Sozialgericht Aurich
Urt. v. 11.04.2013, Az.: S 13 SO 11/09

Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe in Form der Übernahme der Kosten für den Besuch eines Autismus-Therapie-Zentrums

Bibliographie

Gericht
SG Aurich
Datum
11.04.2013
Aktenzeichen
S 13 SO 11/09
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2013, 60763
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGAURIC:2013:0411.S13SO11.09.0A

Tenor:

Der Bescheid vom 22.09.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.01.2009 wird aufgehoben und der Beklagte verpflichtet, die Kosten des Besuchs des Therapiezentrums I. in der Zeit vom 01.01.2009 bis 30.04.2010 zu übernehmen zzgl. der nachgewiesenen Fahrkosten in gesetzmäßiger Höhe. Eine Kostenerstattung findet nicht statt.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch des Klägers auf Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Sozialgesetzbuch zwölftes Buch - Sozialhilfe (SGB XII) in Form der Übernahme der Kosten für den Besuch des Autismus-Therapie-Zentrums in I. für die Zeit vom 01.01.2009 bis zum 30.04.2010.

Der Kläger ist am 29.07.2004 geboren und lebt im Bereich der Gemeinde J. im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beklagten.

Beim Kläger wurde im Jahre 2007 im Kinderzentrum K. eine Störung aus dem autistischen Formenkreis diagnostiziert. Zunächst wurde mit schriftlichen Stellungnahmen vom 07.01.2008 bzw. 15.01.2008 aufgrund einer psychologischen Verlaufsuntersuchung am 11.10.2007 eine globale Entwicklungsstörung und Verdacht auf eine tiefgreifende Entwicklungsstörung festgestellt. Es wurde im Bericht ausgeführt, dass aufgrund der damaligen Untersuchung keine endgültige Diagnosestellung möglich sei. Mit weiterem schriftlichem gutachterlichen Bericht des Kinderzentrums K. vom 11.06.2008 nach logopädischer und psychologischer Verlaufsuntersuchung vom 03.06.2008 wurde eine tiefgreifende Entwicklungsstörung im Sinne eines Autismus mit atypischer Symptomatologie laut ICD-10, F 84.11 diagnostiziert sowie eine globale Entwicklungsstörung. Dringend empfohlen wurde durch die behandelnden Mediziner eine Betreuung in einem heilpädagogischen Kindergarten und die Aufnahme einer autismusspezifische Therapie. Diese Einschätzung wurde mit amtsärztlicher Stellungnahme für den Beklagten vom 28.07.2008 bestätigt. Ab August 2008 wurde der Kläger im Heilpädagogischen Kindergarten L. der M. N. e. V. in N. betreut. Zu dieser heilpädagogischen Betreuung erfolgten laufende Kostenzusagen des Beklagten als Leistungen im Rahmen der Eingliederungshilfe. Den Heilpädagogischen Kindergarten der M. N. L. besuchte der Kläger bis zum 31.07.2011.

Mit dem 29.05.2008 beantragten die Eltern des Klägers für ihn die Übernahme der Kosten für die autismusspezifische Therapie im Autismus-Therapie-Zentrum I ...

Das Begehren bezüglich der Therapie bei diesem Leistungsträger in dieser Einrichtung äußerten die Eltern des Klägers zum einen aufgrund einer Empfehlung im Kinderzentrum K. und zum anderen aufgrund eigener in Augenscheinnahme sowohl des Therapiezentrums in I. als auch des Therapiezentrums der M. in N ... Das Therapiezentrum der M. in N. war im Laufe des Jahres 2008 neu eingerichtet worden.

