Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 31.03.1999, Az.: 2 U 264/98
Anforderungen an die bedingungsgemäße Geltendmachung der Invalidität; Bevollmächtigung des Versicherungsagenten zur Entgegennahme von Erklärungen betreffend die Invalidität
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 31.03.1999
- Aktenzeichen
- 2 U 264/98
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1999, 29343
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:1999:0331.2U264.98.0A
Rechtsgrundlagen
- § 43 Nr. 2 VVG
- § 242 BGB
Fundstellen
- NJW-RR 2000, 108 (Volltext mit amtl. LS)
- NVersZ 2000, 333-334
- OLGReport Gerichtsort 1999, 371-372
- VersR 2000, 754 (amtl. Leitsatz)
Amtlicher Leitsatz
Unfallversicherung: Ärztliche Feststellung der Invalidität. Entschuldigung der nicht fristgerechten Geltendmachung, wenn Versicherer in der 15Monatsfrist alle Ansprüche abgelehnt hat.
Gründe
Der Kläger hat aus der bei der Beklagten unterhaltenen Unfallversicherung Anspruch auf eine Invaliditätsentschädigung von 102.480,00 DM.
1.
Nicht mehr streitig ist, wie im abschließenden Senatstermin ausdrücklich geklärt worden ist, dass der Kläger durch den und seit dem Unfall vom 10.03.1994 dauernd zu 60 v.H. in seiner Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt ist und dass für die Bemessung der ihm gegebenenfalls zustehenden Invaliditätsentschädigung bedingungsgemäß insoweit ein Anteil von 70 v.H. zu berücksichtigen ist.
2.
Dass die Invalidität des Klägers innerhalb eines Jahrs nach dem Unfall eingetreten ist, steht nach dem im Vorprozess erstatteten Gutachten von Dr. S und Dr. V vom 01.12.1995 fest.
3.
Es ist auch Invalidität als Unfallfolge im Sinn von § 8 II (1) AUB rechtzeitig ärztlich festgestellt worden.
a.
Allerdings genügt die gutachtliche Äußerung der Ärzte Dr. S und D vom 20.07.1994 insoweit nicht. Denn darin ist zwar auf Frage der Beklagten nach bedingungsgemäßer Invalidität festgehalten, es sei eine inkomplette Rückbildung der festgestellten Hemiparese und der dissoziierten Empfindungsstörung zu erwarten; es fehlt indessen eine Verknüpfung der entsprechenden Feststellung mit einem Unfallereignis, weil es einleitend heißt, ein eigentliches Unfallereignis habe nicht vorgelegen.
b.
Ausreichend und zeitgerecht erstellt ist hingegen die Bescheinigung des behandelnden Arztes Dr. W vom 01.06.1995, in der es heißt, seit dem Unfall und der stationären Behandlung vom 10.03.1994 (stationär vom 13.03. - 11.05.1994) sei der Kläger laufend in ambulanter Behandlung und arbeitsunfähig, mit einer dauernden MdE müsse gerechnet werden.
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Für die bedingungsgemäße ärztliche Invaliditätsfeststellung genügt im Übrigen die von Dr. W in seiner Bescheinigung vorgenommene Verknüpfung des Unfalls und der stationären Behandlung des Klägers mit der Prognose dauernder MdE und die dabei gewählte Formulierung, dass mit einer dauernden MdE gerechnet werden müsse. Damit ist nicht nur die bloße Möglichkeit des Eintritts von Invalidität festgehalten, sondern eine zwingende ärztliche Prognose gegeben, wie sie bei einem Verletzungsschaden der vorliegenden Art, bei dem es nicht zum Verlust von Körperteilen oder ähnlichen Schäden gekommen ist, gar nicht anders möglich ist (vergl. dazu Knappmann bei Prölss/ Martin, VVG, 26. Aufl., § 7 AUB 88 Rn. 10 m.w.N.).
4)
Es kann schließlich dahinstehen, ob der Kläger, wie er behauptet, seine Invalidität innerhalb einer Frist von fünfzehn Monaten seit dem Unfall im Sinn von § 8 II (1) AUB bei der Beklagten geltend gemacht hat. Auch wenn und soweit es dazu noch nicht innerhalb dieser Frist gekommen sein sollte, ist es nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme jedenfalls zeitnah nach Fristablauf und damit den Umständen nach rechtzeitig geschehen (§ 242 BGB).
