Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 10.12.2002, Az.: 12 A 818/01

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
10.12.2002
Aktenzeichen
12 A 818/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 35975
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGOLDBG:2002:1210.12A818.01.0A

Amtlicher Leitsatz

Die paritätische Zusammensetzung des Prüfungsausschusses mit Beauftragten der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer nach dem Berufsbildungsgesetz dient auch den rechtlichen Interessen des Prüflings.

Der (vollständig besetzte) Prüfungsausschuss ist bei der Mitwirkung weiterer stellvertretender Mitglieder nicht ordnungsgemäß besetzt.

Der Prüfungsausschuss bewertet die Prüfungsleistungen als Kollegium. Dies entbindet jedoch jedes einzelne Mitglied des Prüfungsausschusses nicht von der Pflicht, die Prüfungsleistung zunächst getrennt und selbständig zu beurteilen und zu bewerten, um anschließend anhand dieser Einzelbewertungen eine einheitliche Bewertung des Prüfungsausschusses herbeizuführen.

In der Verwaltungsrechtssache

des Herrn ...,

Kläger,

Proz.-Bev.: Rechtsanwälte ...,

gegen

die Industrie- und Handelskammer ...

Beklagte,

Proz.-Bev.: Rechtsanwälte ... ,

Streitgegenstand: Abschlussprüfung im Beruf Informations- und Telekommunikationssystem-Elektroniker,

hat das Verwaltungsgericht Oldenburg - 12. Kammer - ohne mündliche Verhandlung am 10. Dezember 2002 durch ...

für Recht erkannt:

Tenor:

  1. Die Beklagte wird verpflichtet, den Prüfungsteil A (Betriebliche Projektarbeit) der Abschlussprüfung des Klägers zum Informations- und Tele-kommunikations-System-Elektroniker erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bewerten und ihn aufgrund dieser Bewertung über das Ergebnis der Prüfung erneut zu bescheiden. Der Bescheid der Beklagten vom 25. Januar 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 23. Februar 2001 werden aufgehoben, soweit sie dem entgegen stehen.

    Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

    Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

T A T B E S T A N D :

1

Der Kläger wendet sich gegen die Bewertung seiner Projektarbeit im Rahmen der Abschlussprüfung zum Informations- und Telekommunikations-System-Elektroniker (IT-System-Elektroniker).

2

Der im Juni 1971 geborene Kläger begann im Rahmen einer Umschulung am 1. Februar 1999 eine Ausbildung zum IT-System-Elektroniker bei der ...Lehranstalt.

3

Die Beklagte hat für die Durchführung der Abschlussprüfungen zum IT-System-Elektroniker zwei Prüfungsausschüsse eingerichtet ("ITEL1" und "ITEL2"). Laut der in den Verwaltungsvorgängen befindlichen Ausschussübersicht gehören dem Prüfungsausschuss "ITEL 1" fünf Mitglieder an: Als Beauftragte der Arbeitgeber die Herren Sch. und J., als Beauftragter der Arbeitsnehmer Herr V. und als Lehrer die Herren J. und Sch. Ferner bestimmte die Beklagte sechs stellvertretende Mitglieder, u.a. Herr W. als Beauftragter der Arbeitgeber und Herr H. als Beauftragter der Arbeitnehmer.

4

Am 7. September 2000 meldete der Kläger sich zur Abschlussprüfung in diesem Beruf an. Zwischen dem 16. und 20. Oktober 2000 führte er seine betrieblichen Projektarbeit durch und fertigte hierüber eine Dokumentation an (1. Teil des Prüfungsteils A). Am 20. November 2000 fertigte er die drei schriftliche Arbeiten an (Prüfungsteil B).

5

Die Beklagte teilte dem Kläger unter dem 14. Dezember 2000 zunächst mit, dass seine Projektarbeit mit "ungenügend" bewertet worden sei, weil sie nahezu identisch mit der Dokumentation des Herrn Sch. sei. Nachdem sich der Kläger hiergegen gewandt hatte, ließ die Beklagte die betriebliche Projektarbeit zur Prüfung (2. Teil des Prüfungsteils A: Präsentation und anschließendes Fachgespräch) zu.

