Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 23.07.2008, Az.: 5 A 64/08

Qualifikation der Abberufung des Hauptgeschäftsführers einer IHK durch den Beschluss einer Vollversammlung als Verwaltungsakt; Abberufung des Hauptgeschäftsführers einer IHK durch eine Vollversammlung; Wesentliche Beeinträchtigung oder Zerstörung des Vertrauens in die künftige sachgemäße Erfüllung der Aufgaben durch den Amtsinhaber; Relevanz der zum Vertrauensverlust führenden Gründe; Anforderungen an die Rechtmäßigkeit einer Abberufung

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
23.07.2008
Aktenzeichen
5 A 64/08
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2008, 20212
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGLUENE:2008:0723.5A64.08.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
OVG Niedersachsen - 12.11.2009 - AZ: 8 LC 58/08
BVerwG - 01.07.2010 - AZ: BVerwG 8 C 1.10

Amtlicher Leitsatz

  1. 1)

    Die Abberufung des Hauptgeschäftsführers einer IHK durch den Beschluss der Vollversammlung ist kein Verwaltungsakt.

  2. 2)

    Die Vollversammlung der IHK kann den Hauptgeschäftsführer abberufen, wenn das Vertrauen in die künftige sachgemäße Erfüllung der Aufgaben durch den Amtsinhaber wesentlich beeinträchtigt oder zerstört ist. Auf die Gründe, die zu dem Vertrauensverlust geführt haben kommt es ebenso wenig an wie auf die Verantwortlichkeiten für das Bestehen der Unstimmigkeiten. Es ist auch unerheblich, ob der Hauptgeschäftsführer Dienstpflichten verletzt hat.

  3. 3)

    Die Rechtmäßigkeit der Abberufung setzt voraus, dass sie verfahrensrechtlich ordnungsgemäß erfolgt ist, dass ihr keine unzutreffenden Tatsachen zugrunde gelegt worden sind und dass mit der Entscheidung keine verfassungswidrigen oder sonst mit dem Gesetz nicht zu vereinbarenden Zwecke oder unsachliche Motive verfolgt werden.

Tatbestand

1

Aus dem Entscheidungstext

2

Der Kläger wendet sich gegen seine Abberufung als Hauptgeschäftsführer der Beklagten zu 2.

3

Unter dem 15. Dezember 2005 schlossen der Kläger und die Beklagte zu 2. vorbehaltlich der Zustimmung der Beklagten zu 1. einen Dienstvertrag über die Tätigkeit als Hauptgeschäftsführer und Vorgesetzter aller IHK-Bediensteten mit Beginn zum 1. September 2006. Das Dienstverhältnis kann nach § 15 Abs. 2 Satz 1 HS 1 des Dienstvertrages erstmals nach Ablauf von fünf Jahren nach Inkrafttreten (31. August 2011) ordentlich gekündigt werden. Am 12. Januar 2006 wählte die Beklagte zu 1. den Kläger einstimmig zum Hauptgeschäftsführer. Er trat am 1. September 2006 seinen Dienst an.

4

Im Verlauf der Geschäftstätigkeit des Klägers stellte sich heraus, dass eine ausgeglichene Eröffnungsbilanz für die Beklagte zu 2. nicht erstellt werden konnte. Eine versicherungsmathematische Teilwertberechnung ergab einen bilanziellen Rückstellungsbedarf für bestehende Pensionsansprüche in Höhe von über 20 Mio. EUR. Da zur weiteren Finanzierung der Pensionsverpflichtungen rund 7 Mio. EUR zur Verfügung standen, bestand eine Finanzierungslücke von über 13 Mio. EUR.

5

Auf der Grundlage der Präsidiumsbeschlüsse vom 21. September und 24. Oktober 2006 holte die Beklagte zu 2. ein Gutachten der F. ein. Die G. kam in ihrem im Frühjahr 2007 vorgelegten Bericht "IST-Stand" zu der Einschätzung, ein korrigierender Eingriff in das bestehende Versorgungswerk, bei dem das Gesamtversorgungssystem als solches in Frage zu stellen sei, sei unter dem Gesichtspunkt einer sparsamen und wirtschaftlichen Haushaltsführung zulässig und dringend geboten. Es lägen Verstöße u.a. gegen das im IHK-Gesetz verankerte Gebot sparsamen und wirtschaftlichen Finanzgebarens vor.

6

Dem im Auftrag des Präsidiums vom 27. Juni 2007 von Rechtsanwalt H. unter dem Datum 5. Oktober 2007 erstellten Gutachten zur Sanierung der betrieblichen Versorgungswerke der IHK I. ist zusammenfassend zu entnehmen, die Pensionsverpflichtungen führten zu einer bilanziellen Überschuldung, die Zahlungsunfähigkeit sei in Anbetracht des steigenden Liquiditätsbedarfs zur Deckung der Pensionsverpflichtungen konkret absehbar. Das im Jahr 2000 für neu eintretende Mitarbeiter geschlossene Mitarbeiterversorgungswerk Ruhegeldsatzung und die einzelvertraglichen Pensionszusagen an die Geschäftsführer stellten eine (planmäßige) Überversorgung dar, die den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zuwider laufe. Die Versorgungsversprechen seien auf das im öffentlichen Dienst übliche Maß zu korrigieren. Bereits im Jahr 2000, als die Schließung des Versorgungswerks Ruhegeldsatzung beschlossen worden sei, hätte auch in den erdienten Besitzstand der ausgeschiedenen und der noch aktiven Mitarbeiter eingegriffen werden müssen. Dies sei unterblieben. Die damals mit der Entscheidung befassten Mitglieder des Präsidiums sowie der Hauptgeschäftsführer hafteten der Beklagten zu 2. für den daraus entstandenen Schaden. Die Rechnungsprüfungsstelle sei ihren Verpflichtungen aus ihren Prüfaufträgen nicht in der erforderlichen Art und Weise nachgekommen und habe es versäumt, die Entscheidungs- und Aufsichtsorgane der Kammer rechtzeitig und hinreichend eindeutig auf die bestehenden Risiken aus der Entwicklung der Altersversorgungsverpflichtungen hinzuweisen. Auch sie sei schadensersatzpflichtig. Das Niedersächsische Ministerium für Wirtschaft und Verkehr als Rechtsaufsichtsbehörde habe seine Rechtsaufsicht nicht in der erforderlichen Art und Weise ausgeübt, dass es die eingetretenen Entwicklungen bei der Beklagten zu 2. frühzeitig erkannt und mit Mitteln der Aufsicht verhindert habe. Damit habe sie ihre gegenüber der Kammer als Amtspflicht bestehende Aufsichtspflicht verletzt. Möglicherweise stehe der Beklagten zu 2. ein Anspruch auf Ersatz des entstandenen Schadens zu.

7

Zur Sanierung sei die unverzügliche Umstrukturierung des Mitarbeiterversorgungswerks Ruhegeldsatzung anzuraten. In den zeitanteilig erdienten Besitzstand der aktiven und der mit unverfallbaren Anwartschaften ausgeschiedenen Mitarbeiter sei einzugreifen. Das Gesamtversorgungssystem sei zugunsten eines langfristig planbaren beitragsorientierten Systems abzulösen. Die im Dezember 2002 vorgenommenen Änderungen von Versorgungszusagen gegenüber Geschäftsführern seien nichtig. Dieses Ergebnis sei den betroffenen Geschäftsführern mitzuteilen und Zahlungen künftig nur noch auf der Grundlage der Versorgungszusagen vor den Änderungen zu leisten. Zahlungen ohne rechtlichen Grund seien, soweit nicht bereits geschehen, unverzüglich einzustellen bzw. auf die vertragliche Grundlage zurückzuführen.

8

Das Gutachten von Rechtsanwalt H. wurde den Präsidiumsmitgliedern schriftlich übermittelt. In seiner Sitzung vom 26. Oktober 2007 kam das Präsidium zu dem Ergebnis, "nicht mehr wirksame Beschlüsse fassen zu können". Über die sich hieraus ergebenden Konsequenzen sei mit der Rechtsaufsicht zu sprechen. Der Kläger werde gebeten, "alles in seiner Macht Stehende zu unternehmen, um weitere Schäden für die Kammer zu vermeiden".

