Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 23.11.1995, Az.: II 254/94

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
23.11.1995
Aktenzeichen
II 254/94
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1995, 34215
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1995:1123.II254.94.0A

Fundstelle

  • EFG 1996, 459-460 (Volltext mit amtl. LS)

Tenor:

  1. Die Einspruchsentscheidung vom 20. April 1994 wird aufgehoben.

    Die Kosten des Verfahrens hat das Finanzamt zu tragen.

    Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

1

Streitig ist, ob der Klägerin (Kl'in.) für einen nicht fristgemäß gestellten Antrag auf Investitionszulage (InvZul) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 110 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) zu gewähren ist.

2

Die Kl'in., für deren Einkommensbesteuerung der Beklagte (das beklagte Finanzamt - FA -) als Wohnsitzfinanzamt zuständig war, betrieb in W. (Sachsen-Anhalt) ein Kleinkraftwerk und erzielte hieraus Einkünfte aus Gewerbebetrieb.

3

In dem Streitjahr 1991 vorangegangenem Kalenderjahr hatte die Kl'in. bereits in diesen Betrieb investiert; es waren Aufwendungen für die Anschaffung/Herstellung einer Rechenreinigungsanlage, einer elektronischen Steuerung und einer Wehr- und Schutzanlage im Wert von rd. 713 TDM angefallen, für die die Kl'in. InvZul nach der InvZul-Verordnung bei ihrem Wohnsitz-FA G. beantragt hatte, das den dort innerhalb der Antragsfrist eingegangenen Antrag an das damals zuständige Betriebsstätten-FA H. weitergeleitet hatte, wo er allerdings verspätet eingegangen war. Der Kl'in. war für die Fristversäumnis Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und die beantragte InvZul gewährt worden.

4

Im Streitjahr 1991 fielen in dem Betrieb für die genannten Investitionsvorhaben weitere Aufwendungen an; ferner schaffte die Kl'in. zwei bewegliche Wirtschaftsgüter an. Auch hierfür beantragte sie InvZul, nunmehr nach dem InvZul-Gesetz (InvZulG) 1991. Diesen Antrag richtete sie an das nunmehr nicht mehr zuständige FA H.. Der Antrag war per Einschreiben am 26.09.1992 bei einem Postamt in H. aufgegeben worden, war allerdings nach dem Eingangsstempel des FA H. dort erst am 02.10.1992, also nach Ablauf der Antragsfrist 30.09.1992 eingegangen. Der Absendezeitpunkt ergibt sich aus dem auf dem Versandumschlag (Bl. 3 InvZul-Akte) aufgebrachten Poststempel eines Postamts in H. und einem von einem Sachbearbeiter des FA daneben angebrachten zusätzlichen Vermerk. Das FA H. leitete den Antrag an das zuständige FA G., den Beklagten, im Juni 1993 weiter. Das FA wies den Antrag auf InvZul als verspätet zurück. Der Einspruch der Kl'in. hiergegen, den sie auch nach Erinnerung durch das FA nicht weiter begründete, hatte keinen Erfolg.

5

Mit der Klage begehrt die Kl'in. weiter die beantragte InvZul. Die Kl'in. ist der Auffassung, für die Festsetzung der InvZul sei das FA H. zuständig. Dieses folge aus Tz. 83 des BMF-Schreibens vom 31.12.1986 (BStBl I 1987, 51), denn dort sei ausgeführt, daß aus Vereinfachungsgründen die InvZul auch von dem nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 b AO für die gesonderte Feststellung zuständigen FA gewährt werden könne; dies sei das FA H.. Dort sei der Antrag zwar nach dem Eingangsstempel verspätet am 02.10.1992 eingegangen. Doch treffe die Kl'in. an diesem verspäteten Eingang kein Verschulden, da sie den Antrag rechtzeitig am 26.09.1992 zur Post gegeben habe; die überlange Postlaufzeit habe die Kl'in. nicht zu verantworten. Es werde deshalb ausdrücklich der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 110 AO gestellt. Allerdings sei nach ihrer Auffassung auch in dem verspätet eingegangenen InvZul-Antrag selbst schon ein solcher Antrag auf Wiedereinsetzung zu sehen.

6

Die Kl'in. beantragt,

den Einspruchsbescheid aufzuheben.

7

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen.