6

Der die Prüfung des Klägers am 25. Januar 2001 abnehmende Prüfungsausschuss bestand aus den sechs Prüfern Sch. (als Vorsitzender), J., W., V., H. und Sch.. Dieser Prüfungsausschuss bewertete den Prüfungsteil A (Dokumentation der betrieblichen Projektarbeit sowie deren Präsentation einschließlich Fachgespräch) mit "ausreichend" und den Prüfungsteil B mit "befriedigend"; er stellte daraufhin fest, dass der Kläger die Prüfung bestanden habe.

7

Der Kläger legte am 1. Februar 2001 gegen die Bewertung der betrieblichen Projektarbeit (Prüfungsteil A) Widerspruch ein.

8

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 23. Februar 2001 zurück. Sie führte zur Begründung im Wesentlichen an, der Prüfungsausschuss sei vollständig und ausschließlich aus sachkundigen Fachleuten besetzt gewesen. Es seien keinerlei Gründe zu erkennen, die eine objektive Ergebnisfindung verhindert habe.

9

Der Kläger hat am 15. März 2001 Klage erhoben. Er macht geltend: Die Bewertung des Prüfungsteils A sei fehlerhaft erfolgt. Die Bewertung mit "ausreichend" sei nicht nachvollziehbar. Einer der Prüfer habe zuvor ihm gegenüber geäußert, dass es sich bei der Projektarbeit um eine "gute Arbeit" handele. Auch seien die Prüfer nicht hinreichend sachkundig. Zudem sei der Prüfungsausschuss nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen.

10

Der Kläger beantragt sinngemäß,

11

die Beklagte zu verpflichten, den Prüfungsteil A (Betriebliche Projektarbeit) der Abschlussprüfung zum Informations- und Telekommunikations-System-Elektroniker erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bewerten und ihn aufgrund dieser Bewertung über das Ergebnis der Prüfung erneut zu bescheiden sowie die Bescheide der Beklagten vom 25. Januar 2001 und 23. Februar 2001 aufzuheben, soweit sie dem entgegen stehen.

12

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

13

Sie entgegnet: Die Prüfungsleistung sei nicht fehlerhaft bewertet worden. Verfahrensmängel seien nicht erkennbar. Die Prüfungskommission sei ordnungsgemäß besetzt gewesen. Die Prüfer seien ausbildungsberufsbezogen ausgewählt worden.

14

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten; sie sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E:

15

Die Klage, über die im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO) ist zulässig und begründet. Die Bescheide sind hinsichtlich des Prüfungsteils A (Betriebliche Projektarbeit) - nur insoweit hat der Kläger die Prüfungsentscheidung angefochten - rechtswidrig und verletzen die Rechte des Klägers. Der Kläger hat gegen die Beklagte Anspruch auf erneute Bewertung des Prüfungsteils A und auf Neubescheidung der Prüfungsentscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts (§ 113 Abs. 5 S. 2 VwGO).

16

Die Prüfungsentscheidung wurde verfahrensfehlerhaft getroffen (1.). Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass sich dieser Verfahrensfehler auf das Prüfungsergebnis ausgewirkt hat (2.). Schließlich ist der Kläger mit seinem Rügerecht nicht ausgeschlossen und die Prüfungsentscheidung verletzt den Kläger in seinen Rechten (3.).

17

1.

Die Prüfungsentscheidung der Beklagten durch den von ihr eingesetzten Prüfungsausschuss ist verfahrensfehlerhaft.

