Sozialgericht Aurich
Urt. v. 17.01.2013, Az.: S 55 AS 308/11

Absenkung von Leistungen nach dem Zweiten Buche des Sozialgesetzbuches (SGB II) aufgrund eines Verstoßes gegen eine Eingliederungsvereinbarung; Fehlende Durchführung von mindestens 4 Bewerbungen pro Monat; Anforderungen an eine ordnungsgemäße Eingliederungsvereinbarung

Bibliographie

Gericht
SG Aurich
Datum
17.01.2013
Aktenzeichen
S 55 AS 308/11
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2013, 61605
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGAURIC:2013:0117.S55AS308.11.0A

Tenor:

Der Bescheid vom 23.4.10 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.3.11 wird aufgehoben. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers. Die Berufung wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Absenkung der Leistungen nach dem Zweiten Buche des Sozialgesetzbuches - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) des Beklagten gegenüber der Klägerin.

Die am G. geborene Klägerin lebt gemeinsam mit ihren drei Kindern (geboren 1989, 1995 und 1999) im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beklagten und stand zumindest im Jahre 2010 im laufenden Bezug für Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II.

Mit einem Bescheid vom 23.04.2010 wurde gegenüber der Klägerin eine Absenkung der Leistungen in Höhe von 30 % des für sie maßgeblichen Regelsatzes, also 107,70 Euro, verfügt für die Zeit vom 01.05. bis 31.07.2010. Diese Entscheidung wurde durch den Widerspruchsbescheid vom 25.03.2011 bestätigt.

Als Grund für die Leistungsabsenkung führte der Beklagte einen Verstoß gegen eine Eingliederungsvereinbarung auf. Nach einer Eingliederungsvereinbarung vom 07.01.2010 sei die Klägerin verpflichtet gewesen, vier sogenannte Eigenbemühungen um sozialversicherungspflichtige Stellung pro Monat jeweils bis zum Monatsende gegenüber dem Beklagten nachzuweisen. Dieser Verpflichtung sei sie für den Monat März 2010 nicht nachgekommen. Auch die am 06.08.2010 per Fax zugeleiteten Bewerbungsbemühungen seien nicht nachprüfbar gewesen.

Mit Datum vom 07.01.2010 hatten sowohl die Klägerin als auch eine Vertreterin des Beklagten eine sogenannte Eingliederungsvereinbarung unterzeichnet, die für die Zeit bis zum 06.07.2010 soweit zwischenzeitlich nichts anderes vereinbart gültig sein sollte. In dieser Eingliederungsvereinbarung waren unter 1. wie folgt ausgeführt: Ihr Träger für Grundsicherung Arbeitsgemeinschaft Arbeit und Soziales Aurich unterstützt Sie mit folgenden Leistungen zur Eingliederung Er unterbreitet Ihnen Vermittlungsvorschläge, soweit geeignete Stellenangebote vorliegen. Er nimmt Ihr Bewerbungsprofil in www.arbeitsagentur.de auf. Er unterstützt Ihre Bewerbungsaktivitäten durch Übernahme von Kosten für schriftliche Bewerbungen auf vorherige Antragstellung und schriftlichen Nachweis nach Maßgabe des § 16 Abs. 1 SGB II i.V.m. §§ 45 ff. SGB III. Bewerbungskosten können bis zu einem Betrag von 260 Euro jährlich übernommen werden. Er unterstützt Ihre Bewerbungsaktivitäten nach Maßgabe des § 16 Abs. 1 SGG II i.V.m. §§ 45 ff. SGB III durch Übernahme von Fahrkosten zu Vorstellungsgesprächen auf vorherige Antragstellung und Nachweis.

