Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 28.08.2004, Az.: 2 PA 1183/04

hinreichende Erfolgsaussicht; Maßstab; Prozesskostenhilfe

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
28.08.2004
Aktenzeichen
2 PA 1183/04
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2004, 50714
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 14.07.2004 - AZ: 11 A 1897/03

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Zu dem für die Prüfung hinreichender Erfolgsaussichten i.S. des § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO anzulegenden Maßstab.

Gründe

1

Die (zulässige) Beschwerde der Kläger gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 14. Juli 2004, mit dem dieses es abgelehnt hat, den Klägern für das nur noch die Erteilung von Aufenthaltbefugnissen betreffende erstinstanzliche Klageverfahren - 11 A 1897/03 - Prozesskostenhilfe zu bewilligen, ist im Wesentlichen begründet. Denn das Verwaltungsgericht hat in dem angefochtenen Beschluss zu Unrecht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren versagt, vielmehr bestehen - ab 14. Mai 2004 - hinreichende Erfolgsaussichten nach § 166 VwGO i. V. m. § 114 ZPO.

2

Auszugehen ist davon, dass die Anforderungen an das Vorliegen hinreichender Erfolgsaussichten i. S. des § 114 ZPO für eine beabsichtigte Rechtsverfolgung - hier die Erteilung von Aufenthaltbefugnissen an die Kläger - nicht überspannt werden dürfen. Denn andernfalls würde der Zweck der Prozesskostenhilfe, dem Unbemittelten den weitgehend gleichen Zugang zu Gericht zu ermöglichen, verfehlt werden (BVerfG, 3. Kammer des Ersten Senats, Beschl. v. 5.2.2003 - 1 BvR 1526/02 -, NJW 2003, 1857(1858) u. Beschl. v. 14.4.2003 - 1 BvR 1998/03 -, NJW 2003, 2976(2977); auch würde eine eingehende Prüfung der Sach- und Rechtslage, die dem Hauptsacheverfahren vorzubehalten ist, in unzulässiger Weise in das lediglich auf überschlägige Prüfung angelegte Verfahren der Prozesskostenhilfe verlagert werden (BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, Beschl. v. 30.10.1991 - 1 BvR 1386/91 -, NJW 1992, 889; Olbertz, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: September 2003, RdNr. 29 zu § 166). Für eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe muss es daher ausreichen, dass für die beabsichtigte Rechtsverfolgung gewisse Erfolgaussichten bestehen (Olbertz, aaO), d. h. wenn auf der Grundlage der zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über das Prozesskostenhilfebewilligungsgesuch vorliegenden Sach- und Rechtslage zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit für den Erfolg der Rechtsverfolgung besteht (HessVGH, Beschl. v. 25.9.1990 - 13 TP 1359/90 -, NVwZ-RR 1991, 160 [VGH Bayern 06.09.1990 - 22 B 90.500] m. w. Nachw.).

3

Nach diesem Maßstab hätte das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Beschluss den Klägern für ihre Verpflichtungsklage auf Erteilung von Aufenthaltsbefugnissen, für deren rechtliche Beurteilung nicht auf die bei Erlass des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung I. vom 23. April 2003 gegebene Sach- und Rechtslage, sondern auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über das Verpflichtungsbegehren, also auf die jetzt gegebene Sach- und Rechtslage maßgeblich abzustellen ist, Prozesskostenhilfe bewilligen müssen. Denn zumindest nunmehr besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass positiv über den Antrag der Kläger auf Erteilung von Aufenthaltsbefugnissen zu entscheiden sein wird oder dass - auch dies reicht für die Bejahung hinreichender Erfolgsaussichten aus - zu Gunsten der Kläger ein Bescheidungsurteil nach § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO ergehen wird. Dies ergibt sich aus Folgendem:

4

Auch wenn man den Klägern bei Erlass des Widerspruchsbescheides vom 23. April 2003 vorhalten konnte, dass sie zu jenem Zeitpunkt ihren Mitwirkungspflichten nicht in ausreichendem Maße nachgekommen waren, weil sie sich zwar auf eine türkische Staatsangehörigkeit berufen, aber nicht selbst oder durch Vermittlung des Beklagten bei der zuständigen türkischen Auslandsvertretung, dem Generalkonsulat der Republik Türkei in J., vorgesprochen und sich um eine Klärung ihrer (angeblichen) türkischen Staatsangehörigkeit bemüht hatten, hatte sich diese Sachlage im Mai 2004 grundlegend geändert, was das Verwaltungsgericht bei der erhobenen Verpflichtungsklage auf Erteilung der Aufenthaltsbefugnisse - aber auch der Beklagte als Ausländerbehörde - hätte berücksichtigen müssen (s. o.). Aufgrund der (vergeblichen) Vorsprache der Kläger beim türkischen Generalkonsulat und insbesondere der Stellungnahme des Generalkonsulats vom 10. Mai 2004, die dem Verwaltungsgericht durch den am 14. Mai 2004 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz der Kläger vom 13. Mai 2004 zur Kenntnis gebracht worden ist, muss für das Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren davon ausgegangen werden, dass die Kläger nunmehr die ihnen zumutbaren Anstrengungen zu Klärung einer etwaigen türkischen Staatsangehörigkeit unternommen haben und dass sie auf absehbare Zeit den Status eines türkischen Staatsangehörigen (und damit türkische Identitätspapiere mit der Möglichkeit der Einreise in die Türkei) nicht werden erlangen können, weil die türkischen Stellen nicht nur den von den Klägern beschafften Auszug aus dem (türkischen) Personenstandsregister als Fälschung ansehen, sondern auch die von den Klägern zu ihrer (angeblichen) türkischen Identität (und die ihrer Vorfahren) gemachten Angaben als so vage ansehen, dass die türkischen Stellen sich weigern, insoweit überhaupt weitere Ermittlungen anzustellen.

