Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 10.12.2002, Az.: 11 A 2802/02
Altfall-Regelung; Bleiberechtsregelung; freiwillige Ausreise; Integrationsbedingung; Jugoslawien; Praxis; Straffreiheit
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 10.12.2002
- Aktenzeichen
- 11 A 2802/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 43697
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 30 AuslG
Tenor:
Das den Kläger zu 2) betreffende Verfahren wird eingestellt. Insoweit trägt dieser die Kosten des Verfahrens.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Klägerinnen zu 1) und 3) tragen insoweit die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerinnen dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung abwenden, falls nicht der Beklagte Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand:
Die Kläger, eine in M./Kosovo geborene Mutter und zwei ihrer insgesamt fünf Kinder, sind jugoslawische Staatsangehörige und gehören nach eigenen Angaben zum Volk der Roma. Die Kläger zu 1) und 2) reisten gemeinsam mit dem Ehemann/Vater und drei weiteren Kindern/Geschwistern am 16. Januar 1989 als Asylbewerber in die Bundesrepublik Deutschland ein. Die Klägerin zu 3) wurde am 4. Juni 1989 im Bundesgebiet geboren. Ihre Asylerstverfahren - in denen sie sich als albanische Volkszugehörige bezeichnet hatten - blieben ebenso erfolglos wie die (zum Teil mehrfach betriebenen) Folgeverfahren (vgl. Einstellungsbeschlüsse des Gerichts vom 17. Oktober 1996 - 12 A 2972/94 - betreffend die Kläger zu 1) und 2) sowie vom 1. November 2000 - 12 A 3909/99 - betreffend alle Kläger und den Ehemann/Vater). Laut Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 1. November 2000 über den jüngsten Asylfolgeantrag (u.a. 12 A 3909/99) ging der Einzelrichter aufgrund der klägerischen Erklärungen und vorgelegter Bescheinigungen davon aus, dass diese Angehörige des Volkes der Roma seien. Der Aufenthalt der Kläger im Bundesgebiet wurde bislang lediglich gestattet bzw. - im Hinblick auf die Asylfolgeverfahren und tatsächlichen Schwierigkeiten bei einer Rückführung in ihr Heimatland - geduldet.
Der Ehemann/Vater der Kläger trat während des Aufenthalts im Bundesgebiet seit 1992 mehrfach strafrechtlich in Erscheinung (vgl. im Einzelnen die im Widerspruchsbescheid aufgelisteten Verurteilungen durch das Amtsgericht Wittmund).
Den ersten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis des Ehemanns/Vaters der Kläger lehnte der Beklagte mit rechtskräftig gewordenem Bescheid vom 21. März 1997 ab. In dem diesbezüglich ergangenen Gerichtsbescheid vom 28. August 1998 - 11 A 3647/97 - führte die Kammer u.a. aus, dass die Möglichkeit der freiwilligen Ausreise einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 3 und 4 AuslG entgegenstehe. Die Integrationsvoraussetzungen der sogenannten Bleiberechtsregelung vom 25. April 1996 seien wegen Sozialhilfebezugs und Straffälligkeit nicht erfüllt.
Am 6./19. Juni 2001 beantragten die Kläger sowie ihr Ehemann/Vater und zwei weitere Kinder/Geschwister unter Hinweis auf den Beschluss der Innenministerkonferenz - IMK - vom 10. Mai 2001, die Dauer ihres Aufenthalts und ihre fortgeschrittene Integration die Erteilung von Aufenthaltsbefugnissen. Zumindest die Klägerin zu 1) erfülle die Voraussetzungen der Bleiberechtsregelung, weil sie seit zwei Jahren einen dauerhaften Arbeitsplatz im Gastgewerbe bei Herrn O. mit Wiedereinstellungsgarantie in der Saison innehabe. Kurzzeitige saisonbedingte Unterbrechungen der Arbeitstätigkeit seien unschädlich. Auch ihr Ehemann gehe einer Erwerbstätigkeit nach, so dass seit dem 1. September 1998 keine Sozialhilfeleistungen mehr bezogen worden seien. Die strafrechtlichen Verurteilungen des S. stellten keinen Versagungsgrund dar, da die Straftaten geringfügig seien und einige Zeit zurücklägen. Am 18. September 2001 nahm der Ehemann/Vater der Kläger seinen Antrag zurück. Hierzu wurde ausgeführt, es sei gleichheitswidrig, dass die Bleiberechtsregelung das Fehlverhalten einzelner Familienmitglieder „kollektivschuldmäßig“ weiteren Familienmitgliedern zurechne, die auf dieses Fehlverhalten nicht den geringsten Einfluss hätten.