Unter 2. waren Bemühungen von Frau B. zur Eingliederung in Arbeit wie folgt aufgeführt: Mindestens 4 Bewerbungen um sozialversicherungspflichtige Stellen pro Monat während des Gültigkeitszeitraumes dieser Eingliederungsvereinbarung. Die Bewerbungen können auch in mündlicher/persönlicher oder fernmündlicher Form erfolgen. Der Nachweis darüber ist monatlich jeweils zum Monatsende, erstmalig am 31.01.2010, durch Sie persönlich zu den regulären Öffnungszeiten Ihrem persönlichen Ansprechpartner/Arbeitsvermittler in der ARGE I. in Form einer aussagefähigen und nachprüfbaren Liste (Namen und Anschrift der Firma, Telefonnummer des Ansprechpartners, Datum der Bewerbung, Ergebnis) vorzulegen. Sollte das Monatsende auf einen Tag fallen, an dem die ARGE nicht dienstbereit ist (z. B. Mittwochs ganztägig geschlossen, Feiertag, Sonnabend, Sonntag), so legen Sie den Nachweis am darauffolgenden Tag vor, am dem die ARGE für den Publikumsverkehr geöffnet ist. Sie bewerben sich zeitnah, d.h. spätestens am dritten Tage nach Erhalt des Stellenangebotes, auf Vermittlungsvorschläge, die Sie von der Agentur für Arbeit/Träger der Grundsicherung (ARGE) erhalten haben. Als Nachweis über Ihre unternommenen Bemühungen füllen Sie die dem Vermittlungsvorschlag beigefügte Antwortmöglichkeit aus und legen diese vor.

Bis sich nichts besseres findet, wird Frau B. weiterhin ihrem Minijob bei K. nachgehen.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass sie für den Monat März 2010 die entsprechenden Nachweise bezüglich Eigenbemühungen bei dem Beklagten eingereicht habe, dies an der sogenannten Infotheke. Die Klägerin ist des Weiteren der Ansicht, dass die sogenannte Rechtsfolgenbelehrung, die der Eingliederungsvereinbarung beigefügt war, nicht den Anforderungen der obergerichtlichen Rechtsprechung entsprochen habe, so dass eine formelle Unwirksamkeit der streitigen Bescheide vorläge.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 23.04.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.03.2011 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Auffassung, dass keine Nachweise bezüglich Eigenbemühungen der Klägerin im Monat März 2010 eingereicht worden seien. Selbst die im August 2010 - also verspätet - nachgereichten Darlegungen der Klägerin seien nicht nachprüfbar gewesen.

Die Kammer führte in dieser Angelegenheit am 17.01.2013 eine mündliche Verhandlung durch. Gegenstand der Entscheidungsfindung war der Inhalt der Gerichtsakten, der Inhalt der überreichten Verwaltungsakten und der Inhalt der mündlichen Verhandlung vom 17.01.2013.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet. Der streitige Absenkungsbescheid vom 23.04.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.03.2011 ist rechtswidrig ergangen und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Eine Absenkung der Leistungen nach dem SGB II für die Zeit Mai bis Juli 2010 war nicht rechtmäßig möglich.

Dies beruht darauf, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1b SGB II im Fall der Klägerin nicht vorliegen. Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1b SGB II in der im Jahr 2010 gültigen Fassung gilt folgendes: Das Arbeitslosengeld II wird unter Wegfall des Zuschlags nach § 24 in einer ersten Stufe um 30 vom Hundert der für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nach § 20 maßgebenden Regelleistung abgesenkt, wenn 1. der erwerbsfähige Hilfebedürftige sich trotz Belehrung über die Rechtsfolgen weigert, [ ] b) in der Eingliederungsvereinbarung festgelegte Pflichten zu erfüllen, insbesondere in ausreichendem Umfang Eigenbemühungen nachzuweisen, [ ]