Mit hier streitigem Bescheid vom 22.09.2008 wurde der Antrag auf Kostenübernahme für die ambulante Autismustherapie durch das Autismus-Therapie-Zentrum I. abgelehnt. Der Beklagte begründete seine Einschätzung damit, dass bei dem Kläger eine tiefgreifende Entwicklungsstörung im Sinne eines Autismus mit atypischer Symptomatologie laut ICD-10, F 84.11 als atypischer Autismus diagnostiziert war. Nur bei der Diagnose eines frühkindlichen Autismus gemäß ICD-10, F 84.0 sei gemäß der Anlage zum niedersächsischen Landesrahmenvertrag eine erhöhte Vergütung an den leistungserbringenden Leistungsträger zu zahlen. Bei dem beim Klägerin diagnostizierten atypischen Autismus ICD-10, F 84.11 sei hingegen im Heilpädagogischen Kindergarten der M. N. eine Durchführung einer autismusspezifischen Therapie mit dem Autismus-Zentrum der M. in N. für den Leistungsträger kostenfrei möglich. Die M. müsse die Betreuung des Klägers auch in der Autismustherapie bei Einstufung in eine niedrige Hilfebedarfsgruppe vornehmen. Deren Kosten seien bereits von der Kostenübernahme für den Besuch des heilpädagogischen Kindergartens umfasst. Die Therapie im Autismus-Therapie-Zentrum I. würden demgegenüber weitere Kosten verursachen. Die Kostenzusage für diese Kosten stelle sich als unverhältnismäßig dar, da es sich im Vergleich zur kostenfreien Therapie der M. um unverhältnismäßige Mehrkosten handele.

Im Widerspruchsschreiben vom 09.10.2008 legte der Kläger dar, dass seiner Ansicht nach eine gleichwertige Therapie zu der im Autismus-Therapie-Zentrum I. im Heilpädagogischen Kindergarten der M. N. nicht möglich sei. Dann machte der Kläger beim hiesigen Sozialgericht ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes anhängig (Az.: S 13 SO 79/08 ER). Mit Beschluss vom 22.12.2008 wurde der Antragsgegner, der hiesige Beklagte, verpflichtet, die Kosten für die Autismustherapie im Autismus-Therapie-Zentrum I. ab Januar 2009 vorläufig bis zum 31.07.2009 zu übernehmen. Das Gericht stützte sich dabei auf eine Folgenabwägung. Die Entscheidung des Gerichtes wurde mit vorläufigem Bescheid vom 23.12.2008 umgesetzt.

Mit in diesem Verfahren streitigem Widerspruchsbescheid vom 30.01.2009 wurde der Widerspruch des Klägers vom 09.10.2008 zurückgewiesen. Der Beklagte stützte sich weiterhin darauf, dass die M. N. eine Autismusambulanz vorhalte, die vom Heilpädagogischen Kindergarten L. getrennt sei. Diese Autismusambulanz arbeite nach den erforderlichen Standards der Wissenschaft. Die M. N. sei aufgrund der Abreden des Landes O. verpflichtet, bei der Diagnose des Autismus mit atypischer Symptomatologie des Klägers die autismusspezifische Therapie kostenfrei anzubieten. Die Mehrkosten für den Besuch des Autismus-Therapie-Zentrums in I. beliefen sich auf 94,08 EUR pro Therapieeinheit, bei zwei erforderlichen Therapieeinheiten pro Woche also 188,16 EUR pro Woche. Diese Mehrkosten stellten sich als unverhältnismäßig hoch dar, so dass dem Wunsch und Wahlrecht des Klägers gemäß § 9 des Zwölften Buches des Sozialgesetzbuches - Sozialhilfe - (SGB XII) nicht zu entsprechen sei.

In den Akten findet sich eine schriftliche Stellungnahme der M. N. e. V. vom 20.01.2009, in der vertreten wurde, dass die M. die erforderlichen Maßnahme der Autismustherapie zwar erbringen könne, aber dies nur unter Berücksichtigung einer entsprechenden Vergütung, wie z. B. derjenigen für die "LBGR 2". Ausdrücklich findet sich folgendes Zitat: "Es kann doch nicht sein, dass wir aus der Vergütung für die LBGR 1 auch noch einen höheren spezifischen Stellenanteil bzw. die Leistung für eine ambulante Autismustherapie zu finanzieren haben". Es wurde in dem Schreiben auch dargestellt, dass für den Kläger eine reine sozialpädagogische bzw. heilpädagogische Behandlungsmaßnahme nicht ausreichend erscheine.

