Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 03.12.2002, Az.: 4 B 3205/02

Baugenehmigung; Baumaßnahme; Belästigung; Besucher; Gebot der Rücksichtnahme; Lärm; Nachbarschutz; Passanten; Rücksichtnahme: Verkehrsgeräusche

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
03.12.2002
Aktenzeichen
4 B 3205/02
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2002, 41914
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Zum Abwehranspruch gegen eine Baugenehmigung für die Änderung der Nutzung eines ehemaligen Kinos in eine Gaststätte mit Veranstaltungsräumen wegen der Belästigungen durch Verkehrsvorgänge und das Verhalten von Personen.

Tenor:

Die Anträge auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes werden abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.

Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 7.500 € festgesetzt.

Gründe

1

I. Die Antragstellerin ist Eigentümerin des mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks ...weg .. . Es liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans ... der Antragsgegnerin, der hier eine Nutzung als allgemeines Wohngebiet festsetzt. Von dieser Ausweisung erfasst werden auch die beiden nördlich an das Grundstück der Antragstellerin angrenzenden Wohngrundstücke am ...weg. An diese schließt nördlich das unbeplante Grundstück der Beigeladenen zu 1) an, auf das ein kirchliches Grundstück sowie – wieder im Bereich des Bebauungsplans ... – Wohnhäuser folgen. Auf der gegenüberliegenden Seite des ... weges befindet sich auf dem im Bebauungsplan ... als Sondergebiet dargestellten Bereich das Polizeidienst- und Verwaltungsgebäude, an das auf im Bebauungsplan als Mischgebiet ausgewiesenen Flächen eine gewerbliche Nutzung anschließt. In Höhe des Grundstücks der Antragstellerin verschwenkt der Friedhofsweg nach Osten; dort befindet sich vor dem Kreuzungsbereich zur ... straße eine öffentliche Stellplatzanlage, die vom ...weg aus durch eine in etwa vor ihrem Grundstück angelegte Ein- und Ausfahrt zu erreichen ist.

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Der überwiegende Teil des allgemein ... genannten Gebäudekomplexes auf dem Grundstück der Beigeladenen zu 1) wurde über mehrere Jahrzehnte bis Ende des Jahres 2000 als Kino mit zuletzt 4 Sälen und insgesamt 561 Plätzen genutzt. In Räumen und auf Freiflächen im straßenseitigen Bereich des Grundstücks wird seit etwa 1982 mit bauaufsichtlicher Genehmigung ein Restaurant betrieben.

3

Die Beigeladene zu 2) nutzt als Untermieterin die nicht dem vorgenannten Restaurant zugeordneten Räume und Freiflächen auf dem Grundstück der Beigeladenen zu 1) seit dem 2. Quartal des Jahres 2002 als Restaurant mit Hausbrauerei sowie für Veranstaltungen. Für die Änderung der Nutzung und die damit verbundenen Baumaßnahmen erteilte die Antragsgegnerin der Beigeladenen zu 1) am 17. Dezember 2001 eine Teilbaugenehmigung und am 30. Januar 2002 die Baugenehmigung.

4

Der Beigeladenen zu 2) erteilte die Antragsgegnerin unter dem 29. April 2002 eine befristete gaststättenrechtliche Erlaubnis für eine Schank- und Speisewirtschaft sowie für Veranstaltungen, die durch Bescheid vom 16. Juli 2002 für die Zeit bis zum 19. August 2002 erneut und widerruflich erteilt wurde. Durch Bescheid vom 30. Juli 2002 teilte die Antragsgegnerin der Beigeladenen zu 2) mit, Rechtsgrundlage für die Bescheide vom 29. April und 16. Juli 2002 sei § 2 iVm. § 3 Gaststättengesetz; insoweit würden die Bescheide korrigiert. Gleichzeitig werde die verfügte Befristung der gaststättenrechtlichen Erlaubnis aufgehoben, so dass die Erlaubnis unbefristet gelte. Einzelheiten hierzu ergäben sich aus der als Anlage beigefügten Ausfertigung. Die Antragsgegnerin behalte sich vor, ergänzende Auflagen zu der Erlaubnis zu verfügen. Dies gelte insbesondere für Maßnahmen, die notwendig erschienen, um vermeidbare Belästigungen für die Nachbarschaft zu unterbinden. Im Hinblick auf die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs ordnete die Antragsgegnerin die sofortige Vollziehung der gaststättenrechtlichen Erlaubnis vom 29. April 2002 „in Gestalt der Fassung vom 29. Juli 2002“ an. Die dem Bescheid beigefügte Erlaubnisurkunde vom 29. Juli 2002 bezieht sich auf die Betriebsarten Schankwirtschaft, Speisewirtschaft und Veranstaltungen.

