Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 19.05.2005, Az.: 3 A 252/03

Verhinderung des Zugangs zum eigenen Hausgrundstück sowie Verhinderung des Anliegerverkehrs und Besucherverkehrs durch Polizeikräfte im Rahmen eines Castortransports; Blockaden der Castortransportstrecke durch Castorgegner; Beeinträchtigungen der körperlichen Bewegungsfreiheit; Annahme einer Wiederholungsgefahr; Anhaltspunkte für ein Rehabilitationsinteresse; Eingriff in das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung; Einschränkung des Anliegerrechts; Verhältnismäßigkeit der Absperrung des Ortes Laase

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
19.05.2005
Aktenzeichen
3 A 252/03
Entscheidungsform
Endurteil
Referenz
WKRS 2005, 34096
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGLUENE:2005:0519.3A252.03.0A

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Die Zulässigkeit einer Fortsetzungsfeststellungsklage erfordert das Bestehen eines Feststellungsinteresses. Dieses besteht bei schwerer Beeinträchtigung der Grundrechte, bei einer Wiederholungsgefahr oder bei einem anerkennenswerten Interesse an einer Rehabilitierung des Klägers. Durch das Verhindern des Anlieger- und Besucherverkehrs für die Dauer eines Castortransportes wird in das durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Anliegerrecht eingegriffen.

  2. 2.

    Besteht die konkrete Gefahr der Bildung einer Sitzblockade durch Castorgegner, liegen die Voraussetzungen für ein polizeiliches Einschreiten im Grundsatz vor. Die Absperrung des Ortsausgangs stellt jedoch eine unverhältnismäßige Maßnahme zur Verhinderung dieser Gefahr dar. Die Einrichtung von gezielten Straßensperren sowie von Kontrollstellen stellt demgegenüber eine weniger einschneidende, gleich effektive Möglichkeit dar.

In der Verwaltungsrechtssache ...
hat das Verwaltungsgericht Lüneburg - 3. Kammer - auf die mündliche Verhandlung vom 19. Mai 2005
durch
den Vizepräsidenten des Verwaltungsgerichts Siebert,
die Richterin am Verwaltungsgericht Sandgaard,
den Richter am Verwaltungsgericht Malinowski sowie
die ehrenamtlichen Richter Allgayer-Reetze und Beecken
für Recht erkannt:

Tenor:

Es wird festgestellt, dass die im Ort Laase in der Nacht vom 11. zum 12. November 2003 errichteten Absperrungen im Bereich der Straße Steindamm, mit denen der Besucherverkehr zum Haus der Klägerin unterbunden worden ist, rechtswidrig gewesen sind.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Klägerin und die Beklagte tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 4.000,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass die Abriegelung des Ortes Laase und die Verhinderung des Zuganges zum eigenen Hausgrundstück sowie die Verhinderung des Anlieger- und Besucherverkehrs durch Polizeikräfte der Beklagten in der Nacht vom 11. zum 12. November 2003 rechtswidrig gewesen sind.

2

Nachdem es am Nachmittag und am Abend des 11. November 2003 zu Blockaden der Castortransportstrecke durch Castorgegner in Nachbarorten westlich von Laase gekommen war, sich in Laase selbst am Abend des 11. November 2003 nach Einschätzung der Polizei ca. 500 auswärtige Personen aufhielten und die Einsatzleitung der Polizei befürchtete, dass es auch in Laase oder anderen Orten zu einer Blockade der Transportstrecke durch die in Laase anwesenden Personen kommen könnte, ordnete diese am 11. November 2003 um 23.53 Uhr an, dass an allen Zufahrtswegen und Zufahrtsstraßen nach Laase am jeweiligen Ortsrand durch Einsatzkräfte der Polizei Absperrungen eingerichtet wurden, an denen das Verlassen der Ortschaft Laase unterbunden wurde. Diese Anordnung wurde um 5.09 Uhr wieder aufgehoben. Außerdem wurden auch im Ort Laase im Bereich der Straße Steindamm Polizeisperren errichtet. Das Haus der Klägerin befindet sich auf dem südöstlichen Eckgrundstück an der Kreuzung Steindamm/Kreuzweg.

3

Die Klägerin hat am 12. Dezember 2003 Klage erhoben.