9

In der Präsidiumssitzung vom 13. November 2007 erläuterte ein Mitglied, die Feststellungen des Rechtsanwalts H. zu Verantwortlichkeiten für die aktuelle wirtschaftliche Lage der Kammer würden von allen Präsidiumsmitgliedern in wesentlichen Punkten nicht geteilt. Mit der erforderlichen Vergangenheitsbewältigung bei gleichzeitiger Zukunftsgestaltung in dem komplexen Bereich der betrieblichen Altersversorgung sehe sich das Präsidium überfordert. Die Rechtsaufsicht wurde gebeten, einen Landesbeauftragten einzusetzen, der für die anstehenden Fragen im Zusammenhang mit der Sanierung der Versorgungswerke der Kammer die Funktionen des Präsidiums ausübe.

10

Die anwesenden Vertreter der Rechtsaufsicht lehnten die Einsetzung eines Landesbeauftragten mit der Begründung ab, das Präsidium treffe eine Schadensminderungspflicht und sei für die notwendigen Entscheidungen beschlussfähig. Das Präsidium fasste daraufhin, dem Vorschlag der Vertreter der Rechtsaufsicht folgend, den Beschluss, der Vollversammlung die Einsetzung eines Ausschusses vorzuschlagen, der Handlungsempfehlungen erarbeiten solle, wie mit den Fragen der Verantwortlichkeiten und Ersatzpflichten wegen der in der Vergangenheit getroffenen Entscheidungen über Versorgungs- und Sonderleistungszusagen umzugehen sei.

11

In ihrer Sitzung vom 29. November 2007 bestätigte die Vollversammlung die bereits im Dezember 2006 ausgesprochene Kündigung der Mitgliedschaft im Versorgungsverband der deutschen Wirtschaft und genehmigte den Nachtragswirtschaftsplan sowie die geänderte Wirtschaftssatzung für das Geschäftsjahr 2007 und den Wirtschaftsplan und die Wirtschaftssatzung für das Geschäftsjahr 2008. Zugleich beschloss sie - einem neuen Beschlussvorschlag des Präsidiums entsprechend - die Bildung eines Ausschusses mit bis zu 5 Mitgliedern zur Beratung der Vollversammlung und des Präsidiums in Fragen der Neuordnung der Versorgungswerke der IHK. Die Ausschussmitglieder sollten auf Vorschlag des Präsidiums im schriftlichen Umlaufverfahren bestimmt werden.

12

Der Präsident der Beklagten zu 2. übermittelte dem Kläger den Entwurf eines an die Mitglieder der Beklagten zu 1. gerichteten Schreibens vom 20. Dezember 2007, mit dem fünf Ausschussmitglieder vorgeschlagen werden sollten, über deren Berufung im schriftlichen Umlaufverfahren entschieden werden solle.

13

Mit Schreiben vom 28. Dezember 2007 teilte der Vizepräsident der Beklagten zu 2. dem Kläger u.a. mit, der Präsident habe ihn bis zum 14. Januar 2008 zum Abwesenheitsvertreter bestellt. Nach Abstimmung mit dem Präsidenten und dem Präsidium habe er sich am 23. Dezember 2007 an den stellvertretenden Geschäftsführer gewandt, nachdem er - der Kläger - nicht erreichbar gewesen sei. Diesen habe er gebeten, gegenüber dem Versorgungsverband der Deutschen Wirtschaft eine Erklärung abzugeben. Es gehe darum, einen finanziellen Schaden von der Kammer abzuwenden.

14

Mit einem Schreiben vom 28. Dezember 2007 eines vom Kläger beauftragten Rechtsanwalts teilte der Kläger dem Vizepräsidenten der Beklagten zu 2. u.a. mit, aus dem Gutachten des Rechtsanwalts H. ergäben sich für ihn - den Kläger - erhebliche Handlungspflichten. Diesen werde er nachkommen, er werde sämtliche der Kammer laut Gutachten zustehenden Ansprüche gerichtlich und außergerichtlich mit Nachdruck verfolgen. Als Abwesenheitsvertreter des Präsidenten habe der Vizepräsident sich an der Realisierung der Ansprüche zu beteiligen. Da der Präsident sich bisher geweigert habe, gemeinsam mit ihm - dem Kläger - tätig zu werden, werde der Vizepräsident aufgefordert, bis zum 9. Januar 2008 seine Bereitschaft zu erklären, Aufforderungsschreiben gegenüber Dritten mit gutachterlich festgestellten Ansprüchen mit zu unterschreiben. Dies gelte auch, soweit die Festschreibung der einzelvertraglichen Versorgungszusagen auf das Beamtenversorgungsgesetz des Bundes in der Fassung von 1999 gegenüber den hierdurch Begünstigten aufzuheben sei. Wegen seiner Kontaktaufnahme mit dem Versorgungsverband der Deutschen Wirtschaft werde er - der Vizepräsident - aufgefordert, es zu unterlassen, ohne Einschaltung des Hauptgeschäftsführers mit Vertragspartnern der IHK Kontakt aufzunehmen. Einer entsprechenden Unterlassungserklärung werde bis zum 9. Januar 2008 entgegengesehen. Mit Bezug auf die vom Präsidenten der Beklagten zu 2. unter dem 20. Dezember 2007 übermittelte Vorschlagsliste zur Besetzung des durch die Beklagte zu 1. noch einzusetzenden Ausschusses ließ der Kläger mitteilen, er sehe sich nicht in der Lage, dieses Schreiben kommentarlos an die Mitglieder der Beklagten zu 1. weiterzuleiten. Sollten die Erklärungen nicht abgegeben werden, könne er - der Kläger - seine Dienstpflichten nicht erfüllen. Er behalte sich vor, sein Amt als Hauptgeschäftsführer niederzulegen bzw. sein Dienstverhältnis fristlos zu kündigen.

15

Der Präsident der Beklagten zu 2. teilte dem Kläger daraufhin mit Schreiben vom 9. Januar 2008 im Wesentlichen mit, entsprechend dem Beschluss der Vollversammlung erfolge die Einberufung des Ausschusses auf Vorschlag des Präsidiums. Die Vorschlagsliste werde im Hinblick auf die von ihm - dem Kläger - geäußerten Bedenken geändert und mit der Bitte um Versendung übermittelt. Den Beratungen des Ausschusses sei inhaltlich nicht vorzugreifen. Das Präsidium und alle Präsidiumsmitglieder richteten sich nach der Geschäftsordnung. Die Aufgabenerledigung für die IHK sollte auch ohne Korrespondenz über Rechtsanwälte möglich sein.

16

In einem weiteren Schreiben des Rechtsvertreters des Klägers vom 10. Januar 2008 an den Präsidenten der Beklagten zu 2. teilte dieser mit, das Schreiben vom 9. Januar 2008 setze sich inhaltlich nicht mit dem Schreiben vom 28. Dezember 2007 auseinander. Er - der Präsident - bzw. der Abwesenheitsvertreter sei verpflichtet, Aufforderungsschreiben gegenüber Dritten mit gutachterlich festgestellten Ansprüchen gemeinsam mit dem Hauptgeschäftsführer zu unterschreiben. Infolge der Weigerung sei er - der Kläger - nicht in der Lage, seine dienstvertraglichen Pflichten zu erfüllen. Er werde nochmals aufgefordert, seine Bereitschaft bis zum 15. Januar 2008 zu erklären, seine Säumnis werde abgemahnt. Er - der Kläger - behalte sich vor, sein Amt als Hauptgeschäftsführer der IHK niederzulegen und sein Dienstverhältnis fristlos zu kündigen. Die Versuche des Vizepräsidenten, in die Geschäftsführung und Rechtsbeziehungen der Kammer zu Dritten einzugreifen, seien rechtswidrig. Selbst das Schreiben vom 9. Januar 2008 deute auf einen Rechtsverstoß hin. Eine ordnungsgemäße Präsidiumssitzung zur Änderung der Vorschlagsliste habe nicht stattgefunden. Das rechtswidrige Verhalten des Präsidenten werde abgemahnt. Sollte dieses aufrechterhalten werden, behalte er - der Kläger - sich auch insoweit vor, sein Amt niederzulegen, sein Dienstverhältnis fristlos zu kündigen und Schadensersatzansprüche geltend zu machen.

