Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 20.06.2003, Az.: 1 K 382/01

Rückforderung von Kindergeld für ein Kind aus erster Ehe der Frau, wobei das Ehepaar nur nach persischem, nicht nach deutschem Recht als verheiratet gilt; Feststellungslast für die Einreichung der "Heiratsurkunde" bei Antragstellung auf Kindergeld; Kindergeldanspruch für Pflegekinder; Beschränkung des Kreises der berücksichtigungsfähigen Pflegekinder durch das Erfordernis der Beendigung des Obhuts- und Pflegeverhältnisses zu den leiblichen Eltern ; Doppelberücksichtigung des Kindes sowohl bei den Pflegeeltern als auch leiblichen Eltern im Rahmen der Kindergeldgewährung

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
20.06.2003
Aktenzeichen
1 K 382/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 17246
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2003:0620.1K382.01.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BFH - 19.04.2007 - AZ: III R 85/03

Fundstellen

  • DStR 2004, VIII Heft 24 (Kurzinformation)
  • DStRE 2004, 753-754 (Volltext mit amtl. LS)
  • EFG 2003, 1629-1630
  • IStR 2004, 63 (Kurzinformation)

Amtlicher Leitsatz

Rückforderung Kindergeld

Teleologische Reduktion des § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG, wenn mit Stiefvater in Haushaltsgemeinschaft lebende leibliche Kindesmutter aus Rechtsgründen keinen Kindergeldanspruch hat.

Redaktioneller Leitsatz

Bei einer am Gesetzeszweck orientierten einschränkenden Auslegung des § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG ist die Gewährung von Kindergeld an die Pflegeeltern nur dann ausgeschlossen, wenn der im gemeinsamen Haushalt lebende leibliche Elternteil kraft Gesetzes anspruchsberechtigt ist. Ist eine Doppelberücksichtigung des Kindes hingegen nicht möglich, weil die leiblichen Eltern aus Rechtsgründen nicht anspruchsberechtigt sind, steht das Zusammenleben mit einem leiblichen Elternteil der Gewährung von Kindergeld an den Pflegeelternteil nicht entgegen.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob die Rückforderung von Kindergeld für ein Kind aus erster Ehe der Frau rechtmäßig ist, nachdem bekannt wurde, dass der Kläger nur nach persischem, nicht nach deutschem Recht als verheiratet gilt.

2

Der Kläger, der iranischer Staatsbürger ist, lebt als sonstiger politisch Verfolgter i.S. des § 3 Asylverfahrensgesetz in Deutschland. Am 14. Oktober 1994 schloss er im islamischen Zentrum Hamburg mit Frau K. nach persischem Recht in Gegenwart von zwei Zeugen die Ehe (so genannte Handschuh-Ehe). Diese Ehe ist nach deutschen Recht nicht wirksam, der Kläger gilt insoweit als ledig.

3

Frau K. verfügt lediglich über eine Aufenthaltsbefugnis, keine Aufenthaltserlaubnis. Aus der "Ehe" mit dem Kläger entstammen zwei Kinder, die weitere Tochter Z. stammt aus einer ersten Ehe von Frau K. und lebte zunächst im Iran. Seit Juli 1998 ist sie in die Haushaltsgemeinschaft des Klägers aufgenommen.

4

Am 31. März 1998 stellte der Kläger einen Antrag auf Kindergeld für die drei Kinder seiner"Ehefrau". In dem Antragsvordruck hat der Kläger in der Zeile "Familienstand" das Kästchen "verheiratet" angekreuzt. Daraufhin gewährte der Beklagte ab Januar 1998 Kindergeld, das allerdings für den Zeitraum Februar 1998 bis Mai 1998 an das Sozialamt der Stadt H. abgezweigt wurde.

5

Am 28. August 2000 sprach Frau K. beim Beklagten vor und teilte mit, dass sie seit dem 24. August 2000 von dem Kläger getrennt lebe. Der Beklagte hob in der Folge die Kindergeldfestsetzung gegenüber dem Kläger ab September 2000 auf. Im Rahmen des sich anschließenden Schriftverkehrs, in dem es darum ging, wem der Kindergeldanspruch zustehe, teilte der Kläger mit Schreiben vom 31. Januar 2001 mit, dass er nur nach persischem Recht verheiratet sei.

6

Mit Bescheid vom 15. März 2001 hob der Beklagte die Kindergeldfestsetzung für die Tochter Z. ab Februar 1998 auf und forderte das bislang geleistete Kindergeld für den Zeitraum von Februar 1998 bis August 2000 in Höhe von insgesamt 9.300,00 DM zurück. Der gegen den Rückforderungsbescheid gerichtete Einspruch blieb ohne Erfolg.