18

Das Prüfungsverfahren und die inhaltlichen Anforderungen an die Prüfungsleistung im Rahmen der Abschlussprüfung richten sich vorliegend nach §§ 47 Abs. 2 S. 2, 34 ff. Berufsbildungsgesetz (BBiG) vom 14. August 1969 (BGBl. I S. 1112) in der Fassung vom 14. Oktober 1997 (BGBl. I S. 2390), der Verordnung über die Berufsausbildung im Bereich der Informations- und Telekommunikationstechnik (IT-System-Elektroniker/in) vom 10. Juli 1997 (BGBl. I S. 1741) sowie der von der Beklagten aufgrund des § 41 BBiG erlassenen Prüfungsordnung für die Durchführung von Abschlussprüfungen vom 7. Januar 1999 (Prüfungsordnung).

19

a.

Die Prüfungsentscheidung ist zunächst verfahrensfehlerhaft, weil der Prüfungsausschuss nicht ordnungsgemäß besetzt war.

20

Die ordnungsgemäße Zusammensetzung des Prüfungsausschusses regelt § 37 BBiG sowie § 2 Prüfungsordnung. § 37 Abs. 1 BBiG sieht vor, dass der Prüfungsausschuss aus mindestens drei Mitgliedern besteht, die sachkundig und für die Mitwirkung im Prüfungswesen geeignet sind. Dem Prüfungsausschuss müssen als Mitglieder Beauftragte der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer in gleicher Zahl sowie mindestens ein Lehrer einer berufsbildenden Schule angehören, wobei die beauftragten Prüfer der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer mindestens zwei Drittel der Mitglieder des Ausschusses stellen müssen,

21

§ 37 Abs. 2 BBiG. Hiervon darf nur unter den Voraussetzungen des Abs. 5 abgewichen werden.

22

Der Prüfungsausschuss, der die Prüfungsleistung des Klägers bewertet hat, war nicht entsprechend diesen Vorgaben zusammengesetzt:

23

Zunächst beachtete die Beklagte bei der Besetzung des Prüfungsausschusses nicht die in § 37 Abs. 2 BBiG, § 2 Prüfungsordnung vorgesehene Parität zwischen den Beauftragten der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer.

24

Allerdings ist die Überprüfung der gesetzmäßigen Zusammensetzung des Prüfungsausschusses dadurch erschwert, dass das Vorbringen der Beklagten im Verfahren mit den von ihr eingereichten Unterlagen im Widerspruch stehen. So trägt die Beklagte schriftsätzlich vor, dem Prüfungsausschuss gehörten vier (ordentliche) Mitglieder an, nämlich die Herren Sch. und J. als Beauftragte der Arbeitgeber, Herr V. als Beauftragter der Arbeitnehmer sowie Herr Sch. als Lehrer. Demgegenüber sollen nach der o.a. Ausschussübersicht dem Prüfungsausschuss insgesamt fünf (ordentliche) Mitglieder angehören, wobei nicht ersichtlich ist, welches stellvertretende Mitglied im Verhinderungsfall welches Ausschussmitglied vertreten soll. Tatsächlich bestand der die Prüfung am 25. Januar 2001 abnehmende Prüfungsausschuss nach den übrigen eingereichten Unterlagen und dem übereinstimmenden Vorbringen der Beteiligten und des Vorsitzenden des Prüfungsausschusses aus sechs Prüfern, nämlich die Herren Sch., J., V., W., H. sowie Sch., die auch an der Bewertung der Prüfungsleistung mitgewirkt haben.

25

Allen drei Fallgestaltungen ist gemein, dass die gesetzlich vorgesehene Parität der Beauftragten der Arbeitgeber und der Arbeitsnehmer nicht gewahrt ist: Stets übersteigt die Anzahl der Beauftragten der Arbeitsgeber die Anzahl der Beauftragten der Arbeitnehmer. Die in der o.a. Ausschussübersicht vorgesehene Besetzung des Prüfungsausschusses beachtet zudem nicht, dass die Beauftragten von Arbeitgeber und Arbeitnehmer mindestens 2/3 der Mitglieder des Prüfungsausschusses stellen müssen (§ 37 Abs. 2 S. 2 BBiG).