Ein weiterer Antrag des Klägers auf Fortbewilligung der Leistungen der Eingliederungshilfe im Autismus-Therapie-Zentrum vom 28.05.2009 stellt sich nach Aktenlage als unbearbeitet dar, bzw. die Beteiligten stellen dar, dass in Anbetracht des laufenden Hauptsacheverfahrens dieser Antrag im Ergebnis ruhend gestellt wurde. Eine weitere Kostenübernahme für die Leistungen des Autismus-Therapie-Zentrums I. erfolgte nicht. Ein weiterer Antrag vom 11.05.2010 auf wiederum folgende Kostenübernahme wurde mit Bescheid vom 08.10.2010 abgelehnt.

In einem weiteren Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bezüglich der Kostenübernahme für den Besuch des Autismus-Therapie-Zentrums I. (Aktenzeichen Sozialgericht Aurich: S 13 SO 33/10 ER) wurde durch das Gericht der Antrag abgewiesen, weil eine Therapie im Autismus-Therapie-Zentrum der M. N. gleichermaßen geeignet sei und auch tatsächlich angeboten werde. Dieser Einschätzung des Gerichtes lag eine Stellungnahme einer Amtsärztin im Gesundheitsamt, der Zeugin P., vom 17.06.2010 zu Grunde, in der kurz mitgeteilt wurde, dass bei der M. in N. vergleichbare Therapien zum Zentrum in I. durchgeführt werden. Des Weiteren eine schriftliche Stellungnahme bzw. Stellungnahme per E Mail der M. N. e. V. vom 16.06.2010, worin bestätigt wurde, dass die Therapie nunmehr durchgeführt werden könne.

Im Beschwerdeverfahren bezüglich der Entscheidung des Sozialgerichtes Aurich zum obigen Aktenzeichen (Az.: LSG Niedersachsen-Bremen, L 8 SO 337/10 B ER) entschied das Landessozialgericht mit Beschluss vom 09.05.2011, dass die Kosten für den Besuch des ambulanten Autismus-Therapie-Zentrums in I. für die Zeit vom 01.06.2011 bis 31.08.2011 durch den Beklagten vorläufig zu übernehmen seien. Für die Zeit von 2010 bis 31.05.2011 bestehe kein Anordnungsgrund, da die Therapie stattgefunden habe und über die Übernahme der Kosten in einem Hauptsacheverfahren zu entscheiden sei. Für die Zeit ab dem 01.06.2011 läge eine Kündigungsandrohung des Autismus-Therapie-Zentrums I. vor und im Wege der Folgenabwägung sei eine Kostenübernahme vorläufig angezeigt. Der dortige Antragsgegner und hiesige Beklagte habe nicht klar dargelegt, welche bedarfsgerechten Leistungen dem Kläger in N. angeboten hätten werden können und inwieweit ein Wechsel vom Autismus-Therapie-Zentrum von I. nach N. möglich sei.

Infolge dieser Entscheidung des Landessozialgerichtes legte der Beklagte unter einem Schreiben vom 30.08.2011 ein Konvolut der M. N. e. V. Heilpädagogischer Kindergarten L. bezüglich des Ist-Standes und der Zielplanung der Therapie des Klägers vor. Diese Erhebung war durch die Q. aus R. durchgeführt worden.

Zum 01.08.2011 wechselte der Kläger vom Heilpädagogischen Kindergarten L. und vom Autismus-Therapie-Zentrum I. zur Tagesbildungsstätte S. des Heilpädagogischen Zentrums T ... Dies erfolgte im Einverständnis mit dem Beklagten. Der Amtsarzt U. stellte mit dem 10.02.2011 fest, dass eine umfassende Therapie in S. geeigneter sei als eine solche bei der M. in N ...

