Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 20.03.1997, Az.: 7 L 2062/95
Verantwortung für die Beseitigung von während des Betriebs eines Aluminiumschmelzwerks entstehenden Filterstäuben; Auslösung von Masseschulden durch Unterlassungen des Konkursverwalters
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 20.03.1997
- Aktenzeichen
- 7 L 2062/95
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1997, 23648
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:1997:0320.7L2062.95.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Hannover - 26.01.1995 - AZ: 4 A 5128/93
- nachfolgend
- BVerwG - 06.10.1997 - AZ: BVerwG 7 B 235.97
Rechtsgrundlagen
- § 3 KO
- § 69 KO
- § 117 Abs. 1 KO
Fundstellen
- KTS 1998, 79
- NJW 1998, 398-401 (Volltext mit amtl. LS)
- NVwZ 1998, 308-309 (amtl. Leitsatz)
- NordÖR 1998, 354-355
- ZInsO 1998, 188-189 (Volltext mit red. LS)
- ZInsO 1998, 154-156 (Urteilsbesprechung von Ri Dr. Gerhard Pape)
Aus den Gründen
...
Hier traf die Verantwortung für die Beseitigung der Filterstäube, welche während des Betriebs des Aluminiumschmelzwerks durch die spätere Gemeinschuldnerin, die Firma B-GmbH, angefallen sind, die Gemeinschuldnerin als Betreiberin. Nach Konkurseröffnung oblag die Verantwortung dem Kläger als Konkursverwalter, der den Betrieb zeitweise fortgeführt hat, i. S. e. Verantwortlichkeit für den tatsächlichen Zustand der Anlage, welche in seiner auf § 117 Abs. 1 KO beruhenden Sachherrschaft über die Anlage begründet und unabhängig vom vorausgehenden Betrieb in seiner Person mit Konkurseröffnung neu und originär entstanden ist (vgl. hierzu Eichhorn, Altlasten im Konkurs, 1996, S. 79 f.; Jarass, a. a. O., § 5 BImSchG, Rn. 95).
Die Beseitigungspflicht des Klägers stellt sich als eine Masseschuld dar. Auch Unterlassungen des Konkursverwalters lösen Masseschulden aus, wenn eine Pflicht zum Handeln bestand (vgl. Kuhn/Uhlenbruck, Konkursordnung, 10. Aufl., § 59 Rn. 4; Eichhorn, S. 117 m. w. N.). Die Abgrenzung zwischen Masseschuld und Konkursforderung erfolgt nach Maßgabe des § 3 KO. Danach handelt es sich um eine Konkursforderung, wenn sie zum Zeitpunkt der Konkurseröffnung begründet war. Nach einer in der Literatur vertretenen Auffassung ist insoweit zwischen der Entstehung der Verpflichtung und ihrer Begründung zu unterscheiden (vgl. etwa Kilger, Festschrift für Merz, S. 272) und darauf abzustellen, daß die Verpflichtung bereits vor Eröffnung des Konkurses als eine aufschiebend bedingte entstanden ist. Der Senat hat bereits in seinem oben zitierten Beschl. v. 07.01.1993 ausgeführt, daß diese Auffassung, die §§ 3, 69 KO anwenden und die zuständige Behörde, statt ihr die Durchsetzung der Beseitigung zu ermöglichen, auf einen der Konkursquote entsprechenden Teil der Ersatzvornahmekosten verweisen will, auf einer unzutreffenden Sicht ordnungsrechtlicher Pflichten beruht. Denn diese ergeben sich nicht aus einem irgendwie gearteten zweiseitigen Rechtsverhältnis i. S. e. Schuldrechtsorganismus (Kilger a. a. O.) als dessen (Konkurs-)Gläubiger der Staat oder die zur Durchsetzung der Pflicht befugte Behörde zu betrachten wäre. Die Verpflichtung zur Beseitigung eines ordnungswidrigen Zustandes ent- und besteht unabhängig von einem sie konkretisierenden Verwaltungsakt; sie ist schon aufgrund des Gesetzes zu erfüllen. Die nur im Falle der Nichterfüllung jener Pflicht ergehende Ordnungsverfügung dient nicht ihrer Begründung, sondern ihrer Durchsetzung. Die ordnungsrechtliche Pflicht des Anlagenbetreibers besteht nicht irgendeinem bestimmten Rechtssubjekt gegenüber. Da die §§ 3, 69 KO notwendig einen Gläubiger voraussetzen, lassen sie sich nicht auf Verpflichtungen anwenden, die nicht einem bestimmten Gläubiger gegenüber bestehen. Wegen der Unvergleichbarkeit von öffentlich-rechtlichen Ordnungspflichten und schuldrechtlichen Verpflichtungen ist auch keine entsprechende Anwendung der genannten Vorschriften möglich (im Ergebnis ebenso VGH Mannheim, Urt. v. 11.12.1990 - 10 S 7/90 - , BB 1991, 237 = NJW 1992, 64; zustimmend K. Schmidt, NJW 1993, 2833, 2835).
Stellt man mit einer anderen Auffassung (vgl. Petersen, NJW 1992, 1202, 1205) allein auf die vollständige Verwirklichung des die Beseitigungspflicht begründenden Tatbestandes ab, so führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Entscheidend ist insoweit, daß die als Sonderform der allgemeinen Zustandsverantwortlichkeit anzusehende Stellung als Betreiber einer Anlage nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz ebenso wie die Zustandsverantwortlichkeit nach dem allgemeinen Ordnungsrecht in der Person eines neuen Verantwortlichen stets neu und originär entsteht. Hieraus folgt für die Abgrenzung zwischen Konkursforderung und Masseschuld, daß die den Konkursverwalter treffende Beseitigungspflicht nicht vor Konkurseröffnung i. S. d. § 3 Abs. 1 KO begründet sein kann (vgl. Eichhorn, S. 112; ferner VGH Mannheim, a. a. O.).
Der Beseitigungspflicht des Konkursverwalters kann schließlich nicht entgegengehalten werden, der Zweck des Konkursverfahrens, also die gleichmäßige Befriedigung der Gläubiger, stehe ihr entgegen. Der Konkurszweck der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung ist kein zu verselbständigender allgemeiner Rechtsgrundsatz, der schlechthin Vorrang vor entgegenstehenden Rechtsvorschriften verdiente. Er kann nicht weiter reichen, als dies vom Konkursrecht selbst vorausgesetzt wird. Danach bestehen der Konkurszweck und die ordnungsrechtlichen Pflichten des Konkursverwalters in der dargelegten Weise nebeneinander (hierzu ergänzend Eichhorn, S. 121 ff).
Die Kosten der festgesetzten Ersatzvornahme stellen sich ebenfalls als Masseschuld dar. Unabhängig von der umstrittenen Frage, wann der Kostenerstattungsanspruch im Falle einer Ersatzvornahme entsteht (vgl. Beschl. d. Sen. v. 09.09.1994, a. a. O.), ist die im Konkurs festgesetzte Kostenerstattungsforderung jedenfalls dann eine nach Konkurseröffnung entstandene Geldforderung, wenn die Grundvergütung - wie hier - erst nach Konkurseröffnung erlassen worden ist (ebenso K. Schmidt, BB 1991, 1273, 1279 ff; derselbe, NJW 1993, 2833, 2836). Die sekundäre Pflicht des Konkursverwalters zur Erstattung der Ersatzvornahmekosten kann nicht anders behandelt werden, als die ihn primär treffende Beseitigungspflicht (Stürner, EWiR 1991, 487 f.; Eichhorn, S. 141 ff.; a. A. insoweit VGH Mannheim, a. a. O.).