26

Hiervon durfte auch nicht nach § 37 Abs. 5 BBiG abgewichen werden. Hiernach darf von der nach § 37 Abs. 2 BBiG vorgesehenen Besetzung des Prüfungsausschusses nur dann abgewichen werden, wenn andernfalls die erforderliche Zahl von Mitgliedern des Prüfungsausschusses (§ 37 Abs. 1 BBiG) nicht berufen werden kann. Es ist von der Beklagten nicht dargelegt worden, dass die erforderliche Anzahl von Mitgliedern bei Wahrung der Parität der Beauftragten von Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht hätte berufen werden können. Vielmehr belegt die Berufung von drei stellvertretenden Mitgliedern als Beauftragte der Arbeitnehmer seitens der Beklagten, dass eine dem § 37 Abs. 2 BBiG entsprechende Besetzung des Ausschusses möglich war.

27

Daneben entsprach der Prüfungsausschuss in seiner tatsächlichen Besetzung auch nicht dem von der Beklagten eingerichteten Prüfungsausschuss. Bei der Abnahme der Prüfung und der Bewertung wirkte mindestens ein stellvertretendes Mitglied des Prüfungsausschusses mit, obwohl ein Verhinderungsfall nicht eingetreten war, so dass der Prüfungsausschuss unzulässigerweise erweitert worden ist. Es bedarf vorliegend keiner weiteren Aufklärung, ob der gesetzmäßige Prüfungsausschuss aus vier oder fünf Mitgliedern hätte bestehen müssen. Tatsächlich haben sechs Prüfer an der Prüfung und damit mindestens eine dem von der Beklagten eingerichteten Prüfungsausschuss nicht angehörende Person mitgewirkt. Dabei ist davon auszugehen, dass die Beklagte für den Prüfungstermin Winter 2000 nicht einen neuen, von der bisherigen Besetzung abweichenden Prüfungsausschuss eingerichtet hat. Vielmehr ergibt sich aus der o.a. Ausschussübersicht, dass die (ordentlichen) Mitglieder für den Zeitraum 1. November 1999 bis 31. Oktober 2004 bestellt worden sind.

28

Das Vorbringen der Beklagten, die stellvertretenden Mitglieder des Ausschusses seien zu der Prüfung hinzugezogen worden, um die Vielfalt der inhaltlichen Bereiche des Berufsbildes des IT-System-Elektronikers, die es bei anderen Berufsbildern so nicht gebe, abzudecken, rechtfertigt keine andere Entscheidung. Dieses sachliche Anliegen der Beklagten rechtfertigt nicht ohne Weiteres, abweichend von der bei der Errichtung des Prüfungsausschusses festgelegten Anzahl der Mitglieder des Prüfungsausschusses weitere Prüfer hinzuzuziehen und damit den Prüfungsausschuss zu erweitern. Die Beklagte hätte dieses Anliegen bei der Errichtung des Prüfungsausschusses und der Berufung der Mitglieder berücksichtigten müssen. Dass aufgrund des allein den Prüfern eingeräumten Bewertungsspielraums zur Bewertung der Prüfungsleistung die gerichtliche Kontrolle auch im Lichte der grundrechtlich gewährleisteten Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) und der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG) eingeschränkt ist, zeigt die besondere Bedeutung der vorschriftsmäßigen Besetzung des Prüfungsausschusses. Dies erfordert aber weiter, dass die Besetzung des Prüfungsausschusses vor der Prüfung festgelegt ist; eine "flexible" Handhabung von Fall zu Fall, mag sie auch sachgemäß erscheinen, verbietet sich (vgl. Wohlgemuth, Berufsbildungsgesetz, 2. Auflage, § 37 Rdnr 7. und § 38 Rdnr. 14 m.w.N.).

