Sozialgericht Aurich
Urt. v. 18.12.2013, Az.: S 15 AS 473/10

Besondere Härte; Erwerbsbiographie; selbstständig; Vermögen; Einfamilienhaus

Bibliographie

Gericht
SG Aurich
Datum
18.12.2013
Aktenzeichen
S 15 AS 473/10
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2013, 64298
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Hat ein Leistungsberechtigter aufgrund knapp zwanzigjähriger selbständiger Tätigkeit erhebliche Lücken in seiner Altersvorsorge, die er aufgrund starker gesundheitlicher Beeinträchtigungen bis zum Beginn des Rentenalters nicht mehr aufholen kann, stellt dies eine besondere Härte im Sinne des § 12 Abs. 3 Nr. 6 SGB II dar und steht der Verwertung seines Hauses als Vermögen entgegen.

Tenor:

1. Die Bescheide des Beklagten vom 09.07. und 14.07.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18.03.2010 werden abgeändert.

2. Der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die mit diesen Bescheiden gewährten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Zeitraum 01.04. - 30.09.2009 als Zuschuss zu bewilligen.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4. Der Beklagte hat dem Kläger die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist ein Anspruch des Klägers auf SGB II-Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts als Zuschuss statt als Darlehen für den Zeitraum 01.04. bis 30.09.2009 sowie die Gewährung von Tilgungsleistungen als Teil der Unterkunftskosten für den Zeitraum 01.04.2009 bis 31.03.2010.

Der am 06.01.1971 geborene Kläger stand bereits in den Jahren 2005/2006 bei der Rechtsvorgängerin des Beklagten im Bezug von Leistungen nach dem SGB II. Sodann war er befristet bei der Gemeinde G. beschäftigt und heiratete am 01.06.2007 seine jetzige Ehefrau H. (geb. 12.09.1961).

Die Eheleute beantragten zum 01.04.2009 bei der Rechtsvorgängerin des Beklagten (ARGE I.) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.

Die Ehefrau des Klägers war in erster Ehe mit einem Herrn J. verheiratet, mit dem sie drei Kinder hatte: K. (geb. 09.02.1979), L. (geb. 15.02.1982) und M. (geb. 01.04.1983). Die Eheleute J. erwarben im Jahr 1980 gemeinsam das 1957 gebaute Haus „N.“ in O.. Nach Scheidung der Eheleute J. wurde dieses Haus im Rahmen einer Scheidungsfolgenvereinbarung 1999 auf die Ehefrau des Klägers übertragen.

Das Hausgrundstück ist nach den Feststellungen des Beklagten 750 qm groß, das Einfamilienhaus hat eine Wohnfläche von 129 qm. Auf dem Haus lasteten zum Zeitpunkt der Antragstellung noch Darlehensverbindlichkeiten in Höhe von 23.085,07 Euro, die die Ehefrau des Klägers im Jahr 2009 mit monatlich 511,29 Euro bediente, der Zinsanteil an dieser monatlichen Rate betrug zwischen 89,41 Euro und 77,76 Euro. Ab dem 01.01.2010 wurde die Rate auf 260,-- Euro herabgesetzt, die monatlichen Zinsen variierten zwischen 76,07 und 74,63 Euro bis einschließlich März 2010.

Die Ehefrau des Klägers war von 1990 bis Anfang 2009 als selbständige Taxiunternehmerin tätig. Nach eigenen Angaben konnte sie das Unternehmen aus gesundheitlichen Gründen nicht fortführen und meldete das Gewerbe zum 28.02.2009 ab. Seit dem 01.07.2009 wurde ihr die Pflegestufe I zugesprochen.