17

In seinem Antwortschreiben vom 15. Januar 2008 teilte der Präsident der Beklagten zu 2. dem Kläger Bedenken gegen das Gutachten des Rechtsanwalts H. mit und kündigte die Einberufung einer Präsidiumssitzung an, die am 30. Januar 2008 stattfand. In dem Zeitraum Januar-Februar 2008 gab es zwischen dem Präsidenten der Beklagten zu 2. und dem Kläger u.a. auch Differenzen, ob Erstgenanntem ein Recht auf Einsicht in Personalakten zur Prüfung etwaiger Versorgungsansprüche zustehe.

18

Unter dem 5. Februar 2008 verfasste der Präsident der Beklagten zu 2. ein erneutes Schreiben an die Mitglieder der Beklagten zu 1. mit einem Vorschlag über die in den zu bildenden Ausschuss zu berufenden Personen, die Themen der Ausschussarbeit und der Bitte um Einverständnis mit einer Vollversammlungsentscheidung im schriftlichen Umlaufverfahren. Der Kläger lehnte eine Versendung des Schreibens im Wesentlichen mit der Begründung ab, der Präsident habe das Protokoll der Vollversammlung vom 29. November 2007 vor seinem Urlaub nicht mitgezeichnet. Weil in dieser Sitzung die Ausschusseinsetzung beschlossen worden sei, müsse das Protokoll den Mitgliedern der Vollversammlung zumindest gleichzeitig mit dem Umlaufbeschlussvorschlag zugehen, um sie in die Lage zu versetzen, eine sachgerechte und informierte Entscheidung zu treffen. Ohne mitgezeichnetes Protokoll sehe er - der Kläger - keine Möglichkeit, den Umlaufbeschluss zu versenden.

19

Bereits mit Schreiben vom 22. Januar 2008 hatte sich der Kläger an das Niedersächsische Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr mit einem Antrag auf Wiederherstellung der rechtlichen und tatsächlichen Handlungsfähigkeit der IHK gewandt. Er führte zur Begründung u.a. aus, der Präsident weigere sich, an der Umstellung der Versorgungssysteme der Kammer und der Einstellung rechtsgrundloser Zahlungen, wie sie vom Präsidium am 29. November 2007 beschlossen worden seien, mitzuwirken. Das Präsidium sei dazu übergegangen, seine Entscheidungen außerhalb entsprechender Sitzungen und ohne Beteiligung des Hauptgeschäftsführers zu treffen. Ihm - dem Kläger - sei eine ordnungsgemäße Wahrnehmung der satzungsmäßigen Aufgaben als Hauptgeschäftsführer daher nicht mehr möglich. In seinem Antwortschreiben an das Ministerium vom 20. Februar 2008 teilte der Präsident der Beklagten zu 2. im Wesentlichen mit, einen wirksamen Beschluss des Präsidiums über die Neuordnung der Altersversorgung gebe es nicht. Das Präsidium habe die Einsetzung eines Ausschusses zur Beratung in Fragen der Neuordnung der Versorgungswerke beschlossen. Die Neuordnung der Versorgungswerke könne danach insgesamt erst nach der Beratung durch den Ausschuss in Angriff genommen werden. Für ihn - den Präsidenten - sei es unverständlich, dass der Kläger von ihm erwarte, sich an Maßnahmen zu beteiligen, ohne die Beratung durch den von der Vollversammlung einzusetzenden Ausschuss abzuwarten.

20

Mit Schreiben vom 10. März 2008 teilte der Kläger einem Präsidiumsmitglied mit, die Verhandlungen mit dem Personalrat über eine Dienstvereinbarung über die Ablösung der Ruhegeldsatzung vom 2. Dezember 1976 zwischen der Industrie- und Handelskammer I. und deren Personalrat seien abgeschlossen. Die ausgehandelte Dienstvereinbarung entspreche den Vorgaben des Präsidiumsbeschlusses vom 20./29. November 2007. Nach den rechtlichen Bestimmungen sei er - der Kläger - als Hauptgeschäftsführer für die Unterzeichnung der Dienstvereinbarung zuständig. Dass das Präsidium abweichend bestimmt habe, der Dienstvereinbarungstext sei dem Präsidium zur Beschlussfassung vorzulegen und durch den Präsidenten und den Hauptgeschäftsführer gemeinsam zu unterschreiben, führe zu keinem anderen Ergebnis. Das Präsidium habe sich eine abschließende Entscheidung nur für den Fall vorbehalten wollen, dass das erzielte Verhandlungsergebnis signifikant zum Nachteil der Kammer von diesen Vorgaben abweiche. Das sei hier nicht der Fall.

21

Noch am selben Tage unterzeichneten der Kläger und der Personalratsvorsitzende eine Dienstvereinbarung über die Umstellung der Altersversorgung. Unter dem 25. April 2008 erklärte der Personalratsvorsitzende die Anfechtung der Dienstvereinbarung.

22

Unter dem 14. März 2008 lud der Präsident der Beklagten zu 2. die Mitglieder der Beklagten zu 1. zu einer Vollversammlung am 7. April 2008 ein. Als einziger Tagesordnungspunkt war die Abberufung des Klägers als Hauptgeschäftsführer vorgesehen. Dem Protokoll der Sitzung der Vollversammlung vom 7. April 2008 ist auszugsweise zu entnehmen:

"Präsident J. trägt Beispiele der belastenden Zusammenarbeit mit Herrn K. vor, die zu einer Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses zwischen Präsidium und Hauptgeschäftsführer geführt haben, so dass eine weitere Zusammenarbeit unzumutbar und Grund für die Abberufung von Herrn K. als Hauptgeschäftsführer der IHK gegeben sei. Er nennt die überzogenen finanziellen Forderungen von Herrn K., nachdem man in Anbetracht des unverträglichen Miteinanders beiderseitig eine Vertragsaufhebung angestrebt habe, Herrn K.s Umgang mit dem Gutachten des Rechtsanwalts H., das im Zusammenhang mit der Altersversorgung der IHK-Mitarbeiter diverses Fehlverhalten und Schadensersatzansprüche feststelle, aber inzwischen durch juristische Begutachtungen von Prof. Dr. L. und Rechtsanwalt M. widerlegt sei, Verzögerungstaktiken bei der Bildung des von der Vollversammlung beschlossenen Ausschusses zur Beurteilung der vergangenheits- und zukunftsbezogenen Fragen der IHK-Versorgungswerke, die Unterzeichnung einer Dienstvereinbarung mit dem Personalrat zur Ablösung der Ruhegeldsatzung, die nach § 14 der IHK-Satzung vom Präsidium hätte beschlossen werden müssen, sowie die Einschaltung eines Rechtsanwaltes, der von einem Präsidiumsmitglied eine Unterlassungserklärung gefordert und den Präsidenten wegen angeblich rechtswidrigen Verhaltens abgemahnt habe.

In seiner Erwiderung weist Hauptgeschäftsführer K. auf die Probleme in der Eröffnungsbilanz sowie in der Liquiditätsplanung der IHK hin, die nach seinem Eintritt in die IHK deutlich geworden seien. Als Hauptgeschäftsführer sei er zur Sanierung der IHK-Bilanz im Hinblick auf die zukünftigen Zahlungsverpflichtungen aus den alten Versorgungswerken verpflichtet gewesen. Das sei auch Auffassung der Rechtsaufsicht. Durch intensive Verhandlung mit dem Personalrat sei es ihm gelungen, die alte Ruhegeldsatzung im vom Präsidium vorgegebenen Rahmen durch eine Dienstvereinbarung abzulösen und so für die IHK Einsparungen von über 24 Millionen EUR zu erzielen. Dieses Verhandlungsergebnis habe er in Abwesenheit von Herrn Präsident J. dem Vizepräsidenten N. mitgeteilt und von diesem telefonisch die Zustimmung erhalten. Als Dienststellenleiter sei er berechtigt gewesen, diese Dienstvereinbarung für die IHK zu unterzeichnen. Was die gescheiterten Gespräche mit dem Präsidium oder einzelnen Mitgliedern über sein vorzeitiges Ausscheiden anbelange, so habe er die Absicht gehabt, seinen Job für die IHK erfolgreich zu erledigen, sich einer gütlichen Einigung aber auch nicht versagen wollen, nachdem er gemerkt habe, dass man von Seiten des Präsidiums eine Trennung wünschte.

