Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 19.05.2005, Az.: 3 A 354/03
Abriegelung; Absperrmaßnahmen; Ausgangssperre; Auskunftsanspruch; Blockade; Castor; Castortransport; Castortransportstrecke; Daten; Datenschutz; Freiheitsbeschränkung; Freiheitsentziehung; Gefahr; Ingewahrsamnahme; konkrete Gefahr; personenbezogene Daten; Polizeisperre; Sitzblockade; Sperrung; Straßensperrung; Verhältnismäßigkeitsgrundsatz; Versammlungsfreiheit; Zufahrtsstrecke; Zufahrtsweg
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 19.05.2005
- Aktenzeichen
- 3 A 354/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 50697
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- Art 104 GG
- § 19 GefAbwG ND
- § 19 SOG ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Eine Ingewahrsamnahme nach dem NGefAG/Nds.SOG ist eine Freiheitsentziehung i.S.d. Art. 104 Abs. 2 GG und nicht eine bloße Freiheitsbeschränkung i.S.d. Art. 104 Abs. 1 GG.
2. Die vollständige Abriegelung eines Ortes durch Polizeikräfte, von der auch zahlreiche Nichtstörer betroffen sind, kann im Einzelfall gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoßen.
3. Es besteht ein Anspruch auf Auskunft über den Verbleib der bei einem Polizeieinsatz gewonnenen Daten als Annex zu dem hierauf aufbauenden Löschungsanspruch.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass die Abriegelung des Ortes ... in der Nacht vom 11. zum 12. November 2003 durch Polizeikräfte der Beklagten rechtswidrig gewesen ist. Die Klägerin verlangt ferner Auskunft über den Verbleib der über sie erhobenen Daten.
Nachdem es am Nachmittag und am Abend des 11. November 2003 zu Blockaden der Castortransportstrecke durch Castorgegner in Nachbarorten westlich von ... gekommen war, sich in ... selbst am Abend des 11. November 2003 nach Einschätzung der Polizei ca. 500 auswärtige Personen aufhielten und die Einsatzleitung der Polizei befürchtete, dass es auch in ... oder anderen Orten zu einer Blockade der Transportstrecke durch die in ... anwesenden Personen kommen könnte, ordnete diese am 11. November 2003 um 23.53 Uhr an, dass an allen Zufahrtswegen und Zufahrtsstraßen nach ... am jeweiligen Ortsrand durch Einsatzkräfte der Polizei Absperrungen eingerichtet wurden, an denen das Verlassen der Ortschaft ... unterbunden wurde. Diese Anordnung wurde um 5.09 Uhr wieder aufgehoben. Außerdem wurden auch im Ort ... im Bereich der Straße Steindamm Polizeisperren errichtet.
Die Klägerin wohnt nicht in .... Sie hielt sich aber in der Nacht vom 11. zum 12. November 2003 dort auf.
Die Klägerin hat am 12. Dezember 2003 Klage erhoben.
Sie macht geltend, durch die rings um die Ortschaft ... eingerichteten Polizeisperren an einem Verlassen des Ortes gehindert worden zu sein. Auch zwischen den einzelnen Absperrpunkten sei ein Verlassen der Ortschaft nicht möglich gewesen, weil die Felder ausgeleuchtet worden seien - auch von Hubschraubern mit Suchscheinwerfern - und auf den Feldern Polizeibeamte in kleineren Gruppen patrouilliert und Personen kontrolliert und aufgegriffen hätten, die über die Felder ... hätten verlassen wollen. Sie sei durch die angefochtenen polizeilichen Maßnahmen in ihren Grundrechten erheblich verletzt worden.