4

Sie macht geltend, dass sie nur unter großen Schwierigkeiten ihr Haus in der Straße Steindamm erreicht habe. Die Polizeibeamten hätten ihr zunächst gesagt, sie dürfe ihr Grundstück nicht wieder verlassen, dann jedoch gesagt, sie könne "selbstverständlich" ihr Grundstück verlassen und wieder betreten. Dem minderjährigen Sohn einer Freundin, einer Freundin mit ihrem 15-jährigen Sohn, Nachbarn und dem Freund ihrer Tochter sei der Zugang zu ihrem Haus verweigert worden, weil direkt vor ihrem Grundstück sich ebenfalls eine Polizeikette befunden habe. Durch die rings um die Ortschaft Laase eingerichteten Polizeisperren sei der Ort völlig abgeriegelt gewesen. Auch zwischen den einzelnen Absperrpunkten sei ein Verlassen der Ortschaft nicht möglich gewesen, weil die Felder ausgeleuchtet worden seien - auch von Hubschraubern mit Suchscheinwerfern -und auf den Feldern Polizeibeamte in kleineren Gruppen patrouilliert und Personen kontrolliert und aufgegriffen hätten, die über die Felder Laase hätten verlassen wollen. Sie sei durch die angefochtenen polizeilichen Maßnahmen in ihren Grundrechten erheblich verletzt worden.

5

Die Klägerin beantragt

  1. 1.

    festzustellen, dass die polizeilichen Maßnahmen gegen die Klägerin am 12. November 2003, insbesondere die Einkesselung des Dorfes Laase verbunden mit einer Ausgangssperre ab ca. 0.30 Uhr bis ca. 5.30 Uhr, rechtswidrig gewesen sind,

  2. 2.

    festzustellen, dass die Verhinderung des Zuganges zum eigenen Hausgrundstück sowie die Verhinderung des Anlieger- und Besucherverkehrs in der Nacht vom 11. zum 12. November 2003 rechtswidrig gewesen ist.

6

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

7

Sie ist der Auffassung, dass eine schwer wiegende Grundrechtsbeeinträchtigung im Falle der Klägerin nicht vorliege und sie deshalb kein Feststellungsinteresse habe. Darüber hinaus sei die Klage unbegründet. Angesichts der Erfahrungen aus den Jahren 2001 und 2002, in denen es ebenfalls zu Blockaden der Transportstrecke in Laase gekommen sei, der am 11. November 2003 in Gusborn und Grippel stattgefundenen Blockaden und weiterer Indizien habe die konkrete Gefahr bestanden, dass es auch im Jahr 2003 zu einer Blockade der Transportstrecke in Laase hätte kommen können. Außerdem habe die Gefahr bestanden, dass die Castorgegner, die sich zu diesem Zeitpunkt in Laase aufgehalten hätten, sich zu der Sitzblockade in Grippel begeben oder an einem anderen Ort der Transportstrecke eine solche Blockade durchgeführt hätten. Dies sei im Jahr 2002 geschehen, als eine größere Menschenmenge den Ort Laase über den Kreuzweg und den Dünscher Weg verlassen habe und zur Transportstrecke gelangt sei, wo sie dann in Gewahrsam habe genommen werden müssen. In Laase hätten sich am Abend des 11. November 2003 ca. 500 Personen aufgehalten, darunter ca. 50 bis 100 gewaltbereite Störer. Aus diesen Gründen sei am 11. November 2003 um 23:53 Uhr die Errichtung der Absperrungen angeordnet worden. Ein milderes Mittel habe insoweit nicht zur Verfügung gestanden. Eine Räumung der Ortschaft Laase hinsichtlich der Personen, die dort nicht wohnhaft gewesen seien, sei nicht in Betracht gekommen. Erfahrungen aus den Vorjahren hätten gezeigt, dass bis zur Bildung einer Sitzblockade sich die Teilnehmer häufig in den Wohnhäusern oder deren Nebengebäuden aufhielten. Deshalb hätte im Falle einer Räumung eine Vielzahl von Wohnungen und Nebengebäuden betreten werden müssen. In diesen Fällen hätte in das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung eingegriffen werden müssen. Ferner sei auf Grund der vorliegenden Erfahrungen davon auszugehen gewesen, dass die von einem Platzverweis betroffenen Personen an anderer Stelle eine Sitzblockade auf der Transportstrecke initiiert hätten. Es hätten nicht genügend Einsatzkräfte zur Verfügung gestanden, dies zu verhindern. Eine Ingewahrsamnahme der sich in Laase aufhaltenden Personen wäre ebenfalls nicht in Betracht gekommen, da hierfür zum einen nicht eine ausreichende Zahl an Einsatzkräften zur Verfügung gestanden habe und dies zum anderen mit intensiven Eingriffen in die Freiheit der betroffenen Personen verbunden gewesen wäre. Bei der hier getroffenen Maßnahme sei die Bewegungsfreiheit innerhalb von Laase nicht eingeschränkt worden. So sei es trotz der Einrichtung der Absperrung auf dem Steindamm möglich gewesen, sich über einen Umweg vom Kreuzweg aus über die Dorfstraße zum Tagungshaus zu begeben. Weiterhin sei Personen, die sich auf dem Steindamm in Richtung Norden hätten begeben wollen, im Falle eines berechtigten Interesses dies (in Polizeibegleitung) ermöglicht worden. Personenbewegungen in Richtung Süden, also in Richtung Musenpalast, seien jederzeit ungehindert gewährleistet gewesen. Der Einsatz auf dem Steindamm zwischen Kreuzweg und Dorfstraße sei bis 1:45 Uhr aufrecht erhalten worden. Die Absperrung des Ortes Laase hätte bis 5.09 Uhr aufrechterhalten werden müssen, weil es beim Castortransport zu Verzögerungen gekommen sei. Der Ort Laase sei jedoch nicht vollständig abgeriegelt gewesen, da zwischen den einzelnen Absperrpunkten ein Verlassen der Ortschaft möglich gewesen sei.