Die tatbestandliche Voraussetzung des Bestehens einer Eingliederungsvereinbarung liegt im Fall der Klägerin nicht vor. Voraussetzung dieses Sanktionstatbestandes nach § 31 SGB II ist das Bestehen einer rechtmäßig geschlossenen Eingliederungsvereinbarung. Zentrale Bestandteile der Eingliederungsvereinbarung sind die Festlegung zum einen der Leistungen, die der erwerbsfähige Leistungsberechtigte zur Eingliederung in Arbeit erhält und zugleich die Konkretisierung der aktiven Eingliederungsbemühungen durch ihn selbst. Aufgrund des gesetzlich zugrunde liegenden Grundsatzes des Forderns und Förderns muss eine solche Vereinbarung diese Bestandteile in einem vergleichbaren Konkretisierungs- und Verbindlichkeitsgrad bestimmen. Wenn es an einem der beiden Teile insoweit fehlt, handelt es sich nicht um eine Eingliederungsvereinbarung im Sinne des § 15 SGB II. Dann kann an eine solche Vereinbarung auch nicht eine Sanktion im Sinne des § 31 Abs. 1 SGB II angeknüpft werden. Eine Eingliederungsvereinbarung muss zwingend ein in sich konsistentes und konkret auf den Einzelfall des Leistungsberechtigten zugeschnittenes Eingliederungskonzept regeln oder zumindest eindeutig zur Grundlage haben. (Berlit in LPK SGB II 4. Auflage 2011 § 15 Rn 22, 23; Sonnhoff in PK SGB II 3. Aufl. 2012 § 15 Rn 51, 53 f.).

Festzustellen ist, dass vereinbarungsfähige Leistungen zur Eingliederung in Arbeit dementsprechend nur solche sein können, die im Ermessen des Trägers stehen. Solche, auf die der Leistungsberechtigte ohnehin einen Rechtsanspruch hat, können keine Leistungen in diesem Sinne sein. (LSG Baden-Württemberg vom 22.01.2007 - Aktenzeichen L 13 AS 4160/06 ER - B).

Diesen Voraussetzungen an eine Eingliederungsvereinbarung entspricht die Eingliederungsvereinbarung zwischen der Klägerin und dem Beklagten vom 07.01.2010 nicht. Aus der Eingliederungsvereinbarung sind keine Verpflichtungen des Beklagten ersichtlich, die konkret und individuell an die Situation der Klägerin angepasst wären. Vielmehr handelt es sich um allgemeine Bereitschaftserklärungen des Beklagten, bestimmte Leistungen eventuell zu erbringen - so bezüglich der Bewerbungskosten - oder es handelt sich um Leistungen, zu denen der Beklagte ohnehin gesetzlich verpflichtet ist, oder es handelt sich um Förderleistungen, die bezüglich (nahezu) jedem Leistungsberechtigten immer erbracht werden.

Das der Beklagte Vermittlungsvorschläge unterbreitet, soweit geeignete Stellenangebote vorliegen, entspricht nur seinen gesetzlichen Verpflichtungen. Ebenso die Aufnahme des Bewerberprofils in die Internetdatenbank www.arbeitsagentur.de, was obligatorisch bezüglich jedes Leistungsberechtigten nach dem SGB II erfolgen sollte, der hiermit einverstanden ist. Bezüglich der Übernahme von Kosten für schriftliche Bewerbungen stellt die formularmäßig aufgenommene Klausel keine Verpflichtung des Beklagten dar, die über das Gesetzliche hinaus gehen würde. (vgl. hierzu LSG Niedersachsen-Bremen vom 04.04.2012 - Aktenzeichen L 15 AS 77/12 B ER; a.A. wohl Hessisches LSG vom 27.08.2012 - Aktenzeichen L 6 AS 129/09 zit. nach ). Insbesondere bei Annahme einer Verpflichtung der leistungsberechtigten Klägerin zur Durchführung von 4 Bewerbungen pro Monat dürfte es nach Auffassung der Kammer zwingend sein, dass der Leistungsträger, also der Beklagte, sich verpflichtet, die hierzu erforderlichen Kosten zu übernehmen. Bei Erschöpfung eines Jahresbudgets von 260 Euro, wie es in der Eingliederungsvereinbarung aufgenommen ist, wäre die Klägerin eventuell vor Probleme gestellt. Sie könnte keine Bewerbung abgeben, da sie sich die Kosten nicht leisten kann, zugleich müsste sie dann nach Inhalt der Vereinbarung eine Sanktion erdulden, da sie ihren Pflichten nicht nachkommen würde.