Der Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 8. November 2001 mit der Begründung ab, die Kläger könnten die begehrten Aufenthaltsbefugnisse weder nach der Bleiberechtsregelung gemäß Erlass des Nds. Innenministers - MI - vom 22. Mai 2001 (Nds. MBl. S. 492) noch nach § 30 Abs. 3 und 4 AuslG verlangen. Allein wegen der Verurteilungen des S. in den Jahren 1993, 1994, 1997 und 2001 sei gemäß Nr. 3.1 der Bleiberechtsregelung ein zwingender Versagungsgrund für die Familie gegeben. Eine freiwillige Ausreise der Kläger sei jedenfalls in Gebiete ihres Heimatlandes außerhalb des Kosovo möglich, wo auch ein Teil der Familienmitglieder geboren worden sei.
Den Widerspruch der Kläger vom 18. Dezember 2001 lehnte die Bezirksregierung Weser-Ems durch Bescheid vom 30. Mai 2001 unter Vertiefung der Begründung des Ausgangsbescheides ab. Ergänzend führte sie aus, es sei zweifelhaft, ob die Kläger dem begünstigten Personenkreis der Bleiberechtsregelung angehörten. Zwar habe die Familie seit dem 1. September 1998 keine Sozialhilfe in Anspruch genommen. Die Klägerin zu 1) stehe aber nicht zum maßgeblichen Stichtag 10. Mai 2001 seit mehr als zwei Jahren in einem dauerhaften Beschäftigungsverhältnis, sondern sei von November 1999 bis April 2000 nicht nur kurzfristig arbeitslos gewesen. Letztlich könne dies aber wegen des Versagungsgrundes offen bleiben. Die Bleiberechtsregelung stelle in nicht zu beanstandender Weise auf die Integration der Gesamtfamilie ab, die hier wegen Verurteilung des Ehemanns/Vaters der Kläger zu einer Geldstrafe von mehr als 50 Tagessätzen oder zu einer Freiheitsstrafe nicht anzunehmen sei. Ein atypischer Sachverhalt für ein Abweichen von der Bestimmung der Bleiberechtsregelung liege nicht vor. Dass eine freiwillige Rückkehr in ihr Heimatland zumindest außerhalb des Kosovos möglich sei, zeige sich auch daran, dass derzeit Gespräche mit der jugoslawischen Regierung über die Rückführung von Angehörigen ethnischer Minderheiten aus dem Kosovo in das übrige Gebiet der Bundesrepublik Jugoslawien stattfänden. Der Erlass des Nds. MI vom 21. Januar 2002 (Nds. MBl. S. 95) sei für jugoslawische Staatsangehörige nicht einschlägig und würde mangels eines fortbestehenden Ausreisehindernisses ohnehin nicht greifen.
Die Kläger haben am 28. Juni 2000 Klage unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vorbringens aus dem Vorverfahren Klage erhoben. Ergänzend tragen sie vor, nach Sinn und Zweck des Beschlusses der IMK vom 10. Mai 2001 seien ihnen Aufenthaltsbefugnisse zu erteilen. Die eingeschränkten Arbeitsmöglichkeiten in der strukturschwachen Region, die nur eine saisonale Tätigkeit zulasse, sei ihnen nicht zuzurechnen. Immerhin sei in Zeiten der Arbeitslosigkeit nicht Sozialhilfe, sondern Arbeitslosengeld bezogen worden. Nach Rücknahme des Antrags des S., der im Dezember 2001 - also noch vor der Widerspruchsentscheidung - ausgereist sei, könnten dessen Verurteilungen den übrigen Klägern nicht mehr zugerechnet werden. Die Gefahr, dass die Voraussetzungen der Bleiberechtsregelung umgangen würden, bestehe im Hinblick auf die in § 35 AuslG geforderten Aufenthaltszeiten und das Erfordernis eines Sichtvermerksverfahrens vor Einreise nicht.
Nachdem dem Kläger zu 2) infolge Eheschließung mit der deutschen Staatsangehörigen Olga Gerhardt am 10. Dezember 2002 eine befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt worden ist, haben die Beteiligten den Rechtsstreit insoweit in der Hauptsache für erledigt erklärt.
