Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 25.08.2011, Az.: L 14 U 199/08

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
25.08.2011
Aktenzeichen
L 14 U 199/08
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2011, 45143
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG - 02.10.2008 - AZ: S 7 U 85/04

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 2. Oktober 2008 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin erstrebt mit ihrer Berufung als Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemanns Dr. H. (im Folgenden: Versicherter) die Anerkennung einer weiteren Unfallfolge.

Der am 9. August 1941 geborene und am 9. April 2004 verstorbene Versicherte war als Arzt in I. niedergelassen. In einer Unfallanzeige vom 2. Juli 2000 gab er an, er habe am 6. Juni 2000 einen Arbeitsunfall gehabt, als ihm auf dem Weg zu einem Hausbesuch beim Hinaufgehen der Treppe die untere linke Kante seines Arztkoffers in die linke Wade geschlagen sei. Dem am 19. Juni 2000 aufgesuchten Durchgangsarzt Dr. J. - Chefarzt der Abteilung für Unfall-, Wiederherstellungs- und Handchirurgie des K. -Klinikums I. - gab er lt. Durchgangsarztbericht vom 22. Juni 2000 an, zunächst hätten nur geringe Beschwerden bestanden, eine Hautverletzung habe nicht vorgelegen. Erst einen Tag später sei es zu einer Schwellung und Hämatomverfärbung gekommen. Am 9. Juni 2000 habe sich der Versicherte in der Gefäßchirurgie des K. -Klinikums vorgestellt, da er dort wegen seines Diabetes mellitus mit Angiopathien behandelt werde. Die Röntgenuntersuchung des linken Unterschenkels mit Sprunggelenk habe keine frische knöcherne Verletzung gezeigt, die Unterschenkelarterien seien hochgradig verkalkt gewesen. In den Tagen darauf habe die Schwellung zugenommen und es sei zu Ulcerationen des linken Unterschenkels gekommen. Am 13. Juni 2000 sei er dann stationär aufgenommen worden und am 15. Juni 2000 habe eine Unterschenkelamputation durchgeführt werden müssen. Als Diagnosen teilte Dr. J. eine Unterschenkelprellung bei Diabetes mellitus und eine hochgradige Arteriosklerose bei Marcumarisierung mit. Der Diabetes mellitus und die hochgradigen Angiopathien und Polyneuropathien seien unfallunabhängige Gesundheitsstörungen. Der Versicherte übersandte mit Schreiben vom 14. August 2000 sodann verschiedene Arztberichte des Krankenhauses I. (später in K. -Klinikum umbenannt) aus den Jahren 1993 bis 1999. Darüber hinaus zog die Beklagte den Entlassungsbericht der Chirurgischen Klinik des K. -Klinikums vom 8. September 2000 bei.

Sodann holte die Beklagte das orthopädisch-chirurgische Gutachten der Prof. Dr. L. /Dr. M. /Dr. N. - Berufsgenossenschaftliches Unfallkrankenhaus (BUK) O. - vom 28. Juni 2001 ein. Hierin führten diese u. a. aus, die aktenkundigen Befunde sprächen gegen einen wesentlichen unfallbedingten Erstschaden. Die Hautverhältnisse seien zum Zeitpunkt der ersten Untersuchung völlig intakt gewesen, Einblutungen, wie sie unter Marcumartherapie möglich seien, hätten sich nach Mitteilung der Behandler intraoperativ nicht finden lassen. Belegt sei vielmehr anhand der Befunde eine eindeutig von einem Ulcus in der Außenknöchelregion ausgehende ausgeprägte Weichteilinfektproblematik, die sich zur phlegmonösen Unterschenkelentzündung mit allgemeinem septischen Krankheitsbild entwickelt habe und unter konservativen therapeutischen Maßnahmen nicht mehr beherrschbar gewesen sei, weshalb dann die Unterschenkelamputation aus vitaler Indikation habe erfolgen müssen. Belegt sei ferner eine seit langer Zeit vor dem Geschehen immer wieder behandlungsbedürftige chronische Ulcus- und Infektproblematik über dem Außenknöchel links, wobei auch am 23. Mai 2000 ärztliche Behandlung wegen Beschwerden im Sprunggelenksbereich links erforderlich gewesen seien. Bei fehlendem wesentlichen unfallbedingten Erstschaden lasse sich eine unfallbedingte Kausalkette, die dann letztendlich als conditio sine qua non zur Amputation geführt habe oder hätte führen können, nicht konstruieren.