Der Beklagte lehnte den Antrag des Klägers auf zuschussweise Leistungen mit Bescheid vom 29.06.2009 ab, da die Ehefrau des Klägers über verwertbares Vermögen verfüge. Nach Eintragung einer Sicherungshypothek in Höhe von 20.000,-- Euro bewilligte er dem Kläger und seiner Ehefrau

- mit Bescheid vom 09.07.2009 für den Zeitraum 01.07. - 30.09.2009 darlehensweise Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von monatlich 844,80 Euro, wovon auf den Kläger 323,-- Euro Regelleistung und 99,39 Euro Kosten für Unterkunft und Heizung entfielen,

- mit Bescheid vom 14.07.2009 für den Zeitraum 01.04. - 30.06.2009 darlehensweise Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von monatlich 830,80 Euro (auf den Kläger entfallen: 316,-- Euro zzgl. 99,39 Euro KdU),

- mit Bescheid vom 28.09.2009 - ohne den Zusatz „Darlehen“ für den Zeitraum 01.10.2009 - 31.03.2010 Leistungen in Höhe von monatlich 844,80 Euro (auf den Kläger entfallen: 323,-- Euro zzgl. 99,39 Euro KdU).

Mit den dagegen gerichteten Widersprüchen wandte sich der Kläger sinngemäß gegen die Nichtberücksichtigung von Tilgungsleistungen bei den Unterkunftskosten und gegen die Berücksichtigung des Einfamilienhauses als Wohnhaus. Der Beklagte wies die Widersprüche mit Widerspruchsbescheid vom 18.03.2010 als unbegründet zurück und führte zur Begründung aus, die Unterkunftskosten setzten sich aus Zinsen in Höhe von 86,43 Euro sowie Neben- und Heizkosten in Höhe von 112,37 Euro zusammen. Weitere Unterkunftskosten, insbesondere Tilgungsleistungen seien nicht zu übernehmen, da die noch verbleibende Restschuld zu hoch sei und damit - anders als im vom Bundessozialgericht entschiedenen Fall - eine ausnahmsweise Übernahme von Tilgungsleistungen nicht in Betracht komme.

Mit der gegen diese Bescheide gerichteten Klage begehrt der Kläger die Übernahme von Tilgungsleistungen. Im weiteren Verlauf stellt er klar, dass sich die Klage auch gegen die lediglich darlehensweise Bewilligung der Leistungen richtet. Die Verwertung des Hauses stelle eine besondere Härte dar. Seine Ehefrau sehe das Haus als ihre Altersvorsorge an. Aufgrund ihrer 20jährigen selbständigen Tätigkeit habe sie nicht in erforderlichem Umfang in die Rentenkasse eingezahlt und ihre private Vorsorge im Jahre 2004 auflösen müssen, um das selbständige Gewerbe fortführen zu können, was dann im Ergebnis aufgrund ihres Gesundheitszustandes aber gescheitert sei.

Der Kläger beantragt,

die Bescheide des Beklagten vom 09.07., 14.07. und 29.09. in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18.03.2010 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, unter Berücksichtigung der Nichtübernahme des Anteils der Tilgungsraten höhere Leistungen nach dem SGB II zu gewähren und die Leistungen als Zuschuss statt als Darlehen zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Auffassung, das Haus sei als Vermögen zu verwerten, sei insbesondere nicht als Schonvermögen einzustufen. Auch eine besondere Härte vermag er nicht zu erkennen.

Eine vom Gericht eingeholte Auskunft bei der Deutschen Rentenversicherung P. hat ergeben, dass die Ehefrau des Klägers nach derzeitigem Stand eine Altersrente in Höhe von monatlich 162,55 Euro beanspruchen könnte; der Kläger selbst habe aufgrund jahrelanger prekärer Beschäftigung derzeit einen Rentenanspruch in Höhe von 293,31 Euro - bei weiterer Zahlung von Beiträgen wie im Durchschnitt der letzten 5 Jahre gezahlt läge seine Altersrente bei 674,77 Euro.

Das Gericht hat ferner die Verwaltungsakten des Beklagten beigezogen und bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, inhaltlich ist sie zum Teil begründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Übernahme von Tilgungsleistungen als Teil der Unterkunftskosten. Die im streitgegenständlichen Zeitraum gewährten Leistungen sind indes als Zuschuss zu gewähren. Der Kläger ist hilfebedürftig, insbesondere verfügt er nicht über Vermögen. Das seiner Ehefrau gehörende Haus ist nicht als Vermögen zu verwerten, da dies für die Ehefrau eine besondere Härte darstellen würde.