Für die bedingungsgemäße Geltendmachung der Invalidität genügt es, dass der Versicherungsnehmer gegenüber dem Versicherer - auch mündlich - behauptet, es sei Invalidität eingetreten; nicht erforderlich ist die Benennung eines bestimmten Anspruchs oder eines bestimmten Invaliditätsgrades (BGH VersR 1990, 732; BGH VersR 1998, 175, 176) [BGH 19.11.1997 - IV ZR 348/96]. Zur Entgegennahme solcher Erklärungen ist der Versicherungsagent bevollmächtigt (§ 43 Nr. 2 VVG).
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Dass der Kläger einen Anspruch auf Invaliditätsentschädigung geltend machen wollte und auch gegenüber dem für ihn zuständigen Agenten W der Beklagten geltend gemacht hat, ergibt sich aus der Aussage des Zeugen M (wird ausgeführt).
Die Beweisaufnahme hat danach zwar ergeben, dass der Kläger überhaupt noch während des Vorprozesses und nicht erst durch das Anwaltsschreiben vom 22.01.1998 der Beklagten in der Person ihres zuständigen Agenten W gegenüber seine unfallbedingte Invalidität behauptet hat, sie hat aber hinsichtlich des genauen Zeitpunkts keine vollständige Klärung, sondern nur Anhaltspunkte für die Richtigkeit der Darstellung des Klägers erbracht.
In der Schadenanzeige vom 12.04.1994 hatte der Kläger die hier interessierenden Einzelheiten des Unfallhergangs und die wesentliche Unfallfolge - Verletzung u.a. der HWS durch einen herunterfallenden Ast - präzise beschrieben. Am 11.05.1994 hatte der Arzt D von der Neurologischen Klinik des Krankenhauses E - im Rahmen einer Bescheinigung für Tagegeld bzw. Krankenhaustagegeld - die Diagnose Spinalinfarkt/inkomplettes Rückenmarksquerschnittsyndrom gestellt und eine unfallbedingte vollstationäre Heilbehandlung während verschiedener näher bezeichneter Zeiträume bis zum 10.05.1994 einschließlich bestätigt. Am 01.07.1994 hatten die Ärzte Dr. S und D zwar eine Invalidität prognostiziert ("ist zu erwarten"), jedoch - vermutlich wegen nicht ausreichender Anamnese des Klägers - "ein eigentliches Unfallereignis" verneint. Gegenstand eines anschließend erstatteten Berichts des Hospitals L vom 12.07.1994 waren wieder der in Rede stehende Unfallhergang und die angesprochenen Diagnosen, als "sehr fraglich" herausgestellt war - in dieser Form neu - ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Trauma und der Symptomatik.
Vor diesem Hintergrund ist das Ablehnungsschreiben der Beklagten vom 22.07.1994 zu betrachten, das mit der Folgerung schließt, "dass kein Anspruch auf eine Leistung aus der Unfallversicherung" bestehe, also schon dem Grunde nach jeglichen Leistungsanspruch des Klägers im Zusammenhang mit dem Ereignis vom 10.03.1994 strikt verneint, und zwar ohne jeglichen Hinweis auf die Fristen des § 8 II (1) AUB. Danach ist der Kläger entschuldigt, wenn er seine unfallbedingte Invalidität der Beklagten gegenüber möglicherweise nicht schon bis zum 10.06.1995, sondern erst, wie jedenfalls bewiesen ist, in der Zeit etwa bis zum Jahresende 1995 (unmittelbar nach Kenntniserlangung vom Gutachten von Dr. S und Dr. V vom 01.12.1995) behauptet hat, und handelt die Beklagte jedenfalls treuwidrig, wenn sie - anders als noch im Ablehnungsschreiben vom 17.12.1997 - jetzt im Rechtsstreit den Versuch unternimmt, den Anspruch auf Invaliditätsentschädigung trotz zwischenzeitlicher Feststellung der weiteren bedingungsgemäßen Voraussetzungen an der nicht rechtzeitigen Geltendmachung scheitern zu lassen (vergleichbare Fälle: BGH VersR 1978, 1036; OLG Hamm VersR 1992, 1256; OLG Köln VersR 1995, 907 [OLG Köln 05.05.1994 - 5 U 129/93]; OLG Hamm VersR 1995, 1181 [OLG Hamm 17.08.1994 - 20 U 213/92]).