8

Die Kl'in. habe ihren Antrag auf InvZul bei einem unzuständigen FA gestellt. Zuständig sei gem. § 6 Abs. 2 Satz 1 InvZulG 1991 das für die Einkommensbesteuerung zuständige FA, also das beklagte FA. Lediglich für die InvZul von Personengesellschaften i.S.d. § 15 Abs. 1 Nr. 2 oder Abs. 3 Einkommensteuergesetz (EStG) sei das Betriebs-FA zuständig. Auf diese Zuständigkeitslage sei auch in Tz. 82 des BMF-Schreibens vom 28.08.1991 (BStBl I 1991, 768) hingewiesen. Außerdem ergäbe sich dieses auch aus dem Zuständigkeitshinweis im InvZul-Antrag 1991. Denn dort sei darauf hingewiesen, daß der Antrag "bei dem für die Besteuerung nach dem Einkommen zuständigen Finanzamt, in den Fällen, in denen eine gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte durchgeführt wird, bei dem für die Feststellung zuständigen FA zu stellen" sei. Zwar habe der für die Entscheidung der Klage zuständige II. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts in einem anderen Fall entschieden, einem Kläger könne Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden, weil die Erläuterungen im InvZul-Antrag nicht hinreichend klar seien und werde dieses Urteil von der Finanzverwaltung auch auf gleichgelagerte Fälle angewendet. Hierauf könne die Kl'in. sich aber deshalb nicht berufen, weil ihr Antrag bereits bei dem unzuständigen FA H. nicht fristgerecht eingegangen sei, die Verfristung mithin nicht Folge einer nicht mehr fristgemäßen Weiterleitung gewesen sei.

9

Die Kl'in. habe im Jahre 1992 noch mit längeren Postlaufzeiten im Briefverkehr mit den neuen Bundesländern rechnen müssen. Davon abgesehen könne Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch deshalb nicht gewährt werden, weil die Kl'in. den Antrag nicht innerhalb der Monatsfrist des § 110 Abs. 2 Satz 1 AO nach Kenntnis der Verspätung (Kenntnis spätestens aufgrund des Ablehnungsbescheids vom 25.10.1993) gestellt und begründet habe. Beides sei erstmals in der Klagebegründung erfolgt. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) seien die antragsbegründenden Tatsachen innerhalb der Monatsfrist sogar in den Fällen vorzutragen, in denen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 Abs. 2 Satz 4 AO auch ohne Antrag gewährt werden könne, wenn innerhalb der Antragsfrist die versäumte Rechtshandlung nachgeholt sei.

Gründe

10

Die Klage ist begründet.

11

Das FA hat der Kl'in. zu Unrecht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumens der InvZul-Antragsfrist versagt.

12

Der Kl'in. ist im Streitfall wegen des verspäteten Eingangs beim unzuständigen FA H. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren und wegen der weiteren Verspätung, die darauf zurückzuführen ist, daß der Antrag beim unzuständigen FA H. eingereicht wurde und von dort erst an das zuständige FA G., das beklagte FA, weitergeleitet werden mußte, ebenfalls Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

13

Nach § 110 Abs. 1 AO ist einem Steuerpflichtigen auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist, hier die Antragsfrist für die InvZul, einzuhalten, wobei das Verschulden eines Vertreters dem Vertretenen zuzurechnen ist.

14

Die Kl'in. selbst trifft kein Verschulden an der Verspätung, da für sie der Prozeßbevollmächtigte tätig geworden ist. Aber auch diesen trifft kein Verschulden.

15

Soweit die Verspätung darauf beruht, daß der Antrag vom Prozeßbevollmächtigten beim unzuständigen FA eingereicht worden ist, ist ein Verschulden nach den Grundsätzen des Urteils des erkennenden Senats vom 11. März 1994 II 374/93 (EFG 1994, 1016) deshalb ausgeschlossen, weil im amtlichen Antragsvordruck nicht unmißverständlich und optisch hervorgehoben darauf hingewiesen war, daß die Finanzverwaltung vordem jahrelang entgegen der gesetzlichen Regelung die Stellung des Antrags auf InvZul bei dem Betriebsstätten-FA auch in Fällen der - nur - gesonderten Feststellung zugelassen hatte, zuletzt noch in Tz. 83 des BMF-Schreibens vom 31.12.1986 (BStBl II 1987, 51). Wegen der Einzelheiten der Begründung wird aus Vereinfachungsgründen, zumal diese Entscheidung von der Finanzverwaltung uneingeschränkt angewendet wird, auf den Inhalt des Senatsurteils vom 11.03.1994 (II 374/93, a.a.O.) verwiesen.

16

Zwar ist der Antrag auf InvZul auch bei dem unzuständigen FA H. erst nach Ablauf der Antragsfrist des § 6 Abs. 1 und 2 InvZulG (30.09.1992) am 02.10.1992 eingegangen. Aber auch wegen dieser Fristversäumnis ist der Kl'in. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, da sie bzw. ihren Prozeßbevollmächtigten an dieser Fristversäumnis ebenfalls kein Verschulden trifft.