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Gegen die Baugenehmigungen und die gaststättenrechtliche Erlaubnis erhob die Antragstellerin am 14. Juni bzw. 29./30. Juli 2002 Widerspruch.

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Daneben beantragte sie die Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes. Hierzu macht sie geltend, ihr Grundstück erfahre durch den vom Betrieb der Beigeladenen zu 2) ausgehenden Lärm sowie durch den Besucherverkehr unzumutbare Belästigungen.

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Unter dem 28. Oktober 2002 erteilte die Antragsgegnerin der Beigeladenen zu 1) einen Nachtrag zur Baugenehmigung vom 30. Januar 2002. Er sieht insbesondere bauliche Schalldämmmaßnahmen vor, bezieht sich auf eine geänderte Betriebsbeschreibung, enthält Regelungen zum Schalldruckinnenpegel, zur Lüftungsanlage, zu den Mitarbeiterstellplätzen, zur Höchstzahl von Gästen, zur Zulässigkeit von diskothekenähnlichen Veranstaltungen, zu den Betriebszeiten sowie einen Auflagenvorbehalt.

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Die Antragstellerin hat zunächst beantragt,

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die aufschiebende Wirkung ihrer Widersprüche gegen die der Beigeladenen zu 1) erteilten Baugenehmigungen vom 17. Dezember 2001 und 31. Januar 2002 anzuordnen bzw. gegen die der Beigeladenen zu 2) erteilte Gaststättenerlaubnis vom 29./30. Juli 2002 wiederherzustellen,

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hilfsweise, die aufschiebende Wirkung der vorgenannten Widersprüche nach Maßgabe der vorgelegten Begründungen teilweise anzuordnen bzw. wiederherzustellen,

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für den Fall der Nichtigkeit von Baugenehmigungen und Gaststättenerlaubnis weiter hilfsweise, gem. § 123 VwGO Folgenbeseitigung in geeigneter Weise anzuordnen, und zwar durch qualitativ und/oder quantitative Beschränkung des Braugaststättenbetriebes, etwa hinsichtlich der Gästezahlen, des Veranstaltungsspektrums und/oder durch Verlängerung der Sperrzeit.

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Nach der ihnen gegenüber durch Bescheid vom 29. Oktober 2002 erfolgten Bekanntgabe der Nachtragsbaugenehmigung hat die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 26. November 2002 das "Verfahren nach Maßgabe der nachfolgenden Ausführungen teilweise in der Hauptsache für erledigt" erklärt.

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Gleichzeitig beantragt sie,

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die Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Ansehung der Baugenehmigung vom 30. Januar 2002 in der Fassung der sogenannten Nachtragsbaugenehmigung vom 28./29. Oktober 2002, soweit es um den Antrag gem. § 80 Abs. 5 VwGO in der "Bausache" geht.

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Die Antragsgegnerin beantragt,

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die Anträge zurückzuweisen.

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Sie schließt sich der Erledigungserklärung nicht an und hält die angefochtenen Erlaubnisse für rechtmäßig. Hierzu verweist sie auf die Nachtragsgenehmigung. In dieser seien die Ergebnisse des auf ihre Veranlassung durch die Beigeladene zu 1) eingeholten schalltechnischen Gutachtens des Instituts für technische und angewandte Physik GmbH itap vom 29. August 2002 umgesetzt worden. Durch diese und weitere Maßnahmen sei dem Schutzanspruch der Antragstellerin in ausreichender Weise Rechnung getragen worden.

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Die Beigeladenen zu 1) und 2) stellen sich dem Begehren der Antragstellerin entgegen. Soweit die Genehmigungen noch anfechtbar seien, könnten die Anträge keinen Erfolg haben, da Nachbarrechte der Antragstellerin nicht verletzt seien.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte dieses Rechtsstreits und des Parallelverfahrens 4 B 3373/02 sowie auf die zu beiden Verfahren beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin ergänzend Bezug genommen.

