Verwaltungsgericht Hannover
v. 29.08.2018, Az.: 10 A 962/18

Bedingte Klageerhebung; Doppelte Wiedereinsetzung; Isolierter Prozesskostenhilfeantrag; Wiedereinsetzung; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand; Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
29.08.2018
Aktenzeichen
10 A 962/18
Entscheidungsform
Gerichtsbescheid
Referenz
WKRS 2018, 74003
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Gerichtsbescheid ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v. H. des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 v. H. des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt in der Sache die Einbürgerung in den deutschen Staatsverband.

Sie beantragte am 23. Juni 2014 bei der damals zuständigen Region A-Stadt ihre Einbürgerung. Nachdem das Einbürgerungsverfahren keinen Fortgang nahm, beantragte die Klägerin am 23. Dezember 2016 Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Untätigkeitsklage gegen die zwischenzeitlich zuständig gewordene Beklagte. Der verfahrenseinleitende Schriftsatz ist mit „PKH-Antrag“ überschrieben und lautet wörtlich

„Namens und in Vollmacht der Klägerin wird beantragt, ihr Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Unterzeichnerin zu bewilligen, um folgende Anträge zu stellen:

1. Die Beklagte wird verpflichtet, die Klägerin in den deutschen Staatsverband einzubürgern.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.“

Mit Bescheid vom 23. Januar 2017 lehnte die Beklagte den Einbürgerungsantrag ab. Die Klägerin führte den Bescheid in das Verfahren ein und änderte „die Anträge“ wie folgt ab:

„Namens und in Vollmacht der Klägerin wird beantragt, ihr Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Unterzeichnerin zu bewilligen, um folgende Klageanträge zu stellen:

1. Die Beklagte wird verpflichtet, die Klägerin unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 23.1.2017 in den deutschen Staatsverband einzubürgern.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.“

Mit Beschluss vom 17. März 2017 bewilligte die Kammer der Klägerin unter Beiordnung ihrer Bevollmächtigten Prozesskostenhilfe für das beabsichtigte Klageverfahren.

Die Klägerin übersandte weitere Schriftsätze und Unterlagen zur Sache. Auf Anfrage des Gerichts, ob die Beteiligten mit einer Entscheidung durch die Berichterstatterin einverstanden seien, wandte die Beklagte mit Schriftsatz vom 18. September 2017 ein, dass die Klägerin einen isolierten Prozesskostenhilfeantrag gestellt und nach dessen positiver Bescheidung keine Klage in der Hauptsache erhoben habe.

Die Klägerin ließ unter dem 31. Januar 2018 mitteilen, dass sie die Klaganträge zu Eingang des Verfahrens übersandt und unter dem Vorbehalt der Bewilligung von Prozesskostenhilfe gestellt habe. Die Klage sei mit der Bewilligung der Prozesskostenhilfe rechtshängig geworden. Nur rein vorsorglich werde eine erneute Klageschrift übersandt.

Die Klägerin beantragt nunmehr sinngemäß,

die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 23.1.2017 zu verpflichten, sie in den deutschen Staatsverband einzubürgern.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die Klage für unzulässig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen. Der Inhalt sämtlicher Akten war Gegenstand der Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

I. Das Gericht entscheidet durch den Einzelrichter, dem die Kammer den Rechtsstreit gem. § 6 Abs. 1 VwGO mit Beschluss vom 27. Juli 2018 übertragen hat. Nach Anhörung der Beteiligten ergeht die Entscheidung aufgrund von § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO durch Gerichtsbescheid, weil die Sache objektiv keine besonderen Schwierigkeiten rechtlicher oder tatsächlicher Art aufweist, der entscheidungserhebliche Sachverhalt geklärt ist und die Klägerin ein etwaiges Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung nicht hinreichend klar zum Ausdruck gebracht hat.

II. Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage in Gestalt der Versagungsgegenklage unzulässig, weil sie nach Ablauf der gesetzlichen Klagefrist von einem Monat (§ 74 Abs. 1 VwGO) erhoben worden und der Bescheid der Beklagten in Bestandskraft erwachsen ist.