Infolge der beginnenden Therapie in S. wurde der Kläger in der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie Psychosomatik und Psychotherapie beim Universitätsklinikum V. am 21.10.2011 und 09.11.2011 ambulant untersucht. Ausweislich eines Schreibens vom 14.11.2011 diagnostizierten die dortigen Experten Prof. Dr. med. W., Dr. X. und Dipl.-Psych. Y. das Bestehen eines frühkindlichen Autismus ICD-10 F 84.0, eine expressive Sprachstörung (ICD-10 F 80.1) und den Verdacht auf eine Intelligenzminderung (ICD-10 F 70). Diese Störungen konnten ausweislich des Schreibens erst zu diesem Zeitpunkt aufgrund nunmehr möglicher Testverfahren diagnostiziert werden.

Der Kläger ist der Auffassung, dass zum einen die Argumentation des Beklagten bezüglich der Mehrkosten im Autismus-Therapie-Zentrum I. hinfällig sei, weil bei ihm ein frühkindlicher Autismus mit dem ICD-10 Code F 84.0 vorliege und dementsprechend auch eine Therapie in N. Mehrkosten verursacht hätte. Des Weiteren vertritt er die Auffassung, dass eine Therapie im Autismus-Therapie-Zentrum der M. in N. nicht gleichermaßen geeignet gewesen sei und jedenfalls ein Wechsel vom Therapie-Zentrum I. zum Autismus-Therapie-Zentrum N. nach Beginn der Therapie im Jahre 2009 unzumutbar gewesen sei.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 22.09.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.01.2009 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten in der Zeit vom 01.01.2009 bis 30.04.2010 die nachgewiesenen Kosten der Autismustherapie im Autismus-Therapie-Zentrum I. zu übernehmen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist weiterhin der Ansicht, dass eine Therapie im Autismus-Therapie-Zentrum der M. N. signifikant kostengünstiger sei als eine solche im Autismus-Therapie-Zentrum I ... Insbesondere hätte die neue Diagnose des frühkindlichen Autismus keine nachträgliche Veränderung der Übernahmeverpflichtung zur Folge gehabt.

Das Gericht führte in dieser Angelegenheit eine mündliche Verhandlung mit Beweisaufnahme durch Zeugenvernehmung am 11.04.2013 durch. Bezüglich des Inhalts der mündlichen Verhandlung und der Zeugenvernehmung wird auf die Gerichtsakten Bezug genommen. Gegenstand der Entscheidungsfindung waren des Weiteren die Gerichtsakten dieses Verfahrens, die Gerichtsakten der beigezogenen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (Aktenzeichen s. oben) und die vom Beklagten überreichten Verwaltungsvorgänge.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Der streitige Bescheid mit Regelungsgehalt für die Zeit vom 01.01.2009 bis 30.04.2010 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat einen Anspruch gegen den Beklagten auf Übernahme der Therapiekosten im ambulanten Autismus-Therapie-Zentrum I., die in der oben genannten Zeit entstanden sind.

1. Der streitgegenständliche Zeitraum dieses Verfahrens umfasst die Zeit vom 01.01.2009 bis 30.04.2010. Dies ergibt sich daraus, dass ein Antrag vom 11.05.2010 mit Ablehnungsbescheid vom 08.10.2010 für die Zeit ab 01.05.2010 abgelehnt wurde. Die Beurteilung der folgenden Zeiträume ist einem Verfahren bezüglich dieses Ablehnungsbescheides vorbehalten.

Der streitgegenständliche Zeitraum wird nicht aufgrund des weiteren Antrages vom 28.05.2009 weitergehend beschränkt, da dieser Antrag zumindest ausweislich der Akten und des Vorbringens der Beteiligten umfassend ruhend gestellt wurde im Hinblick auf dieses Verfahren. Von daher nimmt das Gericht eine Fortwirkung des ursprünglichen Ablehnungsbescheides vom 22.09.2008 auch über den 01.05.2009 hinaus an. Der Antrag vom 28.05.2009 ist zumindest ausweislich der Aktenlage in keinem Umfange bearbeitet worden und sollte von den Beteiligten übereinstimmend an die Regelung bezüglich des ersten Antrages "gekoppelt" werden.