Auf Bitten der Beklagten übersandte der Versicherte mit Schreiben vom 2. Juli 2001 einen Bericht des Pathologen PD Dr. P. - K. -Klinikum - vom 23. Juni 2000 über die Ergebnisse der histologischen Untersuchung des amputierten Unterschenkels. Die Chirurgen Dres. M. /N. vom BUK O., denen die Beklagte den Bericht übersandt hatte, hielten in ihrer Stellungnahme vom 13. September 2001 die Einholung eines histopathologischen Zusatzgutachtens für erforderlich. In dem von der Beklagten sodann eingeholten fachpathologischen Zusammenhangsgutachten des Prof. Dr. Q. - Allgemeines Krankenhaus (AK) R. - vom 1. Mai 2002 führte dieser aus, nach den Untersuchungen bestehe weder unmittelbar noch mittelbar ein Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis vom 6. Juni 2000 und dem entzündlichen Krankheitsbild des Unterschenkels, das letztlich zur Amputation geführt habe. Vielmehr handele es sich um eine schicksalsbedingte Komplikation der Grunderkrankung, wobei das angeschuldigte Unfallereignis zufällig in den Zeitraum einer bereits angelaufenen Entzündungsreaktion gefallen sei, die ihren Ursprung von dem Ulcus des Außenknöchels genommen habe.

Mit Bescheid vom 17. Juni 2002 lehnte die Beklagte gegenüber dem Versicherten einen Anspruch auf Rente ab, da seine Erwerbsfähigkeit durch die Folgen des Arbeitsunfalls vom 6. Juni 2000 nicht über die 26. Woche hinaus in rentenberechtigendem Grade gemindert gewesen sei. Als Folgen des Arbeitsunfalls erkannte sie an: Folgenlos verheilte leichte, oberflächliche Prellung des linken Unterschenkels im Sinne einer Bagatellverletzung. Demgegenüber lehnte sie die Anerkennung eines Ulcus am linken Außenknöchel mit anschließender Amputation des linken Unterschenkels, einer trophischen Hautstörung am rechten Unterschenkel nach tiefer Beinvenenthrombose mit stanzförmigen, schmierig-eitrig belegtem kleinen Hautweichteildefekt außenseitig am rechten Unterschenkel, von Zeichen einer Nagelpilzerkrankung an den Zehen rechts, eines insulinpflichtigen Diabetes mellitus mit Polyneuropathie und Angiopathie, einer allgemeinen Gefäßsklerose sowie eines arteriellen Bluthochdrucks als Unfallfolgen ab.

Hiergegen legte der Versicherte Widerspruch ein, zu dessen Begründung er ein Gutachten der Gefäßchirurgen Prof. Dr. S. /Dr. T. - AK U. - ohne Datumsangabe vorlegte. Diese vertraten die Auffassung, aufgrund der Wadenprellung im Rahmen des Unfalls sei es zur Ausbildung eines Hämatoms mit Schwellung des Unterschenkels und damit zu einer Verschlechterung der grenzkompensierten Durchblutung gekommen. Diese habe daraufhin zum Wiederauftreten der vorbestehenden, latent vorhandenen mycealen Infektion geführt. Der verschlechterte arterielle Zustrom sowie der verschlechterte venöse Abstrom hätten die Infektion sowie die Entstehung eines Gangräns begünstigt. In der Zusammenschau der Befunde müsse das linke Bein des Versicherten durch die vorangegangenen, zum Unfallzeitpunkt abgeheilten Ulcerationen im Bereich des Außenknöchels sowie der in der fachpathologischen Begutachtung von Prof. Dr. Q. dokumentierten allgemeinen Arteriosklerose als vorgeschädigt eingestuft werden. Ohne das Trauma vom 6. Juni 2000 wäre unter Berücksichtigung der zuvor bestandenen Befunde eine Amputation nicht notwendig gewesen. Der Unfall stelle eine richtunggebende Verschlimmerung des Befundes dar und sei mit einem Anteil von 40 % an der Unterschenkelamputation beteiligt.