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II. Der Antrag der Antragstellerin ist nach der im Tatbestand dargestellten letzten Ergänzung auslegungsbedürftig. Unter Berücksichtigung des weiteren Inhalts des Schriftsatzes vom 26. November 2002 interpretiert die erkennende Kammer die dortige Antragskorrektur dahingehend, dass die zuvor gestellten Anträge aufrechterhalten und insoweit aktualisiert werden, als die Baugenehmigung nunmehr in der Fassung angegriffen wird, die sie durch die Nachtragsbaugenehmigung vom 28. Oktober 2002 erhalten hat. Der gleichzeitigen Erklärung der teilweisen Erledigung der Hauptsache hat sich die Antragsgegnerin nicht angeschlossen, so dass schon deshalb der Rechtsstreit nicht insoweit teilweise einzustellen ist. Es ist auch kein Raum für eine - von der Antragstellerin nicht ausdrücklich beantragte - gerichtliche Feststellung der teilweisen Erledigung des Rechtsstreits. Kostenmäßig kann die durch die Nachtragsgenehmigung eingetretene Verbesserung der nachbarrechtlichen Situation für die Antragstellerin ebenfalls nicht berücksichtigt werden. Beides wäre nur dann in Betracht gekommen, wenn die Antragstellerin den auf die ursprünglichen Baugenehmigungen (vom 17. Dezember 2001 und 31. Januar 2002) bezogenen Rechtsstreit insgesamt für in der Hauptsache erledigt erklärt hätte. Sie hat jedoch statt dessen zulässigerweise die Nachtragsgenehmigung in das Verfahren einbezogen.

21

Die nach § 80 a Abs. 3 iVm. § 80 Abs. 5 VwGO zu beurteilenden Anträge zu 1) und 2) in der Fassung der Erklärung vom 26. November 2002 sind ohne vorangegangene Anträge auf Aussetzung der Vollziehung bei der Antragsgegnerin (§ 80 a Abs. 3 iVm. § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO) zulässig, da die Beigeladenen zu 1) und 2) die angefochtenen Genehmigungen ausnutzen und damit eine Situation eingetreten ist, die mit der drohenden Vollstreckung (§ 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 VwGO) vergleichbar ist.

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Der auf die Aussetzung der Baugenehmigungen bezogene Antrag ist unbegründet. Die vom Gericht zu treffende Entscheidung orientiert sich insoweit grundsätzlich an dem Ergebnis einer umfassenden Abwägung der sich gegenüberstehenden Interessen an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes einerseits und der vorläufigen Aussetzung der Vollziehung andererseits. Im Rahmen dieser Abwägung sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des erhobenen Rechtsbehelfs in der Hauptsache maßgebend, wenn sie in der einen oder anderen Richtung offensichtlich sind. Anderenfalls findet eine umfassende Interessenabwägung unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände statt. Diese ist auch hier vorzunehmen. Nach dem Ergebnis der in Verfahren dieser Art nur überschlägig möglichen Prüfung der Sach- und Rechtslage kann derzeit nicht sicher abgeschätzt werden, ob die Rechtsbehelfe der Antragstellerin gegen die Teilbaugenehmigung und die Baugenehmigung in der Fassung der Nachtragsgenehmigung letztlich Erfolg haben werden oder nicht. Die Antragstellerin gehört trotz der Entfernung ihres Grundstücks zum Baugrundstück zu den anfechtungsbefugten Nachbarn. Das Gericht geht auch davon aus, dass die Nachbarrechte der Antragstellerin, der die ursprünglichen Baugenehmigungen nicht zugestellt wurden, nicht verwirkt sind. Aus dem Umfang der Baumaßnahmen auf dem Baugrundstück ergab sich für sie nicht offensichtlich der Umfang der bei Aufnahme der geänderten Nutzung zu erwartenden Belästigungen, so dass sie nicht zur Vermeidung von Vermögensnachteilen auf Seiten des Bauherrn gehalten war, ihre Einwendungen früher geltend zu machen. In der Sache ist eine Verletzung von Nachbarrechten der Antragstellerin durch die angefochtene Baugenehmigung weder auszuschließen noch offensichtlich. Es ist vielmehr offen, ob die Baugenehmigung in ihrer jetzigen Gestalt die rechtlichen Belange der Antragstellerin in jeder Hinsicht hinreichend berücksichtigt. Soweit diese Bedenken bei näherer Prüfung nicht entkräftet werden können, kann ihnen aber möglicherweise im Widerspruchsverfahren oder in einem eventuell folgenden Verfahren zur Hauptsache durch eine weitere Nachbesserung der Erlaubnis oder auf andere Weise Rechnung getragen werden. In dieser Situation erscheint eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Widersprüche, die eine Verpflichtung zur vorläufigen Einstellung der Nutzung zur Folge hätte, unter Berücksichtigung der Interessen der Antragstellerin einerseits sowie der Beigeladenen zu 1) und 2) andererseits nicht angebracht.

