Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 16.06.2003, Az.: 1 K 44/03

Unechte doppelte Haushaltsführung; Doppelte Haushaltsführung bei Arbeitnehmern ohne eigenen Hausstand

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
16.06.2003
Aktenzeichen
1 K 44/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 12828
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2003:0616.1K44.03.0A

Fundstellen

  • DStR 2003, VI Heft 41 (Kurzinformation)
  • DStRE 2003, 1204-1206 (Volltext mit amtl. LS)
  • EFG 2003, 1319-1321
Zusammenfassung

Die Klägerin stritt mit dem Finanzamt darüber, ob die Zwei-Jahres-Frist des § 9 Abs. 1 Nr. 5 Satz 3 EStG auch auf die in Abschn. 43 Abs. 5 LStR geregelte so genannte "unechte doppelte Haushaltsführung" anzuwenden sei. Hierauf kam es in der Entscheidung des Finanzgerichts (FG) nicht mehr an, weil das FG die Verwaltungsanweisung wegen seiner Ansicht nach fehlender Rechtsgrundlage überhaupt nicht angewandt hat. Zumindest nachdem der BFH das Erfordernis des "Familienhausstands" aufgegeben habe, komme ein Werbungskostenabzug wegen so genannter unechter doppelter Haushaltsführung nicht mehr in Betracht. Im entschiedenen Fall verneinte das FG für den am Wohnort in der elterlichen Wohnung lebenden Sohn eine doppelte Haushaltsführung.

Tenor:

Keine Rechtsgrundlage für Werbungskostenabzug wegen "unechter doppelter Haushaltsführung" (LStR Abschn. 43 Abs. 5)

Tatbestand

1

Streitig ist die Frage, ob bei dem Sohn der Klägerin Werbungskosten wegen so genannter unechter doppelter Haushaltsführung vorgelegen haben und dadurch die Einkommensgrenze des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG unterschritten wurde.

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Die Klägerin ist Mutter des am 12. Januar 1979 geborenen Sohnes M. und lebt in H. M. leistete bis zum 31. August 1999 seinen Zivildienst ab. Ab dem 1. September 1999 begann er eine Ausbildung als Fluggerätmechaniker bei der ...GmbH in Hamburg. Aus diesem Ausbildungsverhältnis erzielte M. im Jahre 2001 Einnahmen in Höhe von 18.489,84 DM.

3

Bis zum Beginn der Ausbildung lebte M. bei seinen Eltern. Zum 1. August 1999 mietete sein Vater für ihn eine Wohnung in Hamburg an. Der monatliche Mietzins betrug laut Mietvertrag 514,00 DM monatlich.

4

Die Klägerin beantragte am 4. Dezember 2002 die Gewährung von Kindergeld für M.. Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 11. Dezember 2002 unter Hinweis auf die Einkommensgrenze des § 32 Abs. 4 EStG ab. Dabei ermittelte der Beklagte die Einkünfte von M. unter Ansatz von Werbungskosten wegen doppelter Haushaltsführung für die ersten 7 Kalendermonate in Höhe von 7 x 514,00 DM = 3.598,00 DM. Die Mietaufwendungen für die Monate August bis Dezember 2001 berücksichtigte der Beklagte nicht, da die 2-Jahres-Frist des § 9 Abs. 1 Nr. 5 Satz 3 EStG von da ab abgelaufen sei. Der dagegen gerichtete Einspruch blieb ohne Erfolg.

5

Im Klageverfahren trägt die Klägerin vor, dass ihrer Auffassung nach die Einkommensgrenze nicht überschritten sei. Es müssten die Unterkunftskosten in Höhe von 12 x 514,00 DM = 6.168,00 DM berücksichtigt werden. Das ergebe sich aus Abschnitt 43 Abs. 5 LStR 2001. Eine zeitliche Begrenzung der Abzugsfähigkeit der Aufwendungen bei Ausbildungsverhältnissen sei dort nicht vorgesehen.

6

Die Klägerin beantragt,

unter Aufhebung des Bescheides vom 11. Dezember 2002 und der Einspruchsentscheidung vom 8. Januar 2003 den Beklagten zu verpflichten, Kindergeld für M. für das Jahr 2001 in Höhe von 3.240,00 DM zu gewähren.

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Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

8

Der Beklagte ist der Auffassung, dass auch in Fällen der so genannten unechten doppelten Haushaltsführung die 2-Jahres-Frist des§ 9 Abs. 1 Nr. 5 Satz 3 EStG zur Anwendung komme.