Die Vizepräsidenten ... beanstanden den Arbeitsstil und die Art der Zusammenarbeit, die Herr K. mit ihnen gepflegt habe. Eine Diskussion und Entscheidung in Fach- und Sachthemen habe angesichts ständiger Rechtsdiskussionen kaum noch stattgefunden und es gebe keine Basis mehr für eine weitere Zusammenarbeit mit Herrn K..

An der Diskussion beteiligen sich die Vollversammlungsmitglieder ... . Es wird Betroffenheit über das Ausmaß der Zerrüttung in der Zusammenarbeit zwischen Präsidium und dem Hauptgeschäftsführer geäußert. ... Es wird der Wunsch geäußert, die Frage nach der Verursachung der Zerrüttung nicht weiter zu erörtern, da, wie von Präsident J. ausgeführt, das Fehlen einer tragfähigen Basis für die weitere Zusammenarbeit als entscheidender Grund für die Abberufung ausreiche. ..."

23

Die Abberufung wurde in geheimer Abstimmung bei vier Nein-Stimmen und zwei Enthaltungen mit 57 Ja-Stimmen beschlossen. In der Sitzung vom 7. April 2008 teilte das Präsidium dem Kläger die Abberufung mündlich mit.

24

Der Kläger bat im Anschluss hieran mündlich und mit Schreiben vom 8. April 2008 um eine schriftliche Bestätigung und eine Begründung der erfolgten Abberufung.

25

Mit Schreiben vom 7. April 2008 kündigte die Beklagte zu 2. dem Kläger fristlos.

26

Der Kläger hat am 22. April 2008 Klage erhoben. Er trägt zur Begründung im Wesentlichen vor, die Klage sei als Anfechtungsklage statthaft. Die Abberufung des Hauptgeschäftsführers, eines Organs der Beklagten, sei ein Verwaltungsakt. Sie ziele unmittelbar auf die Beendigung der Organstellung. Die Abberufung sei zugleich Voraussetzung für die Kündigung seines privatrechtlichen Dienstvertrages gewesen und habe damit seine mit der Organstellung verbundenen Statusrechte beseitigt. Der Abberufungsentscheidung komme damit unmittelbare Außenwirkung zu. Die IHK sei auch eine Behörde. Jedenfalls sei seine Klage als Feststellungs- oder Organklage zulässig.

27

Die Klage sei auch begründet. Seine Abberufung als Hauptgeschäftsführer sei rechtswidrig. Die Vollversammlung habe sich in ihrer Sitzung vom 7. April 2008 auf eine Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Präsidium und dem Hauptgeschäftsführer berufen. Eine Ermessensausübung habe nicht stattgefunden. Der Präsident habe die Mitglieder der Vollversammlung vor die Wahl gestellt, entweder er - der Präsident selbst - oder der Kläger müsse gehen. Die Vollversammlung habe geglaubt, sich für oder gegen den Präsidenten entscheiden zu müssen.

28

Seine Abberufung sei nicht gerechtfertigt. Die Situation eines IHK-Hauptgeschäftsführers unterscheide sich wesentlich von der eines kommunalen Wahlbeamten. Die Abbestellung eines Hauptgeschäftsführers sei, zumal wenn - wie hier - der zugrunde liegende Dienstvertrag nicht kündbar sei, die absolute Ausnahme. Die Voraussetzungen für die Abbestellung eines Hauptgeschäftsführers der IHK müssten enger gefasst werden als im Kommunalrecht. Sie bedürfe einer besonderen Begründung. Andernfalls bestehe die Gefahr, dass das Ehrenamt sich von einem zu anstrengenden, weil seine Funktion ernst nehmenden, Hauptgeschäftsführer löse, um sich zumindest temporär aus den Bindungen der Rechtsförmlichkeit zu befreien. Eine vollständige Prüfung der Abberufungsgründe sei vorliegend auch wegen seines Rehabilitationsinteresses und wegen der Vorgreiflichkeit für einen eventuellen Schadensersatzprozess geboten. Selbst nach den im Kommunalrecht geltenden Maßstäben sei die Abberufung rechtswidrig. Nachvollziehbare, sachliche Gründe für die Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses lägen nicht vor. Um Willkür auszuschließen, müssten solche Gründe in der Person des Abzuberufenden begründet sein. Vorliegend habe man sich auf eine nicht stimmende "Chemie" berufen. Angesichts des in der Natur der Sache liegenden Aufgaben- und Interessenkonfliktes reiche dies hier nicht aus. Er - der Kläger - habe nicht nur keinen Anlass zum Vertrauensverlust gegeben, sondern durch seine erfolgreiche Arbeit das Vertrauen stets gerechtfertigt. Unzählige Male habe er eine vollständige Information der Vollversammlung gefordert. In seinem Fall verfolge die Abberufung das Ziel, ihn an der Ausübung seiner Pflichten und insbesondere an der Durchsetzung von Recht und Gesetz zu hindern. Seine Abbestellung diene dem Zweck, die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen Präsidiumsmitglieder zu verhindern. Seine Position werde durch Gutachten gestützt, durch Vollversammlungs- und Präsidiumsbeschlüsse getragen und letztlich auch von der Rechtsaufsicht eingefordert. Aus einer in dieser Hinsicht einwandfreien Wahrnehmung seiner Aufgaben könne ein Abbestellungsgrund nicht gewonnen werden. Das Präsidium habe es ihm verübelt, auf eklatante Missstände hingewiesen zu haben. Hintergrund der Abberufung seien persönliche Interessen bzw. Betroffenheiten. Das ergebe sich auch aus dem Manuskript der Rede des Präsidenten in der Vollversammlung vom 7. April 2008, das von wahrheitswidrigen Darstellungen durchzogen sei. Dem Präsidium sei es darum gegangen, die Notwendigkeit der Aufklärung und Geltendmachung eventueller Schadensersatzansprüche gegen Amtsträger vorsätzlich zu verschleiern. Die Vollversammlung sei gezielt in die Irre geführt worden. Ihren Mitgliedern seien die Gutachten der Konzept AG und des Rechtsanwalts H. nicht bekannt gegeben worden. Bei den im Vorfeld der Abberufung durchgeführten satzungswidrigen Regionsversammlungen seien keine Informationen zu der wahren Kontroverse über die im Raum stehenden Schadensersatzansprüche erteilt worden. In seiner Rede vom 7. April 2008 habe der Präsident den Mitgliedern der Beklagten zu 1. suggeriert, er - der Kläger - habe die Präsidiumsmitglieder mit unbegründeten Schadensersatzansprüchen "um ihre Nachtruhe gebracht". Der Vollversammlung sei eine sachliche und faire Entscheidung über den Abberufungsantrag unmöglich gewesen. Dass die maßgebliche Vollversammlung kein Vertrauen mehr zu ihm habe, sei nicht dargetan. Ausweislich des Protokolls der Vollversammlung habe diese nicht einmal aufklären können, ob die von den Präsidiumsmitgliedern vorgebrachten Kritikpunkte gerechtfertigt seien. Die Dienstvereinbarung über die Umstellung der Altersversorgung sei rechtmäßig und wirksam zustande gekommen.

29

Der Kläger beantragt,

seine Abberufung als Hauptgeschäftsführer durch die Beklagte zu 1. vom 7. April 2008 aufzuheben,

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hilfsweise,

festzustellen, dass seine Abberufung als Hauptgeschäftsführer durch die Beklagte zu 1. vom 7. April 2008 unwirksam und er weiterhin Hauptgeschäftsführer der Beklagten zu 2. ist.

31

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

32

Sie tragen vor, der als Hauptantrag gestellte Anfechtungsantrag sei unzulässig. Die Abberufung des Klägers sei kein Verwaltungsakt. Es fehle an einer Regelung mit unmittelbarer Rechtswirkung im Außenverhältnis. Die Abberufung von Organen einer Selbstverwaltungskörperschaft sei auch kein Akt hoheitlicher Rechtsetzung. Er sei keineswegs den Trägern öffentlicher Gewalt vorbehalten. Privatrechtliche Körperschaften bestellten ihre Organe in derselben Weise und würden sie auch in derselben Weise abberufen. Die Befugnis zu Maßnahmen dieser Art gründe in dem "natürlichen" Recht einer Körperschaft, ihre eigene Organisation zu regeln, obwohl ihr hoheitliche Befugnisse nicht verliehen seien. Auch eine Außenwirkung könne nicht angenommen werden. Die Abberufung habe keine unmittelbaren rechtlichen Wirkungen, die über den "Innenbereich" der IHK hinausgingen.

