel anzunehmen ist, dass auch die Allgemeinen Versicherungsbedingungen darunter nichts anderes verstehen wollen, was umso mehr gilt, wenn auch die allgemeine Sprache dem Ausdruck keinen unterschiedlichen Inhalt gibt (BGH, NJW 2000, 2021, 2022). Wie in der mündlichen Verhandlung erörtert, kann der Senat nicht erkennen, dass es einen solchen allgemeingültigen Begriffsinhalt für Grünland oder Heideland gibt. Gegenteiliges hat die Beklagte jedenfalls mit Substanz nicht dargelegt. Gerade weil einheitliche Begriffsinhalte nicht festgestellt werden können, kann die Beklagte auch von vornherein nichts daraus für sich herleiten, dass der Kläger für die in Rede stehenden Flächen einen Antrag auf Agrarförderung gestellt haben soll.

b) Kein anderes Ergebnis ergibt sich aus der im Antrag abgefragten Nutzung der anzugebenden Flächen.

Anzugeben war nach dem Antrag nur die vom Kläger selbstbewirtschaftete Fläche einschließlich Stilllegungsfläche und Pachtland. Zum einen aber lag jedenfalls  keine Alleinbewirtschaftung durch den Kläger vor. Die Fläche wurde vom Landkreis X. zu touristischen Zwecken genutzt. Nur in geringem zeitlichem Umfang wurde die Fläche durch die Schafe des Klägers als Weidefläche genutzt. Dagegen, dass der Kläger diese Fläche anzugeben hatte, spricht auch, und diese    Argumentation ist für sich genommen tragfähig, dass nach der Formulierung im Antrag ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer davon ausgehen durfte, dass Pachtland beim Pächter und nicht beim Verpächter anzugeben war. Das Heideland, das hier in Rede steht, war aber vom Landkreis X. gepachtet worden. Hätte dem Landkreis X. in gleicher Weise wie dem Kläger ein solcher Antrag zum Ausfüllen vorgelegen, hätte der Landkreis X. als Pächter diese Fläche, von der Problematik der Einordnung als Grünland abgesehen, angeben müssen und gerade nicht der Kläger. Eine Selbstbewirtschaftung hat damit durch den Landkreis als Pächter, nicht durch den Kläger vorgelegen.

2. Nur ergänzend sei darauf hingewiesen, dass eine Unterversicherung dann nicht zu berücksichtigen ist, d. h. der Versicherer sich gegenüber dem Versicherungsnehmer auf sie nicht berufen kann, wenn sie Folge einer Verletzung einer diesbezüglichen Beratungspflicht des Versicherers ist. Verletzt ein Versicherer eine Beratungsverpflichtung gemäß § 6 VVG, ist er nach dessen Absatz 5 dem Versicherungsnehmer zum Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verpflichtet, es sei denn, er kann beweisen, dass er die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. Das freilich gilt jedenfalls im Grundsatz nicht, wenn der Vertrag des Versicherungsnehmers von einem Versicherungsmakler vermittelt wurde, § 6 Abs. 6 VVG. Das wirft im Wesentlichen die Frage danach auf, von wem der Antrag stammt. Nach dem Vortrag des Klägers ist der Antrag Teil der von der Beklagten zur Verfügung gestellten Software. Dass der Antrag von der Beklagten stammt, ist von dieser nicht in Abrede genommen worden. Enthält dieser wie im vorliegenden Fall Unklarheiten, kommt es auf die Einschaltung eines Maklers nicht mehr an und besteht ausreichend Anlass, Unklarheiten der Beklagten selbst anzulasten.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht vorliegen.