Finanzgericht Niedersachsen
Beschl. v. 13.06.2003, Az.: 13 V 131/03

Ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der so genannten "Mindestbesteuerung" gemäß § 2 Abs. 3 Satz 2 ff. EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002; Feststellung des Existenzminimums anhand der Saldierung der Einkunftsarten nach dem objektiven Nettoprinzip ; Gesetzgeberisches Ziel bei der Beschränkung des Verlustausgleichs

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
13.06.2003
Aktenzeichen
13 V 131/03
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 12824
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2003:0613.13V131.03.0A

Fundstellen

  • EFG 2003, 1316-1317
  • NWB 2003, 2367-2368

Verfahrensgegenstand

Einkommensteuer 2000 (Aussetzung der Vollziehung)

Redaktioneller Leitsatz

Es bestehen ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 2 Abs. 3 EStG soweit bei der Anwendung der Vorschrift die festgesetzte Einkommensteuer erheblich höher ist, als das vom Steuerpflichtigen nach Abzug der erwerbs- und existenzsichernden Aufwendungen im Veranlagungszeitraum Erworbene und dem Steuerpflichtigen keine Mittel zur Bestreitung des Existenzminimums verbleiben.

Gründe

1

I.

Der Antragsteller erzielte im Streitjahr positive Einkünfte aus nicht selbstständiger Arbeit in Höhe von DM 557.106 aus Gewerbebetrieb in Höhe von DM 61.141 und aus Kapitalvermögen in Höhe von DM 13.306. Die Summen der positiven Einkünfte betrug dementsprechend DM 631.553. Die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung betrugen DM 595.514. Sie entfielen auf folgende Objekte:

2

bebaute Grundstücke:

3

...

4

Grundstücksgemeinschaften:

5

...

6

Die Werbungskosten-Überschüsse der im Alleineigentum befindlichen Grundstücke resultierten aus Schuldzinsen (DM 430.621), linearer Absetzung für Abnutzung (DM 152.743) und sonstigen Kosten (DM 129.549). Es wurden keine erhöhten Absetzungen oder Sonderabschreibungen in Anspruch genommen. Welcher Anteil der gesondert und einheitlich festgestellten Verluste der Grundstücksgemeinschaften auf erhöhte Absetzungen oder Sonderabschreibungen entfallen, ist aus den Akten nicht erkennbar.

7

In dem zuletzt erlassenen Einkommensteuerbescheid 2000 vom xx.xx 2003 berücksichtigte der Antragsgegner gemäß § 2 Abs. 3 Einkommensteuergesetz (EStG) nur DM 365.777 von den geltend gemachten Verlusten. Es wurde eine Einkommensteuer von EUR 55.898,01 (DM 109.327) festgesetzt.

8

Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung wurde mit Bescheid vom xx.xx 2002 abgelehnt. Hiergegen legte der Antragsteller Einspruch ein, der im Laufe des gerichtlichen Aussetzungsverfahrens als unbegründet zurückgewiesen wurde.

9

Im gerichtliche Aussetzungsverfahren trägt der Antragsteller vor, dass die Verlustausgleichsbeschränkung nach einem Beschluss des FG Berlin jedenfalls dann verfassungswidrig sei, wenn es sich um echte Verluste handele, die aus der Anlaufphase einer unternehmerischen Betätigung resultieren würden. Im Fall des Antragstellers gehe es ebenfalls um Anlaufverluste, die zugleich Liquiditätsverluste bedeutet hätten und eine Minderung der Leistungsfähigkeit im Jahre 2000 hätten eintreten lassen. Eine Verlustverrechnung in einem späteren Veranlagungszeitraum berücksichtige diese Minderung der Leistungsfähigkeit nicht. Daher verstoße § 2 Abs. 3 EStG gegen den Verfassungsgrundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit.

10

Der Antragsteller beantragt,

den Einkommensteuerbescheid 2000 vom xx.xx 2002 in vollem Umfang von der Vollziehung auszusetzen, gemäß § 69 Finanzgerichtsordnung (FGO), da ernstliche Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit bestehen.

11

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

12

Der Antragsgegner verweist auf die Begründung in dem Einspruchsbescheid vom xx.xx.2003. Entgegen den Ausführungen des Antragstellers handele es sich nicht um Verluste aus der Anlaufphase einer unternehmerischen Betätigung, sondern um Verluste aus Vermietungsobjekten, die schon jahrelang im Eigentum des Antragstellers stehen und jahrelang Verluste abwerfen würden. Ein erheblicher Teil der Verluste entfalle auf Buchverluste in Form von Abschreibungen. Daher sei der Fall mit dem Sachverhalt vergleichbar, der dem Beschluss des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 9. Mai 2001 (XI B 151/00, BStBl II 2001, 552) zu Grunde lag.

