Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 08.07.2008, Az.: 6 B 19/08

Verpflichtung des Präsidiums einer Hochschule zur Wiederaufnahme eines Studiengangs und dem damit verbundenen Bewerbungsverfahren von Professoren und Studenten i.R.d. einstweiligen Rechtschutzes; Möglichkeit des Verlangens der Wiedereröffnung eines Studienganges durch einen Hochschullehrer aufgrund eigener betroffener Rechtsposition; Voraussetzungen für die gerichtliche Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
08.07.2008
Aktenzeichen
6 B 19/08
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2008, 19806
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGLUENE:2008:0708.6B19.08.0A

Verfahrensgegenstand

Hochschulrecht

In der Verwaltungsrechtssache
...
hat das Verwaltungsgericht Lüneburg - 6. Kammer -
am 8. Juli 2008
beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Der wird abgelehnt.

  2. 2.

    Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragsteller.

  3. 3.

    Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.

Gründe

1

I.

Die Beteiligten streiten über das Bewerbungsverfahren der Antragsgegnerin für den Studiengang Major und Minor Sozialarbeit/Sozialpädagogik im Leuphana-Bachelor im Wintersemester 2008/09.

2

Die Antragsteller sind als Professoren bei der Antragsgegnerin tätig, wobei der Antragsteller zu 1) zugleich Mitglied im Fakultätsrat (§ 44 NHG) der Fakultät I und die Antragstellerin zu 2) Mitglied im Senat (§ 41 NHG) ist. Das Präsidium (§ 37 NHG) der Antragsgegnerin hat am 18. Juni 2008 beschlossen, den eingerichteten Studiengang Major und Minor Sozialarbeit/Sozialpädagogik im Leuphana Bachelor zu schließen und bereits zum Wintersemester 2008/09 im genannten Studiengang keine neuen Studierenden mehr aufzunehmen. Hierzu ist ein Entwurf über die Änderung der zwischen der Antragsgegnerin, der Stiftung Universität Lüneburg und dem Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur (MWK) bestehenden Zielvereinbarung (§ 1 NHG) erarbeitet worden. Das Präsidium hat in seiner Sitzung am 18. Juni 2008 ferner beschlossen, den Senat und den Fakultätsrat zu den beabsichtigten Maßnahmen und zu dem Entwurf für den 1. Nachtrag zur Zielvereinbarung um Stellungnahme zu bitten. Den Beschlüssen des Präsidiums liegt zugrunde der Ergebnisbericht "Begleitung und Profilbildungs- und Entwicklungsprozesse an der Leuphana Universität Lüneburg" der Wissenschaftlichen Kommission Niedersachsen (WKN) vom 10. März 2008, wonach es nach Einschätzung der Expertenkommission unumgänglich sei, den Bereich der Sozialarbeit und Sozialpädagogik abzubauen und die frei werdenden Ressourcen gezielt für eine Stärkung der Lehrerbildung einzusetzen. Ob dies notwendig und sinnvoll ist, ist innerhalb der verschiedenen Gremien und unter den sonstigen Beteiligten heftig umstritten. Bewerbungsfrist für ein Bachelor-Studium an der Leuphana Universität in den zulassungsbeschränkten Studiengängen ist für das Wintersemester 2008/09 der 15. Juli 2008. In der Verordnung über Zulassungszahlen für Studienplätze zum Wintersemester 2008/09 und zum Sommersemester 2009 vom 26. Juni 2008 (Nds. GVBl. 2008, 223) ist der hier fragliche bei der Antragsgegnerin eingerichtete Studiengang Sozialarbeit/Sozialpädagogik bereits nicht mehr aufgeführt. Studienbewerber werden auf der Internetseite der Antragsgegnerin unter "Aktuelle Änderungen" darauf hingewiesen, dass angesichts der im Rahmen des Entwicklungsplans aktuell diskutierten Profilbildung der Universität davon auszugehen sei, dass im kommenden Wintersemester der Studiengang nicht mehr angeboten werde und keine Studierenden im Major und Minor Sozialarbeit/Sozialpädagogik im Leuphana Bachelor aufgenommen werden. Dies sei zwischen dem Präsidium und dem MWK abgestimmt. Den Studieninteressierten werde dringend empfohlen, sich für einen anderen Major an der Leuphana Universität zu entscheiden, beziehungsweise sich bei Studienwunsch Sozialarbeit/Sozialpädagogik an einer anderen Hochschule zu bewerben.

