Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 15.08.2001, Az.: 2 K 363/01

Bildung eines negativen Kapitalkontos; Gesonderte Feststellung verrechenbarer Verluste bei typischer stiller Gesellschaft

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
15.08.2001
Aktenzeichen
2 K 363/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2001, 14608
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2001:0815.2K363.01.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BFH - 23.07.2002 - AZ: VIII R 36/01

Fundstellen

  • DStRE 2002, 143-145 (Volltext mit amtl. LS)
  • EFG 2002, 21-22
  • SteuerBriefe 2002, 549-550

Tatbestand

1

Die Parteien streiten, ob und in welcher Höhe ein Verlust aus einer stillen Beteiligung zu berücksichtigen ist.

2

Die Klägerin zu 1.) und ihr Ehemann (im folgenden: Ehemann) waren gemeinsam zu 100 v.H. an einer GmbH ... beteiligt. Im Dezember ... beteiligte sich der Ehemann überdies als stiller Gesellschafter an der GmbH mit einem Kapitalanteil von ... DM. Die "Gewinn- und Verlustverteilung" (§ 5 des Gesellschaftsvertrages) sah vor, dass nach einem Vorab für die GmbH die Einlagen zu verzinsen sind und der "verbleibende Restgewinn" an die Gesellschafter, also die GmbH und den stillen Gesellschafter im Verhältnis der "Kapitalien" aufgeteilt werden sollte. ...

3

Der Ehemann ist verstorben. Erben sind die Kläger.

4

Der Ehemann hatte die Einlage auf die stille Beteiligung in vollem Umfang erbracht. Aufgrund von Verlustanteilen hatte sich die Einlage bis zum 31.12.1985 auf lediglich noch ... DM ermäßigt. Für das Jahr 1986 - die Bilanz der GmbH ist im Folgejahr 1987 erstellt - ergab sich ein weiterer Verlustanteil des Ehemannes von ... DM. Das Finanzamt erkannte hiervon lediglich noch in Höhe der verbleibenden Einlage von ... DM den Verlust an. Dagegen erzielte der Ehemann im Jahre 1987 (festgestellt 1989) einen Gewinnanteil von ... DM auf die stille Beteiligung und im Jahre 1988 (festgestellt 1990) einen Gewinnanteil von ... DM, die das Finanzamt in voller Höhe als Einkünfte des Ehemannes aus Kapitalvermögen gemäß § 20 EStG in den Jahren 1989 und 1990 erfasste.

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Demgegenüber waren die Kläger der Auffassung, die Gewinnanteile der Jahre 1987 und 1988 müssten mit dem Verlustanteil 1986, soweit er sich steuerlich noch nicht ausgewirkt habe (... DM), verrechnet werden. Im hiergegen angestrengten Klageverfahren kam der damals zuständige 12. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts zu dem Ergebnis, dass das Klageverfahren auszusetzen sei, weil eine gesonderte Feststellung des verrechenbaren Verlustes gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG in Verbindung mit § 15 a EStG nachzuholen sei, und setzte das dort anhängige Verfahren aus.

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Daraufhin gaben die Kläger für die Jahre 1987 bis 1990 Erklärungen zur gesonderten Verlustfeststellung mit folgendem Inhalt ab ...

7

Das Finanzamt stellte demgegenüber die verrechenbaren Verluste für alle Jahre mit lediglich 0,00 DM fest. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Feststellungsbescheid ... verwiesen (Gerichtsakte Bl. 7 bis 11). Hiergegen richtet sich nach erfolglosem Einspruch die Klage.

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Die Kläger meinen, auch die über die Einlage hinausgehenden Verlustanteile müssten berücksichtigt werden. Nach § 5 des Gesellschaftsvertrages sei der Ehemann an Gewinn- und Verlust beteiligt, wie sich aus der Überschrift des Abschnitts im Gesellschaftsvertrag ergebe.

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Die Kläger beantragen,

wie erkannt zu entscheiden.