Die Klägerin beantragt
festzustellen, dass die polizeilichen Maßnahmen gegen die Klägerin am 12. November 2003, insbesondere die Einkesselung des Dorfes ... verbunden mit einer Ausgangssperre ab ca. 0.30 Uhr bis ca. 5.30 Uhr, rechtswidrig gewesen sind,
die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Auskunft darüber zu erteilen, ob und welche personenbezogenen Daten der Klägerin einschließlich Bilddateien die Beklagte gespeichert hat, in welchen Dateien die Beklagte diese Daten gespeichert hat und an welche deutschen und internationalen Behörden, Ämter und Polizeidienststellen die Beklagte Daten weitergeleitet hat,
hilfsweise
zum Beweis der Tatsache,
a) dass die befürchteten „150 gewaltbereiten Autonomen“ trotz intensiver Suche bis ca. 1.00 Uhr weder in Grippel noch in ... aufgefunden wurden,
b) dass als milderes Mittel auch beim Castortransport im November 2003 gegenüber der Einkesselung und Absperrung der Dörfer Grippel und ... einfache Räum- und Absperrmaßnahmen entlang der Straßentransportstrecke möglich und erfolgversprechend gewesen wären, und dies auch im November 2004 erfolgreich war, Beweis zu erheben gemäß dem eingereichten Antrag im Schriftsatz vom 19. Mai 2005.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass eine schwerwiegende Grundrechtsbeeinträchtigung im Falle der Klägerin nicht vorliege und sie deshalb kein Feststellungsinteresse habe. Darüber hinaus sei die Klage unbegründet. Angesichts der Erfahrungen aus den Jahren 2001 und 2002, in denen es ebenfalls zu Blockaden der Transportstrecke in ... gekommen sei, der am 11. November 2003 in Gusborn und Grippel stattgefundenen Blockaden und weiterer Indizien habe die konkrete Gefahr bestanden, dass es auch im Jahr 2003 zu einer Blockade der Transportstrecke in ... hätte kommen können. Außerdem habe die Gefahr bestanden, dass die Castorgegner, die sich zu diesem Zeitpunkt in ... aufgehalten hätten, sich zu der Sitzblockade in Grippel begeben oder an einem anderen Ort der Transportstrecke eine solche Blockade durchgeführt hätten. Dies sei im Jahr 2002 geschehen, als eine größere Menschenmenge den Ort ... über den Kreuzweg und den Dünscher Weg verlassen habe und zur Transportstrecke gelangt sei, wo sie dann in Gewahrsam habe genommen werden müssen. In ... hätten sich am Abend des 11. November 2003 ca. 500 Personen aufgehalten, darunter ca. 50 bis 100 gewaltbereite Störer. Aus diesen Gründen sei am 11. November 2003 um 23:53 Uhr die Errichtung der Absperrungen angeordnet worden. Ein milderes Mittel habe insoweit nicht zur Verfügung gestanden. Eine Räumung der Ortschaft ... hinsichtlich der Personen, die dort nicht wohnhaft gewesen seien, sei nicht in Betracht gekommen. Erfahrungen aus den Vorjahren hätten gezeigt, dass bis zur Bildung einer Sitzblockade sich die Teilnehmer häufig in den Wohnhäusern oder deren Nebengebäuden aufhielten. Deshalb hätte im Falle einer Räumung eine Vielzahl von Wohnungen und Nebengebäuden betreten werden müssen. In diesen Fällen hätte in das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung eingegriffen werden müssen. Ferner sei auf Grund der vorliegenden Erfahrungen davon auszugehen gewesen, dass die von einem Platzverweis betroffenen Personen an anderer Stelle eine Sitzblockade auf der Transportstrecke initiiert hätten. Es hätten nicht genügend Einsatzkräfte zur Verfügung gestanden, dies zu verhindern. Eine Ingewahrsamnahme der sich in ... aufhaltenden Personen wäre ebenfalls nicht in Betracht gekommen, da hierfür zum einen nicht eine ausreichende Zahl an Einsatzkräften zur Verfügung gestanden habe und dies zum anderen mit intensiven Eingriffen in die Freiheit der betroffenen Personen verbunden gewesen wäre. Bei der hier getroffenen Maßnahme sei die Bewegungsfreiheit innerhalb von ... nicht eingeschränkt worden. So sei es trotz der Einrichtung der Absperrung auf dem Steindamm möglich gewesen, sich über einen Umweg vom Kreuzweg aus über die Dorfstraße zum Tagungshaus zu begeben. Weiterhin sei Personen, die sich auf dem Steindamm in Richtung Norden hätten begeben wollen, im Falle eines berechtigten Interesses dies (in Polizeibegleitung) ermöglicht worden. Personenbewegungen in Richtung Süden, also in Richtung Musenpalast, seien jederzeit ungehindert gewährleistet gewesen. Der Einsatz auf dem Steindamm zwischen Kreuzweg und Dorfstraße sei bis 1:45 Uhr aufrecht erhalten worden. Die Absperrung des Ortes ... hätte bis 5.09 Uhr aufrechterhalten werden müssen, weil es beim Castortransport zu Verzögerungen gekommen sei. Der Ort ... sei jedoch nicht vollständig abgeriegelt gewesen, da zwischen den einzelnen Absperrpunkten ein Verlassen der Ortschaft möglich gewesen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang teilweise Erfolg.