3

Die Antragsteller haben darauf hin am 1. Juli 2008 bei Gericht um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Sie rügen, die Antragsgegnerin habe faktisch das Bewerbungsverfahren gestoppt, obwohl die Stellungnahmen des Senats und des Fakultätsrates noch nicht erfolgt seien und obwohl eine solche Schließung eines Studienganges durch eine Änderung der Zielvereinbarung zu fixieren sei. Sie begehren die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, unverzüglich das Bewerbungsverfahren für den genannten Studiengang wieder aufzunehmen und die Bewerber, die sich bereits beworben haben, hiervon in Kenntnis zu setzen.

4

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist statthaft, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

5

Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn dies zur Abwendung von wesentlichen Nachteilen notwendig erscheint. Voraussetzung dafür ist neben einer besonderen Eilbedürftigkeit der Regelung (Anordnungsgrund) ein Anspruch des Antragstellers auf die begehrte Regelung (Anordnungsanspruch). Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben.

6

In der Verwaltungsrechtsprechung ist geklärt, dass für organinterne Hochschulstreitigkeiten der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist und dass die Klagebefugnis in Hochschulverfassungsstreitigkeiten in entsprechender Anwendung des § 42 Abs. 2 VwGO die in den Vorschriften des jeweiligen Landeshochschulrechts begründete Möglichkeit der Existenz klägerischer Mitgliedschaftsrechte und Mitwirkungsrechte voraussetzt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 9.10.1984 - 7 B 187/84 - NVwZ 1985). Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin machen die Antragsteller eben solche Rechte, nämlich eine Verletzung in ihrer Eigenschaft als Mitglied im Senat bzw. im Fakultätsrat geltend (vgl. Seite 1 der Antragsschrift unter Nr. 1). Soweit die Antragsgegnerin Ausführungen zur Rechtsbetroffenheit der Antragsteller in ihrer Eigenschaft als Professoren macht, liegen diese daher neben der Sache. Richtig ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass nach der Rechtssprechung des Nds. Oberverwaltungsgerichts ein Hochschullehrer mangels eigener Rechtsposition i.S.d. § 42 Abs. 2 VwGO bei Schließung eines Studienganges nicht die Wiedereröffnung des Studienganges verlangen kann (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 9.12.2004 - 2 ME 976/04 - Nds.VBl. 2005, 101). Dies schließt indes nicht aus, dass ein Hochschullehrer als Mitglied eines Hochschulgremiums die Verletzung von Mitwirkungsrechten rügt.

7

Nach § 41 Abs. 2 Satz 2 NHG nimmt der Senat zu allen Selbstverwaltungsangelegenheiten von grundsätzlicher Bedeutung Stellung, insbesondere zur wesentlichen Änderung und Schließung von Studiengängen. Entsprechendes gilt gemäß § 44 Abs. 1 Satz 2 NHG für den Fakultätsrat. Auf eine Verletzung eben dieser Normen stützen die Antragsteller ihr Antragsbegehren. Die Entscheidung über wesentliche Änderungen und Schließung von Studiengängen sowie über den Abschluss von Zielvereinbarungen i.S.d. § 1 Abs. 3 NHG obliegt hingegen dem Präsidium der Hochschule (vgl. § 37 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 und 5a NHG). Ob eine Verletzung der Mitwirkungsrechte eines Gremiums (hier Senat und Fakultätsrat) auch durch ein einzelnes Mitglied dieses Gremiums gerügt werden kann oder nur das Gremium selbst nach entsprechendem Mehrheitsbeschluss zur Prozessführung befugt ist, ist indes zweifelhaft und nur in den Fällen unproblematisch, in denen etwa dem Mitglied des Gremiums eine Mitwirkung an einer Abstimmung über einen Gegenstand versagt worden ist (vgl. Thieme, Deutsches Hochschulrecht, 3. Aufl. 2004, Rdnr. 599, 600). Die Rechtsfrage, ob die Antragsteller als einzelne Mitglieder des Senats bzw. des Fakultätsrats eine Rechtsbeeinträchtigung der vorgenannten Mitwirkungsrechte aus § 41 und § 44 NHG geltend machen können, kann indes offen bleiben, da eine derartige Rechtsverletzung, die zum Erlass einer einstweiligen Anordnung führen könnte, zum derzeitigen Zeitpunkt nach Aktenlage nicht festzustellen ist. Hierzu im Einzelnen:

8

Das Präsidium, welches nach § 37 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 und 5a NHG sowohl über die Änderung und Schließung von Studiengängen als auch über eine Änderung der mit dem MWK getroffenen Zielvereinbarung entscheidet, hat entsprechende Beschlüsse in seiner Sitzung am 18. Juni 2008 gefasst. Es hat zugleich beschlossen, hierzu die Stellungnahmen des Senats und des Fakultätsrates einzuholen. Der Entwurf einer Zielvereinbarung liegt vor und ist mit dem MWK abgestimmt, so dass nach Beteiligung der sonstigen Hochschulgremien und dem anschließendem Abschluss des Nachtrags zur Zielvereinbarung rechtlich noch mit Wirkung zum Wintersemester 2008/09 die beabsichtigte Einstellung des Studienganges Sozialarbeit/Sozialpädagogik für Neustudenten erfolgen könnte. Entsprechende Anträge zur Tagesordnung sind bei dem Senat und dem Fakultätsrat bereits eingebracht worden. Ausweislich der Protokolle des Senats und des Fakultätsrates ist im Übrigen das Thema "Einstellung des Studienganges Sozialarbeit/Sozialpädagogik" in beiden Gremien bereits behandelt worden. Der Fakultätsrat hat in seiner Sitzung am 19. Juni 2008 den Beschluss gefasst, dass er nachdrücklich der Auffassung der WKN widerspreche, dass es unumgänglich sei, den Bereich Sozialarbeit/Sozialpädagogik abzubauen und er nicht der Einschätzung der WKN folgen könne, dass das Fächerprofil Sozialarbeit/Sozialpädagogik eher dem einer Fachhochschule als dem einer Universität entspreche. Im Senat stand die Abgabe einer Stellungnahme zu den vom Präsidium gefassten Beschlüssen in der Sitzung am 9. Juli 2008 auf der Tagesordnung. Die Antragsgegnerin hat damit zu erkennen gegeben, dass sie die in § 41 und § 44 NHG verankerten Mitwirkungsrechte des Senats und des Fakultätsrates beachten und diesen Gremien vor Abschluss des Nachtrags zur Zielvereinbarung und vor einer Teilschließung des Studienganges Sozialarbeit/Sozialpädagogik die Möglichkeit zur Stellungnahme einräumen wird.