Die Verpflichtung der leistungsberechtigten Klägerin zum Nachweis ist in der Eingliederungsvereinbarung so formuliert, dass sie bei fehlendem Budget zur Bestreitung der Bewerbungskosten diese nicht mehr durchführen könnte. Ein vergleichbarer Konkretisierungs- und vor allem Verbindlichkeitsgrad liegt nicht vor. Insoweit, als eventuell kostenfreie elektronische oder telefonische Bewerbungen denkbar sind, stellt dies nach Auffassung der Kammer keine Erhaltung der Wirksamkeit der Eingliederungsvereinbarung dar. Auf zahlreiche Stellen sind solche Bewerbungen zumindest nicht mit Erfolg möglich. Des Weiteren wird oftmals nach praktischer Erfahrung der Kammer infolge einer telefonischen Bewerbung auch die Einreichung von schriftlichen Unterlagen durch Arbeitgebern gefordert, was sich auch als sachgerecht darstellt.

Die Unterstützung der Bewerbungsaktivitäten durch Übernahme von Fahrkosten, zu der sich der Beklagte ebenfalls verpflichtet hat, geschieht ebenfalls nur im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und nicht individualisiert bezüglich der Bemühungen der Klägerin.

Im Fazit bleibt festzustellen, dass der Beklagte bezüglich der Situation der Klägerin keine individualisierten und konkretisierten Verpflichtungen übernommen hat. Gerade bei der Situation der Klägerin als alleinerziehende Mutter dreier zumindest zum Teil schulpflichtiger Kinder hätte es nahe gelegen, auf diese Situation besonders Bezug zu nehmen und Unterstützung beispielsweise bei Kinderbetreuung oder Flexibilisierung bei Arbeitszeit anzubieten. Ebenso hätte es nahegelegen, eventuell aktivierende Leistungen durch Informationsveranstaltungen in einer Eingliederungsvereinbarung aufzunehmen, bzw. anzubieten. Eine Erhaltung der Rechtmäßigkeit der Eingliederungsvereinbarung als solcher ist daher auch nicht vor dem Hintergrund möglich, dass der Beklagte mit den von ihm übernommenen Verpflichtungen schon alles getan hätte, was ihm überhaupt möglich gewesen wäre.

Vor diesem Hintergrund, dass bezüglich der Vereinbarung vom 07.01.2010 bereits keine formell dem Gesetz entsprechende Eingliederungsvereinbarung im Sinne des § 15 SGB II vorliegt, ist es entbehrlich, bezüglich der Rechtsfolgenbelehrung weitere formelle Voraussetzungen Stellung zu nehmen. Die Kammer hat diesbezüglich festgestellt, dass die der Vereinbarung vom 07.01.2010 beigefügte Rechtsfolgenbelehrung konkret und individuell genug sein dürfte, um den Anforderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu genügen (vgl. hierzu BSG vom 16.12.2008 - Aktenzeichen B 4 AS 60/07; BSG vom 18.02.2010 - Aktenzeichen B 14 AS 53/08 m. w. N.; LSG NRW vom 10.05.2012 - Aktenzeichen L 19 AS 137/12 B).

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Berufung ist nicht gem. § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG zulässig, da der maßgebliche Berufungsstreitwert nicht erreicht wird. Eine Zulassung der Berufung durch die Kammer im Sinne von § 144 Abs. 2 SGG war nicht angezeigt. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und das Urteil weicht nicht von einer Entscheidung des zuständigen Landessozialgerichts ab.

Nippen