Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 17.12.2002, Az.: 4 B 5016/02
Einblick; Maß der baulichen Nutzung; nachbarschützende Funktion; Nachbarwiderspruch; Rücksichtnahmegebot: Baugrenze; unveränderte Beibehaltung
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 17.12.2002
- Aktenzeichen
- 4 B 5016/02
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2002, 42108
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 15 Abs 1 BauNVO
- § 30 BBauG
Tenor:
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.
Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.
Der Streitwert wird auf 7.500 € (in Worten: Siebentausendfünfhundert Euro) festgesetzt.
Gründe
Die Antragsteller wenden sich gegen eine der Beigeladenen durch die Antragsgegnerin unter dem 15. November 2002 erteilte Baugenehmigung für den Neubau einer Reihenhausanlage mit 5 Wohneinheiten sowie eines Fahrradabstellraumes auf den Flurstücken ../.. und ../.. der Flur .. der Gemarkung ... (ehemals ...straße ..) - Baugrundstück. Die Antragsteller sind Eigentümer des nördlich an das Baugrundstück angrenzenden und mit einem Einfamilienwohnhaus im vorderen Bereich bebauten Grundstücks ...straße .. . Die Grundstücke liegen im Bereich des Durchführungsplanes Nr. .. der Antragsgegnerin vom 16. Mai 1961. Dieser setzt für die Grundstücke unter anderem Mischgebiet fest, bestimmt eine vordere Baulinie und das zulässige Maß der baulichen Nutzung wird geregelt. Den Voreigentümern des Baugrundstücks wurde unter dem 6. Juni 2001 ein Bauvorbescheid erteilt, wonach u.a. die mögliche Bebauungstiefe durch den damaligen Gebäudebestand vorgegeben sei und diese 27 m ab der vorderen Baulinie beträgt. Die genehmigte Reihenhausanlage soll in einem Abstand von 5 m zur Straßenbegrenzungslinie und in einer Bautiefe von 27 m errichtet werden.
Bereits im Genehmigungsverfahren erhoben die Antragsteller Einwendungen und führten aus, dass eine erhebliche Beeinträchtigung ihrer Wohnqualität durch das Vorhaben zu befürchten sei. Ihr Terrassen- und Gartenbereich werde verschattet. Es seien Lärmbelästigungen zu erwarten, da die Eingangsbereiche ihrem Grundstück zugewandt seien. Auch würden unzumutbare Einblickmöglichkeiten in ihren Garten- und Terrassenbereich eröffnet. Die durch die vorhandene Bebauung vorgegebene faktische hintere Baugrenze werde nicht eingehalten. Soweit auf dem Baugrundstück ein Gewächshaus im hinteren Grundstücksbereich vorhanden gewesen sei, rechtfertige dieses keine so tiefe Wohnbebauung. Es handele sich bei dem Vorhaben nicht um eine genehmigungsfähige Nutzungsänderung eines Gewächshauses.
Am 26. November 2002 haben die Antragsteller Widerspruch gegen die Baugenehmigung erhoben und am 28. November 2002 um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht.
Die Antragsgegnerin und die Beigeladene beantragen, den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zurückzuweisen, und weisen darauf hin, dass das Vorhaben planungsrechtlich zulässig sei. Unzumutbare Beeinträchtigungen für die Antragsteller würden insbesondere aufgrund der Vorbelastung ihres Grundstücks durch das früher auf dem Baugrundstück vorhandene Blumengeschäft mit Blumenbindehalle nicht begründet.
Der nach § 80 a Abs. 1 Nr. 2, 1. Halbs. sowie Abs. 3 iVm. § 80 Abs. 5 VwGO zu beurteilende Antrag ist zulässig, weil der Widerspruch der Antragsteller gegen die Baugenehmigung keine aufschiebende Wirkung hat (§ 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO iVm. § 212 a Abs. 1 BauGB). Der Antrag ist aber unbegründet. Die vom Gericht zu treffende Entscheidung orientiert sich grundsätzlich an dem Ergebnis einer umfassenden Abwägung der sich gegenüberstehenden Interessen an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes einerseits und der vorläufigen Aussetzung der Vollziehung andererseits. Im Rahmen der Abwägung sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des erhobenen Rechtsbehelfs in der Hauptsache maßgebend, wenn sie in der einen oder anderen Richtung offensichtlich sind. Dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ist deshalb in der Regel zu entsprechen, wenn sich die angefochtene Baugenehmigung bei überschlägiger Betrachtung als offensichtlich rechtswidrig erweist und den Antragsteller in seinen Rechten verletzt. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kommt hingegen dann nicht in Betracht wenn die Baugenehmigung unter dem Gesichtspunkt des Nachbarschutzes zu rechtlichen Beanstandungen erkennbar keinen Anlass gibt, der Rechtsbehelf also abweisungsreif ist.
