Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 21.06.1995, Az.: 2 U 104/95

Leistungsfreiheit eines Versicherers wegen Fristablauf; Fristwahrung durch rechtzeitige Zustellung eines Mahnbescheids ; Anforderungen an die gerichtliche Geltendmachung eines Anspruchs des Versicherungsnehmers gegen den Versicherer; Rechtmäßigkeit einer globalen Klage auf Versicherungsschutz ; Notwendigkeit einer genauen Bezeichnung des Anspruchs ; Erheblichkeit einer falschen Bezeichnung des Rechtsgrundes; Folgen einer Begründung des Anspruchs außerhalb der Klagefrist und einer Einzahlung der zweiten Hälfte des Gerichtskostenvorschusses außerhalb der Klagefrist; Bedeutung einer rechtzeitigen Erwirkung eines Mahnbescheides; Begriff der gerichtlichen Geltendmachung ; Voraussetzungen für Beweis des ersten Anscheins bezüglich der Feststellung von Brandursachen

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
21.06.1995
Aktenzeichen
2 U 104/95
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1995, 29063
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1995:0621.2U104.95.0A

Amtlicher Leitsatz

Erfordernisse für gerichtliche Geltendmachung i.S.v. § 12 Abs. 3. VVG im Mahnverfahren. Beweisanforderungen für Schadensursache in der Feuerversicherung, Anscheinsbeweis.

Gründe

1

1.)

Die Beklagte ist nicht gemäß § 12 Abs. 3 VVG leistungsfrei da die gerichtliche Geltendmachung des Anspruchs binnen der gemäß § 12 Abs. 3 VVG vorgeschriebenen sechsmonatigen Frist erfolgt ist. Der vom Kläger erwirkte Mahnbescheid datiert vom 21.04.1994 und ist der Beklagten am 11.05.1994, also binnen der sechsmonatigen Frist, zugestellt worden. Der Anspruch ist in dem Mahnbescheid auch hinreichend bestimmt. Zwar genügt es für die gerichtliche Geltendmachung gemäß § 12 Abs. 3 VVG nicht, "global" auf Versicherungsschutz zu klagen, wenn mehrere Ansprüche eines Versicherungsnehmers gegen einen Versicherer in Frage stehen (BGH VersR 1982, 489). Auch erfordert § 690 Abs. 1 Nr. 3 ZPO eine so genaue Bezeichnung des Anspruchs, dass er über einen Vollstreckungsbescheid Grundlage eines Vollstreckungstitels sein kann und dem Antragsgegner erkennbar ist, welcher Anspruch gegen ihn erhoben wird, damit er zu beurteilen vermag, ob er sich gegen ihn zur Wehr setzen soll oder nicht.

2

Welche Angaben im Einzelfall notwendig sind, hängt von den zwischen den Parteien bestehenden Rechtsverhältnissen ab. Es ist ausreichend, dass der Gegenstand des Rechtsstreits erkennbar ist (BGH NJW 1992, 1111 [BGH 05.12.1991 - VII ZR 106/91]; BGH NJW 1993, 862; BGH NJW 1994, 323, 324) [BGH 28.10.1993 - IX ZR 21/93].

3

Zwar ist im Mahnbescheid fälschlicherweise die Schadennummer genannt, unter welcher die Beklagte damals die Regulierung des anlässlich des Brandes vom 29.05.1993 gleichfalls am Traktor des Klägers entstandenen Schadens bearbeitete. Gleichwohl ist eine hinreichende Individualisierung des Anspruchs durch den Zusatz "Forderung aus Schadensersatz gemäß Gutachten M vom 08.06.1993" erfolgt. Das Gutachten des Sachverständigen M war im Auftrag der Beklagten zur Feststellung der Höhe des Gebäudeschadens eingeholt worden. Nur dazu enthält das Gutachten dementsprechend auch Feststellungen. Damit war für die Beklagte durch den Mahnbescheid zweifelsfrei erkennbar, dass nur der Anspruch betreffend die Regulierung des Gebäudeschadens geltend gemacht werden sollte und es sich bei der angegebenen Schadennummer um eine offensichtliche Verwechselung handelte.

