Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 18.08.2011, Az.: L 3 KA 29/11 B ER

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
18.08.2011
Aktenzeichen
L 3 KA 29/11 B ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 26368
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2011:0818.L3KA29.11B.ER.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hannover - 23.02.2011 - AZ: S 61 KA 23/11 ER

Fundstelle

  • ArztR 2012, 135-136

Tenor:

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 23. Februar 2011 wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die diese selbst zu tragen haben.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 4.383,39 Euro festgesetzt.

Gründe

1

I. Streitig ist die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen einen Richtgrößenregress.

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Der Antragsteller (Ast) nahm im Jahr 2003 als Facharzt für Chirurgie an der vertragsärztlichen Versorgung in Hannover teil.

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Mit Schreiben vom 4. Juni 2007 teilte ihm der Prüfungsausschuss Niedersachsen für die Prüfung der Wirtschaftlichkeit in der vertragsärztlichen Versorgung mit, dass er im Jahr 2003 die Richtgrößen für Arzneimittel mit 141,44 % um mehr als 25 % überschritten habe und daher gem § 10 Abs 3 der Richtgrößenvereinbarung (RGV) von Amts wegen eine Richtgrößenprüfung einzuleiten sei; der vorläufig errechnete Nettoregress betrage 28.848,76 Euro.

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Der Ast machte demgegenüber geltend, er habe Präparate der Ausnahmeliste in Anl 2 zur RGV verordnet. Außerdem berief er sich auf die hohen Verordnungskosten einzelner Präparate, auf kostenintensive Patienten und auf teure Verbände. Der Prüfungsausschuss Niedersachsen setzte mit Bescheid vom 1. November 2007 gleichwohl einen Regress in Höhe von 28.702,77 Euro fest, wobei er zugunsten des Ast Praxisbesonderheiten in Höhe von 12.185,85 Euro berücksichtigte.

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Gegen diese Entscheidung legte der Ast am 7. November 2007 Widerspruch ein, zu dessen Begründung er ua zusätzlich eine Auflistung bisher nicht anerkannter Datenfehler vorlegte. Außerdem ergebe sich aus seiner Qualifikation im Bereich Sportmedizin ein besonderer Patientenzuschnitt. Versorgungsschwerpunkte machte er auch im Bereich der Schmerzmedikamente einschließlich Opioide, Antirheumatika und Verbandsstoffe geltend. In der mündlichen Verhandlung vor dem Antragsgegner (Ag) gab er an, etwa 70 bis 80 % seiner Patientenklientel wiesen Sportverletzungen auf, so dass das Richtgrößenvolumen weitestgehend durch die Verordnungen von fünf Präparaten bedingt seien.

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Der Ag half dem Widerspruch teilweise ab, reduzierte den Regress auf 17.533,55 Euro und wies den Widerspruch im Übrigen zurück. Er brachte dem Ast zusätzlich einen Betrag von 15.292,43 Euro gut, weil die auf die Behandlung von Sportverletzungen gerichteten Medikamente zu 50 % als Praxisbesonderheiten anzuerkennen seien. Die Anerkennung habe lediglich anteilig erfolgen können, weil die Verordnung der Präparate grundsätzlich keine Besonderheit in der Fachgruppe des Ast darstelle. Darüber hinausgehend geltend gemachte Praxisbesonderheiten wurden nicht anerkannt. Freiwillig Versicherte, die die Altersgrenze von 65 Jahren überschritten hatten, wurden schließlich zugunsten des Ast dem Versichertenstatus "R" zugeordnet (Bescheid vom 11. November 2010).

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Der Ast hat hiergegen am 9. Dezember 2010 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Hannover erhoben (Az: S 61 KA 911/10) und am 14. Januar 2011 die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage beantragt. Zur Begründung hat er geltend gemacht, dass es wegen der verspäteten Veröffentlichung der RGV keine Rechtsgrundlage für die Richtgrößenprüfung im Jahr 2003 gebe. Außerdem hätte der Ag eine noch größere Menge an fehlerhaften Daten berücksichtigen müssen. Zu rügen sei, dass der Ag ihn vollkommen im Unklaren lasse, ob sein Vortrag zu Praxisbesonderheiten ausreichend sei. Nicht ausreichend begründet sei, warum die sportmedizinischen Verordnungen nur zur Hälfte als Praxisbesonderheiten anerkannt worden seien; im Übrigen sei nicht nachvollziehbar, welche Arzneimittel bei welchen Patienten anerkannt worden seien. Der Ag habe die Anerkennung weiterer Praxisbesonderheiten zu Unrecht abgelehnt. Der Bescheid sei materiell rechtswidrig, weil ua die Festsetzung unterschiedlich hoher Richtgrößen in den verschiedenen Ländern gegen den Gleichheitssatz verstoße, medizinisch notwendige Leistungen nicht regressiert werden dürften und ihm Verordnungen nicht zugeordnet werden dürften, die der Apotheker im Wege der Aut-idem-Regelung korrigiert habe.

