Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 02.08.2011, Az.: L 9 U 135/05

Helicobacter-pylori-Erkrankung stellt keine Berufskrankheit dar; Anerkennung einer Helicobacter-pylori-Erkrankung als Berufskrankheit in der gesetzlichen Unfallversicherung

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
02.08.2011
Aktenzeichen
L 9 U 135/05
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2011, 23673
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2011:0802.L9U135.05.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hannover - 08.04.2005 - AZ: S 36 U 136/03

Fundstelle

  • Breith. 2012, 128-137

Redaktioneller Leitsatz

Nach der Nr. 3101 der Anlage zur BKV (BK 3101) ist eine Infektionskrankheit dann eine Berufskrankheit, wenn der Versicherte im Gesundheitswesen, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt gewesen ist. Dabei genügt als schädigende Einwirkung, dass der Versicherte einer der versicherten Tätigkeit innewohnenden Infektionsgefahr besonders ausgesetzt war. Denn bei der BK 3101 besteht die Besonderheit, dass die schädliche Einwirkung, also der Ansteckungsvorgang, bei dem die Krankheit übertragen wurde, ein einmaliges, punktuelles Ereignis darstellt, das häufig im Nachhinein nicht mehr ermittelt werden kann. Zudem sind meist verschiedene Infektionsquellen und Übertragungswege denkbar, ohne dass sich feststellen lässt, bei welcher Verrichtung es tatsächlich zu der Ansteckung gekommen ist. Für die besonders erhöhte Infektionsgefahr gelten hinsichtlich des Beweismaßstabes die Anforderungen, die ansonsten für das Tatbestandsmerkmal der Einwirkungen zu beachten sind, so dass diese - ebenso wie die Infektionskrankheit - im Vollbeweis vorliegen muss, für den der Versicherte die materielle Beweislast trägt (hier: Anerkennung einer Helicobacter-pylori-Erkrankung als Berufskrankheit). [Amtlich veröffentlichte Entscheidung]

Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Berufungsklägerin erstrebt die Anerkennung (und Entschädigung) einer Infektion mit Helicobacter pylori mit Folgeerkrankungen als Berufskrankheit (BK) nach der Ziffer 3101 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV).

2

Die 1953 geborene Berufungsklägerin war in der Zeit von Juni 1984 bis Ende September 1986 als Assistenzärztin in der Inneren Abteilung des E. -Hospitals tätig. Ab 1. Oktober 1986 war sie als Ärztin in der Medizinischen Klinik des Krankenhauses F. beschäftigt. Seit Januar 1987 arbeitete sie in der Endoskopie. Pro Tag wurden von ihr ca. fünf bis zehn Gastrokopien sowie ca. zwei bis fünf Coloskopien durchgeführt.

3

Im Februar 1991 zeigte die Berufungsklägerin ihrem Arbeitgeber ihre erste Schwangerschaft an. Während dieser Schwangerschaft wurde sie weiterhin im Bereich der Endoskopie eingesetzt. Am 23. Oktober 1991 gebar sie ihren ersten Sohn, welcher mit einer Fehlbildung der Genitalien (Penistorsion) zur Welt kam.

4

Während der zweiten Schwangerschaft im Jahre 1994 wurde der Berufungsklägerin ein Berufsverbot erteilt. Nach dreijährigem Erziehungsurlaub nahm sie im August 1997 ihre Tätigkeit im Krankenhaus G. wieder auf.

5

Im Januar 1998 wurden bei der Berufungsklägerin positive Antikörper gegen Helicobacter plyori festgestellt und die Verdachtsdiagnose einer Helicobacter-induzierten Gastritis und damit einhergehenden funktionellen Hypergastrinämie geäußert (Bericht Prof. Dr. H., Direktor der Abteilung Gastroenterologie und Hepatologie der Medizinischen Hochschule I. - J. - vom 4. März 1998). Daraufhin zeigte die Berufungsklägerin am 30. April 1998 den Verdacht auf eine im Rahmen ihrer endoskopischen Tätigkeit erworbenen BK an. Sie verwies auf die ärztliche Anzeige über eine BK des Dr. K., Facharzt für Innere Medizin, vom 24. April 1998. Auf Bitten der Berufungsklägerin zeigte auch das Krankenhaus G. eine BK an.

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Der Berufungsbeklagte leitete ein Ermittlungsverfahren ein. Im Rahmen eines Gespräches über die Arbeitsumstände im Krankenhaus G. gab die Berufungsklägerin an, dass bei den Endoskopien zwar regelmäßig Handschuhe benutzt worden seien, diese jedoch manchmal von aggressiven Patienten durchgebissen worden seien. Bei gleichzeitiger Durchführung einer Biopsie sei zum Teil Magensaft aus den Ventilen geflossen; beim Herausziehen der Biopsiezange habe es gespritzt. Die Berufungsklägerin gab an, dass die Durchseuchung mit Helicobacter plyori in der Bevölkerung bei Älteren ab 50 Jahren etwa 50 % betrage; in der Endoskopieabteilung sei mit einer Durchseuchungsrate von etwa 90 % zu rechnen (Aktenvermerk vom 17. Juni 1998).

7

Ausweislich der Berichte der J. vom 8. Januar 1998 und 4. März 1998 stellte sich der von der Berufungsklägerin gegenüber ihren behandelnden Ärzten geschilderte Krankheitsverlauf wie folgt dar:

8

Im Rahmen der ersten Schwangerschaft 1991 seien erstmals Gelenkbeschwerden mit Schwellung im Vorfuß, Sitzbein sowie eine Tendopathie der Achillessehnen aufgetreten. Im Jahre 1993 sei es zu Beschwerden im Sinne einer Sakroilitiitis (Entzündung im Bereich der unteren Wirbelsäule) gekommen. Während der zweiten Schwangerschaft sei eine Präeklampsie diagnostiziert worden, nach einem im Rahmen der Entbindung durchgeführten Dammschnitt seien Wundheilungsstörungen aufgetreten. Seitdem leide sie an rezidivierenden Infekten. Im April 1994 sei es wiederum zu Beschwerden im Sinne einer Sakroiliitis gekommen, zudem seien Gelenkschmerzen im Bereich der Fingergelenke sowie der Wirbelsäule aufgetreten. Seit August 1997 leide sie unter einer Belastungsdyspnoe sowie Muskelschmerzen. Seit September 1997 habe der rezidivierende Husten zugenommen. Es sei eine Eisenmangelanämie bei erniedrigten Ferritinwerten festgestellt worden.