In einer von der Beklagten eingeholten ergänzenden Stellungnahme vom 19. Januar 2004 führte Prof. Dr. Q. aus, zentraler Punkt des gefäßchirurgischen Zusammenhangsgutachtens, über den eine Verbindung zwischen dem Unfall vom 6. Juni 2000 einerseits und dem zur Unterschenkelamputation führenden Krankheitsbild andererseits hergestellt worden sei, sei die Annahme einer traumabedingten Hämatombildung. In der Befunderhebung des K. -Klinikums I. vom 9. Juni 2000 werde als wegweisendes Symptom eine massive Schwellung dargestellt, während Entzündungszeichen sich ebenso wenig hätten nachweisen lassen wie Hämatomverfärbungen. Auch die feingewebliche Untersuchung habe keinen Befund im Sinne einer Gewebseinblutung im Bereich der vom Unfall vom 6. Juni 2000 betroffenen Stelle ergeben. Somit lasse sich nach den klinischen Befunden und insbesondere auch nach den feingeweblichen Untersuchungen eine Hämatombildung als Grundlage der o. g. Kausalkette nicht nachweisen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 1. April 2004 wies die Beklagte daraufhin den Widerspruch des Versicherten zurück. Zur Begründung bezog sie sich insbesondere auf die gutachterliche Äußerung des Prof. Dr. Q. vom 19. Januar 2004.

Hiergegen hat, nachdem der Versicherte am 9. April 2004 verstorben war, am 27. April 2004 die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht (SG) Stade erhoben. Sie hat geltend gemacht, das Gutachten des Prof. Dr. Q. sei nicht geeignet, den Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis vom 6. Juni 2000 und der Amputation des Unterschenkels in Frage zu stellen. Die Amputation habe sich aufgrund spezieller gefäßmedizinischer Zusammenhänge ergeben, so dass die Beklagte ein entsprechendes Gutachten in Auftrag hätte geben müssen. Darüber hinaus überzeuge das Gutachten des Prof. Dr. Q. nicht. Seine Äußerung, die feingewebliche Untersuchung habe keinen Befund einer Gewebseinblutung (Hämatombildung im Bereich des Unfallereignisses vom 6. Juni 2000) ergeben, stehe in deutlichem Gegensatz zu dem Befund des Chefarztes der Pathologie des K. -Klinikums I. PD Dr. P.. Ferner treffe die Auffassung von Prof. Dr. Q., es habe sich um einen vorbestehenden Ulcus gehandelt, der auf ein Krankheitsgeschehen bei dem verstorbenen Versicherten im Jahr 1999 zurückzuführen sei, nicht zu. Dieser habe sich am 27. Mai 1999 in der Gefäßchirurgischen Abteilung des K. -Klinikums vorgestellt. Die damals festgestellte heftige Rötung und Schwellung im Bereich des linken Außenknöchels sei nach lokaler antiseptischer Therapie am 28. Dezember 1999 komplett abgeheilt gewesen. Demgemäß bestehe kein Zusammenhang zwischen dem Krankheitsgeschehen im Jahr 1999 und dem sich aufgrund des Unfallereignisses ergebenden Krankheitsverlauf. Schließlich habe sich Prof. Dr. Q. in seiner gutachterlichen Stellungnahme darauf gestützt, es habe einen Befund gegeben, nach dem schon zum Zeitpunkt des Unfallereignisses eine floride Entzündungsreaktion mit massiver Progredienz vorgelegen habe. Er habe jedoch nicht begründet, wie eine Aussage über den Gewebszustand zum Unfallzeitpunkt möglich sei, wenn ihm ausschließlich Amputationspräparate in dem Zustand von 9 Tagen nach dem Unfall vorgelegen hätten. Insoweit handele es sich um eine Spekulation des Gutachters, die klinisch zum Aufnahmezeitpunkt in keiner Weise bestätigt worden sei. In dem Arztbrief des Dr. V. vom K. -Klinikum vom 8. September 2000 sei ausgeführt worden, dass bei der ambulanten Behandlung am 9. Juni 2000 keine Hinweise für eine generalisierte Infektion bestanden hätten.

Demgegenüber hat die Beklagte die angefochtenen Bescheide verteidigt.

Das SG hat zunächst Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens der Leitenden Oberärztin des Instituts für Rechtsmedizin der Universität O. Prof. Dr. W. vom 27. Dezember 2004. Hierin hat die Sachverständige ausgeführt, nach ausführlichem Studium der Krankenunterlagen sowie aller bislang erstellten Gutachten falle auf, dass ein deutlicher Widerspruch zwischen den Ergebnissen der beiden an dem gleichen Operationspräparat (amputierter Unterschenkel) durchgeführten histologischen Untersuchungen bestehe. Während PD Dr. P. eindeutig ein "regressiv verändertes Hämatom" im "Bereich der traumatischen Schädigung" beschreibe, werde von Prof. Dr. Q. nach Untersuchung der gleichen Präparate das Vorhandensein eines Hämatoms verneint. Vor einer abschließenden Beurteilung des Falles müsse eine erneute Auswertung des bislang zweimal komplett unterschiedlich beurteilten Amputationspräparates erfolgen. Hierbei müsse die zentrale Frage, ob sich im Anstoßbereich ein Hämatom gefunden habe oder nicht, eingehend geprüft werden.