2. Der Hilfebedarf des Klägers ist aufgrund seiner behinderungsbedingten Einschränkungen insbesondere aus dem autistischen Formenkreis unstreitig. Die Anspruchsvoraussetzungen dem Grunde nach gemäß den §§ 53 ff. SGB XII i. V. m. den §§ 55 Abs. 2 Nr. 7 des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) i. V. m. § 58 SGB IX liegen zwischen den Beteiligten unstreitig vor. Das Gericht hat diese Voraussetzung und hier insbesondere den behinderungsbedingten Eingliederungsbedarf überprüft und kann die Einschätzung der Beteiligten teilen.

Dass dem Kläger aufgrund des § 9 Abs. 2 SGB XII zustehende Wunsch- und Wahlrecht, kann durch den Beklagten entgegen seiner Auffassung nicht in rechtmäßiger Weise eingeschränkt werden. Die Regelung des § 9 Abs. 2 SGB XII lautet: Wünschen der Leistungsberechtigten, die sich auf die Gestaltung der Leistung richten, soll entsprochen werden, soweit sie angemessen sind. [ ] Der Träger der Sozialhilfe soll in der Regel Wünschen nicht entsprechen, deren Erfüllung mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden wäre. Der Kläger hat dieses Wunsch- und Wahlrecht bezüglich seiner Leistungen der Eingliederungshilfe in rechtmäßiger Weise in Bezug auf den Besuch des Autismus-Therapie-Zentrums I. ausgeübt.

Der Wunsch des Klägers, seine Therapie im Autismus-Therapie-Zentrum I. durchzuführen, stellt sich als angemessen dar. Nach Aktenlage wird im Autismus-Therapie-Zentrum I. eine Autismus-Therapie gemäß dem Stand von Wissenschaft und Forschung durchgeführt. Dieses Faktum ist gerichtsbekannt. Eine Einschränkung dieses Wahlrechtes gemäß § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB XII ist nach neu ermitteltem Sachverhalt nicht möglich.

Wünschen soll dann nicht entsprochen werden, wenn unverhältnismäßige Mehrkosten entständen. Die Kosten bezüglich der Autismus-Therapie im Autismus-Therapie-Zentrum I. beliefen sich auf etwa 188,00 EUR pro Woche. Dies stellt gegenüber der vom Beklagten angeführten Autismus-Therapie im Autismus-Therapie-Zentrum der M. N. e. V. keine unverhältnismäßigen Mehrkosten dar. Die vom Beklagten zunächst angeführte Argumentation, dass eine Therapie im Autismus-Therapie-Zentrum der M. N. e. V. kostenfrei für den Leistungsträger möglich sei, stellt sich als hinfällig dar. Die Argumentation basierte darauf, dass beim Kläger ein atypischer Autismus nach ICD-10 F 84.11 diagnostiziert war und bei Vorlage dieser Diagnose die M. nach Auffassung des Beklagten verpflichtet gewesen wäre, eine kostenfreie Therapie anzubieten.

Ohne dass dies entscheidungserheblich wäre, kann die Kammer feststellen, dass auch bezüglich dieser Einschätzung gewisse Zweifel bestehen. Nach Aktenlage ist zumindest aus dem Schreiben der M. vom 20.01.2009 ersichtlich, dass zum damaligen Zeitpunkt die M. als Anbieter sich weigern wollte, eine kostenfreie Therapie des Klägers anzubieten. Zu diesem Zeitpunkt bestand zumindest nach Aktenlage Streit rechtlicher Art zwischen der M. und dem Beklagten bezüglich einer Verpflichtung zur kostenlosen Therapie. Inwieweit bei Bestehen eines solchen Streites und der von der M. N. e. V. vertretenen Ansicht eine adäquate gleichwertige Therapie zu derjenigen im Autismus-Therapie-Zentrum I. möglich war, kann das Gericht nicht feststellen, dies kann aber dahingestellt bleiben.