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Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen

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und beruft sich auf die Vorschrift des § 232 Abs. 2 Satz 1 HGB. Danach nehme der stille Gesellschafter am Verlust der Gesellschaft nur bis zur Höhe der Einlage teil. Eine abweichende Regelung sei nicht getroffen worden. Der stille Gesellschafter habe keine Nachschusspflicht. Es flössen deshalb bei ihm auch keine Vermögenswerte ab, die einen steuerlichen Abzug als Werbungskosten rechtfertigen könnten. Die darüber hinausgehenden Verlustanteile müssten deshalb der GmbH zugerechnet werden. Wegen der Auffassung des Finanzamtes im einzelnen wird auf den Einspruchsbescheid (Gerichtsakte Bl. 12) verwiesen.

Gründe

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Die Klage ist begründet. Das Finanzamt muss den Verlust des Jahres 1986, wie erklärt, als verrechenbaren Verlust feststellen.

13

Gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG hat auch bei einer typischen stillen Gesellschaft entsprechend § 15 a EStG eine gesonderte Feststellung über verrechenbare Verluste zu erfolgen. Dies ist hier geschehen.

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Das Finanzamt durfte indes die verrechenbaren Verluste nicht lediglich mit 0,00 DM ansetzen. Wäre die Auffassung des Finanzamtes richtig, so würde dadurch die Gewinnverteilung zwischen GmbH und dem stillen Gesellschafter verkannt, denn danach sollte der stille Gesellschafter am Gewinn und Verlust gleichermaßen beteiligt sein. Zwar enthält die Regelung des § 5 des Gesellschaftsvertrages dem Wortlaut nach lediglich Vereinbarungen über die Verteilung des Gewinnes. Zu Recht weist jedoch der Klägervertreter darauf hin, dass damit eine Verlustbeteiligung nicht ausgeschlossen sein sollte, wie sich schon aus der Überschrift des § 5 des Vertrages ergibt. Zumindest stillschweigend ist damit auch eine gleichartige Verteilung des Verlustes getroffen worden, wie dies auch § 722 Abs. 2 BGB, der hier ergänzend gilt, vorsieht - die stille Gesellschaft ist lediglich eine besondere Ausprägung der Gesellschaft bürgerlichen Rechts.

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Zu Unrecht meint nun das Finanzamt aber, wegen der Bestimmung des § 232 Abs. 2 Satz 1 HGB könnten dem stillen Gesellschafter über seine Einlage hinaus keine weiteren Verlustanteile zugerechnet werden. Nach § 232 Abs. 2 S. 1 HGB nimmt der stille Gesellschafter allerdings am Verlust "nur bis zum Betrage seiner Einlage" teil. Aus dieser Vorschrift leitet die Kommentarliteratur im Steuerrecht allerdings, mit dem Finanzamt, die Beschränkung der Verluste auf die Einlage ab (vgl. Schmidt, EStG § 20 Tz. 144; Littmann, EStG §20 Rdz. 206).

16

Diese Auffassung verkennt indes die Bedeutung der Vorschrift des § 232 Abs. 2 Satz 1 HGB. Die Vorschrift besagt lediglich, dass der Stille nicht zu einem Nachschuss verpflichtet ist. Sie begrenzt das Risiko des stillen Gesellschafters auf seine Einlage. Die Vorschrift wird jedoch erst bei der Beendigung der stillen Gesellschaft praktisch, indem sie über die Einzahlungsverpflichtung der Einlage hinaus weitere Verpflichtungen des Stillen ausschließt. § 232 Abs. 2 Satz 1 HGB will jedoch auf die Gewinnverteilung, hier genauer gesagt die Verlustverteilung, keinen begrenzenden Einfluss nehmen. Das ergibt sich schon aus der Stellung der Vorschrift im Gesetzestext, denn die Gewinnverteilung ist in § 231 HGB geregelt, während § 232 HGB die Kontenführung betrifft.