9

Im Dezember 1997 erfolgte eine stationäre Behandlung in der Abteilung Rheumatologie der J ... Diagnostiziert wurde eine undifferenzierte Spondarthritis mit entzündlichem Kreuzschmerz, eine chronisch aktive Corpusgastritis mit mäßiger entzündlicher Aktivität bei Eisenmangelanämie, axialer Gleithernie mit Kardialinsuffizienz und Hypergastrinämie unklarer Äthiologie. Empfohlen wurde eine weitere gastroentereologische Abklärung (Bericht Prof. Dr. L., Leiter der Abteilung Rheumatologie der J., vom 8. Januar 1998). Eine histologische Untersuchung der Duodenalschleimhaut ergab keine krankhaften Veränderungen, insbesondere keinen Anhalt für Duodenitis, Sprue, Morbus Whipple oder Lymphangiektasie. Diagnostiziert wurde eine geringgradige, nicht aktive Gastritis. Es wurde ferner die Verdachtsdiagnose einer aktiven Autoimmungastritis gestellt und eine Untersuchung auf Helicobacter plyori-Antikörper empfohlen (Bericht des Pathologen Prof. Dr. M. vom 30. Januar 1998). Die daraufhin durchgeführte Serologie ergab einen erhöhten Antikörpertiter gegen Helicobacter plyori IgG, jedoch ohne Nachweis von Parietalzell-Antikörpern. Prof. Dr. H. empfahl daraufhin die ambulante Durchführung einer Helicobacter plyori - Eradiktion (Bericht der J. vom 4. März 1998 über den stationären Aufenthalt im Januar 1998). Der Pathologe Prof. Dr. N. sah keinen Anhalt für Helicobacter-Gastritis (pathologisch-anatomischer Begutachtung vom 3. Februar 1998). Prof. Dr. O. (Ärztlicher Direktor der Abteilung Rheumatologie und Immunologie der Medizinischen Universitäts- und Poliklinik P.) berichtete am 5. Mai 1998, dass es der Berufungsklägerin nach durchgeführter Eradiktion eindeutig besser ginge, wobei die Gelenkbeschwerden jedoch schon Wochen zuvor langsam abgeklungen seien. Die durchgeführten Untersuchungen hätten den früheren Verdacht einer Hypogammaglobulinämie nicht bestätigt. Immunologisch fand sich weiterhin ein stark positiver Helicobacter pylori ELISA für IgG-Antikörper. Durch einen im Juni 1998 durchgeführten Atemtest konnte eine Helicobacterbesiedelung ausgeschlossen werden.

10

In der Zeit vom 4. Februar bis 7. April 1998 war die Berufungsklägerin in der Psychosomatischen Fachklinik Q. in stationärer Behandlung. Als Entlassungsdiagnose wurde u.a. eine Immunschwäche und Helicobacter-Infektion genannt.

11

Der behandelnde Arzt Dr. K. teilte in seinem Bericht vom 25. September 1998 mit, dass bei der Berufungsklägerin sicherlich eine Helicobacter positive Autoimmungastritis vorliege, woraus in der Folge möglicherweise Infekte und ein psycho-vegetativer Erschöpfungszustand resultiert hätten.

12

Die private Krankenversicherung der Berufungsklägerin teilte mit, dass diese seit Juni 1984 laufend Mitglied sei und in dieser Zeit zwei Arbeitsunfähigkeitszeiten in dem Zeitraum September 1997 bis Januar 1998 bekannt gegeben worden seien.

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Die Berufungsklägerin stellte Strafanzeige wegen des Verstoßes gegen die Bestimmungen des Mutterschutzgesetztes im Jahre 1991. Mit Schreiben vom 14. Oktober 1999 an die Leitung des staatlichen Gewerbeaufsichtsamtes gab sie an, sie sei trotz der Schwangerschaft einer Ethylenoxid-Exposition ausgesetzt gewesen, welches in höchstem Grade erbschädigend sei. Beide Söhne hätten eine angeborene urogenitale Fehlbildung. Die Staatsanwaltschaft I. stellte am 28. Juni 1999 ihre Ermittlungen wegen fahrlässiger Körperverletzung aufgrund Verjährung ein.

14

Mit Bescheid vom 14. Juli 2000 bewilligte das zuständige Versorgungswerk der Berufungsklägerin eine Rente wegen Berufsunfähigkeit auf Zeit und ab August 2001 eine Dauerrente.

15

Auf Veranlassung des Berufungsbeklagten erstatteten am 12. September 2000 Prof. Dr. R. und Dr. S. (Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Infektiologie der Medizinischen Fakultät der Otto-von-Guericke-Universität T.) ein Gutachten nach Aktenlage. Sie führten aus, dass im vorliegenden Fall sowohl Zeitpunkt als auch Modus der Infektion unklar bleiben müssten und auch im Nachhinein nicht mehr geklärt werden könnten, es sei denn es könnten tiefgefrorene Blutproben aus dem Jahr 1991 oder davor untersucht werden. Die meisten Infektionen würden nach der wissenschaftlichen Literatur im Kindes- oder Jugendlichenalter erworben. Der Übertragungsweg könne dabei von Mund zu Mund in der Familie erfolgen oder im Rahmen von Epidemien mit Erbrochenem mit Magensaft zu Mund. In mitteleuropäischen Breitengraden sei der Übertragungsweg fäkal-oral aufgrund der Hygieneverhältnisse als gering wahrscheinlich einzuschätzen. Ärzte, welche Schutzausrüstung verwendeten, hätten lediglich ein Übertragungsrisiko, das dem der Allgemeinbevölkerung entspreche. Hinsichtlich der Frage, ob eine Helicobacter pylori-Infektion eine mögliche Ursache einer Spondylarthropathie darstellen könne, gebe es keine verlässlichen Daten. Zwar sei nach der Eradikation eine prompte Besserung eingetreten, jedoch habe auch zuvor bereits ein stark fluktuierender Verlauf bestanden und zudem seien auch nach 1998 Arthralgien (Gelenkschmerzen) aufgetreten. Mit großer Wahrscheinlichkeit liege daher weder eine Erkrankung im Sinne der Ziffer 3101 der Anlage zur BKV vor noch seien die angegebenen Gelenkbeschwerden Folge einer beruflich bedingten Erkrankung.

