Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 23.03.1999, Az.: 5 U 134/98

Feststellung des Nachlasswerts zur Ermittlung eines Pflichtteilsanspruchs; Beweislast bei Pflichtteilsergänzungen infolge von Schenkungen; Übertragung eines Eigentumsanteils an einem Grundstück als Ausgleich für langjährige unentgeltliche Mitarbeit; Beweislast für die Unentgeltlichkeit einer Zuwendung; Indizwirkung eines nach 20 Jahren verfassten Darlehensscheins

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
23.03.1999
Aktenzeichen
5 U 134/98
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1999, 29400
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1999:0323.5U134.98.0A

Fundstellen

  • FamRZ 2000, 638-640 (Volltext mit amtl. LS)
  • OLGReport Gerichtsort 1999, 273-275

Amtlicher Leitsatz

Fehlende Unentgeltlichkeit bei Entlohnung für 30-jährige Sprechstundenhilfetätigkeit der Ehefrau - Indizwirkung eines nach 20 Jahren verfassten Darlehensschein

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt den Pflichtteil nach seinem 1994 verstorbenen Vater, der von der Beklagten, Ehefrau aus zweiter Ehe, allein beerbt worden ist. Die Parteien streiten über den der Pflichtteilsberechnung zugrundezulegenden Nachlasswert.

2

In der Berufungsinstanz ist nur noch im Streit, ob dem vom Landgericht festgestellten Aktivbestand des Nachlasses in Höhe von 689.745,33 DM die bewegliche Habe des Erblassers mit einem Schätzwert von 480.000,00 DM hinzuzurechnen und von dem Passivbestand in Höhe von 1.082.366,80 DM die Position ,Darlehen der Beklagten"über ca. 480.000,00 DM abzuziehen ist.

3

Das Landgericht hat bereits durch Teilurteil vom 12.06.1996 u.a. die auf Auskunft und Wertermittlung der beweglichen Gegenstände des Erblassers gerichtete Klage abgewiesen. Der Erblasser habe seine Mobilien nebst einem Miteigentumsanteil an dem Grundstück ... in Aurich der Beklagten übertragen als Ausgleich für ihre unstreitig ca. 30 Jahre andauernde unentgeltliche Mitarbeit als Sprechstundenhilfe in seiner Praxis. Aus diesem Grunde hat es die Mobilien auch bei der Nachlasswertermittlung außer acht gelassen. Der Darlehensbetrag sei hingegen entsprechend dem Schuldschein vom 04.07.1991 über 240.000,00 DM Kapital nebst 5 % Zinsen seit dem 01.01.1973 zu berücksichtigen. Wegen des Überschusses des Passivnachlasses hat es die Pflichtteilsklage abgewiesen.

4

Mit der dagegen gerichteten Berufung verfolgt der Kläger sein Pflichtteilsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe

5

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

6

Das Landgericht hat rechts- und verfahrensfehlerfrei festgestellt, dass zum Aktivnachlass wegen der erfolgten Übertragung auf die Beklagte nicht die bewegliche Habe aus dem Vermögen der Eheleute L... und zum Passivnachlass auch der durch Schuldschein ausgewiesene Darlehensbetrag gehört. Danach und auf der Grundlage der von der Berufung hingenommenen weiteren Positionen der Nachlassberechnung übersteigt der Passivnachlass den Aktivnachlass (§ 2311 BGB); ein Pflichtteilsanspruch des Klägers gemäß § 2303 BGB besteht nicht.

7

Den Pflichtteilsberechtigten trifft bei der gerichtlichen Durchsetzung eines Pflichtteilsanspruchs die Beweislast für sämtliche Tatsachen, die Grund und Höhe des geltend gemachten Anspruchs beeinflussen, wobei zu seinen Gunsten lediglich bei der Beweiswürdigung eine etwaige Verletzung von Auskunftspflichten des Erben berücksichtigt werden kann. Bei Pflichtteilsergänzungen infolge von Schenkungen muss daher auch der Pflichtteilsberechtigte beweisen, dass der angeblich verschenkte Gegenstand zum fiktiven Nachlass gehört. Das umfasst bei einem Vergleich von Leistung und Gegenleistung den Nachweis beider Werte; insoweit wird nur bei einem auffallend groben Missverhältnis vermutet, dass sich die Parteien über die Unentgeltlichkeit einig waren (vgl. zum ganzen statt aller Palandt/Edenhofer, BGB, 57. Aufl., § 2317 Rn. 9 und § 2325 Rn. 18 m.w.N.). Diesen Beweispflichten hat der Kläger auch mit seinem Vorbringen in der Berufungsinstanz nicht genügen können.

