Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 11.08.2004, Az.: 11 LA 161/04
Ausweisung; Ausweisungsschutz; besonderer Ausweisungsschutz; Familienleben; familiäre Situation; gefährliche Körperverletzung; Ist-Ausweisung; Körperverletzung; Regel-Ausweisung; Schutz der Familie; Schwere; Straftat; Verhältnismäßigkeit; Verhütung von Straftaten; öffentliche Ordnung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 11.08.2004
- Aktenzeichen
- 11 LA 161/04
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2004, 50682
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 22.04.2004 - AZ: 12 A 880/03
Rechtsgrundlagen
- § 47 Abs 1 Nr 1 AuslG
- § 47 Abs 3 S 1 AuslG
- § 48 Abs 1 S 1 Nr 4 AuslG
- § 48 Abs 1 S 2 AuslG
- Art 8 Abs 1 MRK
- Art 8 Abs 2 MRK
Gründe
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das angefochtene Urteil bleibt ohne Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe greifen nicht durch.
1. Unter den in der Antragsschrift dargelegten Gesichtspunkten bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
Das Verwaltungsgericht hat zutreffend entschieden, dass die Ausweisungsverfügung der Beklagten vom 28. August 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Hannover vom 29. Januar 2003 rechtmäßig ist.
Der Kläger ist im Juni 1977 in Albanien geboren. Am 12. April 1997 reiste er erstmals in das Bundesgebiet ein. Sein unter einem Alias-Namen gestellter Asylantrag wurde bestandskräftig abgelehnt. Er reiste am 29. August 1997 wieder aus dem Bundesgebiet aus. Am 10. September 1997 heiratete er in Albanien die deutsche Staatsangehörige B.. Aus der Ehe ist ein am 6. April 2001 geborenes Kind hervorgegangen. Der Kläger reiste am 15. Dezember 1997 mit einem Visum zur Familienzusammenführung erneut in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sein Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wurde mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 9. August 1999 abgelehnt. Seit Ende April 1997, d. h. kurz nach seiner ersten Einreise, trat der Kläger mehrmals strafrechtlich in Erscheinung (unerlaubter Handel mit Betäubungsmitteln, mittelbare Falschbeurkundung, gefährliche Körperverletzung). Zuletzt wurde er am 29. November 2001 vom Landgericht Hannover wegen einer am 9. Dezember 2000 begangenen gefährlichen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren verurteilt. Er war erst im April 2000 nach Deutschland zugekehrt, nachdem er ab Herbst 1999 in Albanien und Italien gelebt hatte. Seit dem 25. April 2001 befindet er sich in Haft.
Der Kläger hat den Ist-Ausweisungstatbestand des § 47 Abs. 1 Nr. 1 AuslG verwirklicht. Da ihm jedoch der besondere Ausweisungsschutz des § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AuslG zugute kommt, wird die Ist-Ausweisung zur Regel-Ausweisung herabgestuft (§ 47 Abs. 3 Satz 1 AuslG). Außerdem darf die Ausweisung nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung erfolgen (§ 48 Abs. 1 Satz 1 AuslG). Solche schwerwiegenden Gründe liegen in der Regel in den Fällen des § 47 Abs. 1 AuslG vor (§ 48 Abs. 1 Satz 2 AuslG). Entgegen der Auffassung des Klägers sind in seinem Fall keine besonderen Umstände gegeben, die eine Ausnahme von der Regel-Ausweisung rechtfertigen könnten. Dies hat das Verwaltungsgericht rechtsfehlerfrei festgestellt. Auf die entsprechenden Ausführungen auf S. 4 und 5 des Gerichtsbescheids vom 30. Januar 2004, denen das Verwaltungsgericht im angefochtenen Urteil unter Hinweis auf § 84 Abs. 4 VwGO gefolgt ist, wird Bezug genommen (vgl. § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Ergänzend ist im Hinblick auf das Antragsvorbringen Folgendes anzumerken:
Der Kläger geht zu Unrecht davon aus, dass seine Ausweisung nach Art. 8 Abs. 1 EMRK unverhältnismäßig sei. Die von ihm herangezogenen Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte - EGMR - vom 15.7.2003 (InfAuslR 2004, 183) und vom 11.7.2002 (InfAuslR 2004, 180) rechtfertigen keine andere Beurteilung. Insbesondere lässt sich nicht feststellen, dass das Recht des Klägers auf Achtung seines Familienlebens Vorrang vor dem Schutz der öffentlichen Ordnung und der Verhütung von Straftaten i. S. d. Art. 8 Abs. 2 EMRK hat.
Ein wesentlicher Umstand für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit ist nach Auffassung des EGMR die Schwere der von dem Ausgewiesenen begangenen Straftaten. Dabei wird deren Schwere in erster Linie durch die Höhe der verhängten Strafen gekennzeichnet, daneben aber auch bestimmt durch die Art der Straftat, wobei beispielsweise Drogendelikten eine besondere Schwere zugemessen wird. Von Bedeutung kann auch das Alter des Betroffenen bei Begehung der Straftaten sein. Neben der Schwere der Straftaten untersucht der EGMR die familiäre Situation des Ausgewiesenen. Dabei wird insbesondere berücksichtigt, ob er inzwischen mit einer Person verheiratet ist, die die Staatsangehörigkeit seines Aufenthaltslandes besitzt, und ob er Kinder hat. In diesem Zusammenhang ist auch der Grad der Schwierigkeiten in Betracht zu ziehen, denen die Ehefrau im Herkunftsland des Ausgewiesenen begegnen würde. Weiter berücksichtigt der EGMR, inwieweit noch ein Bezug des Ausländers zu dem Staat seiner Staatsangehörigkeit besteht. Dabei wird oftmals die Kenntnis der Sprache des Herkunftsstaates als ein bedeutsamer Umstand - im Hinblick auf die Zumutbarkeit einer Integration in die dortigen Lebensverhältnisse - betont (vgl. zum Vorstehenden neben den vom Kläger zitierten Urteilen die im Beschluss des BVerfG vom 1.3.2004, NVwZ 2004, 852 [BVerfG 01.03.2004 - 2 BvR 1570/03], wiedergegebene Rechtsprechung des EGMR).
