Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 05.09.2022, Az.: 2 AR (Ausl) 85/22

Verbleibende Zuständigkeit beim entscheidenden OLG über Zulässigkeit der Auslieferung auch bei späterem Aufgreifen des Verfolgten in fremdem Gerichtsbezirk; Fortdauer der Zuständigkeit des OLG über Zulässigkeit der Auslieferung bei Aufrechterhaltung des Europäischen Haftbefehls

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
05.09.2022
Aktenzeichen
2 AR (Ausl) 85/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2022, 32936
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2022:0905.2AR.AUSL85.22.00

Amtlicher Leitsatz

Hat ein Oberlandesgericht die Auslieferung eines in seinem Bezirk erstmals ermittelten und ergriffenen Verfolgten für unzulässig erklärt und bleibt der zugrunde liegende Europäische Haftbefehl unverändert aufrechterhalten, ist das Oberlandesgericht für eine erneut zu treffende Zulässigkeitsentscheidung auch dann örtlich zuständig, wenn der Verfolgte nachfolgend außerhalb seines Bezirks ein weiteres Mal ermittelt oder ergriffen wird.

Tenor:

Der Senat ist nicht zu einer Entscheidung berufen.

Gründe

I.

Die r. Justizbehörden betreiben auf der Grundlage des Europäischen Haftbefehls des Gerichts in Tirgu Bujor vom 09.11.2021 (Aktenzeichen 1114/316/2017) die Auslieferung des Verfolgten zum Zwecke der Strafvollstreckung.

Ausweislich des Europäischen Haftbefehls wurde der Verfolgte durch Urteil des Gerichts in Tirgu Bujor vom 22.09.2021 (Az. 145/2021) wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt. Die Verurteilung ist seit dem 19.10.2021 rechtskräftig. Die Freiheitsstrafe ist noch vollständig zu verbüßen.

Der Verfolgte war auf der Grundlage des o.g Europäischen Haftbefehls bereits in dem von der Generalstaatsanwaltschaft Bamberg unter dem Az. 230 Ausl 167/21 geführten Auslieferungsverfahren und in Vollziehung der vom Oberlandesgericht Bamberg (Az. 1 Ausl AR 49/21) mit Beschluss vom 29.11.2021 angeordneten förmlichen Auslieferungshaft vorübergehend inhaftiert. Mit Beschluss vom 17.02.2022 hatte das Oberlandesgericht Bamberg die Auslieferung des Verfolgten an die rumänischen Justizbehörden zur Vollstreckung der in dem Europäischen Haftbefehl aufgeführten Freiheitsstrafe für unzulässig erklärt und die Anordnung der Auslieferungshaft aufgehoben. Zur Begründung hatte das Gericht im Wesentlichen angeführt, dass die dem Europäischen Haftbefehl zugrundeliegende Verurteilung in Abwesenheit des Verfolgten erfolgt sei und die Voraussetzungen für eine nach § 83 Abs. 2-4 IRG ausnahmsweise Zulässigkeit seiner Auslieferung an die rumänischen Justizbehörden nicht gegeben gewesen seien. Die Generalstaatsanwaltschaft Bamberg hatte in ihrer nachfolgenden Entschließung vom 18.02.2022 die Auslieferung des Verfolgten abgelehnt.

Der Europäische Haftbefehl des Gerichts in Tirgu Bujor vom 09.11.2021 (Aktenzeichen 1114/316/2017) und die Ausschreibung des Verfolgten im Schengener Informationssystem blieben nach der Entscheidung des Oberlandesgerichts Bamberg vom 17.02.2022 unverändert aufrechterhalten.

Am 23.03.2022 wurde der Verfolgte aufgrund der fortbestehenden SIS-Ausschreibung in H. im Landkreis H. erneut von der Polizei vorläufig festgenommen. Bei seiner Anhörung am Folgetag vor dem Amtsgericht Holzminden hat der Verfolgte lediglich erklärt, er sei seit dem 20.10.2021 unter seiner Wohnanschrift in B. P. amtlich gemeldet. Auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Celle hat das Amtsgericht vom Erlass einer Festhalteanordnung nach § 22 Abs. 3 S. 2 IRG abgesehen. Seitdem befindet sich der Verfolgte auf freiem Fuß.

Auf das Ersuchen der Generalstaatsanwaltschaft Celle vom 11.04.2022 um eine Zusicherung der Einhaltung der Vorgaben des RB-EuHB 2009/299/JI vom 26.02.2009 für die ausnahmsweise Zulässigkeit der Auslieferung eines Verfolgten haben die rumänischen Justizbehörden in einer E-Mail vom 18.04.2022 lediglich den Inhalt der gesetzlichen Bestimmungen in Art. 466 Abs. 2 der r. Strafprozessordnung mitgeteilt. Eine ergänzende Anfrage der Generalstaatsanwaltschaft Celle über das Europäische Justizielle Netz haben die r. Justizbehörden unbeantwortet gelassen.