7

Im Klageverfahren trägt der Kläger vor, er habe sich niemals Gedanken über die Frage gemacht, ob seine Ehe auch nach deutschem Recht anzuerkennen sei. Erst zum Jahreswechsel 20.00.2001 habe er von der Unwirksamkeit der Ehe erfahren. Er habe deshalb bei der Beantragung des Kindergeldes weder bewusst noch grob fahrlässig falsche Angaben gemacht. ImÜbrigen habe er bereits im März 1998 beim Beklagten die Heiratsurkunde vorgelegt, sodass der Sachbearbeiter damals von den tatsächlichen Verhältnissen Kenntnis erlangt habe. Der Kläger beruft sich insoweit auf das Zeugnis von Frau K., die zusammen mit ihm den Sachbearbeiter der Familienkasse aufgesucht habe. Zumindest für den Zeitraum Februar bis Mai 1998 bestehe keine Erstattungspflicht, weil das Kindergeld für diese Zeit an das Sozialamt der Stadt H. überwiesen worden sei.

8

Der Kläger beantragt,

den Aufhebungsbescheid des Beklagten vom 15. März 2001 und den Einspruchsbescheid vom 19. Juni 2001 aufzuheben.

9

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

10

Der Beklagte ist der Auffassung, dass das Kind Z. bei der Kindergeldfestsetzung nicht berücksichtigt werden könne, da es weder ein Kind des Klägers, noch ein Stiefkind sei. Verfahrensrechtlich sei eine Aufhebung des Kindergeldbescheides nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO möglich, weil die Tatsache, dass der Kläger nach deutschem Recht nicht verheiratet ist, erst im Jahre 2001 bekannt geworden sei.

11

Im Verlaufe des Klageverfahrens hat der Beklagte der Klage für den Zeitraum Februar bis Mai 1998 abgeholfen. Das Gericht hat das Verfahren für diesen Zeitraum nach übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Beteiligten abgetrennt und unter dem Aktenzeichen 1 K 629/01 durch Beschluss nach § 138 FGO beendet.

12

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Angestellten des Beklagten C. und F. sowie der Frau K. als Zeugen. Die Zeugen C. und F. haben erklärt, dass sie sich an den Kläger persönlich sowie an den Ablauf der Kindergeldgewährung im konkreten Fall nicht mehr erinnern könnten. Sie wiesen darauf hin, dass bei ausländischen Staatsangehörigen generell der aufenthaltsrechtliche Status überprüft werde, weil davon die Gewährung des Kindergeldes abhänge. Deshalb würden die Pässe kopiert und die gefertigten Kopien zu den Akten genommen. Hinsichtlich des Familienstandes beständen gegenüber inländischen Antragstellern keine Besonderheiten, es würde bei Ausländern ebenso wenig wie bei Deutschen überprüft, ob diese tatsächlich verheiratet seien. Die Zeugin K. hat sich dahingehend eingelassen, dass sie und der Kläger damals bei Behördengängen sämtliche ihnen vorliegenden Urkunden mitgebracht hätten, um zu vermeiden, dass sie wegen fehlender Unterlagen wieder zurückgeschickt würden.

13

Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 18. März 2003 (Kläger) und 24. März 2003 (Beklagter) auf mündliche Verhandlung verzichtet.

Entscheidungsgründe

14

Die Klage ist begründet.

15

Dem Kläger steht für den Zeitraum Juni 1998 bis August 2000 Kindergeld für die Tochter Z. zu. Der Beklagte hat deshalb zu Unrecht den Kindergeldbescheid aufgehoben und das bereits gezahlte Kindergeld zurückgefordert.