Die Hinfälligkeit der Argumentation ergibt sich daraus, dass beim Kläger durchgängig ein frühkindlicher Autismus mit dem ICD-10 Code F 84.0 bestand. Die Einschätzung der Mediziner des Universitätsklinkums V. vom November 2011 bezüglich der Diagnostik ist für die Kammer überzeugend. Dies insbesondere in Anbetracht des Inhaltes der Zeugenaussage der als sachverständiger Zeugin vernommenen Frau P ... Frau P. ist nach eigenem Bekunden (und gerichtsbekannt) langjährige Expertin auf dem Gebiet der autistischen Störungen. Ihr Vorbringen, dass ein Wechsel in der Diagnose eines Autismus von einem atypischen Autismus zu einem frühkindlichen Autismus nicht möglich ist, stellt sich für das Gericht auch nach eigener Überprüfung als überzeugend dar. Die Diagnosestellung bezüglich eines frühkindlichen Autismus ist speziell bei Betroffenen, die neben der autistischen Störung noch unter weiteren Störungen leiden, wie es beim Kläger der Fall ist, besonders schwierig. Speziell in jungen Lebensjahren kann eine voll umfängliche Diagnose eines frühkindlichen Autismus mit ICD-10 F 84.0 kaum valide gestellt werden. Diese Problematik der Diagnostik beruht darauf, dass aufgrund von Sprach- und sonstigen Entwicklungsstörungen wie z. B. auch Intelligenzminderungen die autismusspezifischen Testverfahren im Alter bis zu 3 oder 4 Jahren nicht mit aussagekräftigen Ergebnissen durchgeführt werden können, sondern erst deutlich später. Gemäß der Definition im ICD-10 besteht im Übrigen ein frühkindlicher Autismus zwingend bereits ab Geburt. Die Diagnose eines atypischen Autismus wird sozusagen nur als Sicherheits- bzw. Reservediagnose getroffen, für den Fall, dass sich zunächst wegen der Problematik der Testverfahren keine Gewissheit bezüglich der Art der autistischen Störung erzielen lässt.

An der medizinischen und insbesondere kinderpsychiatrischen Kompetenz sowohl der Mediziner des Universitätsklinkums V. der dortigen Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie Psychosomatik und Psychotherapie als auch der sachverständig gehörten Zeugin bestehen für die Kammer keinerlei Zweifel.

Vor dem Hintergrund der Störung in Form eines frühkindlichen Autismus mit der Diagnose ICD 10 F 84.0 wäre die M. auch nach Ansicht des Beklagten nicht verpflichtet gewesen, eine kostenfreie Autismustherapie anzubieten. Der M. als Leistungserbringer hätten ebenfalls höhere Leistungen des Beklagten zugestanden. Von daher stellt sich das Argument bezüglich der Mehrkosten der Therapie und der entsprechenden Einschränkung des Wunsch- und Wahlrechts des Klägers als hinfällig dar.

Der Beklagte äußerte im Termin zur mündlichen Verhandlung die Auffassung, dass jedenfalls eine Therapie autismusspezifischer Art bei der M. N. e. V. im Falle des Klägers aus anfänglicher Betrachtung kostenfrei für den Leistungsträger durchgeführt worden wäre. Dies aufgrund der zunächst gestellten Diagnose des Autismus mit atypischer Symptomatologie. Diese Auffassung kann nicht durchgreifen. Dies ergibt sich auch ohne Berücksichtigung der oben festgestellten Problematik bezüglich des tatsächlichen Angebots der Therapie. Zwar mag man zugestehen, dass bei den medizinischen Diagnosen rein tatsächlich gegenüber dem Kläger mit seiner autistischen Störung zunächst unklarer Genese keine andere Therapie stattgefunden hätte, als diejenige die er erhalten hat. Die Therapie hat sich nicht an den Diagnosen zu orientieren, sondern an den tatsächlich vorhandenen Einschränkungen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die M. keine höheren Leistungen von Anfang an hätte abrechnen können. Aufgrund der logisch zwingenden Rückwirkung der Diagnose (s.o.) geht das Gericht davon aus, dass die M. als Erbringer der Autismus-Therapie beim Kläger die höheren Kosten auch rückwirkend für die gesamte Zeit hätte beanspruchen können. Diese Einschätzung stützt das Gericht darauf, dass sich im vorgelegten Landesrahmenvertrag keine Klauseln finden, die eine Änderung der Diagnose vergütungsrechtlich irrelevant werden lassen.