Die Generalstaatsanwaltschaft Celle beantragt nunmehr, die Auslieferung des Verfolgten an die r. Justizbehörden für unzulässig zu erklären, da die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Zulässigkeit seiner Auslieferung nach § 83 Abs. 2-4 IRG weiterhin nicht erfüllt seien.

II.

Der Senat ist zu einer Entscheidung nicht berufen.

Für eine gemäß § 29 Abs. 1 IRG zu treffende erneute Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung des Verfolgten an die r. Justizbehörden ist das Oberlandesgericht Bamberg örtlich zuständig.

Gemäß § 14 Abs. 1 IRG liegt die örtliche Zuständigkeit in Auslieferungsverfahren bei dem Oberlandesgericht und der Generalstaatsanwaltschaft, in deren Bezirk der Verfolgte zum Zwecke der Auslieferung ergriffen oder, falls eine Ergreifung nicht erfolgt, zuerst ermittelt wird. Vorliegend erfolgte die erstmalige Ermittlung sowie die Ergreifung des Verfolgten im Zuge des Erlasses des Auslieferungshaftbefehls des Oberlandesgerichts Bamberg vom 17.02.2022. Die hierdurch begründete örtliche Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Bamberg ist nicht durch den späteren Aufenthalt des Verfolgten sowie seine erneute vorläufige Festnahme am 23.03.2022 im Bezirk des Oberlandesgerichts Celle entfallen. Denn eine einmal bestehende örtliche Zuständigkeit dauert bis zum Ende des Auslieferungsverfahrens an und wird durch Änderungen des Aufenthalts des Verfolgten grundsätzlich nicht berührt (vgl. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 02.06.2020 - Ausl 301 AR 66/20 -, juris, mwN). Insoweit stellt das Wort "zuerst" in § 14 Abs. 1 IRG klar, dass sich ein einmal begründeter Gerichtsstand nicht durch erneute Ermittlung des Verfolgten in einem anderen Bezirk ändert (vgl. Schierholt in Schomburg/Lagodny, IRG, 6. Aufl. 2020, § 14 Rd. 4 mwN). Eine zeitlich zuerst begründete örtliche gerichtliche Zuständigkeit bleibt daher auch erhalten, wenn später Umstände eintreten, welche eine andere gerichtliche Zuständigkeit zu begründen geeignet sind. So ist eine Änderung der örtlichen Zuständigkeit von der obergerichtlichen Rechtsprechung für Fälle verneint worden, in denen ein zum Zwecke der Auslieferung zur Strafverfolgung erlassener Europäische Haftbefehl durch den ersuchenden Staat zurückgenommen und zeitgleich oder später ein neuer Europäischer Haftbefehl erlassen wird, sofern beide Europäische Haftbefehle den gleichen Sachverhalt zum Gegenstand haben (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 27.02.2020 - 2 Ausl 18/20 -, juris; OLG Karlsruhe, aaO). Im vorliegenden Fall besteht der Europäische Haftbefehl des Gerichts in Tirgu Bujor vom 09.11.2021 (Az. 1114/316/2017), der bereits Gegenstand der o.g. Entscheidung des Oberlandesgerichts Bamberg vom 17.02.2022 über die Unzulässigkeit der Auslieferung des Verfolgten an die rumänischen Justizbehörden war, unverändert fort. Das in dem Europäischen Haftbefehl formulierte Auslieferungsersuchen der rumänischen Justizbehörden hat sich nach Auffassung des Senats durch die vorgenannte Entscheidung des Oberlandesgerichts Bamberg nicht erledigt. In der Folge ist das Oberlandesgericht Bamberg für die im Hinblick auf das fortbestehende Auslieferungsersuchen zu treffenden gerichtlichen Entscheidungen weiterhin zuständig. In Ansehung der o.g. Grundsätze ändert hieran nichts, dass der Verfolgte zwischenzeitlich im Bezirk des Oberlandesgerichts Celle ermittelt und erneut vorläufig festgenommen wurde. Gerade auch in Fallkonstellationen der vorliegenden Art würde ein Wechsel der gerichtlichen Zuständigkeit dem Sinn und Zweck der Vorschrift des § 14 Abs. 1 IRG zuwiderlaufen, durch eine Festlegung auf das zunächst mit der Sache befasste Oberlandesgericht auch aus außenpolitischen Gründen negative Zuständigkeitskonflikte zu vermeiden und auf diese Weise die Vereinfachung, Beschleunigung und Kontinuität des Auslieferungsverfahrens zu gewährleisten (vgl. OLG Karlsruhe, aaO, unter Hinweis auf BT-Drs. 9/1338, S. 48). Anderenfalls würden, wenn der Verfolgte erneut seinen Aufenthaltsort wechseln würde, zahlreiche verschiedene Oberlandesgerichte mit demselben Auslieferungsersuchen befasst werden.