Das SG hat daraufhin das Gutachten des Arztes für Pathologie Prof. Dr. X. vom 27. Juli 2005 eingeholt. Dieser hat ausgeführt, im Bereich des Anstoßtraumas bzw. in seiner Umgebung und auch in anderen Partien des Unterschenkels hätten sich phlegmonös-eitrige Entzündungen gefunden, partiell mit Pilzbesiedelungen. Für diese Veränderungen sei die bekannte Grunderkrankung eines Diabetes mellitus ursächlich anzunehmen. Eine bekannte Folgeerkrankung des Diabetes mellitus stelle die Arteriosklerose dar, auf deren Boden sich schwere Gewebeschäden mit eitrigen Entzündungen und Gangränbildung mit Erregerbesiedlung entwickeln könnten. Die im Bereich des Anstoßtraumas feingeweblich nachweisbaren schweren Gewebeveränderungen in Form von Gewebsuntergängen (Nekrosen) und phlegmonös-eitriger Entzündung könnten zwanglos als Folge einer diabetischen Grunderkrankung angesehen werden. Im Bereich des Anstoßtraumas seien Hinweise auf stattgehabte umschriebene bzw. kleinherdige Einblutungen in Form von Hämosiderin nachweisbar. Dieses sei ein Abbauprodukt des Hämoglobins und lasse sich in der Haut frühestens 72 Stunden nach Entwicklung eines Hämatoms nachweisen. Der zeitliche Bezug zwischen Trauma und Nachweis von Eisenpigment sei somit plausibel. Andererseits könnten Hämosiderinablagerungen durch eine chronische venöse Insuffizienz verursacht worden sein, die wiederum als Folge der Phlebosklerose auftreten könne. Die Ursache der Hämosiderinablagerungen im Bereich des Anstoßtraumas sei feingeweblich nicht zweifelsfrei klärbar. Eine flächenhafte Unterblutung (Hämatom) sei im Anstoßbereich nicht nachweisbar.

Daraufhin ist Frau Prof. Dr. W. in einer zusammenfassenden Stellungnahme vom 8. August 2005 zu dem Ergebnis gelangt, bei dem Verstorbenen habe ein diabetisches Fußsyndrom mit ischämischen Weichgewebsnekrosen mit phlegmonös-eitriger Entzündung und Pilzbesiedlung mit akut superinfiziertem Ulcus über dem linken Außenknöchel, eine hochgradige Verkalkung der Unterschenkelarterien und -venen sowie eine diffuse Schwellung von etwa Handbreite in Umgebung des Ulcus (ärztlicherseits festgestellt 3 Tage nach dem Ereignis) bestanden. Diese Gesundheitsstörungen seien nicht Folge des Ereignisses vom 6. Juni 2000. Möglicherweise sei es durch dieses zu der beobachteten Schwellung gekommen.

Mit Urteil vom 2. Oktober 2008 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es u. a. ausgeführt, der Versicherte habe bei dem Unfall vom 6. Juni 2000 eine folgenlos verheilte leichte und oberflächliche Prellung des linken Unterschenkels erlitten. Weitere Gesundheitsstörungen, insbesondere die Amputation des linken Unterschenkels, seien nicht wesentlich durch das Ereignis verursacht worden. Dies folge aus den überzeugenden Ausführungen der im Gerichtsverfahren gehörten Sachverständigen Prof. Dr. W. und Prof. Dr. X.. Demgegenüber vermöge das vom Versicherten eingeholte gefäßchirurgische Gutachten des Prof. Dr. S. nicht zu überzeugen. Dieser sei davon ausgegangen, dass es durch die Wadenprellung zur Ausbildung eines Hämatoms mit Schwellung des Unterschenkels und damit zu einer Verschlechterung der grenzkompensierten Durchblutung gekommen sei. Ein solches Hämatom habe sich jedoch unter Berücksichtigung der Feststellungen des Dr. V., des Prof. Dr. X. und des Prof. Dr. Q. nicht nachweisen lassen. Dadurch sei der Argumentationskette des Prof. Dr. S. die Grundlage entzogen.