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Mit Beschluss vom 23. Februar 2011 hat das SG die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet. Der angefochtene Bescheid sei offensichtlich rechtswidrig, weil der Ag seine die Anerkennung von Praxisbesonderheiten betreffenden Erwägungen nicht so verdeutlicht und begründet habe, dass die Anwendung der Beurteilungsmaßstäbe nachvollziehbar sei. Er hätte im Zusammenhang mit der Entscheidung über die Anerkennung von Versicherten mit besonderem Versorgungsbedarf überprüfbar ausführen müssen, wann eine Schwere der Erkrankung und der dadurch bedingte Versorgungsaufwand eine Praxisbesonderheit darstellen könne. Auch die Begründung zur Anerkennung der Hälfte der Verordnungskosten im Zusammenhang mit dem vom Ag gesehenen Schwerpunkt bei der Erbringung sportmedizinischer Leistungen erscheine ansatzlos. Der Ag begründe seine Entscheidung nicht, sondern ziehe sich auf das Argument der Sachkunde seiner Mitglieder zurück. Mit der fehlerhaften Bescheidbegründung habe der Ag schließlich auch gegen Vorschriften der Prüfvereinbarung 2010 verstoßen.

9

Gegen den ihm am 28. Februar 2011 zugestellten Beschluss hat der Ag am 16. März 2011 Beschwerde eingelegt. Er macht erneut geltend, die Betreuung von sportmedizinischen Verletzungen stelle per se keine Praxisbesonderheit in der Fachgruppe der Chirurgen dar. Der Vortrag des Ast zu Praxisbesonderheiten sei nach den Maßstäben der Rechtsprechung nicht substantiiert gewesen. Der Ag habe bei der Prüfung von Praxisbesonderheiten für die Prüfdatenbank erstellte Filter für bestimmte Arzneimittelgruppen bzw bestimmte Arzneimittel auf der Basis der Pharmazentralnummern (PZN) erstellt. Seine Mitglieder seien ua beratende und ehemalige beratende Ärzte der zu 1 beigeladenen Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV), die alle insgesamt über einen Überblick über das Verordnungsverhalten der Vertragsärzte in Niedersachsen verfügten.

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Der Ag beantragt,

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1. den Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 23. Februar 2011 aufzuheben,

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2. den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der unter dem Az: S 61 KA 911/10 bei dem SG Hannover geführten Klage des Antragstellers gegen den Bescheid vom 11. November 2010 abzulehnen.

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Der Ast beantragt,

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die Beschwerde zurückzuweisen.

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Er bezieht sich auf sein vorangegangenes Vorbringen und die Begründung des angefochtenen Beschlusses. Mehr als die bereits mitgeteilten Informationen könne er nicht darlegen. Ein allgemein gehaltener "Überblick über das Verordnungsverhalten der Vertragsärzte in Niedersachsen" könne rechtsstaatlich nicht ausreichen, um derart empfindliche Regresse gegen Vertragsärzte festzusetzen.

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Die Beigeladenen stellen keinen Antrag.

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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des sonstigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des Ag verwiesen.

18

II. Die Beschwerde des Ag ist zulässig, aber unbegründet. Das SG hat die aufschiebende Wirkung der Klage zu Recht angeordnet.

19

Nach § 86b Abs 1 S 1 Nr 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung in den Fällen ganz oder teilweise anordnen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage - wie hier wegen Art 3 § 2 S 4 Arzneimittelbudget-Ablösungsgesetz (ABAG) - keine aufschiebende Wirkung haben. Über das "Ob" einer Anordnung entscheidet das Gericht dabei auf der Grundlage einer Interessenabwägung, wobei das private Interesse des belasteten Bescheidadressaten an der Aufschiebung der Vollziehung gegen das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsaktes abzuwägen ist (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 86b Rn 12 ff mwN). Die Privatinteressen überwiegen regelmäßig, wenn ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestehen oder wenn die Vollziehung des angefochtenen Bescheids zu einer unbilligen Härte für den Ast führen würde. Damit lehnt sich der Senat in den Fällen der Festsetzung von Honorarrück- oder Regressforderungen bei der hier zu treffenden Abwägung wegen der insoweit grundsätzlich vergleichbaren Interessenlage an die Kriterien des § 86a Abs 3 S 2 SGG an.

20

Vorliegend bestehen ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vom Ag geltend gemachten Regressforderung.