I. Soweit die Klägerin die Feststellung begehrt, dass die am 11. November 2003 um 23.53 Uhr angeordnete und am 12. November 2003 um 5.09 Uhr aufgehobene Errichtung von Absperrungen an allen Zufahrtswegen und Zufahrtsstraßen nach ... am jeweiligen Ortsrand, mit denen das Verlassen der Ortschaft ... unterbunden worden ist, rechtswidrig gewesen ist, hat dieses Klagebegehren in vollem Umfang Erfolg.
1. Die Klage ist insoweit zulässig.
Das für die hier vorliegende Fortsetzungs-/ Feststellungsklage (die Frage, ob diese Klage als einen Verwaltungsakt voraussetzende Fortsetzungsfeststellungsklage oder als schlichte Feststellungsklage einzuordnen ist, kann offen bleiben) erforderliche Feststellungsinteresse ist gegeben.
Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG enthält ein Grundrecht auf wirksamen und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt. Der Einzelne soll staatliche Eingriffe nicht ohne gerichtliche Prüfung ertragen müssen. Indessen begründet nicht jeder Eingriff in Grundrechte ein Feststellungs-/ Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Ein solches Interesse besteht dann, wenn die angegriffene Maßnahme Grundrechte schwer beeinträchtigt, die Gefahr einer Wiederholung besteht oder wenn aus Gründen der Rehabilitierung ein rechtlich anerkennenswertes Interesse an der Klärung der Rechtmäßigkeit angenommen werden kann (BVerfG, Beschl. v. 3.3.2004 - 1 BvR 461/03 -).
Hier ergibt sich das Feststellungsinteresse aus dem Gesichtspunkt der schwerwiegenden Grundrechtsbeeinträchtigung.
Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG ist aber nach den eigenen Angaben der Klägerin nicht betroffen. Denn die Klägerin hat nicht vorgetragen, in ... an einer Versammlung teilgenommen (die Harry Potter - Vorlesung im Musenpalast ist unter keinem Gesichtspunkt eine unter den Schutzbereich des Art. 8 GG fallende Versammlung gewesen, da das Vorlesen aus einem solchen Buch der bloßen Unterhaltung dient und keine Kundgabe einer Meinung darstellt) oder beabsichtigt zu haben, in dem hier verfahrensgegenständlichen Zeitraum in der Nacht vom 11. zum 12. November 2003 Versammlungen durchzuführen, und hieran durch die verfahrensgegenständlichen Polizeisperren oder andere polizeiliche Maßnahmen gehindert worden zu sein.