8

Nach dem schriftlichen Übertragungsvertrag vom 16.02.1990 hat der Erblasser seinen Eigentumsanteil an dem gesamten gemeinsamen beweglichen Vermögen auf seine Ehefrau übertragen. Mit dieser Vereinbarung haben die Eheleute - daran lassen Wortwahl und bezweckter Regelungsgehalt keinen Zweifel - die dingliche Zuordnung des gesamten beweglichen beidseitigen Vermögens auf die Ehefrau vorgenommen. Eine fortgeltende Allein- oder auch nur Miteigentumsstellung des Erblassers an den Mobilien sollte danach ausgeschlossen werden. Das wird durch den Zusatz, "soweit dies nicht schon ........ seiner Ehefrau zugeflossen ist", noch verdeutlicht, der bekräftigt, dass sich die Übertragung insgesamt auf die Eigentumsrechte des Erblassers an der beweglichen Habe des Familienhausstandes bezieht.

9

Die Wirksamkeit dieser Vereinbarung und ihres Vollzuges begegnet entgegen der Berufung keinen Bedenken. Dem sachenrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz ist Genüge getan, da sich die Übertragung auf das ganze bewegliche Gut beziehen soll, soweit es im (Mit-)Eigentum des Erblassers stand. Eine Aufzählung der einzelnen Gegenstände und der Miteigentumsanteile bedarf es dafür nicht. Die jedenfalls konkludent erfolgte Vereinbarung eines sog. Besitzmittlungsverhältnisses für die sachenrechtliche Übertragung ergibt sich bereits aus dem familiären Fortbestand der Mitbenutzung des Erblassers zu seinen Lebzeiten; eine ausdrückliche Niederlegung dieses Nutzungsverhältnisses bedurfte es ebenfalls nicht.

10

Unsubstantiiert und unerheblich ist daher der Vortrag des Beklagten in der Berufung, der Erblasser habe an der aufgelisteten beweglichen Habe Alleineigentum gehabt. Dafür streitet weder die Herausgabe dieser Liste durch den Betreuer noch die Eigentumsvermutung des § 1362 BGB. Allenfalls kann von einem Mitbesitz und damit von einem vermuteten Miteigentum der Eheleute ausgegangen werden. Darauf kommt es aber auch nicht an, da nach dem Übertragungsvertrag das Mobiliareigentum des Erblassers insgesamt auf die Beklagte übergehen sollte und auch übergegangen ist.

11

Die Eheleute sind auch in zulässiger Weise von einer entgeltlichen Übertragung ausgegangen. Unstreitig ist die Beklagte etwa 30 Jahre in der Praxis des Erblassers als Sprechstundenhilfe tätig gewesen. Für seine erstmals in der Berufungsinstanz aufgestellte wenig substantiierte Behauptung, die "Beklagte (habe) sehr wohl eine Vergütung für ihre Mitarbeit bekommen", hat er keinen Beweis antreten können. Die lediglich vom Kläger angestellte Vermutung, der Erblasser habe in seiner Steuererklärung einen Ehegattenunterhalt eingesetzt, sagt nichts darüber aus, ob ein solches Entgelt tatsächlich auch gezahlt worden ist. Eine gar monatlich über 30 Jahre andauernde Entlohnung der Sprechstundenhilfetätigkeit ist damit auch nicht indiziell zu belegen, dass die Beklagte als Ehefrau eines Arztes mit gutgehender Praxis an dem bestehenden Lebensstandard partizipiert hat, ist Folge der dadurch bedingten familiären Lebensverhältnisse; eine Entlohnung für ihre Tätigkeit in der Praxis ist daraus aber nicht abzuleiten oder gar damit automatisch verbunden. Angesichts der Dauer dieser Tätigkeit von jedenfalls 360 Monaten und der Größenordnung der Berechtigung des Erblassers an dem beweglichen Familienhabe kann auch unter Berücksichtigung des zusätzlichen Ausgleichs durch die Übertragung der Mitberechtigung an dem Grundbesitz Julianenburger Straße nicht von dem Nachweis einer auch nur teilweisen Unentgeltlichkeit der Zuwendung ausgegangen werden. Ebensowenig hat der Kläger den Nachweis eines auffallend groben Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung führen können, sodass auch eine daraus sonst ableitbare Beweiserleichterung für die Unentgeltlichkeit nicht zu seinen Gunsten eingreifen kann. Von wem die Lasten der Grundpfandrechte gegenüber dem Beamtenheimstättenwerk getragen worden sind, ist in diesem Zusammenhang völlig ohne Belang.