33

Die Klage sei auch unbegründet. Die Abberufung sei rechtmäßig. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Abberufung eines Hauptgeschäftsführers einer IHK seien die in der Rechtsprechung entwickelten Maßstäbe für die Beurteilung der vorzeitigen Abwahl kommunaler Wahlbeamter anzuwenden. Voraussetzung sei ein Vertrauensverlust, der in der Regel in der Abwahl selbst zum Ausdruck komme und keiner weiteren Begründung bedürfe. Die Prüfung beschränke sich auf die Frage, ob mit der Abberufung verfassungswidrige oder sonstige mit dem Gesetz nicht zu vereinbarende Zwecke verbunden worden seien. Der rechtliche Status eines Hauptgeschäftsführers einer IHK sei erheblich schwächer als der eines kommunalen Wahlbeamten. Für die Auffassung des Klägers, im Falle der Abberufung eines Hauptgeschäftsführers seien höhere materielle Anforderungen zu stellen als bei der Abwahl eines kommunalen Wahlbeamten und müsse eine verstärkte gerichtliche Inhaltskontrolle erfolgen, gebe es keine Grundlage.

34

Bereits die Abberufung als solche erbringe "den Beweis des ersten Anscheins für einen wirklichen Vertrauensverlust". Diesen Anscheinsbeweis habe der Kläger nicht erschüttert. Er habe keine greifbaren Anhaltspunkte dafür geliefert, dass er aus unzulässigen Gründen abberufen worden sei. Die tatsächlichen Gründe, die zu der Abberufung geführt hätten, seien der aus Anlass des Antrags auf Abberufung gehaltenen Rede des Präsidenten zu entnehmen. Die Behauptung des Klägers, der Präsident habe die Beklagte zu 1. durch die Alternative "er oder ich" unter Druck gesetzt, sei falsch. Wie dem Manuskript zur Rede des Präsidenten vom 7. April 2008 zu entnehmen sei, habe das Präsidium erwogen, geschlossen zurückzutreten, habe davon aber Abstand genommen, weil ein neues Präsidium sich erst einarbeiten müsse und dann ebenfalls an der nicht vorhandenen Bereitschaft des Klägers zu einer konstruktiven und vertrauensvollen Zusammenarbeit scheitern würde. Die Abberufung sei nicht mit einer fehlenden "Chemie" begründet worden. Für die Mitglieder der Beklagten zu 1. sei maßgeblich gewesen, dass die Zusammenarbeit zwischen Kläger und Präsidium nicht mehr funktioniert habe und alle neun Präsidiumsmitglieder erklärt hätten, dass die Art und Weise, in der der Kläger sein Amt ausübe, zu unerträglichen persönlichen Belastungen geführt habe. Der Kläger müsse sich zudem eine gravierende Pflichtverletzung vorwerfen lassen. Er habe die Dienstvereinbarung über die Umstellung der Altersversorgung unterschrieben, ohne dass diese vom Präsidium gebilligt worden sei. Darin liege eine bewusste und vorsätzliche Missachtung der Zuständigkeit des Präsidiums. Dieser Umstand sei auch Anlass der fristlosen Kündigung des mit dem Kläger geschlossenen Dienstvertrages. Auf die Frage, ob sämtliche von den Präsidiumsmitgliedern gegenüber dem Kläger vorgebrachten Kritikpunkte in vollem Umfang gerechtfertigt gewesen oder ob in der Zusammenarbeit nicht auch von Seiten der Präsidiumsmitglieder Fehler gemacht worden seien, habe es für die Mitglieder der Beklagten zu 1. nicht ankommen müssen. Die mit großer Mehrheit der Mitglieder der Beklagten zu 1. erfolgte Abberufung zeige, dass diese das Vertrauen verloren hätten, dass der Kläger die für die Führung der Geschäfte der Beklagten zu 2. erforderlichen Fähigkeiten besitze. Die Mitglieder der Beklagten zu 1. hätten davon ausgehen dürfen, dass in dieser personellen Konstellation eine gedeihliche Tätigkeit zum Wohle der Beklagten zu 2. und der von ihr wahrzunehmenden öffentlichen Interessen nicht mehr zu erwarten sei. Es treffe nicht zu, dass die Abberufung des Klägers dem rechtswidrigen Ziel gedient habe, ihn daran zu hindern, die Interessen der Beklagten zu 2. auf rechtlich korrekte Weise gegen den Willen des Präsidiums durchzusetzen. Der Präsident der Beklagten zu 2. habe in seiner Rede vor der Vollversammlung am 7. April 2008 deutlich gemacht, dass in den Konflikten zwischen Kläger und Präsidium auch die Frage persönlicher Schadensersatzpflichten von Präsidiumsmitgliedern eine Rolle gespielt habe. Die Mitglieder der Beklagten zu 1. hätten sich einen Eindruck davon verschaffen können, ob die Präsidiumsmitglieder mit dem Abberufungsantrag eigennützige Zwecke verfolgten. Hätten die Mitglieder der Beklagten zu 1. den Eindruck gewonnen, dass ein solcher Verdacht berechtigt sein könne, hätten sie nicht mit großer Mehrheit für die Abberufung gestimmt.

35

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

36

Die Klage bleibt ohne Erfolg.

37

Der Hauptantrag des Klägers, seine Abberufung als Hauptgeschäftsführer aufzuheben, ist unzulässig. Das geltend gemachte Anfechtungsbegehren ist nicht statthaft. Die Abberufung des Klägers als Hauptgeschäftsführer der Beklagten zu 2. durch die Beklagte zu 1. stellt keinen Verwaltungsakt dar.

38

Verwaltungsakt ist gemäß § 1 Abs. 1 NVwVfG i.V.m. § 35 Satz 1 VwVfG jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Eine hoheitliche Maßnahme einer Behörde ist anzunehmen, wenn sich ein Träger öffentlicher Verwaltung auf tatsächliche oder nach ihrer Auffassung vermeintlich zustehende hoheitliche Befugnisse stützt. Die Annahme einer hoheitlichen Maßnahme setzt dabei ein Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen dem Träger öffentlicher Verwaltung und dem Regelungsadressaten voraus (vgl. Redeker/v. Oertzen, VwGO, Kommentar, 14. Aufl., § 43 Rdn. 12; s. auch Wahl/Schütz in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Kommentar, Band 1, Stand Sept. 2007, § 42 Abs. 2 Rdn. 31). An diesen Merkmalen fehlt es hier. Die Beklagte zu 1., die über die Abberufung des Klägers entschieden hat und hierfür auch allein zuständig ist (§ 7 Abs. 1 IHKG, § 4 Abs. 2 Nr. 7 der Satzung der Industrie- und Handelskammer I.), ist schon keine Behörde im Sinne des § 1 Abs. 1 NVwVfG i.V.m. § 1 Abs. 4 VwVfG. Der weite Behördenbegriff, der der letztgenannten Bestimmung zugrunde liegt, ändert hieran nichts. Die Beklagte zu 1. ist ein Organ der Kammer und keine organisatorisch selbständige Stelle (dazu näher Frentzel/Jäkel/Junge, IHKG, Kommentar, 6. Aufl., 1999, § 6 Rdn. 3, § 3 Rdn. 7 sowie Kopp/Ramsauer, VwVfG, Kommentar, 9. Aufl., 2005, § 1 Rdn. 51 ff.). Zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 1. besteht auch kein Über- und Unterordnungsverhältnis. Vielmehr stehen die Kammerorgane einander gleichberechtigt gegenüber (Frentzel/Jäkel/Junge, a.a.O. § 6 Rdn. 17, § 7 Rdn. 1 ff.). Dass die Beklagte zu 1. dafür zuständig ist, den Hauptgeschäftsführer abzuberufen, führt zu keiner anderen Betrachtung. Der Abberufung kommt keine unmittelbare Außenwirkung im Sinne des § 35 Satz 1 VwVfG zu (vgl. dazu Kopp/Ramsauer, a.a.O. § 35 Rdn. 73, 90 ff. mit umfangreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung). Sie zielt auf eine verwaltungsinterne Selbstgestaltung.

