Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 21.06.1995, Az.: 2 U 94/95

Definition des Begriffes der Berufsunfähigkeit; Vergleichsberuf einer Arzthelferin bei Verhinderung der Ausübung aller bisherigen Tätigkeiten

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
21.06.1995
Aktenzeichen
2 U 94/95
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1995, 29077
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1995:0621.2U94.95.0A

Amtlicher Leitsatz

Berufunfähigkeitsversicherung: Vergleichsberuf einer Arzthelferin, die nicht alle bisherigen Tätigkeiten, sondern nur einen Teil weiter ausüben kann, wenn es entsprechende Arbeitsstellen gibt.

Entscheidungsgründe

1

Nach den für den Versicherungsvertrag maßgeblichen Bedingungen der Beklagten entsteht der Anspruch auf Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente mit Ablauf des Monats, in dem die Klägerin zu mindestens 50 % berufsunfähig geworden ist. Danach ist maßgeblich für die Leistungspflicht der Beklagten nicht der voraussichtliche zukünftige Krankheitsverlauf, solange nicht die Unfähigkeit zur Berufsausübung zu mindestens 50 % eingetreten ist. Zumindest missverständlich sind insoweit die Ausführungen in dem erstinstanzlich eingeholten schriftlichen Gutachten des Facharztes für Arbeitsmedizin Dr. D vom 11.10.1994, bei der Frage der Berufsunfähigkeit gehe es nicht um die aktuelle Leistungsfähigkeit, sondern um die Frage, inwieweit der Beruf prinzipiell ausgeübt werden könne; zur Beantwortung dieser Frage sei der derzeitige sowie der zukünftige Verlauf der Erkrankung zu berücksichtigen.

2

Der Begriff der Berufsunfähigkeit wird in § 2 Zif. 1 der Versicherungsbedingungen in Übereinstimmung mit § 2 MB-BUZ 75 dahingehend definiert, dass der Versicherte "infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraus-sichtlich dauernd außer Stande ist, seinen Beruf oder eine andere Tätigkeit auszuüben, die auf Grund seiner Ausbildung und Erfahrung ausgeübt werden kann und seiner bisherigen Lebensstellung entspricht". Der Anspruch auf Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente setzt also nicht nur voraus, dass die Klägerin aus gesundheitlichen Gründen die Anforderungen der bis zum Eintritt des Versicherungsfalls konkret ausgeübten Erwerbstätigkeit (vgl. hierzu BGH VersR 1992, 1386;  1993, 1470) [OLG Karlsruhe 28.01.1993 - 9 U 147/91]zu mindestens 50 % nicht mehr erfüllen, sondern auch, dass krankheitsbedingt ein sog. Vergleichsberuf nicht ausgeübt werden kann.

3

Letzteres ist hier ausgehend von dem schriftlichen Gutachten des Sachverständigen Dr. D vom 11.10.1994 in Verbindung mit den ergänzenden Ausführungen bei der Anhörung durch das Landgericht am 23.02.1995, die von der Klägerin nicht angegriffen werden, nicht der Fall. Danach ist die Klägerin derzeit gesundheitlich in der Lage, den Beruf einer mit dem Empfang und der Abrechnung betrauten Arzthelferin auszuüben. Da dies jedenfalls ein geeigneter Vergleichsberuf i.S.v. § 2 Zif. 1 der Versicherungsbedingungen wäre, kann es dahingestellt bleiben, ob die Klägerin bisher tatsächlich Arzthelferin in einer Allgemeinpraxis mit einem ausgesprochen vielseitigen Aufgabengebiet war, was bereits im ersten Rechtszug streitig war, wovon jedoch das Landgericht und dem folgend der gerichtliche Sachverständige zu Unrecht ohne weiteres ausgegangen sind.

4

Der Sachverständige Dr. D hat bei seiner Anhörung durch das Landgericht auf entsprechenden Vorhalt das Vorbringen der Beklagten bestätigt, die Klägerin könne nach dem bisherigen Krankheitsbild auch in Zeiten eines Krankheitsschubes die Tätigkeit einer Arzthelferin verrichten, die im Empfang und bei der Abrechnung eingesetzt wird. Diesen Aufgabenbereich hat die Klägerin ausgehend von ihrem Vorbringen bereits bisher neben der Assistenz bei ärztlichen Handlungen und der Labortätigkeit wahrgenommen. Darüber hinaus ist es nach den unangegriffenen Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen lediglich eine Frage der Praxisgröße und -organisation, ob einer Arzthelferin spezialisiert der Empfang und die Abrechnung übertragen wird. Der Sachverständige hat ergänzend zwar angemerkt, für die reine Empfangs- und Abrechnungstätigkeit werde im Regelfall die Spitzenkraft einer Praxis mit langjährigerer Berufserfahrung als die Klägerin herangezogen. Dies steht aber nicht der bedingungsgemäßen Vergleichbarkeit dieser spezialisierten Tätigkeit als Arzthelferin mit der bisherigen, von der Klägerin behaupteten umfassenderen Berufsausübung entgegen. Denn nach den Versicherungsbedingungen der Beklagten ist maßgeblich für die Frage der Vergleichbarkeit nicht die Anzahl der Arztpraxen, die tatsächlich bereit wären, die Klägerin als Arzthelferin mit dem Aufgabengebiet Empfang und Abrechnung einzustellen. Diese Frage, die auf die derzeitige Arbeitsmarktlage abstellt, muss bei der Feststellung der Berufsunfähigkeit unberücksichtigt bleiben (BGH VersR 1986, 278;  1989, 579) [BGH 05.04.1989 - IV a ZR 35/88]. Entscheidend ist vielmehr, ob die Klägerin hinreichend qualifiziert für diese Tätigkeit ist und ob sie ihrer bisherigen beruflichen Lebensstellung entspricht. Da dies der Fall ist, kann die Klage keinen Erfolg haben.