Von daher bedurfte es keiner weiteren Ermittlungen des Gerichtes zur Frage, ob eine entsprechende Therapie gleichwertiger Art ohne Kostendeckung durch den Beklagten von der M. überhaupt hätte angeboten werden können, dies jedenfalls bis zum 30.05.2010, ebenso wenig bestand Veranlassung weiter zu ermitteln, inwieweit die im Autismus-Therapie-Zentrum der M. angebotenen Leistungen bereit im Jahre 2009 vollständig gleichwertig zu denen des Autismus-Therapie-Zentrums I. waren. Auch bedurfte es keiner Stellungnahme des Gerichtes zu der Frage, ob nach Beginn der Therapie im Autismus-Therapie-Zentrum I. ein Wechsel des Therapieortes bzw. des Therapieträgers mit unzumutbaren Nachteilen für den Kläger verbunden wäre. Hierfür bestehen in Anbetracht des besonderen Vertrauensverhältnisses des Klägers zu seinen Therapeuten sowie der autismusspezifischen Erforderlichkeit einer besonderen Gewöhnung an veränderte Umstände einige Anhaltspunkte.

Das Gericht erkennt auch, dass zumindest nach Aktenlage wohl erst zum Juni 2010 eine Aufnahme der Therapie im Therapie-Zentrum der M. N. möglich gewesen war. Diese Erkenntnis stützt das Gericht auf den in den Akten befindlichen E Mail-Brief der M. N., wonach zum 16.06.2010 nunmehr eine Aufnahme der Therapie möglich war. Dies lässt nach Akten den Rückschluss zu, dass bis zu diesem Zeitpunkt jedenfalls die Aufnahme einer Therapie nicht möglich war.

Die im schriftlichen Verfahren zunächst geäußerte Auffassung des Beklagten, dass im Heilpädagogischen Kindergarten L. der M. N. e. V. eine autismusspezifische Therapie tatsächlich für den Kläger stattgefunden hat, wurde von diesem nicht weiter vertreten. Eine entsprechende Annahme stellt sich für das Gericht auch nicht als nachvollziehbar dar. Aus den medizinischen Unterlagen ist ersichtlich, dass für den Kläger neben der sozialpädagogischen heilpädagogischen Betreuung im Kindergarten L. der M. N. zwingend eine autismusspezifische Therapie zusätzlich erforderlich war. Hierbei steht fest, dass die heilpädagogische Betreuung des Klägers im Kindergarten sicherlich auch autismusspezifische Aspekte hatte und haben musste. Hierüber bestand in der Sache auch kein Streit.

Die Kostentragungspflicht des Beklagten bezüglich der Kosten des Besuches des Autismus-Therapie-Zentrums I. umfasst auch die nachzuweisenden Nebenkosten, hier insbesondere Fahrtkosten vom Wohnort des Klägers zum Autismus-Therapie-Zentrum. Alleine aufgrund der höheren Fahrtkosten zum Therapieort in I. im Vergliche zum demjenigen in N. erkennt das Gericht keine Unverhältnismäßigkeit dieser Mehrkosten. Die Kostenentscheidung beruht auf der Regelung des § 193 des Sozialgerichtsgesetztes. Zwar ist der Kläger in Bezug auf sein Begehren der Kostenübernahme in vollem Umfang siegreich gewesen. Aber dieses Obsiegen im gerichtlichen Verfahren resultierte aus der Vorlage der veränderten medizinischen Unterlagen einen Tag vor Termin zur mündlichen Verhandlung. Zwar datierten die entsprechenden Unterlagen und Diagnoseänderungen bereits von November 2011, waren aber weder dem Beklagten noch dem Gericht bis zu diesem Zeitpunkt bekannt. Von daher blieb dem Beklagten auch keine hinreichende Bearbeitungszeit bis zur mündlichen Verhandlung, sich eine fundierte Ansicht zu dieser Unterlage zu bilden. Von daher erkennt das Gericht keine Kostentragungspflicht des Beklagten aus Veranlassungsgesichtspunkten.

Nippen