5

Das Verwaltungsgericht konnte daher, d. h. aufgrund der gegenüber dem Widerspruchsbescheid geänderten Sachlage für eine Ablehnung der beantragten Prozesskostenhilfebewilligung nicht (mehr) in entsprechender Anwendung des § 117 Abs. 5 VwGO auf die angefochtenen Bescheide vom 3. Januar und 23. April 2003, in denen mit der fehlenden Mitwirkung der Kläger und deshalb mit einem Vertretenmüssen der Kläger für die bisher nicht erfolgte Ausreise argumentiert wird, Bezug nehmen, vielmehr hätte es den inzwischen eingetretenen Änderungen Rechnung tragen müssen. Dies gilt auch für die weitere Erwägung in dem angefochtenen Beschluss vom 14. Juli 2004, die Kläger hätten „nach wie vor keine hinreichenden Bemühungen im Sinne der im Rahmen der Aufklärungsverfügung des Einzelrichters abgefragten Daten unternommen..., um ihre Identität zu belegen und Heimreisepapiere zu beschaffen“. Die Kläger haben nämlich nach ihren Möglichkeiten - die Kläger zu 1. und 2. haben in Syrien eine Schulbildung nicht genossen und sind Analphabeten - mit Hilfe ihrer Prozessbevollmächtigten die in der Aufklärungsverfügung des Einzelrichters vom 31. März 2004 gestellten Fragen mit Schriftsatz vom 3. Mai 2004 beantwortet und zu ihrem Lebenslauf, zu ihren Vorfahren, die aus der Türkei stammen sollen, sowie zu in Deutschland lebenden Angehörigen detaillierte Angaben gemacht; des Weiteren haben die Kläger in dem genannten Schriftsatz vom 3. Mai 2004 nochmals betont, dass sie irgendwelche syrischen Identitätspapiere nicht vorlegen könnten, weil ihnen als (staatenlosen) Kurden, die auch nicht in einem eigenen Personenstandsregister eingetragen waren, nicht einmal Personaldokumente (rot-orangefarbene Identitätsnachweise; s. dazu Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 1.4.2004, S. 10) ausgestellt worden waren, sie vielmehr in Syrien (ohne Papiere) geduldet worden waren; auch hätten sie mangels Schul- oder Berufsausbildung in Syrien auch keine Schulzeugnisse oder ähnliche Dokumente erhalten, die sie nunmehr vorlegen könnten. Nach diesem Vortrag, der im Übrigen auch dem Vortrag der Kläger in ihren (seit Ende Februar 2002 rechtskräftig abgeschlossenen) Asylverfahren entspricht, haben es die Kläger aber nicht zu vertreten, dass sie aus Syrien Dokumente, die ihre Identität bezeugen oder die auf ihre Identität hinweisen, nicht vorlegen können, weil ihnen als staatenlosen Kurden, die in Syrien bis zur ihrer Ausreise nur geduldet gewesen sind, derartige Dokumente nicht ausgestellt worden sind. Es ist daher für den Senat nicht erkennbar, in welcher Hinsicht den Klägern jetzt noch eine fehlende Mitwirkung, ein Vertretenmüssen, vorgehalten werden kann und in wieweit die Kläger die Aufklärungsverfügung des Verwaltungsgerichts mit einer sich auf die Feststellung ihrer Identität auswirkenden Weise nicht erfüllt haben, wie dies in dem angefochtenen Beschluss behauptet wird.