Der Bescheid vom 23. Januar 2017 ist der Klägerin spätestens am 10. Februar 2017 bekannt gewesen, als sie ihn dem Gericht gegenüber schriftsätzlich erwähnt hat. Selbst bei der Klägerin günstigster Rechnung endet die Klagefrist gem. § 74 Abs. 1, § 57 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 222 Abs. 1 ZPO, § 188 Abs. 2 BGB damit am 10. März 2017 und wird durch die am 31. Januar 2018 erhobene Klage nicht gewahrt.

Die Klägerin hat den Bescheid auch nicht binnen der Klagefrist zum Gegenstand einer bereits anhängigen Untätigkeitsklage gemacht. Schon ein solches Verfahren war nicht anhängig. Mit ihrem verfahrenseinleitenden Schriftsatz vom 23. Dezember 2016, überschrieben als „PKH-Antrag“, hat sie Prozesskostenhilfe beantragt, um näher bezeichnete Klaganträge zu stellen. Ein solcher Antrag ist anhand der Umstände des Einzelfalls nach dem Verständnishorizont eines objektiven Empfängers auszulegen. Dabei kommen drei Deutungsmöglichkeiten in Betracht. Der Schriftsatz kann eine unabhängig von der Prozesskostenhilfebewilligung erhobene Klage sein. Es kann sich – zum anderen – um eine unter der Bedingung der Prozesskostenhilfegewährung erhobene und damit unzulässige Klage (vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 17.1.1980 – BVerwG 5 C 32/79 –, BVerwGE 59, 302; BGH, Beschluss vom 20.11.1951 – IV ZB 68/51 –, juris; Urteil vom 24.5.1972 – IV ZR 65/71 –, juris; BAG, Beschluss vom 22.11.1968 – 1 AZB 31/68 –; juris, NJW 69, 446) handeln. Schließlich kann der Schriftsatz lediglich einen der Begründung des Prozesskostenhilfeantrags dienenden Entwurf einer erst zukünftig zu erhebenden Klage darstellen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16.10.1990 – BVerwG 9 B 92.90 –juris Rn. 8). In diesem Sinne war nach dem Wortlaut des Schriftsatzes im wohlverstandenen Rechtsschutzinteresse anzunehmen, dass die Klägerin zur Vermeidung von Gerichtskosten keine unbedingte und auch keine bedingte und damit unzulässige Klage hat erheben wollen, sondern die Klaganträge zur Begründung des (isolierten) Antrags auf Prozesskostenhilfe mitgeteilt hat. So hat das Gericht die Anträge auch ohne Einwände der Beteiligten bearbeitet und unter dem 28. Dezember 2016 den Eingang der „Antragsschrift“ – nicht: „der Klage“ – bestätigt und die Klägerin um „Begründung ihres Prozesskostenhilfeersuchens bzw. des Klageentwurfs“ gebeten.

Nichts Anderes gilt für den Schriftsatz der Klägerin vom 10. Februar 2017, mit dem sie den Bescheid vom 23. Januar 2017 „in das Verfahren eingeführt“ hat und wiederum Prozesskostenhilfe beantragt hat, um geänderte Klageanträge zu stellen. In der Zusammenschau mit dem Schriftsatz vom 23. Dezember 2016 lässt gerade die übereinstimmende Formulierung erkennen, dass die Klägerin keinen Wechsel des bisherigen Verfahrens beabsichtigt hat; wiederum ist daher bei objektiver Betrachtung anzunehmen, dass sie immer noch zur Vermeidung von Gerichtskosten keine unbedingte und auch keine bedingte und damit unzulässige Klage hat erheben wollen, sondern die geänderten Klaganträge zur Begründung des weiter isoliert gestellten Antrags auf Prozesskostenhilfe mitgeteilt hat.

