Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 19.06.2003, Az.: 16 K 13489/98
Bildung von Rückstellungen in Bilanz durch Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH); Pensionszusage für Gesellschafter-Geschäftsführer; Beiträge zur Alterssicherung; Absicherung durch Rückdeckungsversicherung; Wirtschaftlich gesicherte Rechtsposition; Kürzung des Vorwegabzugs für Vorsorgeaufwendungen
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 19.06.2003
- Aktenzeichen
- 16 K 13489/98
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 19298
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2003:0619.16K13489.98.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - 28.07.2004 - AZ: XI R 67/03
Rechtsgrundlagen
- § 3 Nr. 62 EStG
- § 10 Abs. 3 Nr. 2a cc EStG 1992
- § 10 Abs. 3 Nr. 2 S. 2a EStG 1993/1994
- § 10c Abs. 3 Nr. 2 EStG 1993/1994
- § 19 EStG
- § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO 1977
Fundstellen
- EFG 2004, 251-252
- INF 2004, 126
- RdW 2004, XIII Heft 9 (Kurzinformation)
Redaktioneller Leitsatz
Bildet eine GmbH für die ihrem Gesellschafter-Geschäftsführer erteilte Pensionszusage lediglich Rückstellungen in der Bilanz, ohne Beiträge zur Alterssicherung zu leisten und ist die Pensionszusage weder durch eine Rückdeckungsversicherung noch in anderer Weise abgesichert, so wird hierdurch keine wirtschaftlich gesicherte Rechtsposition begründet. In einem derartigen Fall ist die Kürzung des Vorwegabzugs für Vorsorgeaufwendungen rechtswidrig.
Tatbestand
Der Kläger ist verheiratet und wird mit seiner Ehefrau zur Einkommensteuer zusammen veranlagt.
In den Streitjahren war er Gesellschafter der am 20.02.1985 gegründeten A+A GmbH. Sein Gesellschaftsanteil am Stammkapital der Gesellschaft von DM 51.000,00 betrug DM 17.000,00. Der Kläger war aufgrund eines Anstellungsvertrages vom 20.02.1985 Geschäftsführer der Gesellschaft. Als solcher unterlag er nicht der Sozialversicherungspflicht. Mit Vertrag vom 22.12.1989 wurde ihm ein Altersruhegeld in Höhe von DM 5.000,00 monatlich ab dem 65. Lebensjahr zugesagt. Mit ergänzendem Vertrag vom 04.11.1991 wurde die Pensionszusage um eine Hinterbliebenenrente erweitert. In den Jahresabschlüssen der bilanzierenden Gesellschaft wurden hierfür entsprechende Rückstellungen gebildet. Eine Rückdeckungsversicherung hatte die GmbH nicht abgeschlossen. Ab 1994 wurden Jahresabschlüsse der GmbH nicht mehr erstellt.
Aufgrund nachhaltiger Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der GmbH wurde die Pensionszusage im April 1995 gemäß Artikel 13 Ziffer 1 der Pensionsordnung gegenüber allen Mitarbeitern und somit auch gegenüber dem Kläger widerrufen. Während des Bestehens der Pensionszusage war die Unverfallbarkeit der Anwartschaft gemäß § 1 des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (Betriebsrentengesetz) nicht eingetreten. In der Folgezeit ging die GmbH in Konkurs. Das Konkursverfahren ist abgeschlossen. Zahlungen aus der Konkursmasse hat der Kläger nicht erhalten.
Der Beklagte berücksichtigte bei den Einkommensteuerveranlagungen des Klägers die Höchstbeträge für Vorsorgeaufwendungen i.S.d. § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG zunächst erklärungsgemäß ungekürzt. Nach einer Außenprüfung ging der Beklagte davon aus, dass der Kläger von der GmbH eine Pensionszusage ohne eigene Beitragsleistungen erhalten gehabt habe und kürzte nunmehr die Höchstbeträge für Vorsorgeaufwendungen gemäß § 10 Abs. 3 Nr. 2 a EStG. Der dagegen eingelegte Einspruch war erfolglos. Hiergegen richtet sich die Klage.
Der Kläger behauptet, seitens der GmbH seien für ihn keine Leistungen i.S.d. § 3 Nr. 62 EStG erbracht worden. Die Erteilung einer Pensionszusage falle nicht unter § 3 Nr. 62 EStG. Der Widerruf der Pensionszusage führe zwar nicht zur Nichtigkeit der ursprünglich erteilten Zusage, er wirke sich aber unter den Bedingungen des Gesetzes über die betriebliche Altersversorgung mit dem Ergebnis aus, dass bei nicht eingetretener Unverfallbarkeit einer Anwartschaft überhaupt kein Anspruch auf Altersversorgung bestehe. Der Anspruch sei vielmehr aufschiebend bedingt erworben worden, da er erst mit Wirkung der Bedingung "Unverfallbarkeit" eintrete (vgl. § 158 BGB). Nach Sinn und Zweck der Regelung über die Kürzung des Vorwegabzugs soll der Abzug den Personen ungekürzt zur Verfügung stehen, die in vollem Umfang für ihre Altersversorgung selbst aufkommen müssten. Da durch Widerruf der Pensionszusage vor Eintritt der Unverfallbarkeit rückwirkend keine Anwartschaft bestehe, sei auch kein Raum für eine Kürzung des Vorwegabzugs.