39

Träger der öffentlichen Verwaltung und damit Behörde ist ausschließlich die Beklagte zu 2. (Frentzel/Jäkel/Junge, a.a.O. § 6 Rdn. 3, § 3 Rdn. 7). Diese hat die Abberufung nicht durch "Außenakt" umgesetzt. Eines solchen "Außenaktes" in Form eines Verwaltungsaktes bedurfte es auch nicht. In § 7 Abs. 1 IHKG ist geregelt, dass die Vollversammlung den Geschäftsführer bestellt. Das Gesetz geht davon aus, dass einem Hauptgeschäftsführer schon durch den Bestellungsbeschluss der Vollversammlung wirksam das Amt übertragen wird. Einer förmlichen "Ernennung" durch die Beklagte zu 2. als Behörde bedarf es nicht, allein die "Bestellung" durch die Vollversammlung reicht, um den Hauptgeschäftsführer als Organ einzusetzen. Gleiches gilt entsprechend für die Abberufung des Hauptgeschäftsführers. Die Funktion als Organ der Beklagten zu 2. verliert er bereits durch den entsprechenden Beschluss der Vollversammlung, ohne dass es eines weiteren förmlichen Aktes der Beklagten zu 2. bedarf.

40

Der Hilfsantrag des Klägers, festzustellen, dass seine Abberufung als Hauptgeschäftsführer durch die Beklagten zu 1. unwirksam und er weiterhin Hauptgeschäftsführer der Beklagten zu 2. ist, ist zulässig, aber unbegründet.

41

Die Beklagte zu 2. ist für das geltend gemachte Begehren nicht passivlegitimiert. Wie bereits aus den vorstehenden Ausführungen folgt, entscheidet über die Abberufung des Hauptgeschäftsführers allein die Beklagte zu 1. Allein die Vollversammlung ist für die Organbestellung zuständig. In § 6 Abs. 1 und § 7 Abs. 1 IHKG heißt es, die Vollversammlung wählt aus ihrer Mitte den Präsidenten (Präses) und die von der Satzung zu bestimmende Zahl der weiteren Mitglieder des Präsidiums, sie bestellt den Hauptgeschäftsführer. Die Satzung der Beklagten zu 2. in der Fassung vom 29. November 2007 sieht in ihrem § 4 Abs. 2 Nr. 7 ausdrücklich vor, dass die Bestellung und Abberufung des Hauptgeschäftsführers der Beschlussfassung der Vollversammlung vorbehalten ist.

42

Die gegen die Beklagte zu 1. gerichtete Klage bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Die Abberufung des Klägers als Hauptgeschäftsführer ist rechtlich nicht zu beanstanden.

43

§ 7 Abs. 1 IHKG regelt, dass die Vollversammlung den Hauptgeschäftsführer bestellt. Gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 7 der Satzung der IHK vom 29. November 2007 obliegt der Vollversammlung die Bestellung und Abberufung des Hauptgeschäftsführers. Unter welchen Voraussetzungen die Abberufung eines Hauptgeschäftsführers erfolgen kann, ist weder gesetzlich noch satzungsrechtlich geregelt. Gerichtliche Entscheidungen zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Hauptgeschäftsführer abberufen werden kann, sind - soweit ersichtlich - noch nicht ergangen. Jedoch sind die in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze über die Rechtmäßigkeit der vorzeitigen Abberufung von kommunalen Hauptverwaltungsbeamten auf diesen Fall übertragbar (vgl. Frentzel/Jäkel/Junge, a.a.O. § 7 Rdn. 8). Die einfach-gesetzliche Ausgestaltung der Verhältnisse der Organe zueinander ist vergleichbar. Die Rechtsstellung des Hauptgeschäftsführers einerseits und des Bürgermeisters andererseits ist vergleichbar, weil beide ihre Aufgaben unter Berücksichtigung der aufgestellten Richtlinien zu erfüllen haben und dem Hauptorgan verantwortlich sind (§ 10 der Satzung der IHK I. vom 29.11.2007, § 22 der Geschäftsordnung der IHK I. vom 24.9.2005, §§ 62 f. NGO). Dass das funktionale Selbstverwaltungsrecht der IHK, anders als das kommunale Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden, nicht verfassungsrechtlich verankert ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 31.3.2004 - 6 C 25/03 - a.a.O.), führt zu keiner anderen Betrachtung. Auch die von dem Kläger angeführten Unterschiede in der Rechtsposition als kommunaler Wahlbeamter einerseits und Hauptgeschäftsführer andererseits führen zu keinem anderen Ergebnis. Korrelat der Verantwortlichkeit des kommunalen Wahlbeamten und des Hauptgeschäftsführers gegenüber dem jeweiligen Hauptorgan ist das Bestehen eines Vertrauens in die Aufgabenerfüllung.

44

Nach den in der Rechtsprechung für eine Abberufung von kommunalen Wahlbeamten entwickelten, hier entsprechend anwendbaren Maßgaben ist Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit einer Abberufung die wesentliche Beeinträchtigung oder Zerstörung des Vertrauens in die künftige sachgemäße Erfüllung der Aufgaben durch den Amtsinhaber. Maßgeblich dafür ist, ob zwischen der Vollversammlung und dem Hauptgeschäftsführer das von der Vollversammlung für erforderlich gehaltene Vertrauen nicht mehr besteht. Auf die Gründe, die zu dem mit der Abberufung dokumentierten Vertrauensverlust geführt haben, und wer im Einzelnen für die dieser Entscheidung zugrunde liegenden Unstimmigkeiten und Zerwürfnisse verantwortlich ist, kommt es grundsätzlich nicht an. Eine entsprechende Feststellung setzt auch nicht voraus, dass der Hauptgeschäftsführer in der Vergangenheit seine Dienstpflichten verletzt hat. Die Entscheidung ist vielmehr schon dann rechtmäßig, wenn die Vollversammlung kein Zutrauen mehr in die Führungsqualitäten des Hauptgeschäftsführers hat und nach der Einschätzung der Mehrheit ihrer Mitglieder erforderlich ist, um die Funktionsfähigkeit der Kammerarbeit nach innen und außen zu erhalten oder wiederherzustellen.

45

Die Abberufung ist jedoch rechtswidrig, wenn sie in einem den gesetzlichen Anforderungen nicht entsprechenden Verfahren ergeht, ihr in Wirklichkeit nicht vorhandene Tatsachen zugrunde gelegt werden oder wenn mit ihr verfassungswidrige oder sonst mit dem Gesetz nicht zu vereinbarende Zwecke oder unsachliche Motive verfolgt werden (vgl. zu alle dem BVerwG, Urteil vom 14.1.1965 - II C 53.62 - BVerwGE 20, 160 ff. [BVerwG 14.01.1965 - II C 35/62]; Beschlüsse vom 28.11.1989 - 7 B 161/89 - [...] und vom 22.9.1992 - 7 B 40/92 - DÖV 1993, 204 f.; Nds. OVG, Urteil vom 17.12.1991 - 10 L 231/89 - sowie Beschluss vom 1.3.1993 - 10 M 565/93 - jeweils zitiert nach der Rechtsprechungsdatenbank des Gerichts).