13

Zwar scheine viel dafür zu sprechen, dass die uneingeschränkte Berücksichtigung positiver und negativer Einkünfte als Gebot der Gleichbehandlung anzusehen seien. Gleichwohl blieben Sonderregelungen möglich, wenn dafür sachliche Gründe bestehen würden. Für den Systemwechsel zur"Mindestbesteuerung" gebe es einleuchtende sachliche Gründe. In Zeiten notwendiger Haushaltssanierung sei schon der Versuch, aktuelle Steuerausfälle zu begrenzen ein legitimes Anliegen."Fiktive" Verluste, die durch Steuervergünstigungen oder die Ausnutzung von Schlupflöchern entstanden seien, bräuchten nicht berücksichtigt werden, weil sie die Leistungsfähigkeit nicht real minderten. Die übermäßige Inanspruchnahme von Steuervergünstigungen stelle eher einen Missbrauch dar, dessen Bekämpfung als gesetzliches Ziel sachlich gerechtfertigt sei.

14

Der Gesetzgeber setze sich auch nicht in Widerspruch zu übrigen Entscheidungen. Denn der Verlust wirke sich steuerlich aus. § 2 Abs. 3 EStG und § 10 d EStG würden die Verluste nicht aberkennen, sondern nur in andere Veranlagungszeiträume verlagern. Hinsichtlich der gesetzlichen Umsetzung des gesetzgeberischen Ziels müssten die Steuerpflichtigen gewisse Nivellierungen oder sachlich ungerechtfertigte Differenzierungen durch gesetzliche Verallgemeinerungen, Typisierungen und Pauschalierungen hinnehmen. Mit einigen Einschränkungen sei § 2 Abs. 3 EStG geeignet, den von dem Gesetzgeber gewünschten Erfolg herbeizuführen. Zwar sei die Beschränkung des vertikalen Verlustausgleichs nicht zuverlässig trennscharf, so dass die Gefahr bestehe, dass Personen von der Mindestbesteuerung betroffen seien, die echte Verluste erlitten hätten. Eine trennschärfere gesetzliche Regelung wäre aber administrativ nicht umsetzbar gewesen.

15

Die relativ moderaten Rechtsfolgen der "Mindestbesteuerung" könnten sogar dann hingenommen werden, wenn der Steuerpflichtige echte Verluste erleide. Denn in einer periodenübergreifenden Betrachtungsweise würden sich auch diese Steuerpflichtigen als hinreichend leistungsfähig erweisen, in einer verlustreichen Periode einmal Steuern zu entrichten. Diese Belastung werde durch die zeitliche Verlagerung der Verluste und die daraus resultierende sinkende Gesamtbelastung gemildert.

16

II.

Der Antrag hat Erfolg.

17

1.

Die Aussetzung der Vollziehung soll gemäß § 69 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 zweiter Halbsatz FGO erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

18

a)

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bestehen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes sprechende Gründe zu Tage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatsachen bewirken (vgl. Beschlüsse des BFH vom 10. Februar 1984 III B 40/83, BStBl II 1984, 454 und vom 30. Dezember 1996 I B 61/96, BStBl II 1997, 466). Ernstliche Zweifel können auch Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit einer dem angefochtenen Bescheid zu Grunde liegenden Norm begründen (BFH-Beschluss vom 5. März 2001 IX B 90/00, BStBl II 2001, 405). Solche Umstände sind im vorliegenden Fall gegeben.

19

b)

Es bestehen ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 2 Abs. 3 EStG, soweit die Anwendung der Norm dazu führen kann, dass die festgesetzte Einkommensteuer erheblich höher ist, als das vom Steuerpflichtigen nach Abzug der erwerbs- und existenzsichernden Aufwendungen im Veranlagungszeitraum Erworbene.

20

Dem Steuerpflichtigen muss von seinem Erworbenen zumindest soviel steuerfrei belassen werden, wie er zur Bestreitung seines notwendigen Lebensunterhalts benötigt (sog. Existenzminimum). Der existenznotwendige Bedarf bildet von verfassungs wegen die Untergrenze für den Zugriff durch die Einkommensteuer (sog. subjektives Nettoprinzip) (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 25. September 1992 2 BvL 5/91, 2 BvL 8/91, 2 BvL 14/91, BStBl II 1993, 413; Beschluss des BVerfG vom 10. November 1998 2 BvL 42/93, BStBl II 1999, 174).