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Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 6. Februar 2003 (Klägerin) und 16. Juni 2003 (Beklagter) auf mündliche Verhandlung verzichtet.

Entscheidungsgründe

10

Die Klage ist unbegründet. Die eigenen Einkünfte des Sohnes überschreiten die Einkommensgrenze des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG.

11

Gem. §§ 62 Abs. 1, 63 Abs. 1, 32 Abs. 4 EStG in der Fassung des Gesetzes für das Jahr 2001 besteht ein Kindergeldanspruch nur, wenn das Kind Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, von nicht mehr als 14.040,- im Kalenderjahr hat. Diesen Grenzbetrag hat der Sohn M. mit seinen Einkünftenüberschritten. Die Höhe seiner maßgebenden Einkünfte im Kalenderjahr 2001 beträgt 18.489,89 DM ./. 2.000,00 DM Werbungskostenpauschbetrag = 16.489,81 DM.

12

Es können im Streitfall keine über den Werbungskostenpauschbetrag hinausgehenden höheren Werbungskosten berücksichtigt werden.

13

Die Aufwendungen des Sohnes der Klägerin stellen keine notwendigen Mehraufwendungen i.S.d. § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG dar, die einem Arbeitnehmer wegen einer aus beruflichem Anlass begründeten doppelten Haushaltsführung entstehen. Eine doppelte Haushaltsführung liegt nach § 9 Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 EStG nur vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am Beschäftigungsort wohnt. Im Streitfall unterhält der Sohn der Klägerin im Hause seiner Eltern in H. keinen eigenen Hausstand; es fehlt an der für die doppelten Haushaltsführung notwendigen Aufsplitterung der Haushalte auf zwei Standorte. Ein eigener Hausstand setzt voraus, dass dieser aus eigenem Recht (wie z.B. Eigentum, Miete) genutzt wird (Schmidt, Kommentar zum EStG, § 9 Rn. 144); der Steuerpflichtige muss sich neben der Wohnung am Beschäftigungsort an dem Unterhalt einer weiteren Wohnung persönlich oder finanziell beteiligen. Der Sohn der Klägerin verfügt an seinem früheren Wohnsitz aber nicht über ein derartiges zivilrechtliches Nutzungsrecht.

14

Die Aufwendungen können auch nicht nach den Grundsätzenüber die so genannte unechte doppelte Haushaltsführung (LStR Abschnitt 43 Abs. 5, H 43 Stichwort "Arbeitnehmer ohne eigenen Hausstand") berücksichtigt werden. Dieses Rechtsinstitut ist mangels Rechtsgrundlage nicht anzuerkennen.

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Zutreffend ist zwar, dass der BFH in der Vergangenheit über die in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG gesetzlich geregelten Fälle der doppelten Haushaltsführung hinaus auch dann Werbungskosten anerkannt hat, wenn der Steuerpflichtige nur vorübergehend einer auswärtigen Beschäftigung von verhältnismäßig kurzer Dauer nachging, den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen am bisherigen Wohnort beibehielt und voraussichtlich wieder an diesen Wohnort zurückkehrte, so dass ihm die Aufgabe seiner dortigen Wohnung nicht zumutbar war (z.B. BFH-Urteil vom 20. Dezember 1982 VI R 123/81, BFHE 137, 474, BStBl. II 1983, 269). Die Finanzverwaltung hat sich in diesen auch als unechte oder quasi doppelte Haushaltsführung bezeichneten Fällen der Meinung des Bundesfinanzhofs angeschlossen und erkennt nach diesen Rechtsgrundsätzen bis heute Aufwendungen als Werbungskosten an (LStR Abschn. 43 Abs. 5, H 43 Stichwort "Arbeitnehmer ohne eigenen Hausstand").

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Die Rechtsprechung stammt allerdings noch aus einer Zeit, als der BFH für die Anerkennung einer "echten" doppelten Haushaltsführung nach § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG voraussetzte, dass es sich bei dem Hausstand am Ort des Mittelpunkts der Lebensinteressen des Steuerpflichtigen um einen Familienhausstand handelte, so dass Ledige in der Regel nicht in den Genuss des Werbungskostenabzugs nach § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG kamen. Diese konnten damals, auch wenn sie tatsächlich zwei Wohnungen unterhielten, ihre Mehraufwendungen nur nach den Grundsätzen der sog. unechten doppelten Haushaltsführung geltend machen.