8

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

9

Die Klage hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang teilweise Erfolg.

10

I.

Soweit die Klägerin die Feststellung begehrt, dass die Einkesselung des Dorfes Laase verbunden mit einer Ausgangssperre ab ca. 0.30 Uhr bis ca. 5.30 Uhr und die Verhinderung des Zuganges zu ihrem eigenen Hausgrundstück in der Nacht vom 11. zum 12. November 2003 rechtswidrig gewesen seien, ist die Klage unzulässig.

11

Denn es fehlt insoweit das für die hier vorliegende Fortsetzungs-/ Feststellungsklage (die Frage, ob diese Klage als einen Verwaltungsakt voraussetzende Fortsetzungsfeststellungsklage oder als schlichte Feststellungsklage einzuordnen ist, kann offen bleiben) erforderliche Feststellungsinteresse.

12

Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG enthält ein Grundrecht auf wirksamen und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt. Der Einzelne soll staatliche Eingriffe nicht ohne gerichtliche Prüfung ertragen müssen. Indessen begründet nicht jeder Eingriff in Grundrechte ein Feststellungs-/ Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Ein solches Interesse besteht dann, wenn die angegriffene Maßnahme Grundrechte schwer beeinträchtigt (1.), die Gefahr einer Wiederholung (2.) besteht oder wenn aus Gründen der Rehabilitierung (3.) ein rechtlich anerkennenswertes Interesse an der Klärung der Rechtmäßigkeit des staatlichen Eingriffs angenommen werden kann (BVerfG, Beschl. v. 3.3.2004-1 BvR 461/03-).

13

1.

Eine schwer wiegende Grundrechtsbeeinträchtigung ist im Falle der Klägerin hinsichtlich der allgemeinen Abriegelung des Ortes Laase und der von ihr behaupteten Verhinderung des Zuganges zu ihrem eigenen Haus nicht feststellbar. Die Klägerin hat nach ihren eigenen Angaben den Ort Laase betreten und schließlich - wenn auch unter Schwierigkeiten - ihr Haus erreichen können. Sie hat auch nicht vorgetragen, dass sie Laase wieder hat verlassen wollen und daran gehindert worden ist. Sie hat lediglich vorgetragen, dass ihr zunächst von Polizeibeamten gesagt worden sei, sie dürfe ihr Grundstück nicht wieder verlassen (Seite 3 der Klageschrift vom 11. Dezember 2003), dann jedoch gesagt worden sei, sie könne "selbstverständlich" ihr Grundstück verlassen und wieder betreten (Seite 5 der Klageschrift vom 11. Dezember 2003). Daraus ergeben sich keine konkreten Beeinträchtigungen der körperlichen Bewegungsfreiheit im Sinne des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz. Allein der Umstand, dass der Klägerin zunächst eine offenbar falsche Auskunft erteilt worden ist, begründet einen schwer wiegenden Grundrechtseingriff, wie er für die Annahme des Feststellungsinteresses erforderlich ist, nicht.