21

Der Durchführung einer Richtgrößenprüfung für das Jahr 2003 begegnen (auf der Grundlage der Richtgrößen für 2002) zwar keine durchgreifenden Bedenken, wie der Senat in seinem Beschluss vom 6. Mai 2011 im Eilverfahren L 3 KA 9/11 B ER (veröffentlicht in juris) eingehender dargelegt hat. Der hier angefochtene Bescheid ist jedoch nach summarischer Prüfung der Rechtslage rechtswidrig, weil der Ag vom Ast geltend gemachte Praxisbesonderheiten in unzutreffender Weise berücksichtigt hat.

22

Praxisbesonderheiten sind aus der Zusammensetzung der Patienten eines Vertragsarztes herrührende Umstände, die sich auf das Behandlungsverhalten des Arztes auswirken und in der Praxis der Vergleichsgruppe nicht in entsprechender Weise anzutreffen sind (vgl hierzu Bundessozialgericht (BSG) SozR 3-2500 § 106 Nr 27; Urteil vom 23. Februar 2005 - B 6 KA 79/03 R - juris). Die betroffene Praxis muss sich nach der Zusammensetzung der Patienten und hinsichtlich schwerpunktmäßig zu behandelnder Gesundheitsstörungen vom typischen Zuschnitt einer Praxis der Vergleichsgruppe unterscheiden (vgl hierzu BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 50) und diese Abweichung muss sich auf die überdurchschnittlich häufig erbrachten bzw verordneten Leistungen auswirken. Diese zur Wirtschaftlichkeitsprüfung nach Vergleichswerten von der Rechtsprechung entwickelte Umschreibung der Praxisbesonderheiten gilt auch für die Richtgrößenprüfung (BSG, Urteil vom 23. März 2011 - B 6 KA 9/10 R - juris), bei der Praxisbesonderheiten gem § 106 Abs 5a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) eine Überschreitung des Richtgrößenvolumens ganz oder teilweise rechtfertigen können. Auch bei der Richtgrößenprüfung muss der hiervon betroffene Vertragsarzt demzufolge die strukturellen Besonderheiten seiner Patientenschaft und deren Erkrankungen aufarbeiten, zB indem er die schwerpunktmäßig behandelten Erkrankungen aufzählt und mitteilt, welcher Prozentsatz von seinen Patienten ihnen jeweils zuzuordnen ist und welcher Aufwand an Arzneimittel durchschnittlich für die Therapie einer solchen Erkrankung erforderlich ist (Clemens in: jurisPK-SGB V, § 106 Rn 120).

23

Soweit das SG dem Ag weitgehende Hinweispflichten zu den Voraussetzungen von Praxisbesonderheiten auferlegen will, folgt der Senat dem im Grundsatz nicht. Dass zur Geltendmachung von Praxisbesonderheiten substantiierter Vortrag des Arztes dazu erforderlich ist, warum sein Behandlungs- oder Verordnungsverhalten von dem der Vergleichsgruppe abweicht - und damit die Geltendmachung eines besonderen Kostenaufwands allein gerade nicht ausreicht - entspricht der langjährigen ständigen BSG-Rechtsprechung (Urteil vom 12. Oktober 1994 - 6 RKa 6/93 - juris; SozR 3-2500 § 106 Nr 27 und Nr 49) und muss nicht gesondert erläutert werden. Insbesondere ist geklärt, dass der pauschale Hinweis auf die Behandlung "schwerer" oder "kostenaufwändiger" Fälle nicht ausreicht, um eine Praxisbesonderheit anzuerkennen (BSG SozR 2200 § 368n Nr 31 und Nr 44; zuletzt Urteil vom 23. März 2011, aaO.). Wenn die Entscheidungspraxis der Prüfgremien im Hinblick auf "schwere Erkrankungen" hiervon gelegentlich zugunsten der Vertragsärzte abweicht, ist dies vom Gericht hinzunehmen, kann aber nicht dazu führen, dass der Ag zur Verschaffung noch weitergehender Vorteile der Vertragsärzte verpflichtet wird.

24

Der Ast hat dem Ag gegenüber allerdings dargelegt, 70 bis 80 % seiner Praxisklientel behandele er wegen Sportverletzungen, nachdem er seit 1986 Profisportbetreuung durchführe; die Überschreitungen des Richtgrößenvolumens seien daher weitestgehend durch die Verordnungen von Doc-Salbe, Mydocalm, Celebrex, Bextra und Vioxx bedingt und die entsprechenden Verordnungen seien als Praxisbesonderheiten anzuerkennen. Aus diesen Angaben ergibt sich zwar noch nicht, welche Verletzungen hierunter im Einzelnen fallen und wie hoch der durchschnittliche Verordnungsaufwand je Patient ist. Der Vortrag des Ast ist jedoch hinreichend plausibel, um zumindest die gute Möglichkeit einer Praxisbesonderheit darzulegen. In diesem besonderen Fall müssen die Prüfgremien den Vertragsarzt darauf hinweisen, welche Angaben noch fehlen und ihm die Ergänzung seines Vorbringens ermöglichen (BSG SozR 2200 § 368n Nr 57; Clemens, aaO., Rn 119) oder ggf eigene Ermittlungen durchführen (Clemens, aaO.), hier etwa durch nähere Untersuchung der Indikationsgebiete der mitgeteilten Arzneimittel. Wenn der Ag hiervon abgesehen hat und die Behandlung von Sportverletzungen ohne weitere Nachfragen als Praxisbesonderheiten anerkannt hat, muss er sich hieran festhalten lassen.