17

Die langjährige Rechtsprechung zum Erfordernis eines Familienhausstandes für die Zuerkennung einer doppelten Haushaltsführung hat der BFH mit Urteil vom 5. Oktober 1994 VI R 62/90, BFHE 175, 430, BStBl. 1995, 180 aufgegeben mit der Folge, dass die Mehrzahl der Anwendungsfälle der unechten doppelten Haushaltsführung sich nunmehr schon unter § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG subsumieren ließen. Der BFH hat deshalb mit Urteil vom 13. März 1996 VI R 103/95, BFHE 180, 139, BStBl. II 1996, 375 die Frage aufgeworfen, ob die Grundsätze der unechten doppelten Haushaltsführung fortgeführt werden können.

18

Nach Überzeugung des Gerichts kommt zumindest seit der Rechtsprechungsänderung des BFH ein Werbungskostenabzug wegen so genannter unechter doppelter Haushaltsführung nicht mehr in Betracht. Ein Werbungskostenabzug von Aufwendungen wegen unechter doppelter Haushaltsführung lässt sich weder im Wege der Analogie auf§ 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG, noch auf den allgemeinen Werbungskostenbegriff des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG stützen.

19

Eine Analogie zur "echten" doppelten Haushaltsführung des § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG scheitert an der wertungsmäßigen Vergleichbarkeit der Sachverhalte, die Voraussetzung für eine Analogie wäre. Die innere Rechtfertigung der Abziehbarkeit der Aufwendungen wegen doppelter Haushaltsführung als Werbungskosten gem. § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG liegt darin begründet, dass dem Steuerpflichten aus beruflichen Gründen Kosten für den Unterhalt zweier Wohnungen entstehen, er somit beruflich veranlasst höhere Aufwendungen zu tragen hat als ein Steuerpflichtiger, der am Beschäftigungsort wohnt und deshalb nur eine Wohnung unterhält. Nach dem Nettoprinzip ist es deshalb geboten, diese Aufwendungen zum Abzug zuzulassen. Damit nicht vergleichbar ist jedoch der Fall, dass ein zunächst bei seinen Eltern lebender jüngerer Steuerpflichtiger einen einzigen Wohnsitz am Beschäftigungsort begründet. Zu einer besonderen finanziellen Belastung durch den Unterhalt zweier Wohnungen kommt es bei ihm nicht.

20

Das Rechtsinstitut der unechten doppelten Haushaltsführung lässt sich aber auch nicht aus dem allgemeinen Werbungskostenbegriff des§ 9 Abs. 1 Satz 1 EStG ableiten. Nach Auffassung des Gerichts hat § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG konstitutive Bedeutung für den Werbungskostenabzug von Aufwendungen wegen doppelter Haushaltsführung. Die Kosten der zweiten Wohnung sind, wenn schon nicht dem Grunde, dann doch der Höhe nach, immer auch privat mitveranlasst, weil bei der Auswahl der Wohnung nach Größe, Lage und Gestaltung persönliche Motive eine Rolle spielen. Als gemischt privat-beruflich veranlasste Aufwendungen würden sie somit dem Aufteilungs- und Abzugsverbot des § 12 Nr. 1 Satz 1 EStG unterfallen, wenn nicht der Gesetzgeber konstitutiv den Abzug der Aufwendungen in § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG zugelassen hätte. Fällt nun allerdings die unechte doppelte Haushaltsführung nicht unter § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG, dann scheitert ein Werbungskostenabzug in der Tat daran, dass die Aufwendungen untrennbar privat und beruflich veranlasst sind.

21

Aber selbst wenn man das systematische Verhältnis von§§ 9 Abs. 1 Satz 1, § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG zu § 12 Nr. 1 Satz 1 EStG anders werten würde, kommt nach Überzeugung des Gerichts ein Rückgriff auf den allgemeinen Werbungskostenbegriff nicht in Betracht. Der Gesetzgeber hat Umfang und Grenzen des Werbungsabzugs der Aufwendungen wegen doppelter Haushaltsführung festgelegt. Es bedeutete eine Aushebelung seiner Definitionsmacht, wenn rechtsähnliche Arten von Aufwendungen, die vom gesetzlichen Tatbestand nicht erfasst werden, unter Hinweis auf den allgemeinen Werbungskostenbegriff dennoch anerkannt würden.