Gegen das ihr am 14. Oktober 2008 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 13. November 2008 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, die Sachverständigen Prof. Dr. W., Prof. Dr. X. und Prof. Dr. Q., auf die das SG sein Urteil gestützt habe, seien fachfremd. Sie verfügten nicht über spezielle gefäßchirurgische Kenntnisse. Über diese verfüge jedoch Prof. Dr. S.. Das SG habe sich somit - ohne Hinzuziehung entsprechenden fachärztlichen Sachverstandes - über die speziell fachärztlichen Schlussfolgerungen dieses Gutachters hinweggesetzt. Das Urteil sei auch deshalb fehlerhaft, weil das SG der Auffassung sei, ein Hämatom mit Schwellung des Unterschenkels habe sich nicht nachweisen lassen. Damit sei es den Feststellungen von Prof. Dr. X. und Prof. Dr. Q. gefolgt und habe gleichzeitig die zeitnah zum Unfall getroffenen Feststellungen von Dr. P. in seinem Befundbericht vom 23. Juni 2000 verworfen. Dabei habe gerade dieser die von den Chirurgen angegebene Stelle der Weichteilschädigung besonders beachtet. Im Übrigen hätten sich weder Prof. Dr. Q. noch Dr. X. mit den Feststellungen des Dr. P. auseinandergesetzt. Vor diesem Hintergrund sei nicht nachvollziehbar, wieso das SG die Gutachten von Prof. Dr. Q. und Prof. Dr. X. für überzeugend gehalten habe.

Die Klägerin beantragt,

1. das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 2. Oktober 2008 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 17. Juni 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. April 2004 aufzuheben,

2. festzustellen, dass die bei ihrem verstorbenen Ehemann Dr. H. durchgeführte Amputation des linken Unterschenkels Folge des von ihm erlittenen Arbeitsunfalls vom 6. Juni 2000 ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Senat hat auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) weiteren Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Chefarztes der Klinik für Diabetologie des Y. -Klinikums O. Dr. Z. vom 10. März 2010. Dieser ist zu dem Ergebnis gelangt, auf dem Boden der vorliegenden Krankenberichte und Gutachten, der Literatur und seiner eigenen Erfahrung sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass auf dem Boden vorbestehender Pathophysiologien in Form einer diabetischen Polyneuropathie, Makroangiopathie und einer Marcumarbehandlung mit erhöhten Blutungsgefahren ein stumpfes Anpralltrauma zu einer tiefen Weichgewebseinblutung mit umgebendem Ödem und Weichteilschwellung geführt habe. Durch die Polyneuropathie habe sich dieses Trauma zunächst relativ asymptomatisch gezeigt und sei damit selbst von dem betroffenen erfahrenen Arzt in seiner Gefahr deutlich unterschätzt worden. Bei zusätzlich bestehender venöser Insuffizienz, einer erheblichen Durchblutungsstörung und bei lokal wegen der durch Kortison veränderten dünnen und trockenen Haut mit deutlicher Minderung der zellulären Abwehrkapazität sei anzunehmen, dass sich eine z. B. hämatogen oder durch kleine Hautrisse verursachte, zunächst kleine und dann sich schnell ausbreitende und umfangreiche Sekundärinfektion des Hämatoms entwickelt habe. Diese habe sich im Verlauf auf den gesamten Unterschenkel ausgedehnt. Ein bis dahin "schlummernder", weil bei intakten Hautverhältnissen im Knöchelbereich nicht sichtbarer, sekundär wiederaufblühender, vorbestehender Pilzbefall könne das Rezidiv des venösen Stauungsgeschwürs im Außenknöchelbereich und die gesamte Weichteilinfektion noch mit verstärkt haben. Die Unterschenkelamputation links sei primär und wesentlich durch den Arbeitsunfall vom 6. Juni 2000 verursacht worden, daneben zu erheblichen Anteilen auch durch die bei dem Versicherten bestehenden Vorschäden. Die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) sei mit 40 v. H. einzuschätzen.