16

Das ergibt sich allerdings noch nicht, wie der Kläger meint, schon aus verfahrensrechtlichen Gründen. Dem Beklagten war im Zeitpunkt der Kindergeldgewährung im März 1998 noch nicht bekannt, dass der Kläger und Frau K. nach deutschem Zivilrecht nicht verheiratet waren. Da er von diesem Umstand erst im Jahre 2001 erfuhr, wäre er an sich verfahrensrechtlich befugt, den Kindergeldbescheid gem. § 173 Abs. 1 Nr.1 AO wegen einer nachträglich bekannt gewordenen Tatsache zu ändern. Davon ist der Senat nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme überzeugt. Die Kindergeldakte enthält keinen Anhaltspunkt dafür, dass die "Heiratsurkunde" des islamischen Zentrums Hamburg dem Beklagten bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung vorgelegt wurde. Aus den Zeugenaussagen lässt sich nichts Gegenteiliges ableiten. So leuchtet die Aussage der Zeugen C. und F. ein, dass im Hinblick auf die Regelung des § 62 Abs. 2 EStG bei Ausländern regelmäßig der ausländerrechtliche Status überprüft werde und Kopien der entsprechenden Passeintragungen zu den Akten genommen würden, hinsichtlich des familienrechtlichen Status hingegen bei Ausländern keine Besonderheiten gelten und diese Angaben genauso wenig wie bei Deutschen gesondert überprüft würden. Die Aussage der Zeugin K. widerspricht dem nicht. Zwar mag es sein, dass sie und der Kläger die"Heiratsurkunde" seinerzeit in das Arbeitsamt mitgebracht haben. Die Zeugin hat sich aber nicht dahingehend eingelassen, dass der Sachbearbeiter des Arbeitsamtes von deren Inhalt Kenntnis genommen hat bzw. hätte haben müssen. Dieses Beweisergebnis geht zu Lasten des Klägers, der die Feststellungslast dafür trägt, dass die "Heiratsurkunde" tatsächlich bei Antragstellung eingereicht wurde.

17

Der Kläger hat jedoch für das Kind Z. einen Kindergeldanspruch gem. § 62 Abs. 1, 63 Abs. 1 Nr. 1, 32 Abs. 1 Nr. 2 Einkommensteuergesetz (EStG). Danach besteht ein Kindergeldanspruch für Pflegekinder. Pflegekinder werden in § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG definiert als Personen, mit denen der Steuerpflichtige durch ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band verbunden ist, sofern er sie in seinen Haushalt aufgenommen hat und das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den Eltern nicht mehr besteht und der Steuerpflichtige sie mindestens zu einem nicht unwesentlichen Teil auf seine Kosten unterhält.

18

Im Streitfall war die Tochter Z. wie ein Familienmitglied langfristig in den Haushalt des Klägers eingegliedert, außerdem ist er für ihren Unterhalt aufgekommen. Allerdings bestand das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu Z.s Mutter, die in dem gleichen Haushalt lebte, fort, sodass nach dem Gesetzeswortlaut ein Kindergeldanspruch an sich ausgeschlossen wäre.

19

Hintergrund für die Beschränkung des Kreises der berücksichtigungsfähigen Pflegekinder durch das Erfordernis der Beendigung des Obhuts- und Pflegeverhältnisses zu den leiblichen Eltern ist nach den Gesetzesmotiven, dass eine Doppelberücksichtigung des Kindes sowohl bei den Pflegeeltern als auch leiblichen Eltern weitgehend ausgeschlossen werden soll (Bundestagsdrucksachen 10/2884 S. 102).

20

Der Streitfall weist die Besonderheit auf, dass die leibliche Mutter des Kindes Z., Frau K., durch eine andere anspruchsbeschränkende Rechtsnorm von der Gewährung von Kindergeld ausgeschlossen ist. Gem. § 62 Abs. 2 EStG hat ein Ausländer nur Anspruch auf Kindergeld, wenn er im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis ist. Frau K. verfügt jedoch nur über eine Aufenthaltsbefugnis. Das Zusammenspiel von § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG und § 62 Abs. 2 EStG würde hier dazu führen, dass nicht nur eine Doppelberücksichtigung des Kindes Z. bei Pflegevater und leiblicher Mutter ausgeschlossen wird, sondern darüber hinausgehend für Z. überhaupt kein Kindergeld gewährt werden könnte. Dieses Auslegungsergebnis erscheint ungereimt, weil Kindergeld dann zu gewähren wäre, wenn Frau K. statt im gemeinsamen Haushalt weiterhin im Iran leben würde oder aber der Kläger das Kind einer ihm ferner stehenden Person, z.B. einer Schwester von Frau K., in seinen Haushalt aufgenommen hätte. Obwohl im Streitfall ein engeres Familienleben stattfinden würde, wäre der Bezug von Kindergeld ausgeschlossen.

21

Bei einer am Gesetzeszweck orientierten einschränkenden Auslegung des § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG ist deshalb die Gewährung von Kindergeld an die Pflegeeltern nur dann ausgeschlossen, wenn der im gemeinsamen Haushalt lebende leibliche Elternteil kraft Gesetzes anspruchsberechtigt ist. Ist eine Doppelberücksichtigung des Kindes hingegen nicht möglich, weil die leiblichen Eltern aus Rechtsgründen nicht anspruchsberechtigt sind, steht das Zusammenleben mit einem leiblichen Elternteil der Gewährung von Kindergeld an den Pflegeelternteil nicht entgegen.

22

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 FGO.

23

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).