22

Im Übrigen besteht für das Rechtsinstitut der unechten doppelten Haushaltsführung seit der Rechtsprechungsänderung des BFH im Jahre 1994 letztlich weder Bedarf noch Berechtigung. Der BFH hatte Aufwendungen wegen unechter doppelter Haushaltsführung anerkannt, um Härten seiner früheren Rechtsprechung, wonach die Anerkennung einer doppelten Haushaltsführung einen Familienhaushalt voraussetzt und ledige Arbeitnehmer aus dem Kreis der Abzugsberechtigten weitgehend ausgegrenzt wurden, abzumildern. Seit der BFH an dem Erfordernis des Familienhausstandes nicht mehr festhält, kann in einer Vielzahl von Sachverhalten, die früher unter die unechte doppelte Haushaltsführung fielen, der Werbungskostenabzug inzwischen unmittelbar auf § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG gestützt werden. Die verbleibenden Fälle, die nach den LStR weiterhin der unechten doppelten Haushaltsführung unterfallen sollen, weisen aber keinen wesentlichen Unterschied zum Norm-Tatbestand auf, dass nämlich Kosten der Wohnung als Kosten der Lebensführung steuerlich nicht abzugsfähig sind. Auch der auswärts befristet eine Berufstätigkeit oder -ausbildung aufnehmende Steuerpflichtige unterhält nur eine Wohnung. Eine Mehrbelastung im Verhältnis anderen Steuerpflichten ist darin nicht zu erkennen. Angesichts der Tatsache, dass viele jüngere Menschen zu dem Zeitpunkt, wo sie erstmals eigenes Geld verdienen, den elterlichen Haushalt verlassen und sich eine eigene Wohnung suchen, bleibt in Fällen der unechten doppelten Haushaltsführung im Ungewissen, ob derjenige, der auswärts einen Ausbildungsplatz angenommen hat, nicht hypothetisch dann, wenn er an seinem Heimatort einen Ausbildungsplatz gefunden hätte, nicht auch aus dem Elternhaus ausgezogen und sich eine eigene Wohnung gesucht hätte. Kann aber derjenige, der auswärts wohnt, die Kosten seiner Wohnung steuermindernd geltend machen, wohingegen derjenige, der am Heimatort verbleibt, diese Möglichkeit nicht hat, verletzt dieses den Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, weil beide Sachverhalte nach Leistungsfähigkeitsgesichtspunkten gleich zu beurteilen sind.

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Selbst wenn man jedoch das Rechtsinstitut der unechten doppelten Haushaltsführung anerkennen würde, scheiterte ein Abzug der Aufwendungen an der Zweijahresfrist des § 9 Abs. 1 Nr. 5 Satz 3 EStG. Das Gericht teilt nicht die Meinung des FG Brandenburg, Urteil vom 18. Februar 2003 6 K 430/00, EFG 2003, 715, wonach die zeitliche Beschränkung der Abzugsfähigkeit der Aufwendungen wegen doppelter Haushaltsführung nicht auf die unechte doppelte Haushaltsführung zu übertragen sei. Es würde einen Wertungswiderspruch darstellen, wenn die Steuerpflichtigen, die berufsbedingt zwei Wohnungen unterhalten, also tatsächlich Mehraufwand gegenüber der Mehrzahl der Steuerpflichtigen tragen, diesen lediglich zeitlich befristet geltend machen könnten, Steuerpflichtige hingegen, die nur für eine Wohnung am Beschäftigungsort aufzukommen haben, bei denen der Veranlassungszusammenhang zwischen Aufwendungen und Beruf somit ein wesentlich lockererer ist, nicht der zeitlichen Beschränkung unterliegen würden.

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Da aus genannten Gründen kein Kindergeld gewährt werden kann, kann es dahin stehen, ob nicht schon deshalb von einer auf Dauer angelegten Wohnsitznahme am auswärtigen Beschäftigungsort auszugehen ist, weil der Sohn M. eine Tätigkeit als Fluggerätmechaniker nur an einem Standort der Luftfahrtindustrie und nicht in der Region seines Heimatortes ausüben kann und ob dem Werbungskostenabzug entgegensteht, dass der Vater den Mietvertrag abgeschlossen hat, es sich bei dem Aufwand folglich um nicht berücksichtigungsfähigen Drittaufwand handelt.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.