Die Klägerinnen zu 1) und 3) beantragen,
den Bescheid des Beklagten vom 8. November 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Weser-Ems vom 30. Mai 2002 aufzuheben, soweit er sie betrifft, und den Beklagten zu verpflichten, ihnen die beantragten Aufenthaltsbefugnisse zu erteilen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er bezieht sich auf die angefochtenen Bescheide. Ergänzend erwidert er, weder die Antragsrücknahme noch eine Ausreise des S. - laut Bevollmächtigter der Kläger am 6. Juli 2002 nach Kroatien - hinderten die Anwendung des Versagungsgrundes nach Nr. 3.1 der Bleiberechtsregelung. Es komme auf die Verhältnisse bei Antragstellung an. Das zeige sich auch daran, dass erstmalige Anträge bis zum 30. September 2001 zu stellen und spätestens bis zum 31. März 2002 zu bescheiden waren. Im Übrigen könnten sonst die Voraussetzungen der Bleiberechtsregelung umgangen werden, falls S. (der nach wie vor Kontakt zur Familie halte und hier gesehen worden sei) nach einer Gewährung von Aufenthaltsbefugnissen an die Kläger wieder einreisen und eine abgeleitete Aufenthaltsbefugnis geltend machen würde. Im Übrigen sei der Sozialbezug an die Familie der Klägerinnen im Jahre 1998 nicht wegen ausreichenden Erwerbseinkommens, sondern infolge der Gewährung eines größeren Schmerzensgeldes an S. nach einem erlittenen Unfall eingestellt worden.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Gerichtsakte 12 A 3909/99 und 11 A 2800/02 sowie der vorgelegten Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der den Kläger zu 2) betreffende Rechtsstreit war nach den übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Beteiligten in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen. Dieser Teil der angefochtenen Bescheide ist mit der zwischenzeitlichen Erteilung eines besseren Aufenthaltsrechts, nämlich der befristeten Aufenthaltserlaubnis vom 10. Dezember 2002 nach Eheschließung mit der deutschen Staatsangehörigen Olga Gerhardt gegenstandslos geworden. Die Kosten waren insoweit nach billigem Ermessen gem. § 161 Abs. 2 VwGO unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes dem Kläger zu 2) aufzuerlegen, weil die Versagung der Aufenthaltsbefugnis nach den unten stehenden Erwägungen frei von rechtlichen Bedenken war.
Die Klage der Klägerinnen zu 1) und 3) ist zulässig, aber unbegründet.
Die Versagung von Aufenthaltsbefugnissen in den sie betreffenden angefochtenen Bescheiden ist rechtmäßig und verletzt die Klägerinnen nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO). Die Klägerinnen können weder die begehrten Aufenthaltsbefugnisse noch einen Neubescheidung ihre Anträge unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts beanspruchen.
Nach den für abgelehnte Asylbewerber (§ 30 Abs. 5 AuslG) geltenden § 30 Abs. 3 und 4 AuslG kommt eine Aufenthaltsbefugnis nicht in Frage. Nach § 30 Abs. 3 AuslG kann einem Ausländer, der unanfechtbar ausreisepflichtig ist, eine Aufenthaltsbefugnis abweichend von § 8 Abs. 1 AuslG erteilt werden, wenn die Voraussetzungen des § 55 Abs. 2 AuslG für eine Duldung vorliegen, weil seiner freiwilligen Ausreise und seiner Abschiebung Hindernisse entgegenstehen, die er nicht zu vertreten hat. Nach dieser Vorschrift ist der Ausländerbehörde erst dann ein Ermessen eröffnet, wenn der betreffende Ausländer unanfechtbar ausreisepflichtig ist, wenn die spezifischen Voraussetzungen für eine Duldung vorliegen und der freiwilligen Rückkehr des Ausländers von ihm nicht zu vertretende Hindernisse entgegenstehen (VGH BW, Urteil vom 13. Juni 2001 - 13 S 1983/00 - Juris). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor, weil den Klägerinnen zu 1) und 3) die freiwillige Rückkehr nach Jugoslawien (jedenfalls nach Serbien oder Montenegro) möglich und zumutbar ist. Die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 3 AuslG ist nämlich auch dann ausgeschlossen, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 55 Abs. 2 AuslG für eine Duldung vorliegen würden, einer Ausreise jedoch Hindernisse nicht entgegenstehen, selbst wenn eine Abschiebung mit Mitteln des Verwaltungszwanges nicht vollzogen werden kann. Denn der Zweck der Vorschrift geht dahin, wie sich aus der Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 11/6321, Seite 66 f.) ergibt, dass bei dem betroffenen Personenkreis der Aufenthalt legalisiert werden darf, der aus rechtlichen oder tatsächlichen von ihm nicht zu vertretenden Gründen auf Dauer nicht beendet werden kann, weil zur Legalisierung eines solchen Aufenthalts die Duldung nicht als geeigneter Aufenthaltstitel angesehen wird. Die gesetzliche Voraussetzung für die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 3 AuslG ist damit schon dann nicht erfüllt, wenn der Betroffene seine Ausreisepflicht, auch wenn sie mit Mitteln des Verwaltungszwanges wegen rechtlicher oder tatsächlichen Hindernisse nicht durchgesetzt werden könnte, freiwillig erfüllen kann (BVerwG, Urteil vom 25. September 1997 - 1 C 3.97 - BVerwGE 105, 232 ff. m.w.N). Die zumutbare Möglichkeit zur freiwilligen Ausreise schließt auch die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 4 AuslG aus (vgl. VGH BW, a.a.O.).