Der Kläger beantragt,
die Einkommensteuer 1992 auf DM ...., die Einkommensteuer 1993 auf DM ....... und die Einkommensteuer 1994 auf DM ....... herabzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist der Auffassung, die Kürzung der Höchstbeträge für Vorsorgeaufwendungen sei rechtmäßig. Mit der von der GmbH dem Kläger gegebenen Pensionszusage habe diese für ihn Leistungen i.S.d. § 3 Nr. 62 EStG erbracht. Der Kläger habe in den Streitjahren nach den Gesamtumständen auch von der Unverfallbarkeit seines Versorgungsanspruchs aus der Pensionskasse ausgehen können.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Finanzgerichtsakte verwiesen. Dem Gericht haben die Steuerakten zu Steuer-Nr. ......... vorgelegen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet. Die Kürzung des Vorwegabzugs für Vorsorgeaufwendungen des Klägers ist rechtswidrig.
Nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 a cc) EStG 1992 bzw. § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 a i.V.m. § 10c Abs. 3 Nr. 2 EStG 1993/1994 ist der Vorwegabzug i.S.d. § 10 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 EStG um einen bestimmten Prozentsatz des Arbeitslohns aus der Beschäftigung bzw. der Summe der Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit i.S.d. § 19 EStG zu kürzen, wenn der Steuerpflichtige während des ganzen oder eines Teils des Kalenderjahres nicht der gesetzlichen Rentenversicherung unterliegt, eine Berufstätigkeit ausübt und im Zusammenhang damit aufgrund vertraglicher Vereinbarungen Anwartschaftsrechte auf eine Altersversorgung ganz oder teilwiese ohne eigene Beitragsleistung erworben hat.
Die Voraussetzungen für eine Kürzung des Vorwegabzugs liegen nicht vor.
Im vorliegenden Streitfall ist bereits zweifelhaft, ob durch den Vertrag vom 22.12.1989 ein Anwartschaftsrecht des Klägers auf ein betriebliches Altersruhegeld begründet wurde. Anwartschaftsrecht auf eine Altersversorgung im Sinn dieser Vorschrift ist der vertraglich vereinbarte, aufschiebend bedingte Anspruch auf Zahlung einmaliger oder laufender Leistungen zur Altersversorgung. Ein solches Anwartschaftsrecht liegt nach der Entscheidung des BFH vom 29. November 1989 (Az: X R 183/87, BFHE 159, 80, BStBl II 1990, 218) vor, wenn der Arbeitgeber eine nicht nach seinem freien Belieben entziehbare Pensionszusage für den Fall der Berufsunfähigkeit vor Erreichen einer bestimmten Altersgrenze erteilt, da in einem solchen Fall das Vollrecht unbeschadet einer späteren Vertragsauflösung erreichbar und damit wirtschaftlich nicht wertlos ist. Ob eine für den Fall des Erreichens einer bestimmten Altersgrenze erteilte Pensionszusage nur dann zu einer Kürzung des sog. Vorwegabzugs führt, wenn die Anwartschaft unverfallbar i.S.d. § 1 des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung vom 19. Dezember 1974 (BGBl I 1974, 3610) oder nach der konkreten Altersversorgungsregelung des Betriebes unentziehbar erworben ist, hatte der BFH in seiner Entscheidung ausdrücklich offen gelassen, da dies nicht entscheidungserheblich war.