17

Ein Steuerpflichtiger darf sich nämlich auf die gewöhnlichen Postlaufzeiten verlassen, d.h., er tut das für die Wahrung einer Frist Erforderliche und Zumutbare, wenn er seinen Antrag so rechtzeitig zur Post gibt, daß er unter Berücksichtigung der normalen Postlaufzeiten rechtzeitig eingehen müßte. Entgegen der Auffassung des FA hat die Kl'in., indem sie ihren Antrag bereits am 26.09.1992 zur Post gab, so daß vier volle Tage zur Beförderung durch die Post zur Verfügung standen, die an sie zu stellenden Sorgfaltspflichten erfüllt. Selbst wenn es 1992 bei Postsendungen in die neuen Bundesländer in Einzelfällen zu längeren Postlaufzeiten gekommen sein sollte, brauchte ein Steuerpflichtiger doch nicht mit einer derart langen Postlaufzeit zu rechnen, wie sie im Fall der Klägerin eingetreten ist. Jedenfalls 1992 lag die übliche Postlaufzeit auch in den neuen Bundesländern unter vier Tagen. Der Kl'in. kann deshalb wegen des verspäteten Zugangs beim FA H. kein Schuldvorwurf gemacht werden.

18

Zwar ist ein Antrag auf Wiedereinsetzung nach § 110 Abs. 2 AO innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen und sind die Tatsachen zur Begründung des Antrags nach ständiger Rechtsprechung ebenfalls innerhalb dieser Monatsfrist glaubhaft zu machen, ist nach der Rechtsprechung lediglich ein Nachschieben von Gründen zulässig (BFH-Urteil v. 27.03.1985 II R 118/83, BStBl II 1985, 586), ist die versäumte Handlung innerhalb der Antragsfrist nachzuholen und hat die Kl'in. einen Antrag auf Wiedereinsetzung erst im Klageverfahren gestellt. Indes kann, da die versäumte Handlung, die Stellung des Antrags auf InvZul, rechtzeitig erfolgte, nämlich noch, bevor die Kl'in. überhaupt von der Verfristung erfuhr, Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden (§ 110 Abs. 2 Satz 4 AO).

19

Entgegen der Auffassung des FA bedarf es in diesem Falle der Angabe von Gründen ausnahmsweise nicht, wenn die Tatsachen, aus denen sich das fehlende Verschulden des Säumigen ergibt, offenkundig oder gerichtsbekannt, d.h. im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren dem FA bekannt sind, denn auch in einem solchen Fall ist gewährleistet, daß die Unsicherheit, ob es bei den Folgen der Fristversäumnis bleibt oder nicht, in engen Grenzen gehalten wird (z.B. BFH-Urteil vom 24.04.1990 IX R 58/85, BFH/NV 1991, 140, und auch die vom FA zur Begründung seiner Auffassung, wonach auch Wiedereinsetzung von Amts wegen nur möglich sei, wenn die Gründe hierfür innerhalb der Monatsfrist vorgetragen seien, angeführten BFH-Urteile vom 21.07.1988 V R 87/93, BStBl II 1989, 60, 65 [BFH 21.07.1988 - V R 87/83] unter B 2), und vom 16.12.1988 III R 13/85, BStBl II 1989, 328, 330 rechte Spalte unter 2. b); ferner BFH-Urteil vom 16.01.1984 VI R 176/82, BStBl II 1985, 266, 268 unter 3. b) m.w.N.).

20

Die Tatsachen, die hier eine Wiedereinsetzung rechtfertigen, waren dem FA nach den vorliegenden Unterlagen bekannt, denn in der InvZul-Akte befindet sich auch der Briefumschlag, mit dem der Antrag an das FA gesandt worden ist, mit dem Poststempelaufdruck "26.09.1992" und außerdem noch ein zusätzlicher Vermerk des FA "Poststempel 26.09. H.". Damit war der Verfristungsgrund durch überlange Postlaufzeit amtsbekannt. Auch die übrigen Tatsachen, die den erkennenden Senat zu der o.a. Entscheidung im Urteil vom 11.03.1994 (II 374/93, a.a.O.) veranlaßt haben, wonach einem Steuerpflichtigen wegen der unzureichenden Belehrung über die Zuständigkeit im Antragsformular und auch seinem Bevollmächtigten kein Schuldvorwurf gemacht werden kann, waren in diesem Sinne amtsbekannt. Es kommt insoweit nicht darauf an, daß die verschuldensausschließende Wertung dieser Tatsachen erst nach Ablauf der Vierwochenfrist durch Veröffentlichung des Senatsurteils vom 11.03.1994 allgemein bekannt geworden ist.

21

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.