Die Klägerinnen haben weder im Zeitpunkt der ausländerbehördlichen Entscheidung noch im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung hinreichend nachgewiesen, dass ihrer freiwilligen Ausreise nach Jugoslawien Hindernisse entgegenstehen, die sie nicht zu vertreten haben (§ 30 Abs. 3 AuslG) bzw. alle zumutbaren Anforderungen zur Beseitigung des Abschiebungshindernisses erfüllt worden sind (§ 30 Abs. 4 AuslG).
Grundvoraussetzung für eine grundsätzlich mögliche freiwillige Rückkehr nach Jugoslawien ist die Erlangung eines Nationalpasses oder eines Passersatzpapiers. Die Klägerinnen haben - ebenso wie die übrigen Familienmitglieder - derartige Nationalpässe von ihrer Auslandsvertretung erhalten. Sollte S. diese tatsächlich einbehalten und mit ins Ausland genommen haben, ist dies kein objektiver und dauerhafter Hinderungsgrund. Vielmehr liegt es in ihrer eigenen Verantwortungssphäre, die Pässe von ihm wiederzuerlangen oder ggf. erneut zu beantragen. Nach eigenem Vorbringen der Klägerinnen ist ihrem Ehemann/Vater die freiwillige Rückkehr in das Heimatland möglich gewesen, wenngleich er sich dort auch nur kurze Zeit aufgehalten haben soll. Im Übrigen sind objektive Hinderungsgründe für eine freiwillige Ausreise nach Jugoslawien weder substantiiert dargetan noch sonst ersichtlich.
Auch der Erlass des Nds. MI vom 21. Januar 2002 (Nds. MBl. 2002, S. 95) führt zu keiner anderen Entscheidung. Anders als dort gefordert, fehlt es an einem fortbestehenden Abschiebungshindernis, da den Klägern zu 2) und 3) die freiwillige Ausreise in ihr Heimatland möglich ist. Vor allem findet dieser Erlass nach dem allein maßgeblichen Willen des Niedersächsischen Innenministeriums (vgl. Verfügung der Bezirksregierung Weser-Ems vom 4. April 2002) wegen der spezielleren Regelung im Erlass vom 22. Mai 2001 keine Anwendung auf Flüchtlinge aus Bosnien und Herzegowina sowie Jugoslawien (Serbien einschließlich Kosovo unter Montenegro).
Ebenso wenig können die Klägerinnen nach der niedersächsischen Bleiberechtsregelung auf der Grundlage der §§ 32, 30 AuslG eine Aufenthaltsbefugnis verlangen. Zutreffend gehen die angefochtenen Bescheide davon aus, dass es jedenfalls an der erforderlichen Integrationsbedingung Nr. 3.1 (Straffreiheit sämtlicher Familienmitglieder) fehlt, weil ihr Ehemann/Vater mehrere vorsätzliche Straftaten begangen hat und zu einer Geldstrafe von über 50 Tagessätzen und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist. Wegen der näheren Begründung wird zunächst auf die zutreffenden Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden verwiesen (Feststellung gemäß § 117 Abs. 5 VwGO).