29

Zwar ist es nach der Rechtsprechung des BFH - im Fall einer Prüfung zum Steuerberater - nicht verfahrensfehlerhaft, wenn das Prüfungsverfahren so organisiert ist, dass neben einem festen Stamm von (ordentlichen) Mitgliedern des Prüfungsausschusses eine ausreichende Zahl von Stellvertretern berufen wird, die neben den ordentlichen Mitgliedern mit der selbständigen Begutachtung der Arbeiten und der nachfolgenden Notenfestsetzung im Prüfungsausschuss betraut werden; die Einschaltung der stellvertretenden Mitglieder des Prüfungsausschusses bei der Bewertung der Prüfungsarbeiten "nach einem vorher festgelegten Plan" kann im Vertretungsfall erfolgen, der auch dann vorliegt, wenn im Hinblick auf den Arbeitsanfall wegen der Zahl der Prüflinge die Begutachtung in angemessener Zeit nicht möglich wäre (vgl. BFH, Urteil vom 15. September 1992 - VII R 1/92 -, BFH/NV 1993, 500, und Urteil vom 27. Oktober 1992 - VII R 4/92 -, BFH/NV 1993, 692), mit anderen Worten: Die ordentlichen Mitglieder des Prüfungsausschusses sind durch ihre Inanspruchnahme als Prüfer für weitere, zugleich laufende Prüfungen verhindert. Hiernach kann zwar in dem (beschriebenen) Verhinderungsfall ein stellvertretendes Mitglied zu Prüfertätigkeiten herangezogen werden, so dass aber die Zahl der (tatsächlichen) Mitglieder des Prüfungsausschusses unverändert bleibt. Eine Erweiterung des Prüfungsausschusses durch die Aufnahme zusätzlicher Prüfer lässt sich hieraus aber nicht rechtfertigen (vgl. auch Wohlgemuth, a.a.O., § 37 Rdnr. 7).

30

b.

Weiterhin ergibt sich ein Verfahrensfehler aus dem Umstand, dass ein Prüfer an der Prüfung mitwirkte, obwohl er gemäß § 3 Abs. 4 Prüfungsordnung ausgeschlossen war. Hiernach sollen Ausbilder des Prüflings, soweit nicht besondere Umstände eine Mitwirkung zulassen oder erfordern, an der Prüfung nicht mitwirken. Der mitwirkende Prüfer W. (stellvertretendes Mitglied als Beauftragter der Arbeitgeber) war der Ausbildungsverantwortliche des Ausbildungsbetriebes, in dem der Kläger ausgebildet wurde. Zunächst meldete er für den Ausbildungsbetrieb den Kläger zur Abschlussprüfung an. Zudem genehmigte er als Ausbildungsverantwortlicher für den Ausbildungsbetrieb die Projektarbeit des Klägers und bestätigte deren Durchführung. Auch sind keine besonderen Umstände von der Beklagten dargelegt worden oder ersichtlich, die die Mitwirkung des Herrn W. an der Prüfung dennoch zuließen oder erforderten.

31

2.

Die nicht ordnungsgemäße Zusammensetzung des Prüfungsausschusses stellt auch einen wesentlichen Verfahrensfehler dar, der sich auf das Ergebnis der Prüfungsentscheidung ausgewirkt haben kann.

