Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 08.09.2022, Az.: 9 U 72/22
Zurückweisung der Berufung nach pflichtgemäßem Ermessen im schriftlichen Verfahren; Sofortige Abberufung vom Geschäftsführeramt aus wichtigem Grund
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 08.09.2022
- Aktenzeichen
- 9 U 72/22
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2022, 52236
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hannover - 16.08.2022 - AZ: 32 O 116/22
Rechtsgrundlagen
- § 522 Abs. 2 ZPO
- § 138 BGB
- § 242 BGB
Fundstellen
- GmbH-Stpr. 2023, 184
- GmbH-Stpr. 2024, 29
- GmbHR 2023, 453-455
- NZG 2023, 71-73
- ZIP 2022, 2385-2387
In dem einstweiligen Verfügungsverfahren
X GmbH, ...,
Verfügungsbeklagte und Berufungsklägerin,
Prozessbevollmächtigte:
Anwaltsgesellschaft ...,
gegen
..., ...,
Verfügungskläger und Berufungsbeklagter,
Prozessbevollmächtigte:
Anwaltsbüro ...,
hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und den Richter am Oberlandesgericht ... am 8. September 2022 beschlossen:
Tenor:
- 1.
Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Verfügungsbeklagten gegen das am 16. August 2022 verkündete Urteil der 7. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Hannover durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen.
- 2.
Die Verfügungsbeklagte erhält gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO Gelegenheit zur Stellungnahme und gegebenenfalls Rücknahme der Berufung aus Kostengründen bis 17. Oktober 2022.
- 3.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf die Wertstufe bis € 50.000,- festgesetzt.
Gründe
I.
Der Verfügungskläger (im Folgenden: Kläger) ist im Handelsregister als Geschäftsführer der in der Rechtsform einer GmbH organisierten Verfügungsbeklagten (im Folgenden: Beklagten) eingetragen. Er wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen einen seiner Ansicht nach nichtigen Beschluss des Alleingesellschafters (eines Vereins) der Beklagten vom 25. Juli 2022, der seine sofortige Abberufung vom Geschäftsführeramt aus wichtigem Grund zum Inhalt hat (vgl. Anlage ASt 9, wie alle nicht anders gekennzeichneten, vom Kläger vorgelegten Anlagen im gesonderten Anlagenband "ASt.").
Alleiniger Gesellschafter der Beklagten ist der X e.V. (im Folgenden nur: Verein). Die Beklagte wiederum ist Komplementärin der X GmbH & Co. KGaA (im Folgenden nur: KGaA), die ihrerseits die am Ligabetrieb teilnehmende Fußballmannschaft "X" unterhält. Kommanditaktionärin der KGaA ist die X Sales & Service GmbH & Co. KG (im Folgenden nur: S & S KG), deren Mehrheitskommanditistin die XY GmbH ist (vgl. Anlage ASt 3). Alleiniger Gesellschafter der XY GmbH ist der Kläger.
In § 7 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrags der Beklagten (Anlage ASt 6) ist Folgendes bestimmt:
"Die Geschäftsführer werden vom Aufsichtsrat bestellt und abberufen."
Am 23. August 2019 kamen der Verein (zugleich Alleingesellschafter der Beklagten), die KGaA und die S & S KG in einem sogenannten "X-Vertrag" (Anlage ASt 4) unter dessen Ziffer 3 u.a. wie folgt überein:
"(...) X e.V. [i.e. der Alleingesellschafter der hiesigen Beklagten] verpflichtet sich, die Satzung der X Management GmbH [i.e. die hiesige Beklagte] nicht bzw. nicht ohne vorherige schriftliche Zustimmung der X S&S zu ändern, zu ergänzen oder zu ersetzen. Die vorstehende Regelung gilt insgesamt, insbesondere aber für den Passus der Satzung, der Funktion (Bestellung der Geschäftsführung der Gesellschaft) und Besetzung des Aufsichtsrats der X Management GmbH regelt. Durch die jetzige Regelung hat X S&S, vermittelt durch den Aufsichtsrat, Mitentscheidungsrechte bei der Bestellung und Abberufung der Geschäftsführung der X Management GmbH. Der Erhalt dieser Mitentscheidungsrechte und die künftige Kooperation der Parteien bei der Ernennung und Abberufung der Geschäftsführung der X Management GmbH unter Berücksichtigung des Zwei-Säulen-Modells ist Grundlage und essentieller Bestandteil dieser Vereinbarung, insbesondere im Hinblick auf die sich für X e.V. [i.e. den Alleingesellschafter der hiesigen Beklagten] ergebenden Pflichten. (...)"