Die Klägerin ist jedoch durch die rings um die Ortschaft ... eingerichteten Polizeisperren an einem Verlassen des Ortes gehindert worden, wie sie in der Begründung ihrer Klage nachvollziehbar und glaubhaft geschildert hat. Es bestehen keine Gründe, an diesen Angaben zu zweifeln. Auch nach den eigenen Angaben der Beklagten in dem Schriftsatz vom 22. Dezember 2004 und in der mündlichen Verhandlung sind an allen Zufahrtsstraßen und Zufahrtwegen Polizeisperren errichtet worden, an denen jedenfalls das Verlassen der Ortschaft ... unterbunden worden ist. Zwar hat die Beklagte weiter angegeben, dass zwischen den Absperrpunkten ein Verlassen der Ortschaft möglich gewesen sei, was von der Klägerin unter Hinweis darauf bestritten worden ist, dass die Felder ausgeleuchtet gewesen seien - auch von Hubschraubern mit Suchscheinwerfern - und auf den Feldern Polizeibeamte in kleineren Gruppen patrouilliert und Personen kontrolliert und aufgegriffen hätten, die über die Felder ... hätten verlassen wollen. Dies ändert jedenfalls nichts an der tatsächlichen Abriegelung des Ortes ... in der Zeit von 23.53 Uhr (Zeitpunkt des Erlasses des entsprechenden Einsatzbefehls) bis 5.09 Uhr (Aufhebung der Absperrungsmaßnahmen). Denn gerade in den Nachtstunden wird normalerweise niemand den Ort „querfeldein“ über Gärten von Privathäusern, (in dieser Jahreszeit regelmäßig matschige) Äcker und (eingezäunte, nasse und möglicherweise noch viehbestandene) Wiesen verlassen haben. Wer - wie die Klägerin - den Ort auf normalem Wege verlassen wollte, war hieran durch die eingerichteten Polizeisperren in dem genannten Zeitraum gehindert.
Folge dieser Polizeisperren ist gewesen, dass die körperliche Bewegungsfreiheit der Klägerin über mehrere Stunden hinweg auf einen begrenzten Raum (Ortschaft ...) beschränkt und damit die in Art. 2 Satz 2 GG geschützte Freiheit der Person eingeschränkt worden ist (vgl. hierzu Jarass/Pieroth, GG, Komm., 6. Aufl. 2002, Art. 2 Rdnrn. 84 ff.). Die Einschränkung der persönlichen Bewegungsfreiheit über einen solch langen Zeitraum stellt einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff dar, der das Feststellungsinteresse begründet.
2. Die Klage ist insoweit auch begründet.
Die Einrichtung von Absperrungen durch die Polizei rings um ... in der Nacht vom 11. zum 12. November 2003, die keine Ingewahrsamnahme darstellt (a), ist rechtswidrig gewesen. Es hat zwar eine Gefahr bestanden, die ein Einschreiten der Polizei gerechtfertigt hat (b). Die angeordnete umfassende Abriegelung des Ortes ... hat jedoch gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip verstoßen (c).
Nach den insoweit übereinstimmenden Angaben der Klägerin und der Beklagten sind an allen Zufahrtwegen und Zufahrtsstraßen nach ... am jeweiligen Ortsrand durch Einsatzkräfte der Polizei Absperrungen errichtet und ist an diesen Absperrungen das Verlassen der Ortschaft ... unterbunden worden.
a) Bei diesen rings um ... eingerichteten Polizeisperren hat es sich nicht um eine Ingewahrsamnahme nach dem (im November 2003 noch geltenden) NGefAG, für deren Überprüfung gem. § 19 Abs. 3 NGefAG das Amtsgericht zuständig ist, gehandelt.
Eine Ingewahrsamnahme nach dem NGefAG ist eine Freiheitsentziehung i.S.d. Art. 104 Abs. 2 GG und nicht eine bloße Freiheitsbeschränkung i.S.d. Art. 104 Abs. 1 GG (Saipa, Nds. SOG, Kommentar, Stand: Dezember 2004, § 18 Rdnr. 2). Eine Freiheitsentziehung liegt dann vor, wenn jemand gegen oder ohne seinen Willen durch die öffentliche Gewalt an einem bestimmten, eng umgrenzten Ort fest gehalten wird (Maunz-Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Stand: Februar 2004, Art. 104 Rdnr. 6). Die Voraussetzung des eng umgrenzten Ortes ist nicht mehr gegeben, wenn jemand eine Stadt oder einen Stadtteil nicht verlassen darf (Maunz-Dürig, a.a.O., Art. 104 Rdnr. 7). Bei einer Ingewahrsamnahme wird mithin eine bestimmte Person oder ein bestimmter Personenkreis in einem räumlich eng umgrenzten Bereich und in der Regel zu den in den §§ 13 Abs. 2 Satz 2 (Identitätsfeststellung), 16 Abs. 3 (Durchsetzung einer Vorladung) oder 18 NGefAG (z. B. Verhinderung einer Straftat) festgelegten besonderen Zwecken „festgesetzt“ und diese Person oder dieser Personenkreis auf diese Weise gehindert, sich fortzubewegen (vgl. auch Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 3. Aufl. 2001, Abschnitt F Rdnr. 483, S. 445).