32

Ein Verfahrensfehler im Prüfungsverfahren führt grundsätzlich dann zur Aufhebung der Prüfungsentscheidung, wenn er wesentlich ist und damit ein Einfluss auf das Prüfungsergebnis nicht ausgeschlossen werden kann (arg. § 46 Verwaltungsverfahrensgesetz; vgl. VGH München, Urteil vom 12. September 1990 - 3 B 90.00061 -, DVBl. 1991, 759). Die Kammer geht in Übereinstimmung mit dem Nds. OVG (Urteil vom 25. Juli 1994 - 3 L 585/92 -, GewArch 1995, 170 m.w.N.) davon aus, dass eine vorschriftswidrige Besetzung eines Prüfungsausschusses einen wesentlichen Verfahrensfehler darstellt. Auf die vorschriftgemäße Zusammensetzung eines Prüfungsausschusses kommt es bei Prüfungsentscheidungen an, weil es sich bei Prüfungen nicht um Entscheidungen aufgrund bindender rechtlicher Regelungen handelt, sondern um Entscheidungen aufgrund von Beurteilungsspielräumen; insoweit ist allein dem Prüfungsausschuss ein prüfungsspezifischer "Bewertungsspielraum" eingeräumt. Die einer Prüfungsentscheidung zugrunde liegenden prüfungsspezifischen Bewertungen der Prüfer oder des Prüfungsausschusses sind wegen dieser Besonderheiten durch die Gerichte nur eingeschränkt nachprüfbar. Deshalb ist die vorschriftgemäße Zusammensetzung des Prüfungsausschusses von entscheidender Bedeutung, weil die Bewertung der Leistung im Zusammenwirken der Mitglieder des Prüfungsausschusses erfolgt und diese sich in der Beratung gegenseitig beeinflussen und kontrollieren sollen. Ein unzulässiger Einfluss auf diese Bewertungen liegt dann vor, wenn jemand auf das Ergebnis von Wertungen Einfluss nimmt, der dem Prüfungsausschuss nach den vorgegebenen Regelungen nicht angehören soll. In solchen Fällen handelt es sich um einen wesentlichen Verfahrensfehler, der auch unter Anwendung des § 46 Verwaltungsverfahrensgesetz nicht geheilt werden kann (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 25. Juli 1994, a.a.O.; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 16. Januar 1990 - 9 S 3071/88 -, NVwZ-RR 1990, 348 und Urteil vom 31. Januar 1995 - 14 S 2867/93 -, GewArch 1995, 280; Bay. VGH, Urteil vom 6. August 1990 - 22 B 89.2424 -, NVwZ-RR 1991, 198; Zimmerling/Brehm, Prüfungsrecht - 2. Auflage, Rdnr. 1015, 1078, 572 m.w.N.).

33

3.

Der Kläger ist mit der Rüge auch nicht ausgeschlossen.

34

Aus dem Prüfungsrechtsverhältnis erwachsen dem Prüfling Mitwirkungspflichten. Die Mitwirkungspflicht des Prüflings dient dem Schutz der Chancengleichheit im Prüfungsverfahren, nach dem für vergleichbare Prüflinge soweit wie möglich vergleichbare Prüfungsbedingungen und Bewertungskriterien gelten müssen. Verfahrensmängel sind daher unverzüglich zu rügen, um zu verhindern, dass sich der Prüfling gleichheitswidrig gegenüber den Mitprüflingen eine zusätzliche Prüfungschance zu verschaffen sucht. So hat der Prüfling bei Annahme der Befangenheit eines Prüfers, die bereits vor der Prüfung besteht, diese unverzüglich, d.h. vor Durchführung der Prüfung geltend zu machen, um nicht unzulässigerweise sich durch eine nachträgliche Rüge eine weitere Prüfungschance zu eröffnen. Diese Gefahr besteht nicht, wenn der Verfahrensmangel erst nach Durchführung der Prüfung ersichtlich wird. Vorliegend hat die Beklagte den Kläger nicht vorab über die Besetzung des Prüfungsausschusses im Einzelnen informiert. Ebenso ist davon auszugehen, dass der Kläger über die Regelungen der ordnungsgemäßen Besetzung des Prüfungsausschusses nicht informiert war, so dass er nicht die Möglichkeit hatte, diesen Mangel im Vorfeld der Prüfung gegenüber der Beklagten geltend zu machen und auf Abhilfe zu drängen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 31. Januar 1995, a.a.O.).