12

Auch die Angriffe des Klägers gegen das Darlehen der Beklagten als Nachlassverbindlichkeit bleiben ohne Erfolg. Für seine Behauptung, es handele sich um eine "künstlich" geschaffene Position, womit möglicherweise gemeint sein soll, dass ein solches Darlehen tatsächlich nicht vereinbart und gegeben worden ist, ist er zumindest beweisfällig geblieben.

13

Über die Darlehensgewährung haben die Eheleute mit der zusätzlichen Unterschrift eines Dritten am 04.07.1991 einen Schuldschein erstellt, in dem der Erblasser den Empfang des Geldbetrages von 240.000,00 DM am 30.06.1972 bestätigt und eine Verzinsung seit 1973 mit 5 % p.a. unter Verzicht auf die Verjährungseinrede anerkennt. Bedenken gegen die Wirksamkeit einer solchen Vereinbarung bzw. Bestätigung bestehen für sich genommen nicht und sind auch nicht aus dem zeitlichen Zusammenhang mit dem vom Kläger hervorgehobenen Zerwürfnis mit seinem Vater zu entnehmen. dass die Beklagte aus Landverkäufen über den Darlehensbetrag seinerzeit verfügte, hat der Kläger erstinstanzlich nicht bestritten (...). Den jetzt dagegen erhobenen Bedenken steht zunächst immerhin entgegen, dass solche Landverkäufe auch in der Übertragungsvereinbarung vom 16.02.1990 erwähnt sind und die Beklagte Verbindlichkeiten des Erblassers in Höhe von über einer halben Million DM gegenüber der Kreissparkasse Aurich abgelöst hat. Von einer durchgehenden Vermögenslosigkeit der Beklagten seit ihrer Heirat kann bereits vor diesem Hintergrund offensichtlich nicht ausgegangen werden. Jedenfalls hat aber der Kläger das Gegenteil, also dass die Beklagte nicht über den Geldbetrag verfügen konnte sowie auch nicht verfügt hat, nicht substantiiert mit entsprechendem Beweisantritt darzutun vermocht. Das geht aber zu seinen Lasten, da er auch insoweit darlegungs- und beweispflichtig ist, dass der Betreuer diese Angaben zunächst in der Aufstellung Anlage 2 zum Schriftsatz vom 30.03.1995 (...) nicht aufgeführt hat, ändert daran nichts. Der Betreuer weist in dem Schriftsatz unter 5.) ausdrücklich daraufhin, dass diese Anlage lediglich eine Erörterungsgrundlage enthält auf der Basis der Unterlagen, "soweit sie vorliegen". Es handelt sich danach gerade nicht um eine als vollständig deklarierte abschließend verlässliche Nachlassaufstellung, die es galt, später, künstlich" nachzubessern. Die von dem Kläger weiter in der Berufung betonte Ungewöhnlichkeit, dass Eheleute ein zunächst ungesichert gegebenes Darlehen ohne jegliche schriftliche Fixierung nach 18 Jahren mit an sich verjährten Zinsen wieder ,hervorholen", begründet jedenfalls keine solchen Wirksamkeitszweifel, die ihn nunmehr von der Verpflichtung entbinden könnten, den Beweis für den von ihm geltend gemachten Pflichtteil zu führen, zumal die Berufungserwiderung ausführlich das eigene Vermögen der Beklagten und die daraus erfolgten Finanzierungen darlegt.

14

Das Vorbringen in der Einspruchsbegründung erlaubt keine auch nur in Einzelpunkten für den Kläger günstigere Beurteilung.

15

Soweit der Kläger damit - was nicht ganz deutlich wird - bezüglich anderer Nachlasspositionen Rügen erheben will, die von der Berufungsbegründung nicht gedeckt sind - der darin erklärte Vorbehalt ist rechtlich bedeutungslos - kann er damit gem. § 519 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Ziff. 2 ZPO nicht mehr gehört werden (vgl. nur Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 57. Aufl., § 519 Rn. 19, 22 ff, 24 m.v.w.N.).