Bei den hier eingerichteten Polizeisperren ist es hingegen um die Verhinderung einer allgemeinen Gefahr für die öffentliche Sicherheit (Verhinderung einer Blockade der Transportstrecke) im Sinne des § 11 NGefAG gegangen. Es sollte mit diesen Polizeisperren nicht ein bestimmter Personenkreis zu den in §§ 13 Abs. 2 Satz 2, 16 Abs. 3 oder 18 NGefAG bestimmten besonderen Zwecken „festgesetzt", sondern verhindert werden, dass eine unbestimmte Personenzahl, einen bestimmten, aber räumlich ausgedehnten und mithin nicht eng umgrenzten örtlichen Bereich (Ortschaft ...) verlässt.
Es hat sich daher bei der Abriegelung des Ortes ... nicht um eine Ingewahrsamnahme im Sinne einer Freiheitsentziehung gehandelt, sondern um eine (bloße) Freiheitsbeschränkung, die gem. Art. 104 Abs. 1 GG nicht dem Richtervorbehalt unterliegt.
Da die Voraussetzungen des § 14 NGefAG ersichtlich nicht und keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Polizeisperren als Kontrollstellen gemäß dieser Vorschrift eingerichtet worden sind (es ist lediglich der Durchgang verwehrt und keine Kontrollen durchgeführt worden), und auch nichts dafür ersichtlich ist, dass neben der Errichtung von Kontrollstellen nach § 14 NGefAG und unterhalb der „Schwelle“ der Ingewahrsamnahme für bloße Absperrmaßnahmen - wie die verfahrensgegenständlichen - der Rückgriff auf die Generalklausel des § 11 NGefAG unzulässig ist, hat die Beklagte in ihrer Klageerwiderung als Grundlage der Absperrmaßnahmen zu Recht § 11 NGefAG genannt. Für die Überprüfung der hierauf gestützten polizeilichen Maßnahmen ist das Verwaltungsgericht zuständig.
b) Es hat hier auch eine Gefahr im Sinne der §§ 11 und 2 Nr. 1 Buchst. a NGefAG bestanden, die ein polizeiliches Einschreiten grundsätzlich gerechtfertigt hat.
Die Beklagte hat in der Klageerwiderung (Schriftsatz vom 22. Dezember 2004) und in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar dargestellt, dass am Abend des 11. November 2003 sowie in der Nacht vom 11. zum 12. November 2003 zwei Straßenblockaden in der unmittelbaren Nähe von ... stattgefunden haben, und zwar eine Blockade durch 800 Personen auf der L 256 in Gusborn (ca. sechs Kilometer westlich von ...) und eine weitere Blockade auf der L 256 durch mindestens 800 Personen in Grippel (unmittelbarer Nachbarort von ...). Ferner hat die Beklagte nachvollziehbar dargelegt, dass es in den Jahren 2001 und 2002 zu Straßenblockaden auch in ... gekommen war, bei denen die Demonstranten am Nachmittag angereist waren und dann in der Nacht die Transportstrecke blockiert hatten, und auch am Nachmittag und Abend des 11. November 2003 eine infolge der „Absetzbewegungen“ von den anderen Blockadeorten immer größer werdende Zahl von zuletzt ca. 500 Personen sich in der Ortschaft ... aufhielt (die sich allerdings möglicherweise auch nur wegen der Veranstaltungen im Musentempel dort aufhielten); darunter nach Einschätzung der Beklagten ca. 50 bis 100 gewaltbereite Störer. Hinzu kam, dass in der Nacht vom 11. zum 12. November 2003 der Castortransport die Ortschaft ... passieren sollte. Angesichts dieser Gesamtumstände bestand die konkrete Gefahr, dass es in ... - wie in den Vorjahren - zu einer Straßenblockade kommen konnte.