35

Die Prüfungsentscheidung der Beklagten verletzt aufgrund der festgestellten Verfahrensfehler auch die Rechte des Klägers. Diese gesetzliche Festlegung der Zusammensetzung des Prüfungsausschusses dient auch der Wahrung von Grundrechten der Prüflinge (Art. 3 Abs. 1 und 12 Abs. 1 S. 1 GG), indem sie deren Chancengleichheit sichert. Sie stellt nicht lediglich eine allein im öffentlichen Interesse erlassene Ordnungsvorschrift dar. Dies gilt auch für die in § 37 Abs. 2 BBiG und § 2 Prüfungsordnung festgeschriebene Parität zwischen den Beauftragen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer. Der Gesetzgeber hat damit den gesellschaftspolitisch begründeten Paritätsgedanken, dem er im Recht der beruflichen Bildung eine besondere Bedeutung beimisst (vgl. §§ 56 ff. BBiG und §§ 43 ff. Handwerksordnung), auch im beruflichen Prüfungswesen fest verankert (ebenso § 34 Handwerksordnung) und dadurch zu erkennen gegeben, dass er die paritätische Besetzung der Prüfungsausschüsse mit Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern als ein wesentliches Element für eine ausgewogene Leistungsbeurteilung ansieht (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Juli 1984 - 7 C 28.83 -, BVerwGE 70, 4; Wohlgemut, a.a.O., § 37 Rdnr. 1, 5 m.w.N.). Die Zielsetzung einer ausgewogenen Leistungsbeurteilung dient zumindest auch den Interessen des Prüflings. Ebenso dient das Verbot der Mitwirkung des Ausbilders nach § 3 Abs. 4 Prüfungsordnung erkennbar auch den Interessen des Prüflings und damit des Klägers.

36

Im Hinblick auf die erneute Bewertung des Prüfungsteils A und der Neubescheidung über das Prüfungsergebnis sieht sich das Gericht zu folgenden Hinweisen veranlasst:

37

Zunächst hat die Beklagte einen § 37 BBiG entsprechenden Prüfungsausschuss einzurichten. Die Bestimmung der einzelnen Mitglieder und der stellvertretenden Mitglieder sowie die Vertretungsregelung sollte nachvollziehbar dokumentiert werden.

38

Aus §§ 47 Abs. 2 S. 2, 38 Abs. 2 BBiG ist zu schließen, dass der Prüfungsausschuss die Prüfungsleistungen als Kollegium bewertet. Diesen Grundsatz hat die Beklagte auch in § 21 Abs. 1 Prüfungsordnung aufgenommen. Dies entbindet jedoch jedes einzelne Mitglied des Prüfungsausschusses nicht von der Pflicht, die Prüfungsleistung zunächst getrennt und selbständig zu beurteilen und zu bewerten (§ 20 Abs. 3 Prüfungsordnung), um anschließend anhand dieser Einzelbewertungen im Rahmen einer ausschließlich den Mitgliedern des Prüfungsausschusses zugänglichen Beratung (§ 15 S. 3 Prüfungsordnung) eine einheitliche Bewertung des Prüfungsausschusses herbeizuführen (vgl. auch OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 18. Dezember 1997 - 19 A 3881/95 -, Leitsätze juris und Urteil vom 28. Februar 1997 - 19 A 2626/96 -, Leitsätze juris). Allein die Übernahme eines Bewertungsvorschlages eines Mitgliedes des Ausschusses, der die Prüfungsleistung begutachtete und bewertete, durch die übrigen Mitglieder der Prüfungsausschusses im Rahmen der Beratung genügt diesen Anforderungen nicht. Ferner sieht § 21 Abs. 4 Prüfungsordnung vor, dass nicht lediglich über die einzelnen Prüfungsergebnisse, sondern auch über den Verlauf der Prüfung eine Niederschrift zu fertigen ist, die von allen Mitgliedern des Prüfungsausschusses zu unterzeichnen ist.

39

4.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Regelung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hinsichtlich der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

40

Die Voraussetzung der Zulassung der Berufung durch das Gericht gemäß § 124 a Abs. 1 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 Nr. 3 und 4 VwGO liegen nicht vor.