1. Die von dem Beklagten gezahlten Unterkunftskosten sind nicht zu beanstanden, ein Anspruch auf Erhöhung dieser Leistungen um die gezahlten Tilgungsbeiträge besteht nicht.

Gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Die tatsächlichen Aufwendungen für die Unterkunft ergeben sich bei einem im Eigentum der Betroffenen stehenden Haus aus den mit dem Wohneigentum unmittelbar verbundenen Belastungen, insbesondere den zur Finanzierung des Hauses tatsächlich gezahlten Darlehenszinsen (vgl. Kalhorn im Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB II, Rn 14 zu § 22; Berlit, Lehr- und Praxiskommentar zum SGB II, Rn 20 zu § 22).  Der Begriff „Angemessenheit“ ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der in vollem Umfang der gerichtlichen Kontrolle unterliegt (vgl. Beschluss des LSG Niedersachsen-Bremen vom 01.04.2005, L 8 AS 55/05 ER; Berlit, a.a.O. Rn 23).

Tilgungsleistungen sind grundsätzlich nicht Teil der Unterkunftskosten (vgl. etwa BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 8/06 R, BSGE 97, 217). Eine Ausnahme kommt nur dann in Betracht, wenn es um die Erhaltung von Wohneigentum geht, dessen Finanzierung im Zeitpunkt des Bezuges von Grundsicherungsleistungen bereits weitgehend abgeschlossen ist (BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/11b AS 67/06 R; Urteil vom 07.07.2011 - B 14 AS 79/10 R).

Angesichts der hier im streitigen Zeitraum noch bestehenden restlichen Darlehenssumme von ca. 23.000,-- Euro, die immerhin noch mehr als 20 % des Objektwertes ausmacht, handelt es sich gerade nicht um einen geringen Restbetrag. Auch der Zeitraum bis zur Abzahlung des Darlehens ist - anders als in dem vom BSG entschiedenen Fall - nicht in wenigen Monaten erreicht, sondern wird noch etliche Jahre dauern. Damit dienen die Tilgungsanteile in erster Linie dem Aufbau von Vermögen, was nicht Aufgabe steuerfinanzierter Sozialleistungen ist (s. auch Luik in: Eicher, Kommentar zum SGB II, 3. Auflage, § 22, Rn 61).

2. Der Kläger hat indes Anspruch auf die Erbringung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II als Zuschuss.

Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II erhalten Personen, die u.a. erwerbsfähig und hilfebedürftig sind (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II). Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. (§ 9 Abs. 1 SGB II in der ab 01.01.2011 gültigen Fassung). Bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, sind auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen (§ 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II).

Die Ehefrau des Klägers ist gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 3 a als Ehegatte bzw. c als Partner Angehöriger der Bedarfsgemeinschaft, so dass auch ihr Vermögen grundsätzlich zu berücksichtigten ist.

Als Vermögen sind alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen (§ 12 Abs. 1 SGB II). Der Begriff Vermögen wird im Gesetz selbst nicht definiert und ist nach dem Willen des Gesetzgebers (BT-Drucksache 15/1516, S. 53) in Anlehnung an die Rechtsprechung des BSG zum Recht der Arbeitslosenhilfe zu bestimmen (vgl. etwa BSG, U. v. 2.7.2009 -B 14 AS 33/08 R,  SozR 4-4200 § 22 Nr 25; U. v. 15.4.2008 -B 14/7b AS 52/06 R, NDV-RD 2008, 120). Danach ist Vermögen der Bestand an Sachen und Rechten in Geld oder Geldeswert, der dem Hilfebedürftigen oder einem sonstigen Einstandspflichtigen gehört (BSG, U. v. 11.2.1976 - 7 RAr 159/74, BSGE 41,187; U. v. 20.6.1978 - 7 RAr 47/77, BSGE 46, 271; U. v. 12.5.1993 - 7 RAr 56/92, BSGE 72, 248; Hänlein in: Gagel, Kommentar zum SGB III mit SGB II, § 12 Rdn. 23; Mecke in: Eicher/Spellbrink, Kommentar zum SGB II, § 12 Rdn. 13; Frank in: GK zum SGB II, § 12 Rdn. 6). Jedenfalls alle nach zivilrechtlichen Grundsätzen im Eigentum der jeweiligen Person stehenden Sachen (Mobilien und Immobilien) sowie Forderungen, Anwartschaften und sonstige Rechte, deren Inhaber der Betroffene ist, fallen unter den Vermögensbegriff. Maßgeblich ist dabei der Zeitpunkt der Antragstellung nach § 37 SGB II (BSG, U. vom 7.5.2009 -B 14 AS 4/08 R).