Es hat hier daher eine Sachlage vorgelegen, bei der die hinreichende Wahrscheinlichkeit bestanden hat, dass in absehbarer Zeit ein Schaden für die öffentliche Sicherheit eintreten wird, und damit eine konkrete Gefahr im Sinne der §§ 11 und 2 Nr. 1 Buchst. a NGefAG, die ein polizeiliches Einschreiten grundsätzlich gerechtfertigt hat.
Die Beklagte hat insofern ferner noch angeführt, dass auch unterbunden werden sollte, dass die bestehende Sitzblockade in Grippel weiteren Zulauf erhielt. Es habe die Gefahr bestanden, dass die Castorgegner, die sich zu diesem Zeitpunkt in ... aufhielten, sich zu der Sitzblockade in Grippel begeben oder an einem anderen Ort der Transportstrecke eine solche Blockade durchgeführt hätten. Dies sei auch im Jahr 2002 geschehen, als eine größere Menschenmenge den Ort ... über den Kreuzweg und den Dünscher Weg verlassen habe und zur Transportstrecke gelangt sei, wo sie dann in Gewahrsam habe genommen werden müssen. Die Beklagte hat allerdings weitere (konkrete und aktuelle) Erkenntnisse darüber, dass die ca. 500 Personen, die sich zu diesem Zeitpunkt (möglicherweise auch allein wegen der Veranstaltungen im Musentempel) in ... aufhielten, sich nach Grippel oder an einen anderen Ort begeben wollten, um dort eine Blockade durchzuführen, nicht angeführt. Ob auch insoweit eine konkrete Gefahr im Sinne der §§ 11 und 2 Nr. 1 Buchst. a NGefAG bestanden hat, kann jedoch dahinstehen.
c) Denn die hier verfahrensgegenständliche vollständige Abriegelung des Ortes ... hat jedenfalls gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoßen.
aa) Die Errichtung der Absperrungen rings um den Ort ... ist zwar geeignet gewesen, die bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu verhindern.
bb) Diese Maßnahme ist jedoch bereits nicht erforderlich gewesen, um (dauerhafte) Blockaden zu vermeiden.
Denn zur Verhinderung der Gefahr einer Straßenblockade auf der Straßentransportstrecke innerhalb der 50 m-Verbotszone der Allgemeinverfügung in der Ortschaft ... wäre es ausreichend gewesen, an sämtlichen Zugängen von der Ortschaft ... zur Straßentransportstrecke (L 256) während der "heißen" Transportphase (Nacht vom 11. zum 12. November 2003), in der der Castortransport die Ortschaften zwischen Dannenberg und Gorleben passieren sollte, Straßensperren einzurichten, um zu verhindern, dass Castorgegner in die 50 m-Verbotszone der Allgemeinverfügung eindringen und dort eine Straßenblockade errichten. Es ist jedoch kein hinreichender Grund dafür ersichtlich, dass nicht nur die Zugänge zur L 256, sondern nach der von der Beklagten vorgelegten Kartenskizze sämtliche Ausfahrtstraßen vollständig abgeriegelt wurden.
Denn auch im Hinblick auf die von der Beklagten ferner geltend gemachte, aber nicht weiter belegte Gefahr von Blockaden in Grippel oder anderen Orten entlang der Straßentransportstrecke durch die ca. 500 Personen, die sich in ... aufhielten, hätte zum einen die - weniger einschneidende - Möglichkeit bestanden, die Transportstrecke durch ein entsprechendes Polizeiaufgebot entlang der Straße in Grippel oder anderen Orten, wo sich die konkrete Gefahr solcher Blockaden abgezeichnet hätte, zu schützen, wie dies auch sonst bei den Castortransporten regelmäßig gehandhabt worden ist. Polizeikräfte hierfür haben offenbar in ausreichender Zahl zur Verfügung gestanden. Denn wenn genügend Polizeikräfte für die Abriegelung von zwei Ortschaften (... und Teilbereiche von Grippel) zur Verfügung gestanden haben, wären diese wahrscheinlich auch für die bloße Sperrung der Zufahrten zur Transportstrecke in diesen Ortschaften oder an anderen „sensiblen“ Stellen zahlenmäßig ausreichend gewesen.