16

Die Berufungsklägerin trat dem Ergebnis des Gutachtens entgegen und trug vor, dass dieses unergiebig sei, da keine persönliche Untersuchung stattgefunden habe. Die Gutachter hätten verkannt, dass sie zum Zeitpunkt der Erkrankung im Mai 1991 schwanger gewesen sei, so dass die Infektionsgefahr bzw. Gefahr einer Autoimmunerkrankung erhöht gewesen sei. Sie habe im Mai 1991, etwa im 5. Monat der Schwangerschaft, starke Magenschmerzen bekommen. Zeitgleich sei der Hämoglobin-Wert von 13,4 auf 11,2 abgefallen, was nur durch eine Infektion mit Helicobacter pylori zurückgeführt werden könne. Denn aufgrund der Schwangerschaft sei allenfalls eine Reduktion um einen Prozent möglich gewesen. Eine Infektion mit Helicobacter pylori verbrauche im beträchtlichen Maße Eisen und behindere die Eisenresorption, was unter anderem durch Alkalisierung des Magensaftes geschehe. Zudem habe ein Schwangerschaftserbrechen erst im 5. Schwangerschaftsmonat und nicht - wie üblich - bereits im 3. und 4. Monat stattgefunden. Diese Indizien sprächen dafür, dass eine Infektion mit Helicobacter pylori während der ersten Schwangerschaft während des Einsatzes am Arbeitsort erfolgt sei.

17

Daraufhin holte der Berufungsbeklagte ein Gutachten von Prof. Dr. U. vom Tropeninstitut V. vom 09. Januar 2002 nach stationärer Untersuchung ein. Prof. Dr. U. führte aus, dass zwar offensichtlich einmal eine Helicobacter pylori Infektion vorgelegen habe, die 1998 behandelt worden sei. Jedoch lasse sich als Nachweis hierfür nur eine positive Antikörperdiagnostik gegen Helicobacter pylori IgG feststellen. Ein Nachweis sei weder bei der histologischen Untersuchung noch mittels Keimnachweis noch durch Nachweis einer IgA-Antikörperdiagnostik gelungen. Es sei wissenschaftlich unwahrscheinlich und nicht nachweisbar, dass die Helicobacter Infektion eine reaktive Arthritis verursacht habe. Zudem lägen bei der Berufungsklägerin erhöhte antinukleäre Antikörper vor, die typisch für eine rheumatische Arthritis bzw. für einen Lupus erythematodes seien. Dass bei der Berufungsklägerin auch bei der aktuellen Untersuchung ein deutlich erniedrigter Ferritinspiegel vorgelegen habe, spreche für einen latenten Eisenmangel. Zudem leide sie an einer anlagebedingten Fettstoffwechselstörung. Eine Erkrankung im Sinne der Ziffer 3101 der Anlage zur BKV läge nicht vor.

18

Der Berufungsbeklagte lehnte mit Bescheid vom 10. April 2002 die Gewährung von Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung ab, weil keine BK nach der Ziffer 3101 der Anlage zur BKV vorliege. Die Helicobacter-Infektion, die reaktive Spondarthritis, Anämie sowie der Immundefekt stünden nicht in einem Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit im Nordstadt-Krankenhaus.

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Dagegen legte die Berufungsklägerin am 12. April 2002 Widerspruch ein, welchen sie damit begründete, dass aufgrund der Medikation die Laborergebnisse verfälscht gewesen seien. Die Berufungsbeklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 11. März 2003 zurück.

20

Hiergegen hat die Berufungsklägerin am 7. April 2003 vor dem Sozialgericht (SG) Hannover Klage erhoben. Hinsichtlich des Ursachenzusammenhangs gelte der Anscheinsbeweis des § 9 Abs. 3 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII), weil eine Listen-BK festgestellt worden sei. Sie sei im erhöhten Maß einer Gefahr der Erkrankung ausgesetzt gewesen. Denn sie sei trotz Schwangerschaft im Jahre 1991 weiter für endoskopische Tätigkeiten auf der Intensivstation eingesetzt worden. Das Gutachten von Prof. Dr. R. und Dr. S. sei nicht aussagekräftig, weil es nur nach Aktenlage angefertigt worden sei. Die Gutachter hätten ihre Schwangerschaft verkannt, während derer eine depressive Erkrankung aufgetreten sei. Nach einer Studie von K.K. Melby seien vier Fälle einer reaktiven Arthritis in Zusammenhang mit Helicobacter pylori beobachtet worden. Auch der Gutachter Prof. Dr. U. habe ihre Schwangerschaft und die damit verbundene besondere Situation nicht berücksichtigt. Es sei auch nicht berücksichtigt worden, dass sie im Juni 1991 einen hochinfektiösen Patienten behandelt habe, der an einem malignen Non-Hodgin-Lymphom, welches eine Komplikation einer Helicobacter-Infektion sei, erkrankt gewesen sei. Vor Mai 1991 sei sie nie ernsthaft erkrankt gewesen. Auch die Fehlbildung der Genitalien ihres Sohnes spreche für eine Infektion während der Schwangerschaft.

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Das SG zog weitere medizinische Unterlagen bei. Im August 2001 wurden verschiedene Untersuchungen im W. -X. -Institut für Tropenmedizin durchgeführt. Bei der feingeweblichen Untersuchung konnten in der Magenschleimhaut weder eine wesentliche entzündliche Reaktion noch Helicobacter festgestellt werden (Bericht Prof. Dr. Y. vom 21. August 2001). Eine durchgeführte Eisen-Stoffwechsel-Diagnostik ergab einen erniedrigten Ferritinspiegel, der für einen Eisenmangel bei vermindertem Speicherereisen sprach. Die Helicobacter pylori-Serologie ergab keinen Anhalt für das Vorliegen einer entsprechenden Besiedelung.