Hieran gemessen kann nicht festgestellt werden, dass die Ausweisung des Klägers unverhältnismäßig im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK ist. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass den in der Rechtsprechung des EGMR bedeutsamen Gesichtspunkten der Schwere der von dem Ausgewiesenen begangenen Straftaten und seines Alters bereits durch die Abstufungen des Ausländergesetzes in Ist-, Regel- und Kann-Ausweisung (vgl. §§ 45, 47, 48 AuslG) sowie durch den besonderen Ausweisungsschutz für Ausländer, die im Bundesgebiet geboren oder als Minderjährige in das Bundesgebiet eingereist sind (vgl. § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AuslG), in grundsätzlich ausreichender Weise Rechnung getragen wird (BVerfG, Beschl. v. 1.3.2004, a.a.O.). Dass der Kläger, der bereits kurz nach seiner Einreise in das Bundesgebiet straffällig geworden ist, bei Begehung eines Teils der Straftaten noch Heranwachsender war, macht seine Ausweisung nicht unverhältnismäßig. Denn ihm ist die Schwere der von ihm begangenen Straftaten und seine dabei zu Tage getretene Gefährlichkeit entgegenzuhalten. Er wurde am 1. Juli 1998 vom Amtsgericht D. wegen gefährlicher Körperverletzung und unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen, davon einmal gewerbsmäßig, zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und 5 Monaten verurteilt. Die ihm gewährte Strafaussetzung zur Bewährung wurde später widerrufen. Am 29. November 2001 wurde er wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren verurteilt, wobei er am 9. Dezember 2000 mit Verletzungsvorsatz mit einem Messer auf jemanden eingestochen und diesen dabei lebensgefährlich verletzt hatte. Im Zeitpunkt dieser Tat war er 23 Jahre alt. Erschwerend kommt hinzu, dass er schon einmal, nämlich im August 1997, eine gefährliche Körperverletzung mit einem Messer begangen hatte. Dass der Kläger bei der Straftat vom 9. Dezember 2000 unter dem Einfluss von Rauschmitteln stand, wurde bereits vom Landgericht strafmildernd berücksichtigt.
Ebenso wenig steht die familiäre Situation des Klägers einer Ausweisung entgegen. Zwar ist er seit August 1997 mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet und hat mit dieser ein im April 2001 geborenes Kind, doch müssen diese persönlich-familiären Umstände hinter dem öffentlichen Interesse an einer Beendigung des Aufenthalts des Klägers zurücktreten. Es besteht die Gefahr, dass er erneut in ähnlicher Weise straffällig wird. Die abgeurteilten Taten zeigen, dass er offenbar zu erhöhter Gewaltbereitschaft und Aggressivität neigt. Zu seinen Ungunsten ist ferner zu berücksichtigen, dass er - wie vom Landgericht C. im Urteil vom 29. November 2001 festgestellt - seinen Lebensunterhalt in Deutschland durch Schwarzarbeit im Gastronomiegewerbe und durch den Verkauf von Drogen bestritten hatte. Daran wird deutlich, dass es ihm bisher an einer ausreichenden Integration in die hiesige Gesellschaft fehlt. Auch kann er sich nicht mit Ausländern vergleichen, die im Inland geboren oder aufgewachsen sind bzw. sich wenigstens mehr als 10 Jahre im Aufnahmestaat aufhalten. Er ist kurz vor seinem 20. Lebensjahr in die Bundesrepublik Deutschland eingereist, musste diese aber mehrmals vorübergehend verlassen und befindet sich außerdem seit dem 25. April 2001 in Haft. Schließlich kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass er den Bezug zu seinem Heimatland verloren hat. Er hat bis 1991 in Albanien gelebt, so dass auch keine Sprachschwierigkeiten bei einer Rückkehr bestehen dürften. Er hat den Kontakt zu Albanien auch noch nicht verloren. Noch im Februar 2000 hielt er sich zu einem Besuch in Tirana auf. Außerdem hat er Beziehungen zu Italien, wo er nach dem Verlassen von Albanien im Jahre 1991 bis zur ersten Einreise nach Deutschland in einer Pflegefamilie lebte. Außerdem war er auch zwischenzeitlich in Italien. Einer Rückkehr nach Albanien (oder möglicherweise auch nach Italien) dürften deshalb keine gewichtigen Hindernisse entgegenstehen. Allerdings kann von der Ehefrau des Klägers und ihrem gemeinsamen Kind wohl nicht erwartet werden, dass sie ihrem Ehemann bzw. Vater nach Albanien folgen. Dieser Umstand vermag aber angesichts der Schwere der von dem Kläger begangenen Straftaten und seiner mangelnden Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse bei der gebotenen Gesamtbetrachtung auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EGMR nicht zur Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung zu führen. Vielmehr hat hier der Schutz der öffentlichen Ordnung und die Verhütung von Straftaten Vorrang.
2. Die vorstehenden Ausführungen zeigen zugleich, dass die Rechtssache entgegen der Auffassung des Klägers auch weder rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) aufweist noch grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) hat.