Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 31.03.1999, Az.: 2 U 44/99
Neues Vorbringen in der Berufungsinstanz; Grob nachlässige Verletzung der Prozessförderungspflicht; Ursächlichkeit eines Unfalles für die nachfolgenden ärztlichen Behandlungen wegen Arbeitsbehinderung; Einholen eines Sachverständigengutachtens von Amts wegen; Gerichtliche Aufklärungspflicht
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 31.03.1999
- Aktenzeichen
- 2 U 44/99
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1999, 29352
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:1999:0331.2U44.99.0A
Rechtsgrundlagen
- § 144 ZPO
- § 282 Abs. 1 ZPO
- § 528 Abs. 2 ZPO
Fundstellen
- NJW-RR 2000, 949-950 (Volltext mit red. LS)
- OLGReport Gerichtsort 2000, 3-4
- OLGReport Gerichtsort 1999, 259-261
- ZAP EN-Nr. 0/2000
Gründe
Das Landgericht hat ohne einen entscheidungserheblichen Verfahrensfehler die Klage mangels ausreichenden Beweisantritts seitens der Klägerin abgewiesen. Dem in der Berufungsinstanz erstmals gestellten Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens ist nicht nachzugehen. Es handelt sich dabei um neues Vorbringen, welches gemäß §§ 528 Abs. 2, 282 Abs. 1 ZPO nicht zuzulassen ist.
Die Tatsache, dass die Klägerin es im ersten Rechtszug versäumt hat, ihre Behauptung unter Beweis zu stellen, dass der vom Beklagten vorgetragene Unfall vom 06.01.1997 in keiner Weise ursächlich für die nachfolgenden ärztlichen Behandlungen des Beklagten und dessen Arbeitsunfähigkeit gewesen sei, ist als grob nachlässige Verletzung ihrer Prozessförderungspflicht gemäß § 282 Abs. 1 ZPO zu bewerten. Ihr Prozessbevollmächtigter hat durch sein Versäumnis die im Prozess erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich großem Maße verletzt und dasjenige nicht beachtet, was im Streitfall jedem hätte einleuchten müssen.
Vorliegend handelt es sich um einen materiell-rechtlich einfachen Sach- und Streitstand. Einzig wesentliche streitige Tatsache und Kern des Rechtsstreits ist die Frage, ob bzw. welche körperlichen Beeinträchtigungen der Beklagte durch den von ihm dargestellten Unfall vom 06.01.1997 erlitten hat. Die Klägerin hat zur Stützung ihres Vortrags sich auf das von ihr eingeholte Privatgutachten des Dr. S berufen. Demgegenüber hat der Beklagte behauptet, es sei bei ihm eine unfallbedingte Arbeitsbehinderung eingetreten. Zur eingehenden Substantiierung seines Bestreitens hat er sich vornehmlich auf die ärztliche Berichte des Dr. E vom 08.03., 25.03. und 25.08.1997 sowie auf dessen privatgutachterliche Stellungnahme vom 02.03.1998 berufen. Während Dr. S in dem vorgelegten Gutachten die Auffassung vertritt, die maßgeblichen Beschwerden des Beklagten beruhten auf einer vorhandenen Arthrose des linken Kniegelenks und einer Chondropathie bzw. Osteochondrosis dissecans, geht Dr. E von einer unfallbedingten frischen osteochondralen Fraktur bei vorhandener Arthrose aus.
Auf Grund des Sach- und Streitstands im ersten Rechtszug hätte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin erkennen können und müssen, dass er für die im vorliegenden Rückforderungsprozess beweispflichtige Klägerin sich auf die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens hätte berufen müssen.
Die Auffassung der Berufung, das Landgericht hätte das Gutachten des Dr. S zur Grundlage seiner Entscheidung machen müssen, ohne selbst ein Sachverständigengutachten einzuholen, ist falsch. Eine solche Vorgehensweise des Landgerichts wäre vielmehr ersichtlich grob verfahrensfehlerhaft gewesen. Bei der Vorlage von Privatgutachten handelt es sich grundsätzlich nicht um Beweismittel im Sinn der §§ 355 ff ZPO, sondern lediglich um (qualifizierten) substantiierten Parteivortrag (BGH VersR 1981, 576; BGH VersR 1987, 1007, 1008 [BGH 18.02.1987 - IV a ZR 196/85]; BGH VersR 1992, 722; BGH VersR 1993, 899, 900; BGH NJW 1998, 2735; Senat OLGR 1996, 273). Als Sachverständigengutachten im Sinn eines Beweismittels kann ein Privatgutachten nur mit Zustimmung beider Parteien - die hier nicht vorliegt - verwertet werden (BGH VersR 1993, 899, 900).
Der Hinweis der Berufung auf die Möglichkeit der urkundsbeweislichen Verwertung eine Privatgutachtens (vgl. dazu z.B. Zöller-Greger, ZPO, 21. Aufl., § 402 Rn. 2 m.w.N.) liegt neben der Sache. Denn durch die Erhebung des Urkundsbeweises könnte allein die nicht streitige Tatsache bewiesen werden, ob bzw. welche Erklärungen vom Privatgutachter abgegeben worden sind; nur durch Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens kann jedoch die entscheidungserhebliche Frage geklärt werden, welche der unstreitig niedergelegten, aber unterschiedlichen fachmedizinischen Auffassungen inhaltlich richtig ist.