22

Das SG hat eine ergänzende Stellungnahme des Prof. Dr. U. vom 19. August 2004 eingeholt. Auch wenn es keinen direkten - histologischen oder mikrobiellen - Nachweis einer Helicobacter-Infektion gäbe, könne zwar aufgrund der Antikörperuntersuchungen eine solche Infektion als gesichert angenommen werden. Wann diese erworben worden sei, bleibe dahingestellt. Antikörper seien kein krankhafter Befund und könnten im Menschen lange persistieren, ohne dass eine Krankheit vorliege. Eine Schwangerschaft könne zwar zu verminderter Abwehr gegen Infektionen führen mit der Folge, dass Infektionskrankheiten schwerer verlaufen würden. Damit gehe aber keine erhöhte Infektanfälligkeit einher. Der von der Berufungsklägerin genannte Patient mit einem Non-Hodgin-Lymphom sei selbst infektionsgefährdet gewesen, nicht die Berufungsklägerin durch ihn. Selbst wenn eine Verursachung der Spondarthritis durch eine Helicobacter pylori-Infektion angenommen werden sollte, wäre sie von kurzer Dauer und wiese ein typisches Verteilungsmuster auf bzw. wäre selbstlimitierend. In jedem Falle hätte die Spondarthritis jedoch nach der erfolgten Eradikation beendet sein müssen. Jedenfalls sei nach der Eradiktion 1998 weder eine Helicobacter-Infektion noch eine atrophische Gastritis nachgewiesen worden.

23

Das SG hat die Klage nach vorheriger Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 8. April 2005 abgewiesen. Die Erkrankungen der Berufungsklägerin seien nicht ursächlich auf ihre berufliche Tätigkeit zurückzuführen. Gegen einen Kausalzusammenhang spreche, dass die Infektion nicht unmittelbar nachgewiesen worden sei und auch die chronische athropische Gastritis-Infektion nur eine Vermutung sei. Auch sei die undifferenzierte Spondarthritis mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht auf eine Infektion mit Helicobacter pylori zurückzuführen. Zudem seien endoskopische Tätigkeiten kein Risikofaktor für diese Erkrankung, sofern Schutzhandschuhe getragen worden seien.

24

Mit der am 13. April 2005 eingelegten Berufung verfolgt die Berufungsklägerin ihr Begehren weiter. Die Gutachter hätten ihre Auffassung nicht ausreichend durch Zitate belegt. Unter Vorlage umfangreicher Literatur - meist in englischer Sprache - trägt sie vor, dass in zahlreichen wissenschaftlichen Studienreihen inzwischen erwiesen worden sei, dass das Tragen von Schutzhandschuhen eine Ansteckung mit Helicobacter pylori nicht ausschließe; vielmehr bestünde ein statistisch signifikant erhöhtes Infektionsrisiko bei Gastroenterologen. Sie verweist diesbezüglich zum einen auf einen Aufsatz von Nienhaus (Gefährdungsprofile - Unfälle und arbeitsbedingte Erkrankungen in Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege, Ecomed 2005, S. 136 ff.: Sind Helicobacter-plyori-Infektionen bei Gastroenterologen und ihren Assistenten beruflich erworben?) sowie auf einen Aufsatz von Prof. Fischbach (Helicobacter pylori und gastroduodenale Ulkuskrankheit - Aktuelle S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten).

25

Darüber hinaus hat die Berufungsklägerin vorgetragen, dass sie in dem Krankenhaus Nordstadt für die Aufnahme von Patienten allein verantwortlich gewesen sei. Dort sei eine problematische Patientenstruktur wegen der dortigen sozial schwachen Patienten vorhanden gewesen. Zudem habe sie aufgrund ihrer Schwangerschaft unter einem abgeschwächten Immunsystem gelitten. Außerdem habe sie für die Erkrankung typische Symptome wie unstillbares Erbrechen und starke Oberbauchschmerzen entwickelt. Da ihre Mutter nicht an einer bakteriellen B-Gastritis erkrankt sei, könne sie sich die Infektion auch nicht schon im Kindesalter zugezogen haben. In ihrem Elternhaus hätten auch keine beengten Verhältnisse geherrscht. Die bei ihrem Sohn angeborene Penistorsion, die Fehlbildung der Genitalien, entstünden ab der 9. Schwangerschaftswoche, in ihrem Fall also in einer Zeit, wo sie endoskopische Untersuchungen vorgenommen habe.

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Die Berufungsklägerin beantragt,

27

1. den Gerichtsbescheid des Sozialgerichtes Hannover vom 8. April 2005 und den Bescheid des Berufungsbeklagten vom 10. April 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. März 2003 aufzuheben, 2. festzustellen, dass die Infektion mit Helicobacter pylori eine BK nach der Ziffer 3101 der Anlage 1 zur BKV ist und die weiter bei ihr bestehenden Gesundheitsstörungen auf internistischem und psychiatrischem Fachgebiet, insbesondere die undifferenzierte Spondarthritis, Autoimmungastritis und depressive Erkrankung Folgen dieser BK sind, 3. den Berufungsbeklagten zu verurteilen, ihr Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung in gesetzlicher Höhe zu gewähren, 4. hilfsweise ein Gutachten nach § 106 SGG einzuholen zu der Frage, dass die bei der Berufungsklägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen, insbesondere folgende Erkrankungen Helicobacter pylori Infektion mit cag. A positivem Stamm, Autoimmungastritits (Helicobacter pylori Infektion als Autoimmunerkrankung), cofaktoriell mit persistierender Virusinfektion, Infektionen mit Cytomegalieviren (CMV/lgG), 5600 positiv HSV-IgG (Herpes simplex), 8800 positiv Epstein-Barr-Virus (EBV EBNA IgG (VT) 24/positiv EBV IgG 140 U/ml positiv HHV6-IgG (Exanthema Subitum) positiv HHV-8 IgG EIA (Dia) positiv Parvo B19 IgG (Ringelröteln) positiv Lymphopenie (Verminderung der Lymphozyten, die zu einer Immunschwäche führt), undifferenzierte Spondarthritis, HLAB 27 negativ, am ehesten infektreaktiv, bzw. reaktive Spondarthritis, entzündliche Rückenschmerzen, rezidivierend asymetrische Oligoartriden mit begleitenden Tendopathien, als Genese am ehesten eine infektreaktive Ursache, zum Beispiel infektreaktiv auf Helicobacter pylori, schwere Depression Folge der BK nach der Ziffer 3101 der Anlage zur BV sind, 5. höchst hilfsweise, ein Gutachten nach § 109 SGG einzuholen.

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Der Berufungsbeklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

30

Er verweist auf die Gründe seiner Bescheide sowie des angefochtenen Gerichtsbescheides.