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Unschädlich ist ferner, dass der geltend gemachte Anspruch als "Schadensersatz" und nicht als vertraglicher Anspruch bezeichnet worden ist. Einer Angabe des Rechtsgrundes bedarf es in einem Mahnbescheid grundsätzlich nicht, und eine falsche Bezeichnung des Rechtsgrundes ist unerheblich, wenn dies der notwendigen Individualisierung des Anspruchs nicht entgegensteht (BGHZ 112, 367, 370 [BGH 25.10.1990 - IX ZR 62/90]; BGH NJW 1994, 324 [BGH 28.10.1993 - IX ZR 21/93]). Angesichts des Hinweises im Mahnbescheid auf das Gutachten des Sachverständigen M war für die Beklagte eindeutig erkennbar, dass der Kläger seinen Anspruch aus dem Versicherungsvertrag gegen sie geltend machte.

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Der rechtzeitigen gerichtlichen Geltendmachung im Sinne des § 12 Abs. 3 VVG steht auch nicht entgegen, dass der Kläger erst mit Schriftsatz vom 08.08.1994 seinen Anspruch begründet und die zweite Hälfte des Gerichtskostenvorschusses eingezahlt hat. Die Klagefrist des § 12 Abs. 3 VVG wird allein durch die rechtzeitige Erwirkung eines Mahnbescheides gewahrt, ohne dass es erforderlich ist, dass der Versicherungsnehmer nach Einlegung des Widerspruchs durch den Versicherer alsbald oder spätestens binnen 6 Monaten die Durchführung des streitigen Verfahrens betreibt (OLG Düsseldorf, NJW-RR 1986, 1413 [OLG Düsseldorf 06.05.1986 - 4 U 209/85]; OLG Hamm r + s 1990, 168; OLG Köln r + s 1991, 218; Prölss/Martin VVG, 25. Aufl. § 12 VVG Anm. 9). Zwar bestimmt § 696 Abs. 3 ZPO, dass eine Streitsache nur dann mit Zustellung des Mahnbescheids rechtshängig wird, wenn sie alsbald nach Erhebung des Widerspruchs abgegeben wird. Darauf kommt es für die Einhaltung der Frist des § 12 Abs. 2 VVG jedoch nicht an, da der Begriff der gerichtlichen Geltendmachung weiter ist als der der Klageerhebung. Zudem ergibt sich aus der die Verjährungsunterbrechung regelnden Bestimmung des § 209 Abs. 2 Nr.·1 BGB, dass das Gesetz schon allein der Zustellung des Mahnbescheids - unabhängig davon ob und wann es zu einem streitigen Verfahren kommt - rechtswahrende Wirkung zuerkennt. Für eine abweichende Beurteilung im Rahmen des § 12 Abs. 3 VVG besteht kein Anlass. Dem Versicherer soll durch diese Vorschrift nur ermöglicht werden, sich in einem begrenzten Zeitraum einen Überblick über die Höhe der möglicherweise auf ihn zukommenden finanziellen Belastungen zu verschaffen. Schon mit Zustellung des Mahnbescheids kann der Versicherer aber erkennen, dass der Versicherungsnehmer sich mit der Ablehnung der Versicherungsleistungen nicht zufrieden geben wird. Allerdings entsteht nach Einlegung des Widerspruchs zunächst ein "Schwebezustand", wenn der Versicherungsnehmer das Mahnverfahren nicht alsbald weiterbetreibt. Dadurch wird der Versicherer jedoch nicht unzumutbar belastet; denn es steht ihm frei, seinerseits jenes Verfahren durch einen entsprechenden Antrag in die Wege zu leiten (§ 696 Abs. 1 ZPO).

6

2.)