Dem Senat haben außer der Prozessakte die den verstorbenen Versicherten betreffenden Verwaltungsunterlagen der Beklagten vorgelegen. Alle Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts, des Sachvortrags sowie der Ergebnisse der Beweisaufnahme wird hierauf ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die gem. §§ 143 f. SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig. Das Rechtsmittel hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. In Übereinstimmung mit dem SG ist der Senat zu der Auffassung gelangt, dass es die Beklagte zu Recht abgelehnt hat, den durch die Amputation vom 15. Juni 2000 herbeigeführten Verlust des linken Unterschenkels als Folge des vom Versicherten am 6. Juni 2000 erlittenen Arbeitsunfalls anzuerkennen.

Die von der Klägerin erhobene Feststellungsklage ist gem. § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG zulässig. Sie eröffnet dem Versicherten und ggf. seinen Rechtsnachfolgern die Möglichkeit, Elemente eines Rechtsverhältnisses, hier bestimmte Folgen eines Arbeitsunfalls, feststellen zu lassen. Das dafür erforderliche Feststellungsinteresse besteht hier auch für die Klägerin. Als Sonderrechtsnachfolgerin des Versicherten i. S. von § 56 Abs. 1 des Sozialgesetzbuchs Erstes Buch - Allgemeiner Teil - (SGB I) kann sie im vorliegenden Fall deswegen die Feststellung des streitigen Unfallfolgen betreiben, weil als deren Folge ein Anspruch auf Geldleistungen bestehen kann, die durch die Sonderrechtsnachfolge auf sie übergegangen ist (vgl. hierzu allgemein BSG v. 12. Januar 2010 - B 2 U 21/08 R - Rdnrn. 14-16 des Juris-Ausdrucks). Die Klage ist indes unbegründet.

Der Senat vermochte sich nicht davon zu überzeugen, dass die am 15. Juni 2000 im K. -Klinikum I. beim Versicherten durchgeführte Amputation seines linken Unterschenkels in einem ursächlichen Zusammenhang zu dem Arbeitsunfall vom 6. Juni 2000 stand. Im Bereich der Sozialversicherung, insbesondere in der Unfallversicherung, wird der ursächliche Zusammenhang anhand der Kausalitätslehre von der wesentlichen Bedingung geprüft. Danach sind Ursache und Mitursache unter Abwägung ihres verschiedenen Wertes nur die Bedingungen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zu dem Erfolg bei dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (vgl. Krasney in Becker/Burchhardt/Kruschinski: Die gesetzliche Unfallversicherung - SGB VII -, § 8 SGB VII Rdnrn. 309, 310 mit weiteren Nachweisen). Gegen einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der nach dem Bericht des Dr. V. - K. -Klinikum I. - vom 8. September 2000 wegen Ausbreitung der von einem Ulcus am linken Unterschenkel ausgehenden und sich ausbreitenden Superinfektion erforderlich gewordenen Amputation und dem Unfallereignis vom 6. Juni 2000 sprechen insbesondere die bei dem Versicherten damals vorgelegenen schwerwiegenden anlagebedingten Erkrankungen. Der erstuntersuchende Pathologe PD Dr. P. (vgl. Bericht vom 23. Juni 2000) und die nachfolgend gehörten Pathologen Prof. Dr. Q. (Gutachten vom 1. Mai 2002 mit ergänzender Stellungnahme vom 19. Januar 2004) sowie Prof. Dr. X. (Gutachten vom 27. Juli 2005) stimmen insoweit sinngemäß überein, als sie in dem Unterschenkelamputat eine schwere kalzifizierende und stenosierende Arteriosklerose, ausgedehnte, mit Ulcerationen einhergehende ischämische Weichgewebsnekrosen mit phlegmonös-eitriger Entzündung und partieller Pilzbesiedlung sowie eine geringe bis mäßige Phleblosklerose festgestellt haben. PD Dr. P. hat darüber hinaus eine Gangrän der Zehen I bis III sowie über dem lateralen Knöchel gefunden. Allen Gutachten ist darüber hinaus zu entnehmen, dass als Ursache der vorstehend beschriebenen krankhaften Veränderungen der bei dem Versicherten damals bereits langjährig vorliegende Diabetes mellitus als ursächlich anzunehmen war. Dementsprechend stimmen Prof. Dr. Q., Prof. Dr. X., wie im Übrigen auch die darüber hinaus als Gutachter bzw. Sachverständige gehörten Prof. Dr. L. /Dr. M. /Dr. N. - BUK O. - (Gutachten vom 28. Juni 2001 mit ergänzender Stellungnahme vom 13. September 2001), Prof. Dr. S. /Dr. T. (vgl. das undatierte, mit Schriftsatz des Versicherten vom 20. März 2003 überreichte gefäßchirurgische Gutachten), Prof. Dr. W. - Institut für Rechtsmedizin der Universität O. - (Gutachten vom 27. Dezember 2004 mit ergänzender Stellungnahme vom 10. März 2005 und 8. August 2005) und Dr. Z. - Y. -Klinikum O. - (Gutachten vom 10. März 2010) insoweit überein, als die genannten Vorerkrankungen als (zumindest eine) wesentliche Ursache für die erforderlich gewordene Amputation des linken Unterschenkels anzunehmen sind.