Der Kläger hat gemeint, der Abberufungsbeschluss des Vereinsvorstands für den Verein als Alleingesellschafter der beklagten GmbH vom 25. Juli 2022 sei nichtig, da Bestellung und Abberufung des Geschäftsführers allein der Aufsichtsrat, nicht aber die Gesellschafterversammlung vornehmen könne; anderenfalls verstoße der Verein als alleiniger Gesellschafter der beklagten GmbH gegen den X-Vertrag vom 23. August 2019.
Das Landgericht, auf dessen Urteil (Bl. 127 ff. Bd. I d.A.) wegen der Einzelheiten der tatsächlichen Feststellungen, namentlich auch im Hinblick auf die Darstellung des Verbunds und der Funktionen der den Sachverhalt prägenden Gesellschaften, sowie der Entscheidungsgründe Bezug genommen wird, hat dem Kläger im Wege der einstweiligen Verfügung gestattet, das Amt des Geschäftsführers bis zur Entscheidung in der (bereits rechtshängigen) Hauptsache weiter auszuüben, und es der Beklagten untersagt, die Löschung des Klägers als Geschäftsführer im Handelsregister zu betreiben.
Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung. Sie macht im Wesentlichen geltend, das Landgericht habe verkannt, dass sich der Kläger als Fremdgeschäftsführer nicht - und erst recht nicht im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes - gegen seine Abberufung wehren könne. Zudem sei der Beschluss des Vorstands des Alleingesellschafters vom 25. Juli 2022 als Gesellschafterversammlungsbeschluss wirksam.
Von der weiteren Darstellung des Tatbestands wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1, 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO abgesehen.
II.
Die Voraussetzungen nach § 522 Abs. 2 ZPO, unter denen der Senat die Berufung der Beklagten nach pflichtgemäßem Ermessen im schriftlichen Verfahren zurückweisen soll, dürften vorliegen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, eine Entscheidung des Berufungsgerichts aufgrund mündlicher Verhandlung ist auch zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht erforderlich und eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten. Schließlich hat das Rechtsmittel auf Grundlage der am 30. August 2022 bei Gericht eingegangenen Berufungsbegründung auch offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg, da das angefochtene Urteil nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand weder auf einer Rechtsverletzung (§§ 513 Abs. 1, 1. Alt., 546 ZPO) beruht noch nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen (§ 513 Abs. 1, 2. Alt. ZPO).
Das Landgericht hat mit der angegriffenen Entscheidung die vom Kläger begehrte einstweilige Verfügung vielmehr zu Recht erlassen. Die dagegen gerichteten Angriffe der Berufung verfangen nicht. Insoweit gilt:
1.) Entgegen der Auffassung der Beklagten kann der Kläger im Streitfall Rechtsschutz gegen seine Abberufung als Geschäftsführer der Beklagten suchen, obwohl er Fremdgeschäftsführer ist.
Zum einen ist nach Auffassung des Senats der grundsätzliche Ausschluss der Rechtsschutzmöglichkeiten des abberufenen Fremdgeschäftsführers (vgl. Wiegand-Schneider, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrecht, Bd. VII, 6. Aufl. 2020, § 40 Rn. 166) einschränkend dahin auszulegen, dass diesem - schon im Interesse der Rechtssicherheit für die vertretene GmbH - die Geltendmachung einer nicht kompetenzgerechten Abberufung möglich sein muss. Denn wenn im Streit steht, ob eine Abberufung überhaupt durch das zuständige Organ der Gesellschaft erfolgt ist und daher Wirkung entfaltet, liegt eine entsprechende Klärung nicht nur im Interesse des Geschäftsführers, sondern gerade auch im Interesse der von ihm vertretenen Gesellschaft.