Der wesentliche Vermögensgegenstand der Ehefrau des Klägers ist das Haus „N.“ in O.. Weder der Kläger noch seine Ehefrau verfügen nach Aktenlage über weiteres nennenswertes Vermögen.

a. Dieses Haus ist nicht als Vermögen zu berücksichtigen, da die Verwertung des Hauses für die Ehefrau des Klägers eine besondere Härte darstellen würde.

Als Vermögen sind nicht zu berücksichtigen Sachen und Rechte, soweit ihre Verwertung für den Betroffenen eine besondere Härte bedeuten würde (§ 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 2. Alternative SGB II).

Bei dem Begriff der besonderen Härte handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegt (vgl. BSG, Urteil vom 08.02.2007 - B 7a AL 34/06 R, FEVS 58, 486; Urteil vom 16. 5. 2007 -B 11b AS 37/06 R, BSGE 98, 243; Urteil vom 07.05.2009 - B 14 AS 35/08 R). Dabei ist auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls abzustellen, wobei maßgeblich nur außergewöhnliche Umstände sind, die dem Betroffenen ein deutlich größeres Opfer abverlangen als eine einfache Härte und erst Recht als die mit der Vermögensverwertung stets verbundenen Einschnitte (vgl. Urteil des BSG vom 07.05.2009 - B 14 AS 35/08 R; U. v. 16. 5. 2007 -B 11b AS 37/06 R, BSGE 98, 243 [BSG 10.05.2007 - B 10 KR 1/05 R]). Die Härtefallregelung erfasst atypische Fälle, bei denen aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls der Vermögenseinsatz die Betroffenen unbillig belasten und den im Gesetz zum Ausdruck gekommenen Leitvorstellungen des Gesetzgebers nicht gerecht würde (vgl. BSG zum SGB XII, Urteil vom 19.05.2009, B 8 SO 7/08 R; Bundesverwaltungsgericht zum BSHG, Urteil vom 26.01.1966 in BVerwGE 23, 149 ff [BVerwG 26.01.1966 - BVerwG V C 88.64]). Eine besondere Härte kann sich nicht nur aus den wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Lebenssituation des Hilfebedürftigen, sondern auch aus den besonderen persönlichen Umständen ergeben, die mit einer Vermögensverwertung verbunden sind, wie etwa eine schwerwiegende familiäre Konfliktsituation (BSG, Urteil vom 06.05.2010, B 14 AS 2/09 R).

Der Gesetzgeber selbst hat zu den Voraussetzungen einer besonderen Härte ausgeführt: „Die Regelung soll es ermöglichen, besondere Härtefälle angemessen zu lösen. Ein derartiger Härtefall kann z. B. vorliegen, wenn ein erwerbsfähiger Hilfebedürftiger kurz vor dem Rentenalter seine Ersparnisse für die Altersvorsorge einsetzen müsste, obwohl sein Rentenversicherung Lücken wegen selbständiger Tätigkeit aufweist“ (BT-Drucksache 15/1749, S. 32). Generell kann sich eine besondere Härte mithin auch aus einer besonderen Ausbildungs- oder Erwerbsbiografie ergeben, sofern diese zu Versorgungslücken geführt hat (vgl. BSG, Urteil vom 25.05.2005 - B 11a/11 AL 51/04 R; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 02.11.2006 - L 9 AS 1/05). Auch die Kumulation verschiedener Risiken und Belastungen kann eine besondere Härte darstellen (vgl. BSG, Urteil vom 07.05.2009 - B 14 AS 35/08 R).