Die Beklagte ist auch nicht gemäß § 61 VVG wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls leistungsfrei. Es kann dabei dahingestellt bleiben, ob das Abstellen des Traktors in der Scheune als grob fahrlässige Handlung zu qualifizieren ist; ebenso kann offen bleiben, ob der Sohn des Klägers als dessen Repräsentant anzusehen ist. Eine Leistungsfreiheit der Beklagten scheitert bereits daran, dass nicht hinreichend sicher feststellbar ist, dass der Brand der Scheune in ursächlichem Zusammenhang mit dem Abstellen des Traktors steht.

7

Aus dem Gutachten, welches der Sachverständigen R in dem die Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte aus der Fahrzeugversicherung betreffenden Rechtsstreit erstellt hat, ergibt sich vielmehr, dass die Wahrscheinlichkeit sehr gering ist, dass der Brand durch die heiße Auspuffanlage des Traktors ausgelöst worden ist. Nach den Ausführungen des Sachverständigen kommt als Brandursache ebenso gut ein Defekt der elektrischen Anlage des Traktors wie auch ein Defekt der in der Scheune befindlichen Leitungen in Betracht.

8

Allerdings hält die Berufung die Feststellungen des Sachverständigen R nicht für richtig. Einer Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens zur Schadensursache im vorliegenden Rechtsstreit bedarf es gleichwohl nicht. dass das Abstellen des Traktors mit Sicherheit Brandursache gewesen ist, wird von der Beklagten jedenfalls in der Berufungsinstanz nicht mehr unter Beweis gestellt. Sie trägt im Gegenteil selbst vor, dass der Vollbeweis für eine Ursächlichkeit des Verhaltens des Sohns des Klägers für den Brand nicht führbar sei; auf Grund des von ihr eingeholten Privatgutachtens des Sachverständigen Marten soll das Abstellen des Traktors jedoch als wahrscheinlichste Brandursache in Erwägung zu ziehen sein. Ob das zutrifft, ist unerheblich; denn der Versicherer hat im Rahmen des § 61 VVG darzulegen und zu beweisen, dass ein grob fahrlässiges Verhalten des Versicherungsnehmers schadensursächlich und nicht nur wahrscheinlich ursächlich gewesen ist (BGH VersR 1986, 962, 963; BGH VersR 1989, 841, 842 [BGH 17.05.1989 - IV a ZR 130/88]; BGH r + s 1993, 348, 349; Senat OLGR Oldenburg 1995, 114). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der der Senat folgt, kommt entgegen der Auffassung der Berufung dem Versicherer insoweit keine Beweiserleichterung wie etwa dem Versicherungsnehmer für den Nachweis des Eintritts des Versicherungsfalls zugute (z.B. BGH VersR 1989, 841; BGH VersR 1990, 894).

9

Allerdings kommt auch bei der Feststellung von Brandursachen der Beweis des ersten Anscheins in Betracht. Dieser setzt jedoch voraus, dass ein bestimmter Sachverhalt feststeht, der nach der allgemeinen Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache oder auf einen bestimmten Geschehensablauf als maßgeblich für den Eintritt eines bestimmten Erfolgs hinweist (BGH r + s 1991, 171, 172; BGH r·+ s 1993, 348, 349). An diesen Voraussetzungen fehlt es vorliegend.

10

Nach dem Vortrag der Beklagten unter Bezugnahme auf das von ihr eingeholte Privatgutachten des Sachverständigen M ist der Traktor als Brandursache nur - wie der Sachverständige formuliert - "durchaus wahrscheinlich". Mangels Untersuchung der elektrischen Installationen des Gebäudes ist es jedoch - so der Sachverständige weiter - unmöglich, diese als Brandursache auszuschließen. Dies soll gleichfalls für die Möglichkeit einer Brandstiftung durch unbekannte Dritte gelten. Ein typischer Geschehensablauf, den ein allgemeiner Satz entnommen werden könnte, der nach der Lebenserfahrung den Schluss auf einen bestimmten Ursachenverlauf zuließe, liegt danach nicht vor. Denn es gibt keine allgemeine Lebenserfahrung dahin, dass in einem Fall wie dem vorliegenden das Abstellen des Traktors und nicht die auch von der Beklagten für möglich gehaltenen anderen Schadensursachen für den eingetretenen Brand kausal gewesen sind.