Der Senat kann letztlich dahingestellt lassen, wann zivilrechtlich ein Anwartschaftsrecht auf Altersversorgung entsteht. Denn nach der neueren Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 14.06.2000, XI R 57/99, BFHE 192, 304, BStBl II 2001, 28; vgl. auch Schmidt/Heinicke EStG § 10 Rz 216 m.w.N.) muss der Vorwegabzug auch dann erhalten bleiben, wenn zwar ein Anwartschaftsrecht begründet wurde, der Dienstherr aber keinerlei Vorsorge für die künftige Erfüllung seiner Zusage getroffen hat. Seine Begründung leitet der BFH aus dem sich aus den Gesetzesmaterialien erschließenden steuergesetzlichen Hintergrund ab. Danach muss ein "Anwartschaftsrecht" i.S.d. § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a Doppelbuchst. cc EstG - jedenfalls dem Grunde nach - auch wirtschaftlich mit der Rechtsposition vergleichbar sein, die Beschäftigte erlangen, für die i.S. von § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a Doppelbuchst. aa, bb und dd EStG Altersvorsorge getroffen wird. Dies folge aus der Zweckbestimmung des Vorwegabzugs, der "einen Ausgleich dafür bieten (soll), dass bei Arbeitnehmern der Arbeitgeberanteil zur gesetzlichen Rentenversicherung steuerfrei bleibt, während der selbständig Tätige seine Beiträge zur Altersversorgung in voller Höhe selbst aufbringen muss" (vgl. Gesetzesbegründung BTDrucks 8/292 S. 21). Ansprüche aufgrund gesetzlicher Rentenversicherung (Doppelbuchst. aa), Abfindungen bzw. Nachversicherung (Doppelbuchst. bb) und Zukunftssicherungsleistungen des Arbeitgebers nach § 3 Nr. 62 EStG (Doppelbuchst. dd) geben dem Steuerpflichtigen einen nicht nur rechtlich, sondern auch wirtschaftlich gesicherten Anspruch. Ein wirtschaftlich gesicherter Anspruch liegt bei fehlender finanzieller Vorsorge nicht vor. Die GmbH hatte für den Kläger keine Beiträge zur Alterssicherung, z.B. an eine Pensionskasse, geleistet, sondern lediglich Rückstellungen in der Bilanz gebildet. Diese waren weder durch eine Rückdeckungsversicherung noch in anderer Weise abgesichert. Der Kläger hatte dadurch keine wirtschaftlich gesicherte Rechtsposition erlangt. In seiner Entscheidung vom 14.06.2000 (a.a.O.) hatte der BFH zwar als Beispiel der wirtschaftlichen Sicherstellung auch Rückstellungen genannt. Inwiefern dadurch eine Absicherung in dem von ihm beschriebenen Sinne gegeben ist, hat der BFH jedoch nicht begründet. Dies ist auch sonst nicht ersichtlich. Die Rückstellungen wurden intern lediglich seinem Beitragskonto gutgeschrieben. Hierbei handelte es sich aber nur um eine buchhalterische Zusammenstellung zur Ermittlung etwaiger späterer Ansprüche auf Altersversorgung. Allein die nicht durch begleitende Maßnahmen wirtschaftlich gesicherte Bildung einer Rückstellung in der Bilanz begründet den erforderlichen wirtschaftlich gesicherten Anspruch nicht.
Der Erhalt des Vorwegabzugs im Falle fehlender wirtschaftlicher Absicherung der Ansprüche wird durch das Urteil des BFH vom 28.05.1998 (Az. X R 7/96, BStBl II 1999, 95) bestätigt. Danach setzen die Regelungen über den Vorwegabzug voraus, dass der Arbeitgeber (im entschiedenen Fall: eine GmbH) für den Arbeitnehmer tatsächlich Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung gezahlt habe. Wenn dieses Tatbestandsmerkmal mit Wirkung für die Vergangenheit wegfalle, weil die vom Arbeitnehmer geleisteten Beträge zurückgezahlt werden, sei auch der Sonderausgabenabzug für Vorsorgeaufwendungen rückgängig zu machen. Entsprechendes gelte für die Kürzung des Vorwegabzugs, wenn wegen der Rückabwicklung der rechtsgrundlosen Beiträge die entsprechenden Versicherungsanwartschaften entfallen sind (Ziffer 4. der Urteilsgründe). In dem seiner Entscheidung zugrunde liegenden Fall hatte der BFH eine Änderung der Steuerbescheide für zulässig erachtet, weil er in der "Freistellung" von der Versicherungspflicht ein rückwirkendes Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO gesehen hat.
Die Steuer ist daher für 1992 wie folgt festgesetzt:
Zu versteuerndes Einkommen bisher: | ... |
---|---|
minus Kürzung Vorwegabzug | ... |
Zu versteuerndes Einkommen neu: | ... |
Steuer nach Splitting: | ... |
Wegen der Streitjahre 1993 und 1994 wird die Berechnung der festzusetzenden Einkommensteuer gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 Finanzgerichtsordnung - FGO - dem Finanzamt übertragen, weil die Ermittlung des festzusetzenden Betrages wegen der erforderlichen Vergleichsberechnung für die Berücksichtigung von Kinderfreibeträgen bzw. Kindergeld in 1993 und 1994 und die Berücksichtigung des Entlastungsbetrags für gewerbliche Einkünfte in 1994 einen nicht unerheblichen Aufwand erfordert.
Die Revision war nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.