Zum anderen hätte die - ebenfalls weniger einschneidende - Möglichkeit bestanden, an den Ortsausgängen von ... „Kontrollstellen“ einzurichten, an denen gewaltbereite Personen und Personen, hinsichtlich derer konkrete Anhaltspunkte dafür vorgelegen hätten, dass sie sich an rechtswidrigen Aktionen (z. B. Blockadeaktionen innerhalb der 50 m-Verbotszone der Allgemeinverfügung; vgl. zu der Frage konkreter Anhaltspunkte für die Gefahr der Teilnahme an solchen Blockadeaktionen das Urteil der Kammer vom 6. Juli 2004 - 3 A 28/02 -) beteiligen wollten, hätten „abgefangen“ werden können.
cc) Jedenfalls hat eine vollständige Abriegelung der Ortschaft ... gegen das Übermaßverbot und damit in jedem Falle gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip verstoßen.
Denn es haben keine Anhaltspunkte dafür vorgelegen, dass die in ... anwesenden ca. 500 Personen gewaltbereit gewesen sind oder die Begehung von Straftaten beabsichtigt haben (in diesem Falle wäre auch eine Ingewahrsamnahme dieser Personen nach § 18 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a NGefAG zulässig gewesen). Lediglich eine völlig unbestimmte Zahl von 50 bis 100 Personen soll nach Angaben der Beklagten gewaltbereit gewesen sein. Diese Angaben hat die Beklagte zudem nicht weiter konkretisiert und belegt. Hinsichtlich des weitaus größten Teils der in ... anwesenden Personen hat auch nach der eigenen - ebenfalls nicht weiter konkretisierten und belegten - Einschätzung der Beklagten allenfalls angenommen werden können, dass diese bereit gewesen sein könnten, sich in ..., Grippel oder irgend einem anderen Ort an einer Straßenblockade zu beteiligen. Viele wollten aber lediglich nach Hause gehen und waren damit sogenannte Nichtstörer, wie dies beispielhaft die Klägerinnen der Verfahren 3 A 254/03 bis 259/03 und 3 A 261/03 bis 265/03 angegeben haben. Diese Gesamtsituation hat jedenfalls nicht die vollständige Abriegelung des Ortes ... rechtfertigen können. Eine solche vollständige Abriegelung eines Ortes bedeutet einen schwer wiegenden Eingriff in die Rechte - erhebliche Beschränkung der Bewegungsfreiheit - der dort sich aufhaltenden Personen. Ein solch schwerwiegender Eingriff (gegenüber 500 Personen) steht außer Verhältnis zu dem angestrebten Erfolg, wenn damit - wie hier - lediglich verhindert werden soll, dass sich die - unbestimmte - Gefahr realisieren könnte, dass eine - unbestimmte - Personenzahl möglicherweise an einer Straßenblockade im Nachbarort oder in irgend einem anderen Ort teilnimmt. Es verstößt gegen das Übermaßverbot im Hinblick auf eine solche Gefahr einen Ort über einen Zeitraum von mehr als fünf Stunden vollständig von der Außenwelt abzuriegeln und damit jedenfalls auch zahlreiche „Nichtstörer“ über einen solch langen Zeitraum in der Bewegungsfreiheit erheblich einzuschränken.
Da der Klage insoweit in vollem Umfange stattgegeben worden ist, kommt es auf die von der Klägerin gestellten, die Gefahrenprognose der Beklagten und die Verhältnismäßigkeit der polizeilichen Maßnahmen betreffenden Hilfsbeweisanträge nicht mehr an.
II. Soweit die Klägerin Auskunft darüber verlangt, ob und welche personenbezogenen Daten der Klägerin einschließlich Bilddaten die Beklagte gespeichert hat, in welchen Dateien die Beklagte diese Daten gespeichert hat und an welche deutschen und internationalen Behörden, Ämter und Polizeidienststellen die Beklagte Daten weitergeleitet hat, hat die Klage teilweise Erfolg.