9

Dass die Antragsgegnerin gleichwohl schon jetzt "vollendete Tatsachen" geschaffen und ohne Berücksichtigung der noch ausstehenden Stellungnahmen des Senats und des Fakultätsrates den Studiengang Sozialarbeit/Sozialpädagogik faktisch geschlossen hat, ist dem von den Antragstellern gerügten Internetauftritt der Antragsgegnerin ebenfalls nicht zu entnehmen. Die unter der Seite "Aktuelle Änderungen" getroffenen Aussagen sind inhaltlich nicht zu beanstanden. Es ist insbesondere zutreffend, dass die Gremien der Universität derzeit die weitere Profilbildung der Universität diskutieren, dass der Entwurf des Entwicklungsplans eine Stärkung der Lehrerbildung vorsieht und dass in Abstimmung zwischen dem MWK und dem Präsidium im Studiengang Major und Minor Sozialarbeit/Sozialpädagogik keine Studenten mehr aufgenommen werden sollen. Nicht zu beanstanden ist auch die wertende Aussage, dass davon auszugehen sei, dass im kommenden Wintersemester für neue Studierende der Studiengang Sozialarbeit/Sozialpädagogik nicht mehr angeboten werde. Denn das hierfür zuständige Hochschulgremium, das Präsidium, hat bereits entsprechende Beschlüsse gefasst, der Entwurf zum Nachtrag zur Zielvereinbarung ist erarbeitet und mit dem MWK abgestimmt und der Senat und der Fakultätsrat haben nach dem NHG insoweit nur ein Recht zur Stellungnahme. Eine Einwilligung oder ein Einvernehmen des Senats oder des Fakultätsrates zu den beabsichtigten Maßnahmen ist nach dem NHG nicht erforderlich. Es ist rechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden, dass auf der Internetseite der Antragsgegnerin vor diesem Hintergrund den Studieninteressierten dringend empfohlen wird, sich für einen anderen Major an der Leuphana Universität zu entscheiden oder sich bei dem Studienwunsch Sozialarbeit/Sozialpädagogik an einer anderen Hochschule zu bewerben. Dieser Hinweis liegt im wohlverstandenen Interesse der Studienbewerber, da sie sich bei realistischer Einschätzung der derzeitigen Sach- und Rechtslage darauf einstellen müssen, dass am Studienort Lüneburg der Studiengang Sozialarbeit/Sozialpädagogik zum kommenden Wintersemester nicht mehr angeboten wird, so dass sie auch in Erwägung ziehen sollten, sich für einen anderen Studiengang oder an einer anderen Hochschule zu bewerben. Auf der anderen Seite wird mit den vorgenannten Aussagen der Antragsgegnerin nicht ausgeschlossen, dass Studieninteressierte sich gleichwohl vorrangig bei der Antragsgegnerin um einen Studienplatz im Studiengang Sozialarbeit/Sozialpädagogik bewerben. Eine solche Bewerbung ist im schriftlichen Verfahren möglich. Nach Vortrag der Antragsteller liegen der Antragsgegnerin im Übrigen bereits 300 Bewerbungen vor, obwohl die bisherige Kapazität nur 120 Studienplätze betragen habe. Den Antragstellern ist allerdings einzuräumen, dass im Internetauftritt der Antragsgegnerin auch eine andere Darstellung zum Bewerbungsverfahren möglich wäre, etwa ohne Empfehlungen an die Studieninteressierten, mit weitergehenden Informationen zum Sachstand und zur rechtlichen Seite des Verfahrens, dass noch die Stellungnahmen des Senats und des Fakultätsrates ausstehen, dass in diesen Gremien erhebliche Widerstände und Bedenken gegen eine Schließung des besagten Studienganges bestünden und mit einem deutlichen Hinweis an die Studienbewerber, dass es derzeit weiterhin möglich sei, bei der Antragsgegnerin eine Bewerbung um einen Studienplatz im Studiengang Sozialarbeit/Sozialpädagogik für das kommende Wintersemester einzureichen für den Fall, dass der Studiengang für neue Studienbewerber nicht geschlossen werde.

10

Eine andere Bewertung folgt schließlich nicht aus dem Umstand, dass in der aufgrund des § 9 Satz 1 Nr. 4 Nds. Hochschulzulassungsgesetz erlassenen Verordnung über Zulassungszahlen zum Wintersemester 2008/2009 vom 26. Juni 2008 (Nds. GVBl. 2008, 223) der hier genannte Studiengang Sozialarbeit/Sozialpädagogik nicht mehr ausgewiesen ist. Dies bedeutet rechtlich nicht eine Schließung des Studienganges, sondern besagt lediglich, dass die Antragsgegnerin - sollte der Studiengang nicht geschlossen werden - zu einer unbegrenzten Aufnahme der Studienplatzbewerber verpflichtet ist. Diese Rechtsauskunft ist der Antragsgegnerin bereits am 23. Juni 2008 seitens des MWK mitgeteilt worden.

11

Nach alledem kann nicht davon ausgegangen werden, dass schon vor Abschluss des hier laufenden Beteiligungsverfahrens der Studiengang Sozialarbeit/Sozialpädagogik für Neustudenten geschlossen ist und Bewerbungen insoweit von der Antragsgegnerin nicht einmal mehr entgegen genommen und berücksichtigt werden, falls es nicht zu der vom Präsidium beschlossenen Teilschließung des Studienganges kommen sollte.

12

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 3, 52 Abs.1 GKG.

Stelter
Rohr
H. Ludolfs