Soweit die Klägerin mit Schriftsatz vom 31. Januar 2018 nunmehr geltend macht, dass sie die Klage bedingt habe erheben wollen, ist das unter zwei Gesichtspunkten unerheblich. Zum einen ist, wie ausgeführt, nicht der innere Willen der Beteiligten maßgebend, sondern vielmehr der in der Erklärung verkörperte Wille unter Berücksichtigung der erkennbaren Umstände des Falles, den das Gericht wie vorstehend ausgelegt hat. Sodann wäre auch eine bedingt erhobene Klage schon aufgrund dieser Bedingung unzulässig (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.1.1980 – a. a. O. –). Hierzu hat das Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 17.1.1980 – a. a. O. – Rn. 7) ausgeführt:

„Die Klageschrift ist ein bestimmender Schriftsatz. Mit ihrer Einreichung beim Verwaltungsgericht ist Klage erhoben (§ 81 Abs 1 Satz 1 VwGO); die Streitsache ist rechtshängig (§ 90 Abs 1 VwGO). Eine solche Erklärung verträgt keine Bedingung. Im Interesse des Prozeßgegners - aber auch für das Gericht - muß von Anfang an eindeutig feststehen, ob Klage erhoben worden ist oder nicht.“

Die Auffassung der Klägerin, ihre Klage werde durch die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nachträglich rechtshängig und zulässig, trifft angesichts dessen nicht zu.

Die Klägerin hatte nach Bewilligung der Prozesskostenhilfe die Möglichkeit, die Klage unbedingt und wirksam zu erheben. Allerdings musste sie – weil zu diesem Zeitpunkt der Bescheid vom 23. Januar 2017 ergangen und im Hinblick darauf die Klagefrist bereits abgelaufen war – Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die Klagefrist beantragen und hierzu die versäumte Rechtshandlung, die Klageerhebung, binnen zwei Wochen nach Bekanntgabe des die Bewilligung von Prozesskostenhilfe aussprechenden Beschlusses nachholen (§ 60 Abs. 2 Sätze 1 und 3 VwGO). Eines Wiedereinsetzungsantrages bedurfte es dabei nicht, weil die eine Wiedereinsetzung begründen Tatsachen aus dem Prozesskostenhilfeverfahren gerichtsbekannt waren (§ 60 Abs. 2 Satz 4 VwGO; vgl. BVerwG, Urteil vom 17.1.1980 – a. a. O. –, Rn. 11).

Die Klägerin hat mit der Klageerhebung am 31. Januar 2018 jedoch auch diese Frist versäumt, nachdem ihr der Prozesskostenhilfebeschluss im elektronischen Rechtsverkehr am 21. März 2017 bekanntgegeben und spätestens am 6. April 2017 bekannt war, als ihre Bevollmächtigte gegenüber dem Gericht die Festsetzung der Vergütung der beigeordneten Rechtsanwältin beantragt hat. Die Wiedereinsetzungsfrist endete mithin spätestens am 20. April 2017.

Um wegen Versäumung der Klagefrist Wiedereinsetzung gewähren zu können, müsste also zunächst die zweite Fristversäumung durch Wiedereinsetzung geheilt werden. Eine solche Wiedereinsetzung hat die Klägerin nicht beantragt; sie hat auch nicht die versäumten Rechtshandlungen – weder den Wiedereinsetzungsantrag noch die Klageerhebung – binnen einer Frist von zwei Wochen nach Wegfall des Hinderungsgrundes nachgeholt. Dabei geht das Gericht davon aus, dass im Falle der doppelten Wiedereinsetzung, also der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die Wiedereinsetzungsfrist, auch der (erste) Wiedereinsetzungsantrag selbst als eine versäumte Rechtshandlung nachgeholt werden muss und nicht, wie bei der einfachen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die Klagefrist, nach § 60 Abs. 2 Satz 4 VwGO entbehrlich ist, wenn die zu Grunde liegenden Umstände dem Gericht bereits bekannt sind.

Insoweit steht einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die Klagefrist schon entgegen, dass die Klägerin mit dem Schriftsatz vom 31. Januar 2018 zwar die Klageerhebung „vorsorglich“ nachgeholt hat, nicht jedoch den gleichfalls versäumten Wiedereinsetzungsantrag. Sie hat vielmehr an ihrer Auffassung festgehalten, dass die Klage bereits mit Bewilligung der Prozesskostenhilfe rechtshängig geworden sei. Denklogisch setzen diese Ausführungen voraus, dass die Klägerin auch zu diesem Zeitpunkt einen Wiedereinsetzungsantrag als entbehrlich erachtet hat und demzufolge auch nicht hat stellen wollen.