So liegt der Fall hier. Nach dem Ergebnis der in Verfahren dieser Art nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage werden Nachbarrechte der Antragsteller durch die angefochtene Baugenehmigung aller Voraussicht nach nicht verletzt. Die erfolgreiche Anfechtung einer Nachbarbaugenehmigung setzt nicht nur die Rechtswidrigkeit der Genehmigung, sondern vor allem voraus, dass der Antragsteller durch die Baugenehmigung in seinen Rechten verletzt wird.
Nachbarschützende bauordnungsrechtliche Vorschriften werden durch das Vorhaben nicht verletzt. Insbesondere werden die Grenzabstände nach § 7 ff. NBauO durch das genehmigte Vorhaben eingehalten.
Nachbarschutz können die Antragsteller nach ihrem Vorbringen allerdings durch das für beplante Bereiche in § 15 Abs. 1 BauNVO enthaltene Gebot der nachbarlichen Rücksichtnahme geltend machen. Das Baugrundstück und auch das Antragstellergrundstück liegen im Bereich des Durchführungsplanes Nr. .. der Antragsgegnerin, der Festsetzungen über die Art und das Maß der baulichen Nutzung und über die überbaubaren Grundstücksflächen enthält. Es handelt sich somit um einen gem. § 173 Abs. 3 Satz 1 BBauG bei Inkrafttreten des BBauG festgestellten städtebaulichen Plan, der als Bebauungsplan fortgilt. Gründe für eine Nichtigkeit des Bebauungsplanes sind weder vorgetragen worden noch ersichtlich (vgl. zur Überleitung bestehender Durchführungspläne BVerwG, Urteil vom 20. Oktober 1972 - BVerwG IV C 14.71 - BVerwGE 41 S. 67 = BRS 45 Nr. 25). Die planungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens regelt sich somit nach § 30 BauGB, wonach im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes, der allein oder gemeinsam mit sonstigen baurechtlichen Vorschriften mindestens Festsetzungen über die Art und das Maß der baulichen Nutzung, die überbaubaren Grundstücksflächen und die örtlichen Verkehrsflächen enthält, ein Vorhaben zulässig ist, wenn es diesen Festsetzungen nicht widerspricht und die Erschließung gesichert ist. Die Art der genehmigten baulichen Nutzung ist hier zulässig, da das Baugrundstück als Mischgebiet festgesetzt ist, so dass Wohnnutzung unter die allgemein zulässige Nutzung fällt. Durch die genehmigte eingeschossige Bauweise mit ausgebautem Dachgeschoss sowie durch die genehmigte Bauhöhe von 9,04 m werden die Vorgaben des Bebauungsplanes eingehalten. Das zulässige Maß der überbaubaren Grundstücksfläche wird durch das Vorhaben allerdings überschritten, da mehr als 40 % überbaut werden. Nach den vorliegenden Plänen beträgt die Grundstücksgröße 650,65 qm, so dass nach dem Bebauungsplan maximal 260,26 qm überbaut werden dürfen. Bereits durch die Reihenhäuser werden 268,35 qm überbaut. Hinzu kommt der in der Grundfläche 15 qm große Fahrradabstellraum, so dass die zulässige überbaubare Fläche um 23,09 qm überschritten wird. Daraus folgt allerdings keine Verletzung der Nachbarrechte der Antragsteller. Festsetzungen des Maßes der baulichen Nutzung haben grundsätzlich keine nachbarschützende Funktion (BVerwG, Beschl. v. 23. Juni 1995 - 4 B 52.95 - BauR 1995 S. 823). Hinweise darauf, dass dieses vorliegend anders ist, lassen sich den Unterlagen zum Durchführungsplan Nr. .. der Antragsgegnerin nicht entnehmen. Eine hintere Baugrenze ist für das Baugrundstück im Bebauungsplan nicht festgesetzt worden. Soweit diese aus der maximal bebaubaren Fläche und der Einhaltung der Abstandsvorschriften folgt, wäre diese allerdings für die Antragsteller auch nicht nachbarschützend (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21. Juli 1994 - 10 B 10/94 - BRS 56 Nr. 44 m.w.N., wonach hintere Baugrenzen für die seitlichen Anlieger regelmäßig keinen Nachbarschutz vermitteln).