46

Unter Zugrundelegung dieser Anforderungen ist der angegriffene Beschluss über die Abberufung des Klägers von seinem Amt als Hauptgeschäftsführer rechtmäßig. Er ist in einem den Anforderungen genügenden Verfahren gefasst worden. Zu der Vollversammlung vom 7. April 2008 sind die Mitglieder der Beklagten zu 1. unter Beachtung der Frist des § 6 Abs. 1 der Satzung der IHK I. vom 29. November 2007 und unter Mitteilung der Tagesordnung ordnungsgemäß einberufen worden. Dafür, dass - wie der Kläger vorträgt - die Mitglieder der Beklagten zu 1. bei den der Vollversammlung vorausgegangenen Regionsversammlungen gezielt desinformiert und auf seine Abberufung "eingestimmt" worden sind, gibt es keinen greifbaren Anhaltspunkt. Der Kläger hatte hinreichend Gelegenheit, sich zu der beabsichtigten Abberufung zu äußern. Es ist zunächst nicht ersichtlich, dass ihm eine genügende Vorbereitung auf die Vollversammlung am 7. April 2008 nicht möglich gewesen ist. Zu bedenken ist, dass nach seinen eigenen Angaben erstmals im Anschluss an die Präsidiums- und Vollversammlungssitzung vom 29. November 2007 über die Auflösung seines Dienstverhältnisses verhandelt wurde. Ihm ist die Einladung des Präsidenten der Beklagten zu 2. zur Vollversammlung vom 7. April 2008 per Mail am 14. März 2008 übermittelt worden. Soweit ersichtlich hat er sie wenige Tage später erhalten. Er hat sich mit Schreiben vom 3. April 2008 unter Darlegung seiner Einschätzung der Lage an alle Mitglieder gewandt und sich in der Vollversammlung mündlich geäußert. Auch die Form der Beschlussfassung durch die Beklagte zu 1. ist nicht zu beanstanden. Diese hat nach Anhörung des Präsidenten der Beklagten zu 2., des Klägers und der Vizepräsidenten und nach einer sich daran anschließenden Diskussion auf Antrag von neun ihrer Mitglieder in geheimer Abstimmung über den Abberufungsantrag entschieden.

47

Der Abberufung sind keine unzutreffenden Tatsachen zugrunde gelegt worden. Wie bereits dargelegt hat die Beklagte zu 1. ihre Entscheidung auf der Grundlage der mündlichen Stellungnahmen des Präsidenten der Beklagten zu 2., des Klägers und des Präsidiums und nach einer sich daran anschließenden Debatte getroffen. Den Beiträgen sind die Umstände zu entnehmen, die zu dem Abberufungsantrag geführt haben. Allen in der Sitzung vorgetragenen Umständen liegt ein Tatsachenkern zugrunde, der von keinem der Beteiligten in Abrede gestellt wird. Der Kläger und das Präsidium haben in der Vergangenheit über die Bewertung dieser Umstände gestritten und streiten hierüber auch weiterhin. Die Beklagte zu 1. ist unter Berücksichtigung dessen zu der Einschätzung gelangt, es liege ein hohes Maß an Zerrüttung in der Zusammenarbeit zwischen Präsidium und Hauptgeschäftsführer vor. Diese Einschätzung beruht auf einer hinreichend tragfähigen tatsächlichen Grundlage.

48

Entgegen der Auffassung des Klägers waren die Mitglieder der Beklagten zu 1. nicht verpflichtet, die Ursachen der Meinungsverschiedenheiten zwischen ihm und dem Präsidium im Einzelnen aufzuklären und sich hiervon ein eigenes Bild zu machen. Unabhängig von der Frage, ob die Beklagte zu 1. eine solche Aufklärung überhaupt zu leisten im Stande ist, kommt es, wie bereits dargelegt, grundsätzlich nicht darauf an, wer im Einzelnen für die einer Abberufung zugrunde liegenden Unstimmigkeiten und Zerwürfnisse verantwortlich ist. Innerhalb der dargestellten Grenzen unterliegt es der Einschätzung der Mitglieder der Vollversammlung, auf welche Umstände sie eine Abberufungsentscheidung stützen und ob und ggf. welche weiteren Informationen sie zu deren Beurteilung benötigen. Nachdem die 63 anwesenden Mitglieder der Beklagten zu 1. in der Vollversammlung vom 7. April 2008 den Präsidenten der Beklagten zu 2., den Kläger und die Vizepräsidenten angehört und hierüber diskutiert hatten, sahen sie sich zu einer Entscheidung über den Abberufungsantrag in der Lage. 57 Vollversammlungsmitglieder haben für die sofortige Abberufung des Klägers gestimmt, vier haben mit nein gestimmt, zwei haben sich enthalten. Da es, wie erwähnt, hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür gibt, dass eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Präsidium und Hauptgeschäftsführer nicht mehr möglich war, durften und konnten die Mitglieder der Beklagten zu 1. ihre Abberufungsentscheidung allein auf diesen Umstand stützen.

49

Dass mit der Abberufung verfassungswidrige oder sonst mit dem Gesetz nicht zu vereinbarende Zwecke verfolgt werden, ist nicht ersichtlich. Insbesondere liegen entgegen der Auffassung des Klägers keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Beklagte zu 1. von ihrer Befugnis, ihn abzuberufen, aus unsachlichen Motiven Gebrauch gemacht oder das Ziel verfolgt hat, ihn für die pflichtgemäße Ausübung seines Amtes zu "bestrafen". Maßgeblicher Grund für die Abberufung des Klägers war erkennbar das Ausmaß der Zerrüttung zwischen ihm und dem Präsidium. Dieses Motiv ist sachlich und nicht zu beanstanden. Der Hauptgeschäftsführer hat innerhalb der Kammer eine leitende und koordinierende Funktion. Ihm obliegt es, die Entscheidungen der anderen Kammerorgane vorzubereiten und die Beschlüsse der Vollversammlung und des Präsidiums, an die er gebunden ist, durchzuführen (Frentzel/Jäkel/Junge, a.a.O. § 7 Rdn. 1 ff.). Diese Funktion stellt hohe Anforderungen an die persönliche und fachliche Eignung eines Hauptgeschäftsführers. Die Beklagte zu 1. konnte ohne Rechtsfehler davon ausgehen, dass infolge der erkennbaren und offensichtlich grundlegenden Meinungsverschiedenheiten zwischen Hauptgeschäftsführer und Präsidium in einer Vielzahl von Fragen eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen ihnen nicht mehr zu erwarten war. Hierfür sprechen die verschiedenen Auffassungen in der Frage, wie mit den in der Vergangenheit getroffenen Pensionsvereinbarungen umzugehen sei. Mit einer unvoreingenommenen und sachlichen gemeinsamen Befassung mit der Frage der Tragfähigkeit der erstatteten Gutachten und über die Frage, ob weitere Gutachten einzuholen seien, sowie einer Einigung darüber, welche weiteren Entscheidungen für die Kammer zweckmäßiger Weise zu treffen sind, war nach alle dem, was vorgefallen ist, nicht mehr zu rechnen. Unabhängig davon, wen insoweit eine Verantwortlichkeit oder Schuld trifft, bestand die Wahrscheinlichkeit, dass einvernehmliche Entscheidungen des Präsidiums und des Hauptgeschäftsführers in der für die Kammer wesentlichen Frage zu den Versorgungsverhältnissen nicht mehr zustande kommen würden. Die Bildung eines Ausschusses, der sich mit den damit zusammenhängenden Fragen befassen sollte, ist nicht gelungen. Über die Themen, die der Ausschuss bearbeiten sollte, konnte Einvernehmen nicht erzielt werden. Dem Kläger ist es wegen der aus § 7 Abs. 2 IHKG i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 der Satzung der Beklagten zu 2. folgenden Erforderlichkeit einer gemeinsamen Vertretung von Präsident und Hauptgeschäftsführer nach außen nicht gelungen, die von ihm als notwendig erachteten Maßnahmen umzusetzen. Er meinte, als angemessene Reaktion den Präsidenten und den Vizepräsidenten mit anwaltlichen Schreiben und Fristsetzung auffordern zu müssen, den aus seiner Sicht bestehenden Mitwirkungspflichten nachzukommen, und andernfalls die Niederlegung seines Amtes bzw. die Kündigung seines Dienstvertrages in Aussicht zu stellen. Hieraus wird deutlich, dass auch aus Sicht des Klägers die bestehenden Differenzen geeignet waren, die Möglichkeit einer weiteren Zusammenarbeit grundlegend in Frage zu stellen. Dass er selbst die Funktionsfähigkeit der Kammerarbeit nach innen und außen gefährdet sah, zeigt sich auch anhand seines an die Rechtsaufsicht gerichteten Antrags vom 22. Januar 2008 auf Wiederherstellung der rechtlichen und tatsächlichen Handlungsfähigkeit der IHK.