25

Nachdem der Ag die Behandlung von Sportverletzungen als Praxisbesonderheit des Ast anerkannt hat, musste er den hierdurch gerechtfertigten Verordnungsumfang quantifizieren, um zu prüfen, ob überhaupt eine Überschreitung des Richtgrößenvolumens in Höhe von 25 % gem § 106 Abs 5a SGB V vorliegt und wie hoch der ggf festzusetzende Regressbetrag ist. Wenn eine genaue Berechnung des auf die Praxisbesonderheit entfallenden Verordnungsumfangs nicht möglich ist, hat der Beschwerdeausschuss ihn zu schätzen (BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 6), wobei ihm als fachkundig besetztes Gremium ein Beurteilungsspielraum zukommt (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 11; Urteil vom 23. März 2011, aaO.). Die gerichtliche Kontrolle von Beurteilungsspielräumen beschränkt sich auf die Prüfung, ob das Verwaltungsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt worden ist, ob der Verwaltungsentscheidung ein richtig und vollständig ermittelter Sachverhalt zugrunde liegt, die Verwaltung die durch Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs ermittelten Grenzen eingehalten und ob sie ihre Subsumtionserwägungen so verdeutlicht und begründet hat, dass im Rahmen des Möglichen die zutreffende Anwendung der Beurteilungsmaßstäbe erkennbar und nachvollziehbar ist (BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 25 mwN).

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Der Ag hat den durch die Praxisbesonderheit "Sportverletzungen" entfallenden Verordnungsaufwand auf 50 % des Verordnungsvolumens geschätzt, das auf die vom Ast genannten Arzneimittel Bextra, Celebrex, Vioxx, Mydocalm und Doc-Salbe entfällt, und zur Begründung mitgeteilt, die Anerkennung erfolge lediglich anteilig, weil die Verordnung dieser Präparate grundsätzlich keine Besonderheit in der Fachgruppe des Ast darstelle. Diese Begründung hat der Senat in seinem Beschluss vom 21. Februar 2011 - L 3 KA 100/10 B ER - noch als ausreichend nachvollziehbar angesehen. Wie der vorliegende Fall und zusätzlich dem Senat bekannt gewordene Verfahren zeigen, setzt der Ag diese Begründung aber undifferenziert in einer Vielzahl von Fällen ein, und zwar unabhängig von der Fachgruppe und der jeweils geltend gemachten Besonderheit. Dies ist rechtswidrig, weil damit keine einzelfallbezogene Schätzung vorgenommen, sondern ein genereller Grundsatz angewandt wird, wonach die gehäufte Verordnung von nicht fachgruppenfremden Präparaten immer nur zur Hälfte als Praxisbesonderheit anerkannt werden kann. Der Beurteilungsspielraum gestattet es den Prüfgremien aber nicht, eine sachgerechte Aufbereitung des Sach- und Streitstands und konkrete Tatsachenermittlungen durch allgemeine Erwägungen zu ersetzen (BSGE 55, 110 ff; BSG SozR 2200 § 368n Nr 31).

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Der Ag wird deshalb eine nachvollziehbare einzelfallbezogene Quantifizierung der von ihm anerkannten Praxisbesonderheit nachzuholen haben. Dabei wird er insbesondere zu ermitteln haben - vgl § 20 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) -, wie hoch der Anteil von Sportverletzungen an den von der Vergleichsgruppe der Chirurgen behandelten Indikationen ungefähr ist, um dies mit dem beim Ast vorliegenden Anteil vergleichen zu können. Da das quantitative Ergebnis dieser Einschätzung nicht absehbar ist, muss gegenwärtig von der Rechtswidrigkeit des Regressbescheids insgesamt ausgegangen werden, so dass die aufschiebende Wirkung der Klage voll umfänglich anzuordnen war.

28

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm den §§ 154 Abs 2 und 3, 162 Abs 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

29

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm den §§ 47 Abs 1 S 1, 52 Abs 1, 53 Abs 2 Nr 4 Gerichtskostengesetz (GKG). Sie folgt der Ziff IX.15.3 des Streitwertkatalogs für die Sozialgerichtsbarkeit (NZS 2009, 491, 495), wobei der Senat in stRspr in Fällen der vorliegenden Art von einem Viertel der streitbefangenen Regressforderung ausgeht.

30

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).