Im Rahmen der Härtefallabwägung ist hier zu berücksichtigen, dass die Ehefrau des Klägers nach ihren glaubhaften Darlegungen, die durch den Versicherungsverlauf der Deutschen Rentenversicherung bestätigt werden, knapp 20 Jahre eine selbständige Tätigkeit ausgeübt hat und dadurch eine erhebliche Lücke in ihrer Altersversorgung entstanden ist. Ihre Biografie entspricht somit deutlich dem in der Bundestagsdrucksache 15/1749 geschilderten Beispielsfall für eine besondere Härte. Anders als dort dargelegt steht die Ehefrau des Klägers indes nicht kurz vor dem Rentenbeginn. Dies wird jedoch dadurch ausgeglichen, dass sie aufgrund ihrer Erkrankung ebenfalls nicht mehr in der Lage ist die Lücke zu schließen. Die ursprünglich dafür vorgesehene Privatvorsorge hat sie nach eigenen Angaben noch wenige Jahre vor Aufgabe der selbständigen Tätigkeit in die Firma gesteckt und damit im Ergebnis verloren. Das Haus „N.“ in O. ist mithin ihr einziges Vermögen.

Diese Lücke in der Altersvorsorge soll nach ihrer Einlassung im Termin durch das Haus „N.“, O., geschlossen werden. Der Kläger und seine Ehefrau bemühen sich trotz ihrer prekären finanziellen Situation dieses Haus abzubezahlen. Zu diesem Zweck haben sie die Tilgungsleistungen in Absprache mit der Bank weit möglichst reduziert und ersparen diese reduzierten Tilgungsbeträge aus der Regelleistung. Dies wertet die Kammer als Indiz für die Richtigkeit der Einlassung der Ehefrau des Klägers. Eine weitere, objektivierte Zweckbestimmung bzw. Vermögensdisposition im Sinne der BSG-Rechtsprechung (vgl. dazu BSG, U. v. 07.05.2009, B 14 AS 35/08 R) ist bei Immobilien, anders als bei Geld- oder Wertpapieranlagen sowie bei Lebens- oder Rentenversicherungsverträgen nur in Ausnahmefällen möglich, ist bei widerspruchsfreier Einlassung und Indizienlage nach Auffassung der Kammer aber zu unterstellen.

Entgegen der Auffassung der Beklagten ergibt sich aus der Tatsache, dass die Härte nicht bei dem Kläger selbst, sondern bei seiner Ehefrau eintreten würde keine abweichende Beurteilung. Das Bundessozialgericht hat insoweit bereits entschieden, dass auch Härten berücksichtigt werden, die bei Dritten eintreten (vgl. Urteil vom 06.05.2010 - B 14 AS 2/09 R). Es wäre im Übrigen schlichtweg unverständlich, wenn Dritte über Zurechnungsvorschriften wie § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II zwar mit ihrem Einkommen und Vermögen für einen Lebenspartner/Ehepartner eintreten müssten, anders als dieser selbst aber nicht vor evtl. durch die Verwertung dieses Vermögens auftretenden Härten geschützt wären.