Der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sowohl in die Klage- als auch in die Wiedereinsetzungsfrist steht sodann entgegen, dass die Klägerin nicht im Sinne von § 60 Abs. 1 VwGO unverschuldet gehindert war, die Fristen für die Klage und für den Wiedereinsetzungsantrag einzuhalten. Dass sie die Klage nicht erhoben und den Wiedereinsetzungsantrag nicht gestellt hat, beruht allein auf dem vermeidbaren (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13.4.2006 – BVerwG 7 B 5/06 –, juris) Rechtsirrtum, dass die Klage bereits mit Bewilligung der Prozesskostenhilfe rechtshängig würde. Dieser Irrtum ihrer Bevollmächtigten ist der Klägerin gem. § 173 VwGO i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen.

Auch die stillschweigende Sachbearbeitung des Gerichts hat insoweit kein schutzwürdiges Vertrauen begründet. Denn einer stillschweigenden Wiedereinsetzung im gerichtlichen Verfahren steht schon die Tragweite der Entscheidung über die Wiedereinsetzung entgegen, die unanfechtbar ist (§ 60 Abs. 5 VwGO). Dies erfordert im Interesse der Prozessbeteiligten eine klare und eindeutig verlautbarte Entscheidung des Gerichts, um jeden Zweifel darüber auszuschließen, dass es die Frage der Notwendigkeit der Wiedereinsetzung erkannt und den Willen gehabt hat, Wiedereinsetzung zu gewähren (vgl. wiederum BVerwG, Urteil vom 17.1.1980 – a. a. O. – Rn. 15). Sodann war die Sachbearbeitung durch das Gericht erkennbar nicht ursächlich für die Fristversäumnis der Klägerin, denn das Gericht hat die Klägerin erst mit Verfügung vom 17. August 2017 zu weiterem Sachvortrag aufgefordert, als die Wiedereinsetzungsfrist längst abgelaufen war. Bis dahin hatte das Gericht lediglich Schriftsätze der Klägerin an die Beklagte weitergeleitet; Äußerungen gegenüber der Klägerin, die ein schutzwürdiges Vertrauen hätten begründen können, hat es nicht getroffen.

Schließlich wären selbst, wenn dementgegen in der Sachbearbeitung durch das Gericht ein allein ursächliches, unverschuldetes Hindernis zu sehen wäre und der Schriftsatz der Klägerin vom 31. Januar 2018 als Nachholung auch des Wiedereinsetzungsantrags zu verstehen wäre, auch dieser Wiedereinsetzungsantrag wiederum verspätet gestellt und die Klage verspätet erhoben worden. Denn ein solchermaßen angenommenes Hindernis wäre spätestens zu dem Zeitpunkt weggefallen, als das Gericht der Klägerin den Schriftsatz der Beklagten vom 18. September 2017 übersandt hat, mit dem die Beklagte die versäumte Klageerhebung und die Unzulässigkeit der Klage gerügt hat; allerspätestens jedoch nach Zugang der gerichtlichen Verfügung vom 4. Januar 2018, mit der die Berichterstatterin an die Stellungnahme auf diesen Schriftsatz vom 18. September 2017 erinnert hat. Selbst von diesem allerletzten Zeitpunkt ausgehend hat die am 31. Januar 2018 erhobene Klage die Frist von zwei Wochen für die Nachholung der Klageerhebung und des Wiedereinsetzungsantrags nicht gewahrt.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.

IV. Gründe, gemäß § 124 Abs. 2 Nrn. 3 und 4, § 124 a Abs. 1 VwGO die Berufung zuzulassen, sind nicht ersichtlich. Weder hat der Rechtsstreit über den konkreten Einzelfall hinaus grundsätzliche Bedeutung, noch weicht das Gericht von der Rechtsprechung der dort genannten Obergerichte ab.