Das Landgericht durfte vorliegend auch nicht ausnahmsweise dem Privatgutachten folgen, ohne ein gerichtliches Sachverständigengutachten einzuholen. Eine solche Vorgehensweise kommt nur ausnahmsweise - meist bei besonders einfacher Sachlage - in Betracht, wenn das Gericht allein schon auf Grund des durch ein Privatgutachten substantiierten Parteivortrags ohne Rechtsfehler zu einer zuverlässigen Beantwortung einer Beweisfrage gelangen kann (BGH VersR 1993, 899, 900; Senat a.a.O.). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier jedoch - wiederum ersichtlich - nicht vor. Welche der oben skizzierten unterschiedlichen fachmedizinischen Auffassungen richtig ist, kann nur mit Hilfe eines fundierten gerichtlichen Sachverständigengutachtens beurteilt werden. Selbstverständlich verfügte das Landgericht über derartige medizinische Fachkenntnisse nicht, was für die Klägerin im ersten Rechtszug ohne weiteres auf der Hand gelegen hat.
Möglicherweise hat das Landgericht allerdings die beweisrechtliche Bedeutung von Privatgutachten nicht ganz zutreffend erkannt. Dafür könnte sprechen, dass in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils ausgeführt worden ist, dass es sich bei dem Privatgutachten des Dr. S "um reinen Parteivortrag ohne Beweiswert" handele. Dies ist, wie sich aus den obigen Darlegungen bereits ergibt, so nicht richtig. Im vorliegenden Fall kommt es darauf jedoch nicht an, da das Landgericht auch bei Beachtung der beweisrechtlichen Bedeutung von Privatgutachten vorliegend ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht hätte verfahrensfehlerfrei anders entscheiden können.
Entgegen der Ansicht der Berufung hat im ersten Rechtszug auch kein Anlass bestanden, von Amts wegen gemäß § 144 ZPO ein Sachverständigengutachten einzuholen. Ob das Landgericht in ausreichendem Maße die gemäß § 144 ZPO notwendigen Ermessenserwägungen angestellt hat, ist unerheblich. Jedenfalls hat es im Ergebnis zu Recht keine Beweisaufnahme von Amts wegen durchgeführt.
Der Regelungszweck des § 144 ZPO liegt zum einen darin, dem Gericht die Möglichkeit zu eröffnen, von Amts wegen zur Veranschaulichung unstreitiger Tatsachen eine Augenscheinseinnahme vorzunehmen oder ein Sachverständigengutachten einzuholen; darum geht es hier nicht. Bei streitigen Tatsachen kommt die Einholung eines Sachverständigengutachtens in einem dem Beibringungsgrundsatz unterliegenden Verfahren nur ausnahmsweise in Betracht (OLG Frankfurt NJW-RR 1993, 169; Baumbach-Hartmann, ZPO, 57. Aufl. § 144 Rdn. 3 ff; Münch.-Kommentar-Peters, ZPO, §§ 142 - 144 Rdn. 2 ff). Für einen derartigen Ausnahmsfall ist hier nichts vorgetragen oder ersichtlich. Die Klägerin hatte somit keinen Anlass zur Annahme, das Landgericht werde ohne entsprechenden Beweisantritt Beweis erheben.
Schließlich liegt auch keine Verletzung der Hinweispflicht gemäß §§ 139 Abs. 1 und 2, 278 Abs. 3 ZPO vor. Zwar hat ein Gericht, wenn es einen Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens vermisst, zunächst in der Regel die Pflicht, die beweisbelastete Partei auf ein möglicherweise vorliegendes Versäumnis hinzuweisen (OLG Köln NJW-RR 1998, 1274; Zöller-Greger § 144 Rdn. 1; Baumbach-Hartmann, § 144 Rdn. 7). Die gerichtliche Aufklärungspflicht entfällt jedoch in der Regel, soweit die Partei bereits durch den Gegner auf die Unzulänglichkeit ihres Prozessvortrags hingewiesen worden ist (BGH NJW 1984, 310, 311 [BGH 09.11.1983 - VIII ZR 349/82]; Zöller-Greger § 139 Rdn. 9).
So liegt es hier. Der Beklagte hat in der Klageerwiderung die Richtigkeit des Parteigutachtens des Dr. S im Einzelnen bestritten. Weiter hat er wörtlich ausgeführt: "An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass es sich bei dem Gutachten des Dr. S lediglich um Parteivortrag der Klägerin handelt." Dieser Hinweis ist zutreffend, deutlich und ausreichend. Jede anwaltlich beratende Partei entnimmt bei ordnungsgemäß sorgfältiger Prozessführung einem solchen gegnerischen Vortrag, dass das eigene Parteivorbringen unvollständig ist und es an dem notwendigen Beweisantritt fehlt. Eine Pflicht des Gerichts, erteilte und eindeutige Hinweise zu wiederholen, gibt es nicht.