Zum anderen ist anerkannt, dass auch der Fremdgeschäftsführer (wie jeder Dritte) die Nichtigkeit eines Abberufungsbeschlusses zum Gegenstand einer Feststellungsklage machen kann (vgl. BGH, Urteil vom 11. Februar 2008 - II ZR 187/06 -, juris Rn. 34). Eben die Nichtigkeit des Abberufungsbeschlusses vom 25. Juli 2022 macht der Kläger im Streitfall geltend. Dann aber muss ihm im Sinne der Gewährung effektiven Rechtsschutzes auch die Möglichkeit eröffnet sein, einstweiligen Rechtsschutz zu suchen.
2.) Der vom Vorstand des Alleingesellschafters gefasste Gesellschafterbeschluss vom 25. Juli 2022 erweist sich zumindest bei der im einstweiligen Verfügungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 34. Aufl. 2022, vor § 916 Rn. 3) als nichtig, so dass dem Kläger ein Verfügungsanspruch zusteht.
Die Nichtigkeit des Abberufungsbeschlusses folgt aus dem darin liegenden Verstoß gegen den sog. X-Vertrag vom 23. August 2019.
a) Mit diesem Vertrag ist der Verein als Alleingesellschafter der Beklagten eine rechtsgeschäftliche Beschränkung seiner Stimmrechtsmacht bezüglich der Veränderung der Satzung der Beklagten in Bezug auf die Kompetenz zur Besetzung des Geschäftsführeramtes eingegangen, so dass insoweit vom Vorliegen einer Stimmrechtsbindung, die auch gegenüber Dritten versprochen werden kann, auszugehen ist (vgl. allgemein Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 12. Aufl. 2021, § 47 Rn. 35).
b) Gegen die im Streitfall gegenüber den weiteren Vertragspartnern des X-Vertrages, der KGaA und der S & S KG, eingegangene Stimmrechtsbindung hat der Verein als Alleingesellschafter der Beklagten mit dem von seinem Vorstand gefassten Gesellschafterbeschluss vom 25. Juli 2022 verstoßen. Zwar ist die Satzung durch den Beschluss nicht geändert worden, doch ist die Verpflichtung des Vereins, die Satzung der Beklagten insbesondere nicht ohne Zustimmung der S & S KG zu ändern, soweit es "Funktion (Bestellung der Geschäftsführung der Gesellschaft) und Besetzung des Aufsichtsrats" betrifft, ohne Weiteres dahin auszulegen, dass sich der Verein auch verpflichtet hat, die Satzung insoweit nicht durch einzelne Beschlüsse zu durchbrechen und insbesondere nicht zu unterlaufen. Anderenfalls liefe die Bindungsklausel leer.
c) Die entgegen einer Stimmbindung erfolgte Stimmabgabe ist zwar grundsätzlich nicht unwirksam (vgl. nur BeckOK/Schindler, GmbHG, 52. Edition, Stand: 1. März 2022, § 47 Rn. 72). Doch gilt anderes dann, wenn alle Gesellschafter der GmbH untereinander eine konkrete Stimmbindung eingegangen sind, weil die gesonderte Durchsetzung der Verpflichtung, das durch die Stimmbindung vorgegebene Ergebnis herbeizuführen, bloße Förmelei wäre (vgl. BGH, Urteil vom 20. Januar 1983 - II ZR 243/81 -, juris Rn. 11; BGH, Urteil vom 27. Oktober 1986 - II ZR 240/85 -, juris Rn. 15; MünchKomm/Drescher, GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 47 Rn. 250). So liegt der Fall hier: Der Verein ist Alleingesellschafter der Beklagten und muss daher die eingegangene Bindung unmittelbar gegen sich gelten lassen.