14

2.

Es liegen auch keine genügenden Anhaltspunkte für die Annahme vor, dass eine Situation - wie die verfahrensgegenständliche - sich wiederholen könnte.

15

Erforderlich für die Annahme einer Wiederholungsgefahr ist die hinreichend bestimmte Gefahr, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen ein gleichartiges Verwaltungshandeln zu erwarten ist; es muss eine in den Grundzügen fortbestehenden Sachlage gegeben sein. Bei Ungewissheit, ob sich die Verhältnisse in gleicherweise wiederholen, besteht kein Feststellungsinteresse (Nds. OVG, Urt. v. 19.2.1997 -13 L 4115/95 -, Nds.VBI. 1997, 285 m.w.N).

16

Eine Situation - wie die verfahrensgegenständliche - hatte weder bei den Castortransporten in den Jahren zuvor noch danach (2004) bestanden, wobei die Besonderheit der vorliegenden Situation darin besteht, dass sich (möglicherweise wegen der Veranstaltungen im Musenpalast) zahlreiche Besucher in Laase aufhielten, gleichzeitig im Nachbarort Grippel eine Sitzblockade stattfand, im Jahr 2002 nach den Angaben der Beklagten eine größere Menschenmenge den Ort Laase über den Kreuzweg und den Dünscher Weg verlassen hatte und zur Transportstrecke gelangt war, wo sie dann in Gewahrsam genommen worden war, und die Polizei auf Grund dieser Gesamtsituation eine vollständige Abriegelung des Ortes angeordnet hat. Eine Wiederholung gleichartiger oder auch nur ähnlicher konkreter Verhältnisse ist nicht zu erwarten.

17

3.

Schließlich bestehen auch keine Anhaltspunkte für ein Rehabilitationsinteresse der Klägerin. Zwar hat nach ihren Angaben die Polizei behauptet, dass von ihrem Grundstück aus Personen über die Felder den Ort verlassen hätten, doch bestehen keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass die Klägerin selbst in einer für die Annahme eines Rehabilitationsinteresses erforderlichen Weise von der Polizei "verdächtigt" oder gar "kriminalisiert" worden ist.

18

II.

Die Klage hat jedoch Erfolg, soweit die Klägerin die Feststellung begehrt, dass die Verhinderung des Besucherverkehrs zu ihrem Haus in der Nacht vom 11. zum 12. November 2003 rechtswidrig gewesen ist.

19

1.

Dieses Klagebegehren ist zulässig.

20

Denn die Klägerin ist insoweit von einem schwer wiegenden Eingriff in ihren Grundrechten betroffen gewesen, als nach ihren detaillierten, nachvollziehbaren und insgesamt glaubhaften Angaben mehreren Personen (minderjähriger Sohn einer Freundin, Freundin mit ihrem 15-jährigen Sohn, Nachbarn, Freund ihrer Tochter) der Zugang zu ihrem Haus verweigert worden ist, weil vor ihrem Grundstück im Bereich der Kreuzung Steindamm/Kreuzweg und des Ortsausgangs Laase (ortseinwärts gewandt) eine Polizeikette gestanden hat, an der aus dem Inneren des Ortes kommenden Personen der Durchgang verwehrt worden ist.

21

Mit der Verhinderung des Zugangs zum Haus der Klägerin ist zwar nicht in das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG) eingegriffen worden. Denn dieses schützt nur vor einem ungewollten Betreten der geschützten Räume und der damit verbundenen Verletzung der Privatheit der Wohnung durch staatliche Stellen (vgl. hierzu Jarass/Pieroth, GG, Komm., 6. Aufl. 2002, Art. 13 Rdnr. 4).