31

Mit Schreiben vom 12. August 2010 hat der Senat durch seinen Berichterstatter mitgeteilt, das keine weitere medizinische Sachverhaltsaufklärung beabsichtigt ist. Mit Schreiben vom 7. April 2011 hat der Senat durch seine Berichterstatterin ausführlich die Sach- und Rechtslage dargelegt, Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben und mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, die Sache kurzfristig zu terminieren. Mit Verfügung vom 9. Mai 2011 - zugestellt am 12. Mai 2011 - ist Termin zur Verhandlung auf den 31. Mai 2011 bestimmt worden. Mit Schreiben vom 16. Mai 2011 hat die Berufungsklägerin - vertreten durch ihre Verfahrensbevollmächtigte - beantragt, den Termin zur mündlichen Verhandlung zu verlegen und mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, auf den gerichtlichen Hinweis vom 7. April 2011 noch zu erwidern. Nach Hinweis des Gerichts, dass sich aus dem Vorbringen kein erheblicher Grund für eine Terminsaufhebung/-verlegung ergebe, hat die Prozessbevollmächtigte mit weiterem Schreiben vom 20. Mai 2011 mitgeteilt, dass sie selbst aus Termingründen gehindert sei, den anberaumten Termin wahrzunehmen. Zudem sei aus kanzleiinternen Gründen ein Arbeitsrückstand aufgetreten. Es werde jedoch auf jeden Fall ein Antrag nach § 109 SGG gestellt. Die Auswahl des Gutachters sowie die Sicherstellung des Auslagenvorschusses müsse jedoch mit der Berufungsklägerin noch besprochen werden. Dies sei bislang noch nicht möglich gewesen, weil die Berufungsklägerin schwerst depressiv sei. Der Hinweis vom 12. August 2010 sei ihr nicht zugegangen. Der Termin zur mündlichen Verhandlung ist sodann auf den 2. August 2011 verlegt worden. Eine weitere schriftliche Stellungnahme, insbesondere die Benennung eines bestimmten Sachverständigen, ist vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung nicht erfolgt.

32

Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der Verwaltungsakten des Berufungsbeklagten sowie die vom Berufungskläger zu den Gerichtsakten gereichten medizinischen Unterlagen Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

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Die gemäß § 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und gemäß den §§ 143 ff. SGG statthafte Berufung ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß §§ 54 Abs. 1, 55 Abs. 1 Nr. 1 und 3 SGG zulässig, soweit die Berufungsklägerin neben der Aufhebung der Bescheide die Feststellung begehrt, dass die bei ihr bestehenden Erkrankungen Folge einer BK sind. Ein Feststellungsinteresse (§ 55 Abs. 1 SGG) der Berufungsklägerin liegt vor. Soweit die Berufungsklägerin die Gewährung nicht näher benannter Leistungen begehrt, ist die Berufung jedoch unzulässig (BSG vom 30. Oktober 2007 - Az.: B 2 U 4/06 R; vom 2. Dezember 2008 - Az.: B 2 U 17/07 R und vom 27. April 2010 - Az.: B 2 U 23/09 R - jeweils zitiert nach juris).

34

Die Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Der Berufungsbeklagte und das SG haben zutreffend entschieden, dass die Berufungsklägerin die Anerkennung ihrer Gesundheitsbeschwerden als BK nicht verlangen kann.

35

Vorliegend sind die Vorschriften des SGB VII anzuwenden. Zwar macht die Berufungsklägerin geltend, sich bereits im Mai 1991 mit Helicobacter pylori infiziert zu haben. Jedoch ist eine Infektion erst im Januar 1998, damit nach dem Inkrafttreten des SGB VII am 1. Januar 1997 festgestellt worden (Art. 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz, § 212 SGB VII). Ferner macht die Berufungsklägerin Beschwerden mit Krankheitswert erst ab August 1997 geltend.

36

Nach § 7 Abs. 1 SGB VII sind Versicherungsfälle Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Berufskrankheiten sind die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden (§ 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Die Bundesregierung ist ermächtigt worden, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (§ 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Davon hat die Bundesregierung mit der BKV Gebrauch gemacht.

37

Nach der Ziffer 3101 der Anlage zur BKV (im Folgenden: BK 3101) ist eine Infektionskrankheit dann eine BK, wenn der Versicherte im Gesundheitswesen, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt gewesen ist.

38

Für das Vorliegen einer BK ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung sowie zwischen der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung erforderlich. Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen im Sinne des "Vollbeweises", also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht, der nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen ist, die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit - nicht allerdings die bloße Möglichkeit - ausreicht (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG -, vgl. hierzu nur zuletzt Urteile vom 27. Juni 2006, Az.: B 2 U 20/04 R sowie vom 2. April 2009, Az.: B 2 U 9/08 R).

39

Bei der BK 3101 genügt als schädigende Einwirkung, dass der Versicherte einer der versicherten Tätigkeit innewohnenden Infektionsgefahr besonders ausgesetzt war. Denn bei der BK 3101 besteht die Besonderheit, dass die schädliche Einwirkung, also der Ansteckungsvorgang, bei dem die Krankheit übertragen wurde, ein einmaliges, punktuelles Ereignis darstellt, das häufig im Nachhinein nicht mehr ermittelt werden kann. Zudem sind meist verschiedene Infektionsquellen und Übertragungswege denkbar, ohne dass sich feststellen lässt, bei welcher Verrichtung es tatsächlich zu der Ansteckung gekommen ist (BSG vom 2. April 2009, Az.: B 2 U 30/07 R, juris Rdnr. 18). Für die besonders erhöhte Infektionsgefahr gelten hinsichtlich des Beweismaßstabes die Anforderungen, die ansonsten für das Tatbestandsmerkmal der Einwirkungen zu beachten sind, so dass diese - ebenso wie die Infektionskrankheit - im Vollbeweis vorliegen muss, für den der Versicherte die materielle Beweislast trägt. Liegt sowohl eine durch die versicherte Tätigkeit bedingte besonders erhöhte Infektionsgefahr als auch eine Infektionskrankheit im Vollbeweis vor, nimmt der Verordnungsgeber typisierend an, dass die Infektion während und wegen der Gefahrenlage erfolgte und die Krankheit wesentlich verursacht hat. Voraussetzung für diese Typisierung ist jedoch, dass der Zeitpunkt der Infektion in den Zeitraum der Ausübung der gefährdenden Arbeitsvorgänge fällt. Zudem ist der Ursachenzusammenhang nicht gegeben, wenn ein anderes, dem privaten Lebensbereich zuzuordnendes Infektionsrisiko die Erkrankung verursacht hat (BSG vom 2. April 2009, Az.: B 2 U 30/07 R, juris Rdnrn. 20, 34).