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Bei der unter baurechtlichen Gesichtspunkten im Wesentlichen vorzunehmenden bauplanungsrechtlichen Prüfung wird die Antragstellerin dem Vorhaben aller Voraussicht nach nicht mit Erfolg entgegenhalten können, dass es sich der Art nach nicht in die Umgebung einfüge. Der nachbarschützende Anspruch auf Bewahrung der Gebietsart steht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 24. Februar 2002 – 4 C 23.98 -, NVwZ 2000, 1054 [BVerwG 24.02.2000 - BVerwG 4 C 23/98]) grundsätzlich nur Eigentümern von Grundstücken im Bereich desselben Bebauungsplans zu, und dort nur, soweit die Planbetroffenen im Hinblick auf die Nutzung ihrer Grundstücke durch dieselbe Gebietsfestsetzung verbunden sind. Entsprechendes gilt in unbeplanten Gebieten nach § 34 Abs. 2 BauGB in Verbindung mit den Baugebietsvorschriften der BauNVO, wenn die Eigenart der näheren Umgebung einem dieser Baugebiete entspricht (BVerwG, Beschluss vom 20. August 1998 – 4 B 79.98 -, BauR 1999, 32). Das wechselseitige Austauschverhältnis, auf dem ein solcher Nachbarschutz beruht, fehlt hier aber, da für die Beurteilung von Vorhaben auf dem beplanten Grundstück der Antragstellerin einerseits und dem Innenbereichsgrundstück der Beigeladenen zu 1) andererseits unterschiedliche bauplanungsrechtliche Grundlagen bestehen und im Übrigen zwischen beiden Grundstücken eine faktische Grenze unterschiedlicher Nutzung verläuft.

24

Die Grenze dessen, was die Antragstellerin an Belästigungen aus dem Betrieb der Beigeladenen zu 2) aufgrund der der Beigeladenen zu 1) erteilten Baugenehmigung hinnehmen muss, beurteilt sich vielmehr nach dem bauplanungsrechtlichen Gebot der Rücksichtnahme, das sich für beplante Gebiete aus § 15 Abs. 1 BauNVO ergibt, im Innenbereich im Gebot des Einfügens (§ 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB) enthalten ist und gebietsübergreifend gilt. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugute kommt, um so mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, um so weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Bei diesem Ansatz kommt es für die sachgerechte Beurteilung des Einzelfalles wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem an, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (BVerwG, Urteil vom 28. Oktober 1993 – 4 C 5.93 -, BauR 1994, 354). Im Grenzbereich unterschiedlicher Baugebiete ist die Nutzung mit einer gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme belastet, die sich bei der Festlegung der Zumutbarkeitsschwelle in der Bildung eines Mittelwerts äußert (BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 1975 – 4 C 71.73 -, BVerwGE 50, 49). Stoßen – wie hier – ein allgemeines Wohngebiet und ein Bereich mit einer im allgemeinen Wohngebiet nicht generell zulässigen gewerblichen Nutzung aneinander, so unterliegt die gewerbliche Nutzung im Grenzbereich weitergehenden Bindungen als etwa in einem Misch- oder Gewerbegebiet. Neben den materiellen Anforderungen an die Rücksichtnahme im nachbarlichen Verhältnis ergeben sich bei problematischen Nutzungskonstellationen auch besondere formelle Anforderungen an die Sicherung der Nachbarrechte in einer Baugenehmigung. Bei offenkundigen Konfliktlagen im Nachbarschaftsverhältnis hat die Baugenehmigung zur Sicherung des Gebots der Konfliktbewältigung (vgl. Nds.OVG, Beschluss vom 25. November 1994 – 1 M 4954/94 -) sicherzustellen, dass von dem Vorhaben keine unzulässigen Belästigungen oder Störungen ausgehen. Dazu bedarf es regelmäßig einer Konkretisierung dessen, was im Einzelfall zumutbar ist. So darf etwa die Einhaltung von Lärmrichtwerten nicht nur schematisch vorgegeben werden. Es darf nicht zweifelhaft bleiben, ob Richtwerte eingehalten werden können oder ob Regelungen hierzu in der Baugenehmigung eine Konfliktbewältigung „auf dem Papier vortäuschen“, die in der Realität nicht erbracht werden kann.