6

Hinzu kommt, dass den vorliegenden Akten nicht zu entnehmen ist, dass der Beklagte als Ausländerbehörde bei der syrischen Auslandsvertretung in Berlin unter Angabe der persönlichen Daten der Kläger wegen der Abschiebung der Kläger nach Syrien, ihrem Herkunftsland, vorstellig geworden ist bzw. die Kläger aufgefordert hat, dort für Identitätspapiere selbst vorstellig zu werden (,oder dass er die Deutschen Botschaft in Damaskus um Mithilfe für eine geplante Abschiebung der Kläger gebeten hat). Zwar spricht Überwiegendes dafür, dass die syrischen Stellen die Wiedereinreise der staatenlosen Kläger, die ohne Genehmigung des syrischen Staates Syrien verlassen haben - dies gilt zumindest für die in Syrien geborenen Kläger zu 1. bis 7. - , nicht gestatten werden (vgl. Lagebericht v. 1.4.2004, S. 10f.), dies entbindet den Beklagten aber nicht, insoweit die Haltung der syrischen Stellen zu klären, was spätestens seit dem Abschluss der Asylverfahren der Kläger Ende Februar 2002 und damit seit geraumer Zeit bereits hätte geschehen können, zumal Syrien in der Vergangenheit in Einzelfällen auch bei illegal ausgereisten staatenlosen Kurden die Wiedereinreise in das Herkunftsland Syrien wieder gestattet hat; zumindest kann bei dieser Sachlage den Klägern nicht vorgehalten werden, sie hätten die seit Jahren andauernde Ungewissheit darüber, ob sie nach Syrien zurückkehren können, zu vertreten.

7

Soweit in den angefochtenen Bescheiden auf den Regelversagungsgrund der Sozialhilfebedürftigkeit (§ 7 Abs. 2 Nr. 2 AuslG) für die Versagung der Aufenthaltsbefugnis abgestellt wird, haben die Kläger unter Berufung auf die Entscheidung des Baden-Württembergischen Verwaltungsgerichtshofes vom 17. Dezember 1998 (13 S 3121/96 -, VBlBW 1999, 150) mit ihrer Klage geltend gemacht, auch bei ihnen läge angesichts der auf Dauer bestehenden Unmöglichkeit, nach Syrien zurückzukehren, wie bei der vom Verwaltungsgerichtshof ergangenen Entscheidung ein atypischer Ausnahmefall vor, so dass die begehrte Aufenthaltsbefugnis gleichwohl zu erteilen sei. Ob der genannten Rechtsprechung des Baden-Württembergischen Verwaltungsgerichtshofes zu folgen ist und ob die dort zu Art. 6 GG entschiedene Fallgestaltung mit der bei den Klägern vorliegenden zu vergleichen ist, braucht in diesem Prozesskostenhilfeverfahren nicht geklärt zu werden; denn im Verfahren der Prozesskostenhilfe sind schwierige Rechtsfragen wie hier die mögliche Überwindung des Regelversagungsgrundes des § 7 Abs. 2 Nr. 2 AuslG nicht zu klären (vgl. BVerfG, Beschl. v. 5.2.2003, aaO). Vielmehr wird diese Frage (nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe) durch das Verwaltungsgericht im Hauptsacheverfahren zu klären sein.

8

Schließlich spricht hier für eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe auch, dass nach der Ziffer 6 des (ermessenbindenden) Erlasses des Niedersächsischen Innenministeriums vom 20. Februar 2003 - 45.11-12235/12-8 VS - NfD - auf der Grundlage des § 30 Abs. 4 i. V. m. § 39 Abs. 1 AuslG Staatenlosen, deren Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland auch auf längere Sicht nicht beendet werden kann - dies dürfte bei den Klägern, sollte sich auch bei ihnen wie im Regelfall eine Wiedereinreise nach Syrien tatsächlich als nicht möglich erweisen, der Fall sein -, eine Aufenthaltsbefugnis als Ausweisersatz erteilt werden kann. Allerdings konnte bei Erlass des Widerspruchsbescheides vom 23. April 2004 die Widerspruchsbehörde aufgrund der in Bezug auf die (angebliche) türkische Staatsangehörigkeit der Kläger noch nicht durchgeführten Abklärung eine (weitere) Prüfung dieser Anspruchsgrundlage für eine Aufenthaltsbefugnis unterlassen, weil nach dem Erlass vom 20. Februar 2003 die Erteilung der Aufenthaltsbefugnis grundsätzlich dann ausgeschlossen ist, wenn der Ausländer seine ungeklärte Identität in vorwerfbarer Weise zu vertreten hat. Den Klägern kann aber, wie eingangs ausgeführt, seit Mitte Mai 2004 nicht mehr vorgehalten werden, insoweit ihren Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen zu sein. Der Beklagte, der auf diesen Aspekt trotzt eines entsprechenden Hinweises auf das von den Klägern in ihrer Beschwerdebegründung in Bezug genommene Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover vom 21. Juli 2003 - 6 A 3718/00 - in seiner Beschwerdeerwiderung vom 23. August 2004 nicht eingegangen ist, wird daher zu prüfen haben, ob nicht eine Erteilung der Aufenthaltsbefugnis an die Kläger als Ausweisersatz zumindest nach der genannten Erlassbestimmung in Betracht kommt. Erscheint aber zum jetzigen Zeitpunkt mangels entsprechender Ermessenserwägungen des Beklagten der Erlass eines Bescheidungsurteils nach § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO möglich, so muss auch dies dazu führen, dass den Klägern - ab 14. Mai 2004 - die begehrte Prozesskostenhilfe zu bewilligen ist.

9

Nach § 166 VwGO i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO werden außergerichtliche Kosten nicht erstattet.

10

Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO nicht anfechtbar.