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Voraussetzung für die Anerkennung der BK 3101 ist somit, dass die Berufungsklägerin während ihrer beruflichen Tätigkeit einer besonders erhöhten Infektionsgefahr ausgesetzt war, eine Infektionskrankheit im Vollbeweis vorliegt und der Zeitpunkt der Infektion in den Zeitraum der angeschuldigten Tätigkeit fällt. Zudem darf der vom Gesetz als ausreichend erachtete mögliche Zusammenhang zwischen der erhöhten Infektionsgefahr und der Infektionskrankheit nicht ausgeschlossen sein.

41

Vorliegend ist bereits fraglich, ob die Berufungsklägerin während ihrer Tätigkeit als Ärztin im Bereich der Endoskopie im Krankenhaus G. einer besonders erhöhten Infektionsgefahr im Vollbeweis ausgesetzt gewesen ist. Die besondere Infektionsgefahr ist anhand der Durchseuchung des beruflichen Umfelds und der Übertragungsgefahr bei der versicherten Tätigkeit zu beurteilen. Die Übertragungsgefahr wird durch den Übertragungsmodus der jeweiligen Infektionskrankheit sowie die vom Versicherten nach Art, Häufigkeit und Dauer ausgeübten gefährdenden Verrichtungen bestimmt (vgl. BSG, Urteil vom 2. April 2009, aaO., juris Rdnr. 23). Da auch die Angehörigen einer Berufsgruppe mit spezifischem beruflichen Erkrankungsrisiko zugleich das außerberufliche Erkrankungsrisiko der Allgemeinheit teilen, liegt eine besondere berufliche Infektionsgefahr nur dann vor, wenn sich das im Faktor "1" ausgedrückte Erkrankungsrisiko der Allgemeinbevölkerung unter den zusätzlich hinzutretenden berufsspezifischen Einflüssen mehr als verdoppelt (vgl. hierzu auch Urteil des erkennenden Senats vom 22. Januar 2007 - Az.: L 9 U 477/02).

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Infektionen mit Helicobacter pylori gehören zu den weltweit häufigsten Erkrankungen. Die Infektion wird häufig bereits im Kindes- und Jugendalter aquiriert und besteht ein Leben lang. In einer epidemiologischen Studie fand man durch Antikörperuntersuchungen eine entsprechende Assoziation von 31 % bei Kindern und 80 % bei Erwachsenen. In Deutschland sind aktuell nur noch 5-10 % der einheimischen Kinder mit Helicobacter plyori - unabhängig vom sozialen Status - infiziert, während der Erreger z.B. bei Kindern von türkischen Zuwanderern in Deutschland in bis zu 50 % gefunden wird (Kist in: Hofmann, Handbuch der Infektionskrankheiten, Bd. 2, 32. Erg.Lief. 8/09, VII.-1.19 - Helicobacter plyori, S. 4). Die Übertragungswege für Helicobacter plyori sind weiterhin nicht vollständig geklärt. In der Mehrzahl kommen Autoren epidemiologischer Untersuchungen zu dem Schluss, dass dieses Bakterium nahezu ausschließlich von Mensch-zu-Mensch (in der Regel innerhalb der Familie/Großfamilie) übertragen wird, wobei dabei ein fäko-oraler oder oral-oraler Infektionsweg am wahrscheinlichsten ist. Bei einer Infektion erst im Erwachsenenalter wird davon ausgegangen, dass eine hohe Infektionsdosis erforderlich ist, die über indirekte Übertragungswege wohl nicht erreicht werden kann. Ein erhöhtes Risiko für Endoskopiepersonal sowie bei einem direkten ärztlichen oder pflegerischen Patientenkontakt wird zwar beschrieben (vgl. Prof. Fischbach, aaO., S. 3). So gelangt Nienhaus in dem von der Berufungsklägerin vorgelegten Aufsatz aus dem Jahr 2005 zu dem Ergebnis, dass die bislang verfügbare Literatur dafür spreche, dass Gastroenterologen, sofern sie regelmäßig Gastrokopien durchführen würden, in erhöhtem Maße der Gefahr einer Infektion mit Helicobacter pylori ausgesetzt seien (Nienhaus, aaO., S. 146). Jedoch konnte dies bislang nicht verifiziert werden (Kist, aaO., S. 5). Vielmehr wird bei Einhaltung der üblichen Hygienebedingungen das Risiko als vernachlässigbar angesehen (Kist, aaO., S. 12). Eine Laborinfektion mit Helicobacter plyori wurde bisher zudem nur ein einziges Mal beschrieben. Dabei handelte es sich um eine hohe Infektionsdosis einer inokulierten Gewebekultur, die durch unvorsichtiges Hantieren direkt über kontaminierte Finger übertragen worden ist (Kist, aaO., S. 5). Eine im Vollbeweis nachgewiesene besonders erhöhte Infektionsgefahr ergibt sich auch nicht daraus, dass die Berufungsklägerin in dem Krankenhaus G. für die Aufnahme von Patienten allein verantwortlich gewesen ist. Auch wenn dort eine problematische Patientenstruktur wegen sozial schwachen Patienten vorhanden gewesen sei, lässt sich hieraus nicht der Rückschluss ziehen, dass diese Patienten tatsächlich überwiegend an Helicobacter pylori erkrankt gewesen sind.

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Auch führt der Umstand, dass die Berufungsklägerin nach ihren Angaben im Mai 1991 einen an einem malignen Non-Hodgin-Lymphon erkrankten Patienten behandelt hat, zu keinem anderen Ergebnis. Dass dieser Patient an dem seltenen Krankheitsbild des gastralen Non-Hodgin MALT-Lymphon erkrankt war, welches als absolute Therapieindikation für eine Eradiktion gilt (Kist, aaO., S. 10), steht nicht im Vollbeweis fest. Ein Non-Hodgin-Lymphom kann vielfältige Ursachen haben. So zählt z.B. das chronisch lymphatische Non-Hodgin-Lymphom als Erkrankungsbild einer BK nach der Ziffer 1302 - Erkrankungen durch Benzol.

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Darüber hinaus liegt auch weder eine Infektionskrankheit im Vollbeweis vor noch steht fest, dass sich die Berufungsklägerin während ihrer angeschuldigten Tätigkeit als Ärztin im Bereich der Endoskopie im Krankenhaus G. mit Helicobacter pylori infiziert hat.