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Hiervon ausgehend sind die ursprünglichen Zweifel der Kammer, ob die der Beigeladenen zu 1) erteilte Baugenehmigung in formeller Hinsicht genügend Sicherungen zur Wahrung nachbarlicher Belange enthält, durch die Nachtragsgenehmigung zumindest weitgehend ausgeräumt. Die Unterlagen, die den Inhalt der Baugenehmigung mitbestimmen, werden in der Nachtragsgenehmigung vom 28. Oktober 2002 im Einzelnen und eindeutig bezeichnet; die Pläne sind zudem mit Genehmigungsvermerken versehen. Auch die geänderte Betriebsbeschreibung, die durch einzelne Nebenbestimmungen in der Nachtragsgenehmigung ergänzt wird, genügt wahrscheinlich nunmehr formell den Anforderungen an das Gebot der Konfliktbewältigung. Das zuvor sehr offen gehaltene Nutzungskonzept ist erheblich konkretisiert worden. In nachbarrechtlicher Hinsicht von Bedeutung sind dabei insbesondere Regelungen zur höchstzulässigen Besucherzahl sowie zu der Begrenzung von Tanzveranstaltungen. Weitere Konkretisierungen betreffen den höchstzulässigen Schalldruckinnenpegel, die Anlieferung und den Abtransport, die Befüllung der Container sowie die Mitarbeiterstellplätze. Zwar kann in diesem Eilverfahren nicht abschließend geklärt werden, ob realistischerweise zu erwarten ist, dass die Regelungen im täglichen Betrieb oder bei den Sonderveranstaltungen eingehalten werden. Es lässt sich derzeit aber auch nicht feststellen, dass sie einen reinen "Feigenblattcharakter" haben, zumal die Antragsgegnerin für die Problematik sensibilisiert ist und mit ordnungsbehördlichen Mitteln die Einhaltung der geänderten Genehmigung überwacht. Einzelheiten der Bewertung von Lärm, die sich unmittelbar aus anerkannten Regelungen ergeben, bedürfen wahrscheinlich keiner Umsetzung in der Baugenehmigung. Dies gilt etwa für die von der Antragstellerin angesprochenen Zuschläge für Ton- und Informationshaltigkeit (A.2.5.2 des Anhangs zur TA-Lärm).

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In der Sache rügt die Antragstellerin vordringlich die auf ihr Grundstück einwirkende zusätzliche Lärmbelästigung, und zwar einerseits durch die eigentlichen Betriebsgeräusche vom ... gelände und andererseits durch die mit der An- und Abreise der Besucher auf öffentlichem Grund vor ihrem Grundstück verbundenen Emissionen. Außerdem beschwert sie sich über das Fehlverhalten betrunkener Gäste bis hin zur Zweckentfremdung ihres Vorgartens. Bezüglich der Geräuschentwicklung auf dem Baugrundstück durch den laufenden Betrieb kann dahingestellt bleiben, ob sie im Grundsatz die Einhaltung der Richtwerte für ein allgemeines Wohngebiet verlangen kann, die zugunsten der Nachbarn in die Baugenehmigung aufgenommen wurden (Nebenbestimmung Nr. 3 in der Ursprungsgenehmigung), oder ob hier wegen der Randlage beider Grundstücke auf einen höheren "Mittelwert" abzustellen ist (vgl. hierzu die Ausführungen im weiteren Beschluss vom heutigen Tage im Parallelverfahren 4 B 3205/02 für die dortige nachbarrechtliche Konstellation). Nach dem Gutachten des itap vom 29. August 2002 ist der Immissionsanteil der Gaststätte "..." an der Gesamtbelastung für die hier allein problematische Nachtzeit unbeachtlich. Für das durch mehrere Gebäude vom Betriebsgrundstück abgeschirmte Wohnhaus der Antragstellerin wurde dort zwar keine spezielle Immissionsberechnung vorgenommen. Hierfür bestand aus Sicht der Gutachter offensichtlich kein Anlass. Das Schaubild mit Isoplethen auf S. 12 des Gutachtens lässt aber erkennen, dass für das (dort nur teilweise dargestellte) Grundstücke der Antragstellerin keine erhebliche Erhöhung der Geräuschbelastung durch den Betrieb auf dem Baugrundstück ermittelt wurde. Insbesondere kann auf der Grundlage des Gutachtens angenommen werden, dass die von der zu beurteilenden Anlage ausgehende Zusatzbelastung am Wohngebäude der Antragstellerin die Immissionswerte für ein allgemeines Wohngebiet um mehr als 6 dB(A) unterschreitet (3.2.1, 2. Abs. der TA-Lärm). Nach der zwischenzeitlich durch die Nachtragsbaugenehmigung erfolgten Verbesserung der nachbarrechtlichen Situation wird diese Einschätzung eher zu bekräftigen sein. Angesichts der Eindeutigkeit dieses Ergebnisses können in diesem Zusammenhang auch verbleibende Zweifel an einer uneingeschränkten Aussagekraft des Gutachtens (vgl. hierzu die Ausführungen im Beschluss in der Parallelsache 4 B 3205/02) dahingestellt bleiben.