Entgegen der Auffassung der Klägerinnen erweist sich die Zurechnung eines strafrechtlichen Fehlverhaltens eines Familienangehörigen auf die übrigen Familienangehörigen weder in diesem Fall noch generell als verfassungsrechtlich bedenklich. Altfall-Regelungen der obersten Landesbehörden sind nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 29. September 2000 - 1 C 19.99 -, DVBl. 2001, 214, 215 zur Vorläuferanordnung aus dem Jahre 1996/Bayern) nicht wie Rechtsätze anzuwenden und auszulegen. Vielmehr sind sie als Willenserklärung der obersten Landesbehörde unter Berücksichtigung des wirklichen Willens der Erklärenden und ihrer tatsächlichen Handhabung, d.h. der vom Urheber gebilligten oder geduldeten tatsächlichen Verwaltungspraxis, zu behandeln. Ob die obersten Landesbehörden Anordnungen nach § 32 AuslG treffen, steht in ihrem Ermessen, das lediglich insoweit Beschränkungen unterliegt, als die Anordnung nicht aus anderen als denen in § 32 AuslG genannten, nämlich (nur) aus völkerrechtlichen und humanitären Gründen oder zur Wahrung der politischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland getroffen werden darf. Die politische Entscheidung unterliegt, insbesondere auch hinsichtlich der Abgrenzung des von der Regelung erfassten Personenkreises, grundsätzlich keiner gerichtlichen Überprüfung, und ein Anspruch des einzelnen Ausländers, von einer solchen Regelung erfasst zu werden, besteht nicht.
Hiervon ausgehend kommt es für das Erfordernis der Straffreiheit in Nr. 3.1 der Bleiberechtsregelung allein auf die vom Niedersächsischen Innenministerium gebilligte oder geduldete Praxis an. Diese geht entsprechend dem eindeutigen Wortlaut des Versagungsgrundes dahin, dass die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis auch an die übrigen Familienmitglieder ausscheidet, wenn eine Elternteil rechtskräftig zu einer Geldstrafe von mehr als 50 Tagessätzen oder zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist.
Soweit die Klägerinnen beanstanden, die nachteilige Berücksichtigung eines strafrechtlichen Fehlverhaltens eines Familienangehörigen zu Lasten anderer Familienangehöriger, die sich selbst vorbildlich oder unauffällig verhalten hätten, sei ein „sippenhaftähnliches“ oder „kollektivschuldmäßiges“ Verfahren und verfassungsrechtlich bedenklich, ist ferner zu beachten, dass es in diesem Regelungsbereich nicht um Eingriffsverwaltung geht. Vielmehr handelt es sich um Leistungsverwaltung, nämlich um die Festlegung des Umfangs der Gewährung von gesetzlich nicht vorgesehenen Aufenthaltsrechten. In einem solchen gewährenden Bereich ist ein Hoheitsträger im besonderen Maße frei zu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen er diese Aufenthaltsrechte gewährt oder versagt und kann auch deren Auslegung und Anwendung bestimmen.
Weder die Antragsrücknahme noch eine Ausreise des Ehemanns/Vaters S. ändert etwas an der Anwendung des Versagungsgrundes nach Nr. 3.1 der Bleiberechtsregelung. Maßgeblich sind die Verhältnisse am dort festgelegten Stichtag 10. Mai 2001. Dies zeigt sich nicht nur an dem Stichtagebezug der sonstigen Integrationsvoraussetzungen. Bedeutsam ist auch die Festlegung in der Bleiberechtsregelung (Nr. 5), dass erstmalige Anträge bis zum 30. September 2001 zu stellen und spätestens bis zum 31. März 2002 zu bescheiden waren, was gegen ein Abstellen auf spätere Entwicklungen spricht (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 22. August 2003 - 8 ME 131/03 -). Am Stichtag (und selbst bei Antragstellung im Juni 2001) lebten die Klägerinnen im Familienverband mit S. Dieser Familienverband war bei der Bewertung der übrigen Integrationsleistungen als Einheit zu betrachten. Folglich kommt es für die erwünschte Integration im Positiven wie im Negativen auf die Gesamtfamilie an. Daran ändert sich auch nichts durch eine - möglicherweise nur aus taktischen Gründen motivierte - Entscheidung der Ausländer, ob für alle Familienmitglieder eine Aufenthaltsbefugnis beantragt wird oder ein Familienmitglied später seinen zunächst gestellten Antrag zurücknimmt. Anderenfalls bestünde auch die ersichtlich vom Innenministerium nicht erwünschte Möglichkeit einer Umgehung der Voraussetzungen der Bleiberechtsregelung durch ein willkürliches zeitweises Aufheben des familiären Zusammenlebens und nachträgliches Geltendmachen einer abgeleiteten Aufenthaltsbefugnis nach § 31 AuslG i.V.m. Art. 6 GG. Eine gegenteilige, den Klägerinnen günstige Verwaltungspraxis in Niedersachsen ist weder von diesen dargetan noch sonst ersichtlich.