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Helicobacter pylori ist ein spiralig gewundenes Bakterium, welches in der Lage ist, im sauren Milieu des Magens zu überleben und sich an der Oberfläche der Magenschleimhaut ansiedelt. Eine Infektion mit Helicobacter pylori verläuft überwiegend asymptomatisch, kann jedoch auch zu einer akuten Gastritis mit Übelkeit, Aufstoßen, Erbrechen, Schmerzen und Fieber führen. Da jedoch diese Symptome vielfältige Ursachen haben können, erfolgt der Nachweis einer Helicobacter-Infektion entweder invasiv durch die Entnahme von Gewebeproben, durch eine Stuhldiagnostik oder mittels eines Atemtests. Im Unterschied zu dem Atemtest, der bei positivem Ausfall eine aktuelle Kolonisation nachweist, kann aus einer positiven Serologie nicht in jedem Fall auf eine aktuelle Besiedelung der Magenschleimhaut mit Helicobacter pylori geschlossen werden. Denn die spezifische Immunantwort kann nach einer durchgemachten Infektion bis zu einem Jahr positiv bleiben (Kist, aaO., S. 7).

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Vorliegend ist zwar aufgrund des Antikörpernachweises davon auszugehen, dass sich die Berufungsklägerin in der Vergangenheit mit dem Erreger Helicobacter pylori infiziert hat. Eine nachgewiesene Besiedelung der Magenschleimhaut mit diesem Bakterium bestand jedoch zu keinem Zeitpunkt. Daher steht nicht im Vollbeweis fest, dass sich aus einer in der Vergangenheit stattgehabten Infektion mit Helicobacter pylori eine Krankheit mit Krankheitswert entwickelt hat, welche als BK anerkannt werden kann. Denn allein der Nachweis von Antikörpern ist kein Beweis für eine aktive Infektion. Der Antikörperstatus besagt lediglich, dass eine Immunreaktion des Körpers stattgefunden hat und Antikörper entwickelt wurden. Positive Antikörper haben ohne eine entsprechende Symptomatik keinen Krankheitswert (vgl. hierzu Urteile des LSG Niedersachsen-Bremen vom 28. Oktober 2010, Az.: L 6 U 54/07 und vom 2. März 2010, Az.: L 14 U 172/08).

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Zwar macht die Berufungsklägerin geltend, während ihrer Schwangerschaft im Mai 1991 - im 5. Schwangerschaftsmonat - starke Magenschmerzen bekommen sowie unter unstillbarem Erbrechen gelitten zu haben. Zeitgleich sei der Hämoglöbin-Wert von 13,4 auf 11,2 abgefallen. Jedoch können diese von der Berufungsklägerin geklagten Beschwerden mehrere Ursachen haben, so dass sie nicht den zwingenden Schluss zulassen, dass sie zu diesem Zeitpunkt unter einer aktiven Infektion mit Helicobacter pylori mit Besiedelung der Magenschleimhaut gelitten hat. Dies gilt auch für den Abfall des Hämoglöbin-Wertes, wie Prof. Dr. U. schlüssig und nachvollziehbar ausgeführt hat. Denn die Berufungsklägerin leidet an einem latenten Eisenmangel. Ein positiver Nachweis, dass sich die Berufungsklägerin im Mai 1991 während des Zeitraumes ihrer beruflichen Tätigkeit mit Helicobacter pylori infiziert und dies zu krankhaften Beschwerden geführt hat, würde daher nur dann gelingen, wenn aus dieser Zeit noch eingefrorene Blut- oder Gewebeproben vorhanden werden. Da dies nicht der Fall ist, ist die Berufungsklägerin, die insoweit die materielle Beweislast trägt, beweisfällig geblieben.

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Zudem können Antikörper lange persistieren, ohne dass sie zu krankhaften Beschwerden führen (vgl. zu dieser Problematik: Urteile des LSG Niedersachsen-Bremen vom 28. Oktober 2010, Az.: L 6 U 54/07; vom 2. März 2010, Az.: L 14 U 172/08). Da zudem eine Infektion mit Helicobacter pylori - wie bereits ausgeführt - üblicherweise bereits im Kindesalter erfolgt, kann auch aus dem Vortrag, die Berufungsklägerin sei vor dem von ihr angeschuldigten Zeitraum Mai 1991 nicht krank gewesen, nicht auf den Zeitpunkt der Infektion geschlossen werden. Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Vortrag, die Mutter der Berufungsklägerin sei nicht an einer bakteriellen Gastritis erkrankt. Denn die Berufungsklägerin kann sich die Infektion auch außerhalb ihres Elternhauses, aber vor der Ausübung der angeschuldigten Tätigkeit zugezogen haben. Ebenso besteht die Möglichkeit, dass sie sich während der Zeit zwischen Mitte 1991 und Mitte 1997, als sie nicht beruflich bzw. endoskopisch tätig gewesen ist, infiziert hat. Denn der Nachweis positiver Antikörper ist erst 1997 erfolgt.

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Soweit die Berufungsklägerin der Ansicht ist, dass aufgrund ihrer Schwangerschaft eine berufsbedingte, über das normale Maß hinausgehende Ansteckungsgefahr bzgl. Helicobacter pylori bestanden habe, hat Prof. Dr. U. schlüssig und nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass eine Schwangerschaft zwar zu verminderter Abwehr gegen Infektionen führen, mit der Folge, dass Infektionskrankheiten schwerer verlaufen können. Eine erhöhte Infektanfälligkeit geht damit jedoch nicht einher.

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Auch der Umstand, dass der Sohn der Berufungsklägerin mit einem Fehlbildung im Genitalbereich, einer sog. Penistorsion geboren worden, lässt nicht den zwingenden Schluss zu, dass sich die Berufungsklägerin während ihrer Schwangerschaft mit Helicobacter pylori infiziert hat. Eine Penistorsion ist ein meist angeborener Entwicklungsfehler des Penis mit Abknickung oder Drehung, der oft im Rahmen anderer Fehlbildungen, wie z.B. einer Entwicklungsstörung der Harnröhre auftritt (Psychrembel - Klinisches Wörterbuch). Zwar können Infektionen in der Schwangerschaft zu ernsthaften Entwicklungsstörungen und evtl. Fehlbildungen des ungeborenen Kindes führen. Jedoch kann dies auch Folge einer fieberhaften Grippe oder einer unspezifischen Infektion des Magen-Darm-Traktes sein. Zudem hat nach den Angaben der Berufungsklägerin auch der 1994 geborene Sohn eine urogenitale Fehlbildung, obgleich sie während dieser Schwangerschaft nicht endoskopisch tätig war. Die Berufungsklägerin hat überdies diese Fehlbildungen zunächst als Folge einer trotz der Schwangerschaft erfolgten Ethylenoxid-Exposition angesehen (vgl. ihr Schreiben an das die Leitung des staatlichen Gewerbeaufsichtsamtes vom 14. Oktober 1999).