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Dem Widerspruch der Antragstellerin zum Erfolg verhelfen wird voraussichtlich auch nicht ihr Hinweis auf die Zunahme der Lärmbelästigung vor ihrem Grundstück durch Personenkraftwagen und Radfahrer, die das ... gelände anfahren bzw. dieses wieder verlassen. Nach den Feststellungen des itap (Gutachten S. 6 und 13) sind die Immissionen des auf den Betrieb der Gaststätten zurückzuführenden Fahrzeugverkehrs auf öffentlichen Straßen nicht zu berücksichtigen, da hierdurch der Beurteilungspegel der Verkehrsgeräusche rechnerisch nicht um mindestens 3 dB(A) erhöht wird (7.4 der TA-Lärm). Der Hinweis der Antragstellerin auf den Beschluss des OVG Münster vom 25. Januar 1994 (- 4 B 2746/93 -, NVwZ - RR 1995, 27) greift insoweit nicht durch. Danach soll für einen durch eine Gaststätte ausgelösten Verkehrs- und Besucherlärm wesentlich auf Spitzenwerte abzustellen sein, da derartige besonders hohe, kurzfristige Geräusche vor allem nachts während der allgemeinen Nachtruhe besonders störend seien. In diesem Beschluss konnte die am 26. August 1998 erlassene Neufassung der TA-Lärm, in der anknüpfend an die in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze erstmals eine eingehende Regelung der Beurteilung von betriebsbezogenen Verkehrsgeräuschen getroffen wurde (Feldhaus, Einführung der TA-Lärm 1998, UPR 1999, 1) und die den gesetzlichen Interpretations- oder Ermessensspielraum der anwendenden Behörden konkretisiert (Schulze-Fielitz, Die neue TA-Lärm, DVBl. 1999, 65), noch nicht berücksichtigt werden. Die Antragstellerin hebt auch nicht den Lärm durch den fließenden, wenn auch anlagenbezogenen Verkehr durch Pkw und Fahrräder hervor, sondern mehr die mit der Benutzung der Stellplatzanlage vor ihrem Grundstück verbundenen und durch Fußgänger verursachten Geräusche (dazu weiter unten). Die Geräusche durch den fließenden Verkehr dürften demgegenüber in den Hintergrund treten, da der Radweg und der Friedhofsweg nicht unmittelbar vor dem Grundstück der Antragstellerin verlaufen, sondern von diesem durch die Stellplatzanlage und einen schmalen Grünstreifen getrennt sind.