Der Auffassung der Gefäßchirurgen Prof. Dr. S. /Dr. T. in dem im Widerspruchsverfahren mit Schriftsatz vom 20. März 2003 überreichten Privatgutachten und des Internisten und Diabetologen Dr. Z. in dem auf Antrag der Klägerin gem. § 109 SGG eingeholten Gutachten vom 10. März 2010, die dem Unfallgeschehen vom 6. Juni 2000 ebenfalls eine wesentliche Mitursächlichkeit für die am 15. Juni 2000 erfolgten Unterschenkelamputation links einräumen, vermag der Senat dagegen nicht zu folgen. Dabei kann es dahin stehen, ob das Unfallgeschehen vom 6. Juni 2000, das in dem Anschlagen der Kante eines metallenen Arztkoffers gegen das linke Bein des Versicherten bestand, für den Verlust des linken Unterschenkels überhaupt in naturwissenschaftlichen-philosophischem Sinne ursächlich geworden ist. Hierfür könnten allenfalls der vergleichsweise geringe zeitliche Abstand zwischen dem Ereignis und der Amputation von nur 9 Tagen sprechen. Jedenfalls ist der Senat aber der Auffassung, dass der Arbeitsunfall vom 6. Juni 2000 nicht die wesentliche Ursache für den später eingetretenen Gliedmaßenverlust war. Die weitgehend übereinstimmenden Annahmen der Gutachter Prof. Dr. S. /Dr. T. einerseits und des Sachverständigen Dr. Z. andererseits, durch den Anstoß des Koffers gegen die linke Wade sei es zur Ausbildung eines Hämatoms mit Schwellung des Unterschenkels und damit zu einer Verschlechterung der grenzkompensierten Durchblutung des Beines gekommen, die ihrerseits zum Wiederauftreten einer vorbestehenden, latent vorhanden mycealen Infektion mit nachfolgender weiterer Verschlechterung des arteriellen Zustroms und des venösen Abstroms und mit der Konsequenz der Entstehung eines Gangräns geführt habe, sind letztlich nicht beweisbar. Wenn auch die Beurteilung eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen äußerem Ereignis und Gesundheitsschaden auf der Grundlage der sogenannten hinreichenden Wahrscheinlichkeit erfolgt, bedarf es für das Vorliegen der der Zusammenhangsprüfung zugrunde liegenden Tatsachen des vollen Beweises (vgl. Becker/Franke/Molkentin: SGB VII, 2. Auflage 2007, § 8 SGB VII, Rdnrn. 267-269). Demgemäß war vorliegend auch für das Bestehen des von dem genannten Gutachter und dem gerichtlichen Sachverständigen angenommenen Hämatoms, das - entsprechend ihrer Argumentation - als unmittelbare Folge des Stoßtraumas den genannten Krankheitsverlauf in Gang gesetzt haben soll, der Vollbeweis erforderlich.