21

Nach der Rechtsprechung des BFH lässt sich die Feststellung des Existenzminimums nur anhand der Saldierung der Einkunftsarten nach dem objektiven Nettoprinzip ermitteln. Der BFH neigt dazu, dass dem Steuerpflichtigen von seinem Erworbenen in jedem Veranlagungszeitraum das für seinen Lebensunterhalt tatsächlich und unabweisbar Benötigte steuerfrei belassen bleiben muss. Dementsprechend hat es der BFH als ernstlich zweifelhaft bezeichnet, ob eine Verletzung des subjektiven Nettoprinzips durch die "Mindestbesteuerung" hinnehmbar ist, wenn dem Steuerpflichtigen aus dem Gesamtergebnis der steuerrelevanten Tätigkeit tatsächlich keine Mittel zur Bestreitung des Existenzminimums verbleiben (BFH-Beschlüsse vom 6. März 2003 XI B 7/02 und XI B 76/02, Der Betrieb 2003, S. 1149 und S. 1151).

22

Diese ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 2 Abs. 3 EStG bestehen nicht nur, wenn nach der Saldierung der Einkunftsarten keine Mittel für den Lebensunterhalt verbleiben, sondern auch, wenn die festgesetzte Einkommensteuer die eigentlich vorhandenen Mittel für den Lebensunterhalt vollständig aufbraucht. Im vorliegenden Fall betrug der Gesamtbetrag der Einkünfte ohne Anwendung des § 2 Abs. 3 EStG DM 36.039. Die festgesetzte Einkommensteuer betrug DM 109.327. Zwar verblieb dem Antragsteller unter Berücksichtigung des objektiven Nettoprinzips zunächst mehr, als das verfassungsrechtlich besonders geschützte Existenzminimum verlangt. Durch die Anwendung des § 2 Abs. 3 EStG ist die festgesetzte Einkommensteuer aber derartig hoch, dass das existenziell Benötigte für die Zahlung der Steuer verwendet werden muss. Ist das Existenzminimum von verfassungs wegen steuerfrei zu stellen, ist es ernstlich zweifelhaft, ob es dem Staat verfassungsrechtlich erlaubt ist, eine Einkommensteuer festzusetzen, die wesentlich höher ist, als derjenige Betrag, der dem Steuerpflichtigen nach Abzug der erwerbs- und existenzsichernden Aufwendungen von dem Erworbenen verbleibt.

23

Insoweit stellt sich auch die Frage eines Verstoßes gegen Art. 14 Grundgesetz (GG). Zwar berührt die Steuerpflicht die Eigentumsgarantie nur ausnahmsweise, wenn die Belastung über jedes Maß ansteigt und damit zu einer Existenzgefährdung (Erdrosselung) führen würde (BVerfG-Beschluss vom 31. Mai 1990 2 BvL 12, 13/88, 2 BvR 1436/87, BVerfGE 82, 159 [190]; BFH-Urteil vom 11. August 1999 XI R 77/97, BStBl II 1999, 771). Gerade dies ist bei der gebotenen summarischen Prüfung aber zu bejahen, wenn die festgesetzte Einkommensteuer den Betrag des Erworbenen nach Abzug der erwerbs- und existenzsichernden Aufwendungen bei Weitem übersteigt (vgl. Beschluss des FG Münster vom 7. November 2002 8 V 4220/02 E, juris; Hergarten, Deutsches Steuerrecht 2001, S. 1876 [1877]). Denn insoweit findet eine Sollbesteuerung statt, die mit dem Gedanken der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit nicht vereinbar ist (Hallerbach, Finanz-Rundschau 2001, S. 781; Stapperfend, Finanz-Rundschau 2001, S. 783).

24

Hierbei ist der Senat zusammen mit dem BFH der Auffassung, dass zumindest zur Bestimmung des Existenzminimums das objektive Nettoprinzip zwingend zur Anwendung kommen muss. Da der Steuerpflichtigeökonomisch gesehen nur in dem Umfang zahlungsfähig ist, soweit ihm nach Abzug aller Mittelabflüsse noch positive Einkünfte verbleiben, darf zumindest für die Bestimmung des Existenzminimums nicht auf eine gesetzlich fingierte höhere Leistungsfähigkeit abgestellt werden (Stapperfend, Finanz-Rundschau 2000, 1208; a.A. wohl Palm, Deutsches Steuerrecht 2002, S. 152 [160]).