28

Ob Geräusche, die durch das Parken von Besuchern auf einem öffentlichen Parkplatz entstehen, nach den Absätzen 1 oder 2 der Nr. 7.4 der TA-Lärm oder aber nach anderen Maßstäben zu beurteilen sind, ist streitig (vgl. Hansmann, Anwendungsprobleme der TA-Lärm, ZUR 2002, 207, 209). Nach dem Urteil des BVerwG vom 27. August 1998 (- 4 C 5.98 -, BauR 1999, 152) bieten allerdings die TA-Lärm und die VDI-Richtlinie 2058 brauchbare Anhaltspunkte für die Bemessung der Zumutbarkeit der mit einem solchen anlagenbezogenen verkehrverbundenen Lärmbeeinträchtigungen. Für eine Klärung der Zumutbarkeitsgrenze in diesem Einzelfall ist in dem auf vorläufigen Rechtsschutz gerichteten Verfahren kein Raum. Unklar bleibt daneben das tatsächliche Ausmaß der Belästigung in gradueller und zeitlicher Hinsicht. Verlässliche Aussagen hierzu fehlen ebenso wie Messungen oder Prognosen als Grundlage einer sachgerechten Entscheidung. Eine umfangreiche Beweiserhebung hierzu ist im Eilverfahren nicht angebracht. Bei der deshalb vorzunehmenden vorläufigen Interessenabwägung geht die erkennende Kammer davon aus, dass angesichts der Nähe der Stellplatzanlage zum Grundstück der Antragstellerin Parkverkehr im Zusammenhang mit der Nutzung des ... grundstückes dem Vorhaben im Grundsatz zurechenbar (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. August 1998, aaO.) ist, auch wenn auf demselben Stellplatzgelände eine "Vermischung mit dem übrigen" - ruhenden - "Verkehr" (7.4, 2. Abs. der TA-Lärm) erfolgt. Bei der Nähe der Stellplatzanlage und ihrer Einfahrt zum Grundstück der Antragstellerin lässt sich auch nachvollziehen, dass von ihr und ihrer Familie insbesondere nächtliche Geräusche durch Ein- und Ausparkvorgänge, das Schlagen der Türen und menschliche Zurufe als störend empfunden werden. Andererseits ist ihr Grundstück schon seit langem durch den Parkplatz und die übrigen Verkehrsgeräusche vorbelastet. Die Stellplatzanlage war auch schon in der Vergangenheit in den Abendstunden teilweise stark frequentiert, insbesondere im Zusammenhang mit der früheren Nutzung des ... als Lichtspieltheater. Es ist gerichtsbekannt, dass es dort auch schon zu dieser Zeit wegen der Enge der Rangierflächen öfter zu Problemen gekommen ist. Möglicherweise haben sich die Belästigungen für die Nachbarschaft nach der Aufnahme des Betriebes der Beigeladenen zu 2) intensiviert und zeitlich in die Nachtstunden hinein verschoben. Eine zumindest gewisse Entlastung dürfte aber durch die in die Nachtragsbaugenehmigung aufgenommenen Betriebsbeschränkungen zu erwarten sein. Durch sie werden Großveranstaltungen mit dementsprechendem Fahrzeugaufkommen ausgeschlossen und beispielsweise diskothekenähnliche Veranstaltungen stark begrenzt. Die verbleibenden Unsicherheiten, etwa bezüglich des Nachweises von notwendigen Einstellplätzen in ausreichender Anzahl auf dem Baugrundstück, rechtfertigen die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Widersprüche gegen die Baugenehmigungen nicht. § 47 Abs. 2 NBauO ist nicht nachbarschützend ( Grosse-Suchsdorf , Schmaltz, Lindorf, Wiechert, NBauO, 7. Aufl., § 72 Rdnr. 84 m. w. N.). Unter Berücksichtigung aller Umstände ist es der Antragstellerin zunächst zuzumuten, die Nutzung der öffentlichen Stellplätze vor ihrem Grundstück auch durch Gäste der Beigeladenen zu 2) bis zu einer abschließenden Klärung hinzunehmen. Bei übermäßigen Störungen wäre es Aufgabe der mit ihrem Dienstgebäude örtlich unmittelbar benachbarten Polizeibehörde, ordnungsbehördlich tätig zu werden. Eine dauerhafte Lösung der Problematik dieser Stellplatzanlage muss eventuell durch verkehrsbeschränkende und/oder bauliche Maßnahmen erfolgen, wie sie z. B. das itap im Gutachten vom 29. August 2002 vorgeschlagen hat.