Nachbarschutz können die Antragsteller auf der Grundlage des in § 15 Abs. 1 BauNVO enthaltenen Gebotes der nachbarlichen Rücksichtnahme geltend machen. Eine drittschützende Wirkung kann das Gebot der Rücksichtnahme in Ausnahmefällen nur äußern, in denen die tatsächlichen Umstände handgreiflich ergeben, auf wen Rücksicht zu nehmen ist, und eine besondere rechtliche Schutzwürdigkeit des Betroffenen anzuerkennen ist. Die Schutzwürdigkeit des Betroffenen, die Intensität der Beeinträchtigung, die Interessen des Bauherrn und das, was beiden Seiten zumutbar ist, sind dann gegeneinander abzuwägen. Davon ausgehend ist eine besondere Schutzwürdigkeit der Antragsteller nicht feststellbar. Insbesondere werden deren Interessen nicht allein aufgrund der Hinterlandbebauung unzumutbar beeinträchtigt. In diesem Zusammenhang ist neben dem regelmäßig fehlenden Nachbarschutz selbst durch festgesetzte hintere Baugrenzen für die Seitenanlieger zu berücksichtigen, dass früher eine rückwärtige Bebauung des Baugrundstücks vorhanden war. Soweit die Antragsteller in diesem Zusammenhang darauf verweisen, dass es sich insoweit um ein Gewächshaus und nicht um Wohnnutzung gehandelt habe, ist zu berücksichtigen, dass auch das Blumengeschäft im vorderen Grundstücksbereich und die anschließende Halle in Glasbauweise dem Aufenthalt von Menschen jedenfalls während der Arbeitszeiten gedient haben. Auch davon gingen durch die gewerbliche Tätigkeit und Kundenbesuche Lärmimmissionen für das Grundstück der Antragsteller aus. Dass diese Immissionen durch die nunmehr genehmigte Wohnhausbebauung unzumutbar zunehmen würden, ist nicht ersichtlich. Lediglich die Eingangsbereiche liegen zur südlichen Grenze des Antragstellergrundstücks ausgerichtet. Die Stellplätze sind an der Straße angeordnet. Allein durch die Zahl der genehmigten Wohnungen sind keine unzumutbaren Beeinträchtigung der Antragsteller begründbar. Wohnnutzung ist in einem Mischgebiet allgemein zulässig.
Soweit die Antragsteller unzumutbare Beeinträchtigungen durch die insbesondere mit den genehmigten Gauben in der nördlichen Dachfläche eröffneten Einblickmöglichkeiten geltend machen, ist darauf hinzuweisen, dass grundsätzlich kein Anspruch auf unveränderte Beibehaltung einer gegenwärtigen baulichen Situation und deshalb in der Regel auch keine Abwehrmöglichkeit gegen eine selbst als lästig empfundene Einblickmöglichkeit und dadurch erfolgende Einschränkung der Nutzungen in Haus und Garten besteht. Dem betroffenen Nachbarn ist zuzumuten, sich so weit wie möglich durch Abschirmungen und Anpflanzungen selbst zu schützen (BVerwG, NVwZ 1985, S. 748 = BRS 49 Nr. 85; Fickert/Fieseler, BauNVO, Kommentar, 9. Aufl., § 16 RdZiff. 59.3 m.w.N.). Dieses folgt daraus, dass bei der im Innenbereich vergleichsweise dichten Bauweise, die auch in der offenen Bauweise Mindestabstände zwischen Gebäuden von 6 m eröffnet, grundsätzlich Einblickmöglichkeiten auf das jeweils andere Grundstück nicht zu vermeiden sind. Es besteht insoweit ein Austauschverhältnis zwischen den Grundstücken. Der durch Bebauung eröffneten Einblickmöglichkeit in das eigene Grundstück entspricht grundsätzlich die Einsichtmöglichkeit in das Nachbargrundstück. Es handelt sich bei den beanstandeten Einblickmöglichkeiten somit nicht um Belästigungen oder Störungen, die nach der Eigenart des Baugebietes iSv. § 15 Abs. 1 BauNVO unzumutbar sind, sondern vielmehr um typische Begleiterscheinungen einer Bebauung in offener Bauweise.
Soweit die Antragsteller eine unzumutbare Verschattung ihres Gartenbereiches geltend machen, greift diese Einwendung ebenfalls nicht durch. Ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot ist grundsätzlich ausgeschlossen, wenn alle durch das Gebot geschützten, möglicherweise beeinträchtigten Belange auch durch spezielle bauordnungsrechtliche Regelungen geschützt sind und das Vorhaben deren Anforderungen genügt (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 11. Januar 1999 - 4 B 128.98 - BauR 1999 S. 615 ff. m.w.N.). Die Belichtung des Grundstücks der Antragsteller wird durch die Einhaltung der Grenzabstandsvorschriften ausreichend und abschließend geschützt. Darüber hinausgehende Ansprüche können die Antragsteller auch unter Hinweis auf die besonderen Bedürfnisse ihrer im Gartenbereich spielenden Kinder nicht geltend machen. Das Baurecht ist grundstücks- und nicht personenbezogen, so dass besondere Nutzungsbedürfnisse regelmäßig nicht zu Beeinträchtigungen der Baumöglichkeiten auf Nachbargrundstücken führen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen waren nach § 162 Abs. 3 VwGO für erstattungsfähig zu erklären, da sie einen erfolgreichen Antrag gestellt hat.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 13 Abs. 1, 20 Abs. 3 GKG und orientiert sich der Höhe nach an dem Streitwertkatalog des Nds. OVG für baurechtliche Verfahren, dort Ziff. 8 a, 18 b).