25

Im vorliegenden Fall beruhten die Verluste weitgehend auf tatsächlichen Mittelabflüssen. Für die Objekte, die im Alleineigentum des Antragstellers standen, hat der Antragsteller Schuldzinsen in Höhe von DM 430.621 und sonstige Kosten in Höhe von DM 129.549 geltend gemacht. Die Absetzungen für Abnutzung betrugen demgegenüber nur DM 152.743. Hinzu kommt, dass nur lineare Abschreibungen geltend gemacht wurden, also keine Sonderabschreibungen oder erhöhte Absetzungen in Anspruch genommen worden sind. Zwar lässt sich aus den vorliegenden Akten nicht die Verteilung der Aufwendungen in den Grundstücksgemeinschaften erkennen. Doch die Objekte der Grundstücksgemeinschaften befanden sich offenbar alle in H, so dass zumindest Abschreibungen nach dem FördG nicht in Anspruch genommen worden sind. Zudem wiesen zwei der GrundstücksgemeinschaftenÜberschüsse aus. Angesichts dieser Feststellungen ist der Antragsteller nicht als "Abschreibungskünstler" anzusehen, der sich durch die Beteiligung an Abschreibungsmodellen der Besteuerung zu entziehen sucht. Allein die Geltendmachung der normalen linearen AfA rechtfertigt es noch nicht, die Aufwendungen als"unechte" Verluste zu qualifizieren (vgl. Beschluss des FG Münster vom 15. November 2000 4 V 1612/00 E, 4 V 1617/00 E, EFG 2001, 77; Beschluss des FG Münster vom 7. November 2002 8 V 4220/02 E, juris; Kohlhaas, Betriebs-Berater 2002, S. 2527 [2530]).

26

c)

Der Senat hat zudem ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 2 Abs. 3 EStG, soweit durch die Vorschrift der vertikale Verlustausgleich auch für Verluste beschränkt wird, durch die der Steuerpflichtige - wie hier - wegen des Mittelabflusses in seiner Leistungsfähigkeit tatsächlich beeinträchtigt wird (vgl. Holdorf, Betriebs-Berater 2001, S. 2085 [2089]; Kohlhaas, Deutsches Steuerrecht 2002, S. 1250 [1253]).

27

Zwar hat der BFH in seinem Beschluss vom 9. Mai 2001 (XI B 151/00, BStBl II 2001, 552) ausgeführt, dass § 2 Abs. 3 EStG nicht gegen das objektive Nettoprinzip verstoße, weil die Vorschrift die Abziehbarkeit der entstandenen Verluste nicht in Frage stelle, sondern nur in andere Veranlagungszeiträume verschiebe. Diese Auffassung hat der BFH in seinen Beschlüssen vom 6. März 2003 (XI B 7/02 und XI B 76/02, Der Betrieb 2003, S. 1149 und S. 1151) noch einmal bestätigt. Er hat aber ausdrücklich offen gelassen, ob der Gesetzgeber verpflichtet gewesen sei, zwischen "echten" Verlusten und Verlusten, die insbesondere aus der Inanspruchnahme von Sonderabschreibungen entstehen würden, zu unterscheiden (BFH-Beschluss vom 9. Mai 2001 XI B 151/00, BStBl II 2001, 552 unter II. 3. c. der Entscheidungsgründe).

28

Es mag sein, dass der Gesetzgeber einschränkende Verlustausgleichsregelungen vorsehen kann, um die bewusste und planvolle Inanspruchnahme von Sonderabschreibungen einzuschränken. Denn die Leistungsfähigkeit wird normativ, nicht faktisch bestimmt. Sie ist Ausdruck einer fairen Belastungssymmetrie (BFH-Beschluss vom 9. Mai 2001 XI B 151/00, BStBl II 2001, 552). Die faire Belastungssymmetrie fordert aber auch, dass eine gesetzliche Regelung nicht derartig ungenau wirkt, dass Steuerpflichtige in großem Umfang und mit erheblichen steuerlichen Auswirkungen von der Norm"versehentlich" miterfasst werden, obwohl deren Leistungsfähigkeit auf Grund realer Abflüsse tatsächlich gemindert ist. Zwar steht dem Gesetzgeber innerhalb eines weiten Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum die Befugnis zu, sich typisierender, generalisierender und pauschalierender Regelungen zu bedienen (BVerfG-Urteil vom 10. April 1997 2 BvL 77/92, BVerfGE 96, 1; BVerfG-Urteil vom 7. Dezember 1999 2 BvR 301/98, BStBl II 2000, 162). Dem gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum sind aber umso engere Grenzen gesetzt, je stärker sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirkt (BVerfG-Beschluss vom 14. Dezember 1994 1 BvR 182/90, BVerfGE 91, 346). Für die Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips, das der Belastungsgleichheit aller Steuerpflichtigen dient, bedarf es daher besonderer sachlicher Rechtfertigungsgründe (BVerfG-Beschluss vom 30. September 1998 2 BvR 1818/91, BVerfGE 99, 88; vgl. auch Raupach/Böckstiegel, Finanz-Rundschau 1999, S. 617 [621]).