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Überdies würde die Auffassung des FA zu ganz unbilligen Ergebnissen führen. Es ist schlechterdings nicht einzusehen, warum der Geschäftsherr die Verluste des stillen Gesellschafters auf Dauer tragen sollte und warum der Stille an Gewinnen nach Verlusten, die seine Einlage mehr als aufgezehrt haben, sogleich wieder teilhaben sollte, ohne sich an den vorherigen weitergehenden Verlusten beteiligen zu müssen (zum Parallelproblem beim Kommanditisten: Huber, Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftanteil an Personengesellschaften des Handelsrechts, Heidelberg 1970, S. 264 f und 278; Kappe, Abschreibungsgesellschaften und negativer Kapitalanteil, Diss. Göttingen 1972, insbesondere S. 28 bis 34).

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Folglich sind auch über die Einlage hinausgehende Verlustvorträge des stillen Gesellschafters zu berücksichtigten, indem spätere Gewinne des stillen Gesellschafters mit diesen Verlustvorträgen verrechnet werden, und zwar schon bei Verlustverteilung nach dem Gesetz. Dies ist, entgegen der zitierten Steuerliteratur, ganz herrschende Auffassung in der Zivilrechtsliteratur (Paulick-Blauchroch, Handbuch der stillen Gesellschaft, 4. Aufl., § 15 V d, hier Seite 281; Bezzenberger, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Band 2 § 22 StG Rdn. 18; Selder in Heidelberger Kommentar, 5. Aufl., § 232 Anm. 11; Baumbach-Hopf, HGB 30. Aufl., § 232 Anm. 6 und 7).

19

Der stille Gesellschafter kann mithin, ebenso wie der Kommanditist, ein negatives Kapitalkonto bilden. Diese Gleichstellung des stillen Gesellschafters mit dem Kommanditisten folgt nicht nur aus § 20 Abs. 1 Nr. 3 S. 2 EStG. Sie ergibt sich im Übrigen auch aus dem identischen Wortlaut der Vorschrift des § 167 HGB (Verlustverteilung bei Kommanditisten) und des § 232 HGB (Verlustverteilung bei dem typisch stillen Gesellschafter). § 232 HGB, früher § 337 HGB, ist der Regelung beim Kommanditisten nachgebildet (Schilling, HGB, § 337 Anm. 22). Der Kommanditist nimmt nun aber gem. § 167 Abs. 3 HGB am Verlust ebenfalls lediglich in Höhe seiner Einlage teil. Gleichwohl ist ganz herrschende Auffassung (BFH-Urt. vom 13.03.1964 VI 343/61 S, BStBl. II 1964, 359), dass über die Einlage hinausgehende Verlustanteile des Kommanditisten mit späteren Gewinnen zu verrechnen sind (statt aller: BFH GrS. Beschl. Vom 10.11.1980 GrS 1/79, BStBl. II 1980, 164, hier S. 168). Es wäre nun aber schwer verständlich, warum ein stiller Gesellschafter trotz identischen Wortlautes beider Vorschriften kein negatives Einlagenkonto bilden könnte, wohl aber der Kommanditist.

20

Das negative Einlagenkonto des stillen Gesellschafters hat, ebenso wie dasjenige des Kommanditisten, lediglich die Funktion eines "Merkpostens". Die dort ausgewiesenen Verlustanteile müssen mit späteren Gewinnanteilen verrechnet werden. Erst hierdurch ergibt sich eine Belastung für den Gesellschafter, sei es, Kommanditist oder stiller Gesellschafter (sog. "gewinnabhängige Auffüllungspflicht", BFH GrS, a.a.O.). Diese mögliche zukünftige Belastung rechtfertigt es aber in beiden Fällen, beim Kommanditisten und beim stillen Gesellschafter eben, die verrechenbaren Verluste festzustellen.

21

Da die Klage damit Erfolg hatte, hat das Finanzamt die Kosten des Verfahrens im Ganzen zu tragen (§ 135 Abs. 1 VGO). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).

22

Eine Beiladung der GmbH war nicht erforderlich, weil der angefochtene Bescheid nur die verrechenbaren Verlustanteile des stillen Gesellschafter feststellte (Hinweis auf BFH-Urteil vom 15.10.1996 IX R 72/92, Bundessteuerblatt II 1997, 250).