Hinzu tritt, dass der Kläger mittelbar Mehrheitskommanditist eines der Vertragspartner des X-Vertrages, aus dem die Stimmbindung herrührt, nämlich der S & S KG, ist. Die mit diesem Vertrag eingegangene Bindung betreffend das Zustimmungserfordernis zu Änderungen der Satzung der Beklagten besteht mithin mittelbar auch gegenüber dem Kläger, was ebenfalls dafür spricht, die Unwirksamkeit der bindungswidrigen Stimmabgabe bzw. Beschlussfassung des Alleingesellschafters anzunehmen.
d) Schließlich hat der Verstoß gegen die im X-Vertrag eingegangene Stimmbindung im Streitfall auch nicht die bloße Anfechtbarkeit des mit der bindungswidrig erfolgten Stimmabgabe herbeigeführten Gesellschafterbeschlusses vom 25. Juli 2022, sondern dessen Nichtigkeit zur Folge.
Das ergibt sich aus einer besonderen Treuwidrigkeit des Stimmverhaltens des Vereins als Alleingesellschafter. Denn der Verein war sich der von ihm im X-Vertrag eingegangenen Bindung ersichtlich bewusst und hat daher nicht etwa die Satzung geändert, sondern den Kläger ausdrücklich "im Wege eines satzungsdurchbrechenden Beschlusses" (vgl. Anlage ASt 9) abberufen. Der darin liegende Versuch, die satzungsmäßige, durch eine Stimmrechtsbindung verstärkte und abgesicherte Kompetenzordnung zu unterlaufen, erweist sich - gemessen am Maßstab der §§ 138, 242 BGB - als in besonderem Maße treuwidrig und macht den auf diese Weise herbeigeführten Beschluss nichtig.
Zudem wäre die Annahme bloßer Anfechtbarkeit angesichts der Tatsache, dass die Beklagte mit dem Verein nur einen Gesellschafter hat, wirkungslos und ließe das treuwidrige Stimmverhalten sanktionslos (vgl. zur Unbeachtlichkeit eines sittenwidrig herbeigeführten, an sich unanfechtbaren Gesellschafterbeschlusses und seiner Behandlung wie ein nichtiger Beschluss auch BGH, Urteil vom 1. Juni 1987 - II ZR 128/86 -, juris Rn. 7 a.E.).
3.) Einen dem Kläger zur Seite stehenden Verfügungsgrund schließlich hat das Landgericht zu Recht in dem Erfordernis der Klärung der Frage gesehen, ob der Kläger Geschäftsführer der Beklagten geblieben ist oder nicht. Soweit die Beklagte meint, mit demselben Argument hätte der Erlass einer einstweiligen Verfügung auch abgelehnt werden können, blendet sie aus, dass das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes auch dem Schutz der - nach den vorstehenden Ausführungen durch den in Rede stehenden Gesellschafterbeschluss verletzten - Rechte des Klägers dient.
III.
Die Beklagte sollte nach alledem erwägen, ihr Rechtsmittel aus Kostengründen zurückzunehmen, zumal ihrer eigenen Mitteilung zufolge in der Hauptsache bereits Termin anberaumt ist und schon vor diesem Hintergrund eine (weitere) Klärung der streitigen Fragen im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht zu erwarten ist.
Die Bemessung der Frist zur Stellungnahme bis zum 17. Oktober 2022 trägt der Tatsache Rechnung, dass die Berufungsbegründungsfrist gemäß § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO erst mit diesem Tag abläuft, nachdem der Beklagten das angefochtene Urteil am 17. August 2022 zugestellt worden ist (Bl. 140 Bd. I d.A.). Der Senat dürfte gehindert sein, vor Ablauf der Begründungfrist über die Berufung zu entscheiden (vgl. BGH, Beschluss vom 29. November 2016 - VI ZB 27/15 -, juris Rn. 5; BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2005 - X ZB 28/05 -, juris), und vermag diese Frist auch nicht von Amts wegen abzukürzen, § 224 Abs. 2 ZPO (vgl. Zöller/Heßler, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 520 Rn. 25).