22

Das Unterbinden des Besucherverkehrs schränkt jedoch das durch Art. 14 GG geschützte Anliegerrecht der Klägerin ein. Das Eigentumsgrundrecht aus Art. 14 GG gewährleistet den Straßenanliegern, d.h. den Eigentümern oder Besitzern von Grundstücken oder Gebäuden, die Möglichkeit des Kontaktes nach außen (Maunz-Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Band II, Stand: Februar 2004, Art. 14 Rdnr. 114). Dieser Kontakt nach außen ist hier über einen längeren Zeitraum unterbunden worden. Ob das allein eine schwer wiegende Grundrechtsbeeinträchtigung begründet, kann offen bleiben. Denn als Besonderheit kommt entscheidend hinzu, dass die Klägerin nach ihren insoweit nachvollziehbaren Angaben gerade in der "Ausnahmesituation", in der sich die Ortschaft Laase während dieses Zeitraumes befunden hatte, auf den Kontakt nach außen angewiesen gewesen ist, um beispielsweise (auf der Straße stehende und frierende) Freunde und Nachbarn im eigenen Haus aufnehmen und sich mit diesen austauschen zu können. Die hier zu beurteilende Situation ist daher nicht vergleichbar mit der Einschränkung des Anliegerrechts durch beispielsweise eine Baustelle. Gerade die Art des staatlichen Eingriffs begründet hier eine besondere Schutzwürdigkeit von "Haus und Hof" einschließlich des Besucherverkehrs. Daher stellen die angeordneten Polizeisperren auch für die Klägerin eine schwer wiegende Grundrechtsbeeinträchtigung dar, die das Feststellungsinteresse begründet.

23

2.

Die Klage ist insoweit auch begründet.

24

Die Verhinderung des Besucherverkehrs zum Haus der Klägerin durch die in der Nacht vom 11. zum 12. November 2003 vor dem Haus der Klägerin errichtete Absperrung im Bereich des Ortsausgangs Steindamm/Kreuzweg ist rechtswidrig gewesen. Es hat zwar eine Gefahr bestanden, die diese Maßnahme gerechtfertigt hat (a). Diese Maßnahme - Errichtung der Straßensperre vor dem Haus der Klägerin (als Teil der angeordneten umfassenden Abriegelung des Ortes Laase) - und die damit verbundene Verhinderung des Besucherverkehrs zum Haus der Klägerin hat jedoch gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip verstoßen (b).

25

a)

Da die Voraussetzungen des § 14 NGefAG ersichtlich nicht und keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Polizeisperre vor dem Haus der Klägerin als Kontrollstelle gemäß dieser Vorschrift eingerichtet worden ist, und auch nichts dafür ersichtlich ist, dass neben der Errichtung von Kontrollstellen nach § 14 NGefAG und unterhalb der "Schwelle" der Ingewahrsamnahme für bloße Absperrmaßnahmen - wie die verfahrensgegenständlichen - der Rückgriff auf die Generalklausel des § 11 NGefAG unzulässig ist, hat die Beklagte in ihrer Klageerwiderung als Grundlage der Absperrmaßnahmen zu Recht § 11 NGefAG genannt.

26

Es hat hier auch eine Gefahr im Sinne der §§ 11 und 2 Nr. 1 Buchst. a NGefAG bestanden, die ein polizeiliches Einschreiten grundsätzlich gerechtfertigt hat.

27

Die Beklagte hat in der Klageerwiderung (Schriftsatz vom 22. Dezember 2004) und in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar dargestellt, dass am Abend des 11. November 2003 sowie in der Nacht vom 11. zum 12. November 2003 zwei Straßenblockaden in der unmittelbaren Nähe von Laase stattgefunden haben, und zwar eine Blockade durch 800 Personen auf der L 256 in Gusborn (ca. sechs Kilometer westlich von Laase) und eine weitere Blockade auf der L 256 durch mindestens 800 Personen in Grippel (unmittelbarer Nachbarort von Laase). Ferner hat die Beklagte nachvollziehbar dargelegt, dass es in den Jahren 2001 und 2002 zu Straßenblockaden auch in Laase gekommen war, bei denen die Demonstranten am Nachmittag angereist waren und dann in der Nacht die Transportstrecke blockiert hatten, Und auch am Nachmittag und Abend des 11. November 2003 eine infolge der "Absetzbewegungen" von den anderen Blockadeorten immer größer werdende Zahl von zuletzt ca. 500 Personen sich in der Ortschaft Laase aufhielt (die sich allerdings möglicherweise auch nur wegen der Veranstaltungen im Musentempel dort aufhielten); darunter nach Einschätzung der Beklagten ca. 50 bis 100 gewaltbereite Störer. Hinzu kam, dass in der Nacht vom 11. zum 12. November 2003 der Castortransport die Ortschaft Laase passieren sollte. Angesichts dieser Gesamtumstände bestand die konkrete Gefahr, dass es in Laase - wie in den Vorjahren - zu einer Straßenblockade kommen konnte.