29

Die insoweit in Frage kommenden Rechtfertigungsgründe greifen jeweils nicht durch, wenn die Verluste real entstanden sind und sich damit die Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen tatsächlich gemindert hat. Das gesetzgeberische Ziel bei der Beschränkung des Verlustausgleichs bestand darin, die Verrechnung von aktiven Einkünften mit Abschreibungsmodellen zu verhindern. Eine Einbeziehung "echter" Verluste war dabei offensichtlich zunächst nicht gewollt (vgl. Beschluss des FG Berlin vom 4. März 2002 6 B 6333/01, EFG 2002, 597 unter Hinweis auf den ursprünglichen Entwurf des StEntlG 1999/2000/ 2002; Kohlhaas, Deutsches Steuerrecht 2002, S. 1250 [1252]). Die Missbrauchsbekämpfung und der Wille zur Verhinderung von Fehlentwicklungen kann in den Fällen"echter" Verluste keinen Rechtfertigungsgrund für die"Mindestbesteuerung" darstellen, da gar keine "übermäßige" Inanspruchnahme von Steuervergünstigungen vorliegt. Allein das Interesse des Staates an einer geordneten Haushaltsführung rechtfertigt es nicht, den grundsätzlich verfassungsrechtlich gebotenen Abzug von tatsächlich abgeflossenen erwerbssichernden Aufwendungen zu verweigern. Da die "Miterfassung" von "echten" Verlusten im Rahmen der"Mindestbesteuerung" sachlich nicht gerechtfertigt ist, durfte der Gesetzgeber keine Regelung wählen, die ohne Unterscheidung auch Fälle echter Leistungsfähigkeitsminderung erfasst. Im Hinblick auf das gesetzgeberische Ziel, die Verluste von "Abschreibungskünstlern" nicht mehr vollständig anzuerkennen, ist § 2 Abs. 3 EStG nicht hinreichend trennscharf und damit ungeeignet (Raupach/Böckstiegel, Finanz-Rundschau 1999, 617 [621], vgl. auch Altfelder, Der Betrieb 2001, S. 350 [353 f.], der aber die daraus entstehenden Unbilligkeiten nach §§ 163, 227 AO lösen will). Daraus resultieren ernstliche Zweifel, ob insoweit ein Verstoß gegen das objektive Nettoprinzip vorliegt.

30

2.

Die Interessenabwägung zwischen der einer Aussetzung der Vollziehung entgegenstehenden konkreten Gefährdung der öffentlichen Haushaltsführung und den für eine Aussetzung der Vollziehung sprechenden individuellen Interessen des Steuerpflichtigen führt zur Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes. Es ist anerkannt, dass ein Vorrang des Individualanspruchs auf vorläufigen Rechtsschutz vor dem Interesse des Staates an dem Vollzug des förmlichen Gesetzes besteht, wenn das zu versteuernde Einkommen abzüglich der darauf zu entrichtenden Steuer unter dem sozialhilferechtlich garantierten Existenzminimum liegt (BFH-Beschluss vom 25. Juli 1991 III B 555/90, BStBl II 1991, 876; BFH-Beschluss vom 19. August 1994 X B 318 - 319/93, BFH/NV 1995, 143). Das ist hier - wie bereits ausgeführt - gegeben.

31

3.

Der Einkommensteuerbescheid 2000 ist in Höhe der festgesetzten Abschlusszahlung auszusetzen, da der streitbefangene Steuerbetrag größer ist als die Abschlusszahlung (vgl. § 69 Abs. 2 Satz 8 FGO).

32

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

33

IV.

Die Beschwerde war gemäß § 128 Abs. 3 Satz 1 und 2 FGO in Verbindung mit § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.