Dieser Beweis lässt sich hier indes nicht führen. Zwar hat der Pathologe PD Dr. P. in dem Bericht vom 23. Juni 2000 über die Ergebnisse der histologischen Erstuntersuchung des amputierten Unterschenkels verschiedene kleine Hämatome auf der medialen (zur Körpermitte hin gelegene) und zur ventral/lateralen (d.h. nach vorn bzw. seitlich gelegenen) Seite beschrieben. Zweifel an dem Vorliegen dieser Hämatome ergeben sich aber daraus, weil die Feststellungen des PD Dr. P. nicht mit den vorangegangenen klinischen Befundbeschreibungen übereinstimmen. So hat der Gefäßchirurg Dr. V. vom K. -Klinikum in seinem Bericht vom 4. August 2000, in dem er die anlässlich der Erstuntersuchung des Versicherten am 9. Juni 2000 erhobenen Befunde wiedergegeben hat, nur eine etwas diffuse Schwellung von etwa einer Handbreite im Bereich der Tibialis anterior-Loge mit Übergriff auf die Fibula-Region und die Unterschenkelregion in Höhe eines ehemaligen Ulcus beschrieben. Auch in dem Entlassungsbericht des Dr. V. vom 8. September 2000, der gleichfalls die Befunderhebungen am 9. Juni 2000 und 12. Juni 2000 berücksichtigte, ist von einem Hämatom keine Rede. Vielmehr wurden hierin allein die gravierend zunehmende Schwellung sowie die aufgetretenen schweren entzündlichen Veränderungen beschrieben. Auch die nachbegutachtenden Pathologen Prof. Dr. Q. (vgl. Gutachten vom 1. Mai 2002 mit ergänzender Stellungnahme vom 19. Januar 2004) und Prof. Dr. X. (Gutachten vom 27. Juli 2005) konnten das Vorliegen von Hämatomen am abgetrennten Unterschenkel nicht zweifelsfrei nachvollziehen. Zwar konnte Prof. Dr. X. bei seiner Untersuchung im Anschlussbereich die Ablagerung von Hämosiderin(Eisen)-Pigmenten nachweisen. Eine eindeutige ursächliche Zuordnung war ihm - nachvollziehbar - jedoch nicht möglich. Er hat insoweit ausgeführt, zwar könne es sich hierbei um ein Abbauprodukt des Hämoglobins handeln, das frühestens 72 Stunden nach Entwicklung eines Hämatoms nachweisbar sei. Andererseits hat der Sachverständige aber auch die Möglichkeit erörtert, dass die Hämosiderinablagerungen durch eine chronische venöse Insuffizienz verursacht sein könnten, die ihrerseits wiederum als Folge einer - zum damaligen Zeitpunkt zweifelsfrei auch beim Versicherten vorliegenden - Phleblosklerose auftreten könne. Im Hinblick darauf, dass ein Hämatom durch die blaue Verfärbung der Haut schon bei einer klinischen Untersuchung deutlich erkennbar ist, im vorliegenden Fall, wie bereits ausgeführt, hierbei jedoch nicht festgestellt werden konnte, ist dessen Vorliegen nach Auffassung des Senats nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit belegbar.

Dem Argument des Sachverständigen Dr. Z., den pathologischen Nachbegutachtern Prof. Dr. Q. und Prof. Dr. X. hätten anders, als PD Dr. P., nur einzelne histologische Proben, aber nicht das gesamte Amputat vorgelegen, führt nach Auffassung des Senats zu keiner anderen Beurteilung der Sach- und Rechtslage. Zum einen ändert dieser Einwand nichts an dem Umstand, dass, wie bereits ausgeführt, bei den klinischen Untersuchungen des Versicherten nach dem Unfallereignis Hämatome nicht beschrieben worden sind. Zum anderen ergibt sich aus dem Gutachten des Prof. Dr. Q. vom 1. Mai 2002, dass ihm mit den Präparaten II und IIA bzw. I, III und VI Gewebeproben vorgelegt wurden, die aus der unmittelbaren Traumatisierungsregion bzw. den hieran angrenzenden Regionen entnommen worden waren. Wenn es denn als Folge des Anstoßes des Arztkoffers zur Entwicklung eines Hämatoms gekommen wäre, hätte es sich nach Auffassung des Senats gerade in diesen Regionen manifestieren müssen.

Einer weiteren medizinischen Sachaufklärung in Gestalt der Einholung eines gefäßchirurgischen Gutachtens, wie es die Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 22. Dezember 2008 angeregt hat, bedarf es nach Auffassung des Senats nicht. Sowohl dem orthopädisch-chirurgischen Gutachten des Prof. Dr. L. /Dr. M. /Dr. N. vom 28. Juni 2001, dem Gutachten der Rechtsmedizinerin Prof. Dr. W. vom 27. Dezember 2004 mit Ergänzung vom 8. August 2005 als auch dem gefäßchirurgischen Gutachten der Prof. Dr. S. /Dr. T. selbst ist zu entnehmen, dass maßgeblicher Ansatzpunkt für die Beurteilung des Kausalzusammenhangs jeweils die Ergebnisse der pathologischen Begutachtungen war. Im Übrigen ist weder ersichtlich noch dargelegt, inwieweit die Einholung eines erneuten gefäßchirurgischen Gutachtens insoweit noch zu weiteren Erkenntnissen führen soll.

Nach alledem hat die Berufung keinen Erfolg.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Es hat keinen Anlass bestanden, die Revision zuzulassen.