28

Es hat hier daher eine Sachlage vorgelegen, bei der die hinreichende Wahrscheinlichkeit bestanden hat, dass in absehbarer Zeit ein Schaden für die öffentliche Sicherheit eintreten wird, und damit eine konkrete Gefahr im Sinne der §§ 11 und 2 Nr. 1 Buchst. a NGe-fAG, die ein polizeiliches Einschreiten grundsätzlich gerechtfertigt hat.

29

Die Beklagte hat insofern ferner noch angeführt, dass auch unterbunden werden sollte, dass die bestehende Sitzblockade in Grippel weiteren Zulauf erhielt. Es habe die Gefahr bestanden, dass die Castorgegner, die sich zu diesem Zeitpunkt in Laase aufhielten, sich zu der Sitzblockade in Grippel begeben oder an einem anderen Ort der Transportstrecke eine solche Blockade durchgeführt hätten. Dies sei auch im Jahr 2002 geschehen, als eine größere Menschenmenge den Ort Laase über den Kreuzweg und den Dünscher Weg verlassen habe und zur Transportstrecke gelangt sei, wo sie dann in Gewahrsam habe genommen werden müssen. Die Beklagte hat allerdings weitere (konkrete und aktuelle) Erkenntnisse darüber, dass die ca. 500 Personen, die sich zu diesem Zeitpunkt (möglicherweise auch allein wegen der Veranstaltungen im Musentempel) in Laase aufhielten, sich nach Grippel oder an einen anderen Ort begeben wollten, um dort eine Blockade durchzuführen, nicht angeführt. Ob auch insoweit eine konkrete Gefahr im Sinne der §§ 11 und 2 Nr. 1 Buchst. a NGefAG bestanden hat, kann jedoch dahinstehen.

30

b)

Denn die Polizeimaßnahme - Abriegelung der Straße Steindamm (als Teil der Abriegelung des Ortes Laase) - hat jedenfalls gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoßen.

31

aa)

Die Errichtung der Absperrung am Ortsausgang Steindamm/Kreuzweg ist als Teil der Abriegelung des Ortes Laase zwar geeignet gewesen, die bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu verhindern.

32

bb)

Diese Maßnahme ist jedoch bereits nicht erforderlich gewesen, um (dauerhafte) Blockaden zu vermeiden.

33

Denn zur Verhinderung der Gefahr einer Straßenblockade auf der Straßentransportstrecke innerhalb der 50 m-Verbotszone der Allgemeinverfügung in der Ortschaft Laase wäre es ausreichend gewesen, an sämtlichen Zugängen von der Ortschaft Laase zur Straßentransportstrecke (L 256) während der "heißen" Transportphase (Nacht vom 11. zum 12. November 2003), in der der Castortransport die Ortschaften zwischen Dannenberg und Gorleben passieren sollte, Straßensperren einzurichten, um zu verhindern, dass Castorgegner in die 50 m-Verbotszone der Allgemeinverfügung eindringen und dort eine Straßenblockade errichten. Es ist jedoch kein hinreichender Grund dafür ersichtlich, dass nicht nur die Zugänge zur L 256, sondern nach der von der Beklagten vorgelegten Kartenskizze sämtliche Ausfahrten und damit auch die an der von der Transportstrecke abgewandten Ortsseite liegenden Ausfahrten - wie hier die Ausfahrt im Bereich Steindamm/Kreuzweg - vollständig abgeriegelt wurden.

34

Denn auch im Hinblick auf die von der Beklagten ferner geltend gemachte, aber nicht weiter belegte Gefahr von Blockaden in Grippel oder anderen Orten entlang der Straßentransportstrecke durch die ca. 500 Personen, die sich in Laase aufhielten, hätte zum einen die - weniger einschneidende - Möglichkeit bestanden, die Transportstrecke durch ein entsprechendes Polizeiaufgebot entlang der Straße in Grippel oder anderen Orten, wo sich die konkrete Gefahr solcher Blockaden abgezeichnet hätte, zu schützen, wie dies auch sonst bei den Castortransporten regelmäßig gehandhabt worden ist. Polizeikräfte hierfür haben offenbar in ausreichender Zahl zur Verfügung gestanden. Denn wenn genügend Polizeikräfte für die Abriegelung von zwei Ortschaften (Laase und Teilbereiche von Grippel) zur Verfügung gestanden haben, wären diese wahrscheinlich auch für die bloße Sperrung der Zufahrten zur Transportstrecke in diesen Ortschaften oder an anderen "sensiblen" Stellen zahlenmäßig ausreichend gewesen.