Auch der Einwand des Beklagten, der Kläger und seine Ehefrau könnten auch mit dem geschützten Vermögen keine eigenständige Altersvorsorge mehr aufbauen, ist nicht erheblich. Im Falle des Klägers trifft er bereits nicht zu. Zwar hat der Kläger nach derzeitigem Stand erst einen Rentenanspruch von ca. 293,-- Euro. Wenn bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Beiträge im Durchschnitt der letzten 5 Kalenderjahre gezahlt würden, beliefe sich der Rentenanspruch bei regulärem Renteneintritt aber immerhin auf 674,-- Euro. Der Rentenanspruch der Ehefrau ist mit 162,55 Euro zwar noch geringer. Das Haus ermöglicht ihr jedoch entweder ein mietfreies Wohnen oder aber bringt über den Weg der Mieteinnahmen ein zusätzliches Einkommen und minimiert somit einen evtl. verbleibenden Hilfebedarf. Das SGB II enthält im Übrigen keinen allgemeinen Grundsatz dergestalt, dass eine Härte aufgrund lückenhafter Erwerbsbiographie nur in den Fällen angenommen werden kann, in denen die eine Härte begründende Lücke durch den Verwertungsausschluss vollständig geschlossen werden kann.

b. Das Haus der Ehefrau des Klägers ist auch deshalb nicht zu verwerten, da es sich nach der Rechtsprechung der erkennenden Kammer um ein selbst genutztes Hausgrundstück von angemessener Größe handelt.

Als Vermögen ist u. a. nicht zu berücksichtigen ein selbst genutztes Hausgrundstück von angemessener Größe oder eine entsprechende Eigentumswohnung (§ 12 Abs. 3 Nr. 4 SGB II). Bei dem Begriff der angemessenen Größe handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der in vollem Umfang der gerichtlichen Überprüfung unterliegt (vgl. BSG, U. v. 07.11.2006 - B 7b AS 2/05 R; U. v. 16.05.2007 - B 11b AS 37/06 R). Maßstab für die Ausfüllung des Begriffs der Angemessenheit sind die Grundsätze des bis zum 31.12.2001 gültigen zweiten Wohnungsbaugesetzes, nach dessen § 39 Abs. 1 Eigenheime mit einer Größe von 130 qm und Eigentumswohnungen mit einer Größe von 120 qm im Rahmen des öffentlichen Wohnungsbaurechts förderungsfähig und nach der ständigen Rechtsprechung des BSG damit im Anwendungsbereich des SGB II vor der Verwertung geschütztes, sogenanntes Schonvermögen darstellen (BSG a.a.O.). Dabei geht das Gericht von einer Belegung mit 4 Personen aus und nimmt für jede Person mehr oder weniger Zuschläge oder Abzüge von 20 qm vor (vgl. BSG, U. v. 29.03.2007 - B 7b AS 12/06, in: NZS 2008, 100 [BSG 29.03.2007 - B 7b AS 12/06 R]; U. v. 19.09.2008 -B 14 AS 54/07 R, in:NDV-RD 2009, 27). Diese Grenzwerte können allerdings nicht als quasi normative Größe herangezogen werden, es bleibt vielmehr Entscheidungsspielraum für geringfügige Überschreitungen sowie für außergewöhnliche Bedarfslagen (BSG, U. v. 19.09.2008, a.a.O.). So hat das BSG in einem Fall bei einer Belegung mit zwei Personen ein selbstgenutztes Hausgrundstück trotz einer Größe von 91,89 qm noch für angemessen gehalten (U. v. 15.4.2008 - B 14/7b AS 34/06 R, NJW 2009, 2327).

Die Wohnfläche des Hauses beträgt 129 qm. Da das Haus ursprünglich als Familienwohnheim für die Klägerin, ihren ersten Ehemann und deren drei Kinder diente war es nach den aufgrund gesicherter Rechtsprechung des BSG anwendbaren Vorschriften des § 39 Abs. 1 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes ursprünglich angemessen, da der Grenzwert von 130 qm nicht überschritten wird. Nach der Rechtsprechung der Kammer ist von einer personenbezogenen Reduzierung der Wohnfläche im Rahmen der Angemessenheitsprüfung abzusehen, wenn sich die Anzahl der Bewohner durch den späteren Auszug erwachsen gewordener Kinder verringert (Urteil des SG Aurich vom 11.01.2012 - 15 AS 63/10, nicht rechtskräftig, Berufung anhängig unter L 13 AS 34/12).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.