1. Die Klageänderung ist sachdienlich (§ 91 VwGO).
Denn der alte Klageantrag, der auf Löschung und Vernichtung aller über die Klägerin gesammelten polizeilichen Daten und aller Foto- und Filmaufnahmen gerichtet gewesen ist, wäre unzulässig gewesen, da für einen solchen Antrag „ins Blaue hinein“, also ohne konkrete Kenntnis darüber, ob überhaupt und welche Daten in welcher Form und wo derartige Daten über die Klägerin gespeichert worden sind, zum einen das Rechtsschutzinteresse fehlt und zum anderen die Beklagte nur über die Daten verfügen kann, die bei ihr selbst vorhanden sind. Es ist deshalb sachgerecht, wenn die Klägerin mit dem geänderten Klageantrag zunächst Auskunft darüber verlangt, welche Daten und wo diese Daten gespeichert sind.
2. Dieser geänderte Klageantrag ist nur teilweise zulässig.
a) Das Auskunftsverlangen ist unzulässig, soweit die Beklagte die Namen der überhaupt in Betracht kommenden, eventuell Daten der Klägerin führenden Stellen und Dateien genannt und insbesondere bezüglich der Platzverweisungsdatei, der Dateien NIVADIS und POLAS und der bei der EG Castor für die kriminalpolizeilichen/staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren gesammelten Daten konkrete Auskünfte erteilt hat. Mit diesen Auskünften hat sich der Klageantrag insoweit erledigt und ist das Rechtschutzinteresse entfallen. Da die Klägerin aber gleichwohl trotz Hinweises (durch das Gericht und die Beklagte) in der mündlichen Verhandlung das Verfahren diesbezüglich nicht für erledigt erklärt hat, ist die Klage insoweit abzuweisen gewesen.
b) Der geänderte Klageantrag ist aber insoweit zulässig, als die Beklagte der Klägerin noch keine Auskunft darüber erteilt hat, ob und welche personenbezogenen Daten der Klägerin einschließlich Bilddaten die Beklagte in der sogenannten GESA-Datenbank gespeichert und ob und welche Daten sie an die Verbunddatei beim BKA und an die Verfassungsschutzämter des Landes und Bundes weitergeleitet hat. Insoweit hat die Beklagte der Klägerin in der mündlichen Verhandlung noch keine Auskunft geben können.
Für dieses Auskunftsbegehren ist ein vorheriger Antrag bei der Beklagten nicht erforderlich.
Denn für eine auf die bloße Auskunftserteilung gerichtete Klage ist die allgemeine Leistungsklage die statthafte Klageart, da es insoweit nicht um den Erlass eines Verwaltungsaktes, sondern um die Vornahme eines Realakts (einer Handlung) geht (Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 13. Aufl. 2003, § 42 Rdnr. 4 m.w.N.). Anders als bei der Verpflichtungsklage setzt die allgemeine Leistungsklage keinen vorherigen Antrag bei der Behörde voraus. Die Verwaltungsgerichtsordnung enthält für die allgemeine Leistungsklage keine den Regelungen für die Verpflichtungsklage in den §§ 68 Abs. 2 und 75 VwGO entsprechende Regelung. Die Kostenregelung in § 156 VwGO (Kosten bei sofortigem Anerkenntnis) setzt vielmehr voraus, dass die ohne vorherigen Antrag bei der Behörde eingereichte Leistungsklage zulässig ist (Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Kommentar, Stand: September 2004, Vorbemerkung § 40, Rdnr. 82 und Kopp/Schenke, a.a.O., Vorbemerkung § 40 Rdnr. 8 a und 51, jeweils m.w.N.).
3. In diesem Umfange ist das Auskunftsverlangen auch begründet.
Das Auskunftsverlangen ist aus den unter 1. genannten Gründen das notwendige Pendant und ein Annex zu dem hierauf aufbauenden eventuellen Löschungsanspruch (z. B. nach § 32 NGefAG). Die Klägerin ist auf diese Auskunft angewiesen, um sodann gegenüber der Beklagten und/oder den anderen noch in Betracht kommenden behördlichen/polizeilichen Stellen den Löschungsanspruch gegebenenfalls verfolgen zu können. Ohne diese Informationen kann die Klägerin nicht beurteilen, ob überhaupt noch Dateien über sie vorhanden sind und an wen sie ein eventuelles Löschungsverlangen zu richten hat. Die Auskunftserteilung ist daher zur Wahrung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) erforderlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.