16

Der Kläger muss nunmehr im Zusammenhang mit den Grundstücksverkäufen einräumen, dass die Beklagte sehr wohl über erhebliches Vermögen aus ihrer Linie verfügt und in die Ehe mit eingebracht hat. Ihren diesbezüglichen Vortrag vermag er danach nicht mehr schlüssig und substantiiert in Zweifel zu ziehen, vielmehr stützt er ihn ausdrücklich. dass die von ihm aufgelisteten Grundstückserlöse nach 1968 erzielt wurden und damit nicht für das Hausgrundstück in Malcesine zur Verfügung standen, steht einer Finanzierung durch die Beklagte nicht entgegen, die ja nur behauptet hat, dass diese durch Landverkaufserlöse aus ihrer Familie erfolgt ist und nicht etwa aus den von dem Kläger aufgeführten Grundstücksverkäufen. Im übrigen ist das Vorbringen unerheblich, da das Grundstück zu 1/2 in den Aktivnachlass eingeflossen ist.

17

Das Schuldscheindarlehen wird damit keinesfalls in Frage gezogen. Im Gegenteil bestätigen die jetzt sogar unstreitigen Erlöse das erhebliche Vermögen der Beklagten und damit, dass sie durchaus in der Lage war, ihrem Ehemann ein Darlehen in dieser Größenordnung zu verschaffen.

18

Die Berufung übersieht nach wie vor, dass der Kläger - wie ausgeführt - die Darlegungs- und Beweislast für die Tatsachen hat, die den von ihm geltend gemachten Pflichtteilsanspruch nach Grund und Höhe stützen sollen. Nach dem qualifizierten Vortrag der Beklagten, der durch die Einspruchsbegründung zum Teil sogar ausdrücklich untermauert wird, hat er jedenfalls der Berücksichtigung des Schuldscheindarlehens nebst Zinsen nichts Erhebliches unter Beweisantritt entgegenzusetzen vermocht.

19

Gleiches gilt für seine Behauptung, die Übertragung des Anteils am Haus J... und an der beweglichen Habe der Eheleute enthalte unentgeltliche Zuwendungen. Mit seinen bloßen Behauptungen zum Wert dieses Grundstücks und der Mobilien ist eine Unentgeltlichkeit dieser Zuwendung auch nicht teilweise schlüssig dargetan. Abgesehen davon, dass zu dem Praxisgrundstück ein Wertgutachten aus 1988 vorliegt (...), dass laut Beklagtenvortrag erst Baureife hergestellt werden musste und Belastungen zu berücksichtigen sind (...) und dass offen ist, inwieweit bei den Mobilien tatsächlich von Alleineigentum des Erblassers ausgegangen werden kann, ist sein Vorbringen insgesamt nicht geeignet, den Wert der Zuwendung als Leistung des Erblassers hinreichend substantiiert darzulegen. Jedenfalls zeigt ein Vergleich mit dem Wert der Gegenleistung - 30 Jahre Tätigkeit in einer vollen Stelle als Sprechstundenhilfe -, selbst wenn diese nur mit 2.000,- DM im Monat zu Grunde gelegt wird, dass die Eheleute von einer Entgeltlichkeit der Zuwendung ausgegangen sind und auch ausgehen durften. dass diese Abreden erst 1989 bis 1991 erfolgten, steht der Wirksamkeit einer Gegenleistungsvereinbarung nicht entgegen, die auch nach Empfang einer bisher ohne Entgelt erbrachten Leistung erfolgen kann. Auf jeden Fall kann angesichts der Größenordnung der Praxistätigkeit keinesfalls von einem groben Missverhältnis zu der Zuwendung gesprochen werden, sodass der Kläger auch diesbezüglich insgesamt darlegungs- und beweisfällig geblieben ist.

20

Unschlüssig ist schließlich auch das Vorbringen zu dem nicht nur krankheitsbedingten hohen Kapitalverbrauch durch Baumaßnahmen am Hausgrundstück O.... Soweit dieses die Bürgschaftsposition im Passivnachlass betreffen soll, kann der Kläger damit nicht mehr gehört werden (arg. e. § 519 ZPO). Im Übrigen bleibt auch offen, inwieweit sich dadurch die Nachlassbewertung pflichtteilserhöhend verändern können soll. Feststellungen zu dem Einfluss auf den Nachlasswert ist dieses Vorbringen und auch das streitige zum Umfang der Pflegetätigkeit weder dem Grund noch der Höhe nach zugänglich.

Dr. J...
Dr. B...
W...