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Es liegen im Fall der Berufungsklägerin auch nicht die Voraussetzungen für eine Umkehr der Beweislast vor. Im sozialgerichtlichen Verfahren gilt der Grundsatz, dass jeder im Rahmen des anzuwendenden materiellen Rechts die Beweislast für die Tatsachen trägt, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen. Die Berufungsklägerin trägt also den Nachteil der Nichterweislichkeit der von ihr behaupteten Tatsachen, nämlich das Vorliegen die Infizierung mit Helicobacter pylori der Tätigkeit als Ärztin im Bereich der Endoskopie im Krankenhaus G. sowie einer daraus folgenden Infektionskrankheit.

52

Nach dem Grundsatz der Umkehr der Beweislast muss sich derjenige, der durch schuldhaftes Handeln oder Unterlassen eine an sich mögliche Beweisführung vereitelt hat, sich ggfs. so behandeln lassen, als sei die Beweisführung gelungen. Hat ein pflichtwidriges Verhalten des Versicherungsträgers den beweisbelasteten Versicherten in eine Beweisnot gebracht, kann der Tatrichter dieses Verhalten als einen für die Wahrheit des Vorbringens des Versicherten entsprechenden Umstand berücksichtigen und daraus im Rahmen der freien Beweiswürdigung den Schluss ziehen, dass der Beweis geführt ist (so Beschluss des BSG vom 13. September 2005, Az.: B 2 U 365/04 B, juris Rdnr. 12 m. w. N.). Der Berufungsbeklagten ist vorliegend aber eine mangelnde Aufklärung des Sachverhalts nicht vorzuwerfen. Ein positiver Nachweis, dass sich die Berufungsklägerin im Mai 1991 während des Zeitraumes ihrer beruflichen Tätigkeit mit Helicobacter pylori infiziert und dies zu krankhaften Beschwerden geführt hat, würde - wie bereits ausgeführt - nur dann gelingen, wenn aus dieser Zeit noch eingefrorene Blut- oder Gewebeproben vorhanden werden. Dass dies nicht der Fall ist, kann der Berufungsbeklagten nicht vorgeworfen werden.

53

Die Berufungsklägerin kann sich auch nicht darauf berufen, den Anscheinsbeweis für das Vorliegen der von ihr geltend gemachten Berufskrankheit erbracht zu haben, weil sie während ihrer Schwangerschaft entgegen der Vorschriften des Mutterschutzgesetzes eingesetzt worden sei. Bei dem Beweis des ersten Anscheins handelt es sich um eine Tatsachenvermutung. Das sind auf der Lebenserfahrung beruhende Schlüsse, dass gewisse typische Sachverhalte bestimmte Folgen auslösen oder dass umgekehrt bestimmte Folgen auf einen typischen Geschehensablauf hindeuten. Der Anscheinsbeweis setzt also einen Sachverhalt voraus, der nach der Lebenserfahrung regelmäßig auf einen bestimmten Verlauf hinweist und rechtfertigt, besondere Umstände des Einzelfalls in ihrer Bedeutung zurücktreten zu lassen. Der Anscheinsbeweis ermöglicht damit bei so genannten typischen Geschehensabläufen, von einer festgestellten Ursache auf einen bestimmten Erfolg oder von einem festgestellten Erfolg auf eine bestimmte Ursache zu schließen (Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 9. Auflage 2008, § 128 Rdnr. 9 ff.). Diese Voraussetzungen sind jedoch nicht erfüllt, weil sämtliche von der Berufungsklägerin vorgetragene Symptome unterschiedliche Ursachen haben können. Auch der Umstand, dass die Ursache ihrer Erkrankung letztlich ungeklärt ist, führt nicht zu einer Umkehr der Beweislast, weil aus dem Vorliegen einer bestimmten Einwirkung nicht automatisch im Sinne eines Anscheinsbeweis auf die berufliche Verursachung einer Erkrankung geschlossen werden kann (vgl. Urteil des BSG vom 07. Sept. 2004, Az.: B 2 U 34/03 R).

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Da somit bereits nicht festgestellt werden kann, dass die mittels Antikörpern nachgewiesene Infektion mit Helicobacter pylori eine BK 3101 ist, erübrigen sich weitere Ausführungen dazu, ob die weiter bei der Berufungsklägerin bestehenden Gesundheitsstörungen auf internistischem und psychiatrischem Fachgebiet, insbesondere die undifferenzierte Spondarthritis, Autoimmungastritis und depressive Erkrankung Folgen einer BK sind.

55

Der Senat hält den Sachverhalt für geklärt und keine weiteren Ermittlungen von Amts wegen für erforderlich. Auch die (höchst) hilfsweise beantragte Einholung eines Gutachtens nach § 109 Abs. 1 SGG kam nicht in Betracht. Denn der Antrag ist nach der freien Überzeugung des Senats verspätet erst mit Schreiben vom 20. Mai 2011 aufgrund der Ladung zur mündlichen Verhandlung gestellt worden (vgl. § 109 Abs. 2 SGG). Bereits mit dem gerichtlichen Schreiben vom 12. August 2010 ist mitgeteilt worden, dass keine weiteren Ermittlungen von Amts wegen beabsichtigt sind. Selbst wenn der Prozessbevollmächtigten der Berufungsklägerin dieses Schreiben nicht zugegangen sein sollte, hätte der mit dem Prozessrecht vertrauten Prozessbevollmächtigten der Berufungsklägerin aufgrund der prozessleitenden Verfügung vom 7. April 2011 ohne weiteres einleuchten müssen, dass es nunmehr letztmals möglich war, einen Antrag nach § 109 SGG zu stellen. Dennoch hat sie nicht innerhalb einer angemessenen Frist von einem Monat reagiert, sondern erst aufgrund der Ladung zur mündlichen Verhandlung. Zur Überzeugung des Senats liegt hierfür auch kein rechtfertigender Grund vor.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.