50

Dass die Beklagte zu 1. sich unter diesen Umständen für eine Abberufung des Klägers entschied, ist auch nicht aus anderen Gründen rechtsfehlerhaft. Es gibt keinen greifbaren Anhaltspunkt dafür, dass sie sich wegen einer von dem Präsidenten der Beklagten zu 2. aufgebauten Drucksituation "er oder ich" zu einer Entscheidung zulasten des Klägers gezwungen sah. Es spricht auch nichts dafür, dass die Beklagte zu 1. von ihrer Abberufungskompetenz in rechtsmissbräuchlicher Weise Gebrauch gemacht hat. Das Gericht prüft im Hinblick auf die der Vollversammlung als demokratisch legitimiertes Organ zustehende Einschätzungsprärogative nur, ob ein offenkundiger und eklatanter Missbrauch vorliegt (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 17.12.1991 - 10 L 231/89 - a.a.O.). Daran wäre etwa dann zu denken, wenn Streit gezielt herbeigeführt worden wäre, um eine sonst sachlich nicht gerechtfertigte Abberufung des Hauptgeschäftsführers durchzusetzen. Dafür ist hier nichts ersichtlich. Wie bereits dargelegt, lagen den Differenzen zwischen dem Präsidium und dem Kläger jeweils Umstände zugrunde, die von den Beteiligten unterschiedlich bewertet wurden. Es gibt auch keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Mitglieder der Beklagten zu 1. mit der Abberufung das Ziel verfolgten, den Kläger an der Durchsetzung der im Gutachten des Rechtsanwalts Glock ausgewiesenen Schadensersatzansprüche gegen gegenwärtige und frühere Präsidiumsmitglieder und frühere Mitarbeiter der Beklagten zu 2. zu hindern.

51

Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Kläger mit der Abberufung für ein ordnungsgemäßes dienstliches Verhalten "bestraft" werden sollte. Die zeitliche Abfolge legt nahe, dass letztlich ausschlaggebend für die Einladung der Vollversammlung zur Abberufung des Klägers am 14. März 2008 die von ihm vorgenommene Unterzeichnung der Dienstvereinbarung über die Umstellung der Altersversorgung am 10. März 2008 war. Dabei kann dahinstehen, ob und wieweit dieses Verhalten dienstpflichtwidrig ist. Es entspricht jedenfalls nicht dem gebotenen vertrauensvollen Umgang der Organe miteinander. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nach Auffassung aller Organe der Beklagten zu 2. die Regelungen zur Altersversorgung ihrer Beschäftigten von eminenter Bedeutung sind. Das Präsidium hatte am 20./29. November 2007 ausdrücklich beschlossen, dass der mit dem Personalrat ausgehandelte Dienstvereinbarungstext dem Präsidium zur Beschlussfassung vorzulegen und nach erfolgtem Präsidiumsbeschluss vom Präsidenten und Hauptgeschäftsführer gemeinsam zu unterzeichnen sei. In seinem Schreiben an den Vizepräsidenten O. vom 10. März 2008 weist der Kläger ausdrücklich auf diese Beschlusslage hin, vertritt aber die Auffassung, weil das Präsidium detaillierte Vorgaben für die Verhandlungen gemacht habe, habe es sich eine abschließende Entscheidung nur für den Fall vorbehalten wollen, dass das erzielte Verhandlungsergebnis signifikant zum Nachteil der Kammer von diesen Vorgaben abweiche. Da das nicht der Fall sei, könne er die Dienstvereinbarung allein und ohne vorherige Beschlussfassung durch das Präsidium unterzeichnen. Dieses Verhalten genügt nicht den zu stellenden Anforderungen an gegenseitige Information und Rücksichtnahme auf die Belange der weiteren Kammerorgane. Dies gilt erst recht unter Berücksichtigung des Umstandes, dass bekanntermaßen zwischen dem Kläger und dem Präsidium in einer Vielzahl von Fragen betreffend die Umstellung der Altersversorgung grundlegende Meinungsverschiedenheiten bestanden und das Verhältnis infolge der vorausgegangenen Differenzen schwer belastet war. Dabei hatte auch der Kläger selbst in erheblicher Weise zu einer Belastung des Verhältnisses beigetragen. Seine Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe, um den Vizepräsidenten P. und den Präsidenten der Beklagten zu 2. unter Fristsetzung u.a. zu Mitwirkungshandlungen aufzufordern oder eine Abmahnung auszusprechen, war ersichtlich unangemessen. Dies gilt zumal, weil die von dem Kläger beanstandete mangelnde Mitwirkung des Präsidenten und des Vizepräsidenten an aus seiner Sicht zu ergreifenden Maßnahmen zu diesem Zeitpunkt nicht offensichtlich missbräuchlich war. Bereits im November 2007 hatte ein Präsidiumsmitglied geäußert, die Feststellungen des Rechtsanwalts H. zu Verantwortlichkeiten für die aktuelle wirtschaftliche Lage der Kammer würden von allen Präsidiumsmitgliedern in wesentlichen Punkten nicht geteilt. Hierzu gibt es nunmehr auch die im Auftrag des Präsidiums erstellte Stellungnahme des Prof. Dr. L. vom 12. Februar 2008. U.a. in diesem Punkt wird deutlich, dass aus Sicht des Präsidiums die vorhandenen Informationen nicht genügten, um in den komplexen Materien fundierte Entscheidungen zu treffen.

52

Den Beweisanträgen des Klägers, Beweis darüber zu erheben, dass er in den Präsidiumssitzungen vom 29. November 2007 und vom 30. Januar 2008 die vollständige Information der Vollversammlung über die Hintergründe, Gründe und Zielsetzung des auf Wunsch der Rechtsaufsicht einzusetzenden Vollversammlungsausschusses zur Klärung der "Vergangenheitsfragen" = Schadensersatzansprüche gefordert habe, dass er die Umformulierung des Ausschussauftrages als "Beratung bei der Neuordnung der Versorgungswerke" als irreführend beanstandet und dass das Präsidium dies mit der Begründung abgelehnt habe, die Vollversammlung solle nicht vollständig und aufklärend über die möglichen Schadensersatzansprüche informiert werden, war nicht zu entsprechen. Es ist nicht entscheidungserheblich, ob sich der Kläger gegenüber der Beklagten zu 1. vertrauensvoll verhalten hat. Wie bereits dargelegt ist für eine Abberufung als Hauptgeschäftsführer maßgeblich, ob sie nach der Einschätzung der Mehrheit der Mitglieder der Vollversammlung erforderlich ist, um die Funktionsfähigkeit der Kammerarbeit nach innen und außen zu erhalten oder wiederherzustellen. Sie kann in zulässiger Weise auch allein darauf gestützt werden, dass - wie hier - eine gedeihliche Zusammenarbeit zwischen Präsidium und Hauptgeschäftsführer nicht mehr zu erwarten ist. Es kommt mithin auch nicht darauf an, ob dem Kläger Dienstpflichtverletzungen oder eine Urkundenfälschung vorzuwerfen ist. Keiner näheren Prüfung bedarf, ob und inwieweit die Sachverhaltsdarstellungen des Präsidenten etwa in seinem Manuskript zur Rede vor der Vollversammlung vom 7. April 2008 im Einzelnen zutreffen. Vielmehr stand es dem Präsidenten frei, aus seiner Wahrnehmung und Erinnerung einschließlich seiner subjektiven Betroffenheit seinen Standpunkt der Vollversammlung vorzutragen. Der Kläger hatte danach umfassend die Gelegenheit, gegenüber den Mitgliedern der Vollversammlung seine Sicht der Dinge darzulegen und eventuelle sachliche Fehler in der Rede des Präsidenten zu korrigieren. Die Entscheidung der Beklagten zu 1. über die Abberufung des Klägers ist gerichtlich nur in den beschriebenen Grenzen überprüfbar. Auch die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG zwingt nicht zu einer weitergehenden Überprüfung der Abberufungsgründe. Diese Garantie bietet keinen Schutz davor, dass bestimmte Umstände - wie hier - aus Gründen des materiellen Rechts bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit von Verwaltungshandeln außer Betracht bleiben (s. BVerwG, Beschluss vom 22.9.1992 - 7 B 40/92 - a.a.O.). Dass der Kläger die Äußerungen als rufschädigend empfindet, führt zu keiner anderen Betrachtung.

53

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO.

54

Die Berufung wird gemäß § 124 a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, weil die Fragen, unter welchen Voraussetzungen der Hauptgeschäftsführer einer IHK abberufen werden kann und ob es sich bei der Abberufung um einen Verwaltungsakt handelt, obergerichtlich noch nicht geklärt sind.