35

Zum anderen hätte die - ebenfalls weniger einschneidende - Möglichkeit bestanden, an den Ortsausgängen von Laase "Kontrollstellen" einzurichten, an denen gewaltbereite Personen und Personen, hinsichtlich derer konkrete Anhaltspunkte dafür vorgelegen hätten, dass sie sich an rechtswidrigen Aktionen (z.B. Blockadeaktionen innerhalb der 50 m-Verbotszone der Allgemeinverfügung; vgl. zu der Frage konkreter Anhaltspunkte für die Gefahr der Teilnahme an solchen Blockadeaktionen das Urteil der Kammer vom 6. Juli 2004 - 3 A 28/02 -) beteiligen wollten, hätten "abgefangen" werden können.

36

cc)

Jedenfalls hat eine Abriegelung der Straße Steindamm als Teil der Abriegelung des Ortes Laase mit der Folge der Verhinderung des Besucherverkehrs zum Haus der Klägerin gegen das Übermaßverbot und damit in jedem Falle gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip verstoßen.

37

Denn es haben keine Anhaltspunkte dafür vorgelegen, dass die in Laase anwesenden ca. 500 Personen gewaltbereit gewesen sind oder die Begehung von Straftaten beabsichtigt haben (in diesem Falle wäre auch eine Ingewahrsamnahme dieser Personen nach § 18 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a NGefAG zulässig gewesen). Lediglich eine völlig unbestimmte Zahl von 50 bis 100 Personen soll nach Angaben der Beklagten gewaltbereit gewesen sein. Diese Angaben hat die Beklagte zudem nicht weiter konkretisiert und belegt. Hinsichtlich des weitaus größten Teils der in Laase anwesenden Personen hat auch nach der eigenen - ebenfalls nicht weiter konkretisierten und belegten - Einschätzung der Beklagten allenfalls angenommen werden können, dass diese bereit gewesen sein könnten, sich in Laase, Grippel oder irgend einem anderen Ort an einer Straßenblockade zu beteiligen. Viele wollten aber lediglich nach Hause gehen und waren damit so genannte Nichtstörer, wie dies beispielhaft die Klägerinnen der Verfahren 3 A 254/03 bis 259/03 und 3 A 261/03 bis 265/03 angegeben haben. Als Nichtstörer sind auch die abgewiesenen Besucher der Klägerin einzuordnen gewesen. Denn es haben keine Anhaltspunkte dafür vorgelegen, dass von diesen eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgegangen ist. Diese Gesamtsituation hat jedenfalls nicht die vollständige Abriegelung des Ortes Laase und mithin auch nicht die Errichtung der Absperrung vor dem Haus der Klägerin rechtfertigen können. Die Unterbindung des Besucherverkehrs zum Haus der Klägerin bedeutet nach dem oben Gesagten einen schwer wiegenden Eingriff in deren Rechte. Ein solch schwer wiegender Eingriff steht außer Verhältnis zu dem angestrebten Erfolg, wenn damit - wie hier - lediglich verhindert werden soll, dass sich die - unbestimmte - Gefahr realisieren könnte, dass eine - unbestimmte - Personenzahl möglicherweise an einer Straßenblockade im Nachbarort oder in irgend einem anderen Ort teilnimmt, und hier zudem keine Anhaltspunkte dafür vorgelegen haben, dass von der Klägerin und ihren Besuchern selbst Gefahren ausgegangen sind. Es verstößt gegen das Übermaßverbot im Hinblick auf die von der Polizei angenommene Gefahr das Haus der Klägerin über einen Zeitraum von mehreren Stunden von der Außenwelt und vom Besucherverkehr abzuriegeln.

38

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.

Streitwertbeschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 4.000,00 EUR festgesetzt.

Siebert
Sandgaard
Malinowski