29

Schließlich kann die Antragstellerin die Aussetzung der Baugenehmigung auch nicht unter Hinweis auf das Verhalten von lärmenden und betrunkenen Personen vor ihrem Grundstück verlangen. Insoweit fehlt es ebenfalls schon an aussagekräftigen Erkenntnissen über das Ausmaß derartiger Belästigungen. Auch für die geltend gemachten "Zweckentfremdungen" von Vorgärten reicht der Hinweis auf eine Erfahrungstatsache (Schriftsatz vom 26. November 2002) nicht aus. Im Übrigen mag zwar ein innerer Zusammenhang zwischen dem Besuch der Betriebsräume der Beigeladenen zu 2) und unbotmäßigem Verhalten von Passanten feststellbar sein. Davon zu unterscheiden ist aber die Frage, welche Maßnahmen von dem Anlagenbetreiber verlangt werden können. Soweit er das Verhalten seiner Gäste nicht beeinflussen kann, kommt ein behördliches Einschreiten in der Regel nur gegenüber den lärmverursachenden Personen in Betracht (Hansmann, aaO, S. 209). Ob das angesprochene Fehlverhalten die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung berührt, bleibt demnach zweifelhaft.

30

Der auf die Gaststättenerlaubnis bezogene Antrag zu 1) hat ebenfalls keinen Erfolg. Er bezieht sich ausschließlich auf die §§ 2, 3 Gaststättengesetz gestützte (Bescheid vom 30. Juli 2002) Erlaubnis und nicht auf die verschiedenen erteilten Gestattungen nach § 12 Gaststättengesetz für besondere Ereignisse, die sich ohnehin durch Zeitablauf erledigt haben. Es bleibt dahingestellt, in wie weit Regelungen über die Gaststättenerlaubnis Nachbarschutz gewähren. Die Antragstellerin hat in Bezug auf den gaststättenrechtlichen Teil der Problematik keine besondere eigene Belastung geltend gemacht, die über diejenige hinausgeht, die bereits in dem Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Baugenehmigung berücksichtigt wird. Spezielle, ausschließlich im gaststättenrechtlichen Erlaubnisverfahren zu berücksichtigende Umstände wurden nicht vorgebracht. Im Übrigen enthält der Bescheid vom 30. Juli 2002 den oben dargestellten Auflagenvorbehalt zur Abwendung vermeidbarer Belästigungen für die Nachbarschaft und damit auch der Antragstellerin.

31

Auch dem weiter hilfsweise unter 3.) gestellten Antrag nach § 123 VwGO kann nicht entsprochen werden. Ein Fall der Nichtigkeit der Baugenehmigungen oder der Gaststättenerlaubnis, für den dieser Antrag gestellt ist, liegt nicht vor. Weder leiden die angefochtenen Verwaltungsakte offensichtlich an besonders schwerwiegenden Fehlern iSd. § 44 Abs. 1 VwVfG noch liegt einer der in § 44 Abs. 2 VwVfG aufgelisteten Nichtigkeitsgründe vor. In Betracht kämen noch einstweilige Maßnahmen zur Sicherung der Rechte der Antragstellerin nach § 80 a Abs. 1 Nr. 2 VwGO. Für sie besteht jedoch aus den dargelegten Gründen derzeit kein Bedarf.

32

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 und 3, 162 Abs. 3 VwGO. Da keine übereinstimmende Erledigungserklärung über Teile des Streitgegenstandes vorliegt, kommt eine Kostenentscheidung nach § 161 Abs. 2 VwGO nicht in Betracht. Eine anteilige Belastung auch der Beigeladenen mit den Kosten kommt nicht in Betracht, da sie keine Anträge gestellt haben. Da sich die Beigeladenen damit nicht am Kostenrisiko des Rechtsstreits beteiligt haben, ist es aber auch sachgerecht, ihre außergerichtlichen Kosten  nicht für erstattungsfähig zu erklären.

33

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 13 Abs. 1 Satz 1, 20 Abs. 3 GKG. Sie orientiert sich am aktuellen Streitwertkatalog der Bausenate des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (NordÖR 2002, 197; dort Nr. 8 a, 18 b). Ausgegangen wird dabei für die Beeinträchtigung der Wohnung der Antragstellerin von einem Wert von 15.000 €, der für das auf vorläufigen Rechtsschutz gerichtete Verfahren halbiert wird. Eine besondere Berücksichtigung des gaststättenrechtlichen Antrags, der in der Sache auf dasselbe Ziel (vorläufige Einstellung der Nutzung des ...-Komplexes) gerichtet ist, erfolgt nicht.