Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 24.08.2004, Az.: 7 MN 177/04
Einstweiliger Rechtsschutz gegen eine auf das Ladenschlussgesetz (LadSchlG) gestützte Verordnung; Einstweilige Anordnung auf Aussetzung einer bereits in Kraft gesetzten Norm; Begriff der "ähnlichen Veranstaltung"; Voraussetzungen der Annahme besonderer Anziehungskraft einer Veranstaltung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 24.08.2004
- Aktenzeichen
- 7 MN 177/04
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2004, 34883
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2004:0824.7MN177.04.0A
Rechtsgrundlagen
- § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 LadSchlG
- § 14 Abs. 1 LadSchlG
- § 14 Abs. 2 LadSchlG
- § 47 Abs. 6 VwGO
Fundstellen
- GewArch 2005, 44-45
- KommJur 2005, 27-28
- NVwZ 2005, 172-173 (Volltext mit amtl. LS)
- NVwZ-RR 2005, 172-173 (Volltext mit amtl. LS)
Verfahrensgegenstand
Verordnung über verkaufsoffene Sonntage im Leine-Center Laatzen -Einstweilige Anordnung im Normenkontrollverfahren-
In der Verwaltungsrechtssache
hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht - 7. Senat -
am 24. August 2004
beschlossen:
Tenor:
Der Vollzug der Verordnung der Antragsgegnerin vom 30. April 2004 über die Öffnung der Verkaufsstellen im Leine-Center in der Stadt Laatzen anlässlich der "Laatzener Autoparade" am 5. September 2004 wird ausgesetzt.
Im Übrigen wird das Verfahren eingestellt.
Die Kosten des Verfahrens tragen Antragstellerin und Antragsgegnerin jeweils zur Hälfte.
Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 4.000,-- Euro festgesetzt.
Gründe
Soweit die angegriffene Verordnung die Öffnung der Verkaufsstellen am 4. Juli 2004 anlässlich der Aktion "Ab in die Mitte" betrifft, ist das Verfahren einzustellen, nachdem es die Beteiligten mit Schriftsätzen vom 29. Juni und 1. Juli 2004 übereinstimmend für erledigt erklärt haben.
Im Übrigen hat der Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO Erfolg.
Der Senat kann auf Antrag die Anwendung der auf § 14 Abs. 1 und 2 LadSchlG gestützten Verordnung der Antragsgegnerin vorläufig außer Vollzug setzen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist (§ 47 Abs. 6 VwGO). Da sich der Wortlaut des § 47 Abs. 6 VwGO an die Bestimmung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach dem Bundesverfassungsgerichtsgesetz (§ 32 BVerfGG) anlehnt, sind die vom Verfassungsgericht hierzu entwickelten Grundsätze auch bei der Anwendung des § 47 Abs. 6 VwGO heranzuziehen. Danach ist bei der Prüfung, ob eine einstweilige Anordnung auf Aussetzung einer bereits in Kraft gesetzten Norm geboten ist, ein besonders strenger Maßstab anzulegen. Bei der Entscheidung haben die Gründe, welche der Antragsteller für die Rechtswidrigkeit der angegriffenen Vorschrift anführt, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Erfolgsaussichten in der Hauptsache lassen sich bereits mit hinreichender Klarheit beurteilen. Abgesehen von diesem Ausnahmefall der Offensichtlichkeit sind allein die Folgen abzuwägen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Normenkontrollantrag später aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Normenkontrollantrag aber erfolglos bliebe (vgl. Bad.-Württ. VGH, Beschl. v. 18. 12. 2000 - 1 S 1763/00-, NVwZ 2001, 827 m.w.N.).
Der Normenkontrollantrag ist - soweit er noch zur Entscheidung steht - aller Voraussicht nach ebenso zulässig wie der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Dabei geht der Senat davon aus, dass die Antragstellerin von ihrem Arbeitgeber - wie dieser mitgeteilt hat - zur Arbeit am Sonntag, den 5. September 2004 herangezogen werden soll.
Der Antrag ist auch begründet.
Die einstweilige Anordnung ist aus wichtigen Gründen dringend geboten, weil offensichtlich ist, dass die Antragstellerin im Hauptsacheverfahren Erfolg haben wird und unter diesen Umständen ihr Interesse an einer für sie günstigen vorläufigen Regelung den Vorzug verdient.
Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 LadSchlG dürfen abweichend von der Vorschrift des § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 (Ladenschluss an Sonn- und Feiertagen) Verkaufsstellen aus Anlass von Märkten, Messen oder ähnlichen Veranstaltungen an jährlich höchstens 4 Sonn- und Feiertagen geöffnet sein. Diese Tage werden von den Gemeinden durch Rechtsverordnung freigegeben (§ 14 Abs. 1 Satz 3 LadSchlG, § 1 ZustVOGewAR 2001 i.V.m. Nr. 4.5 der Anlage 2).
Das Kennzeichen der den Märkten und Messen gleichgestellten "ähnlichen Veranstaltungen" ist (ebenfalls), dass sie einen beträchtlichen Besucherstrom anziehen und aus diesem Grunde Anlass bieten, die Offenhaltung von Verkaufsstellen abweichend von § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LadSchlG freizugeben (vgl. BVerwG, Beschl. v. 18.12.1989 - 1 B 153.89 -, GewArch 1990, 143 unter Bezugnahme auf Wortlaut und Entstehungsgeschichte, BR-Drs. 310/54, S. 23 f; ferner Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit, BT-Drs. 2/2810, S. 5). Der angezogene Besucherstrom muss durch die Veranstaltung als solche ausgelöst werden. Es genügt nicht, dass die Besucher erst durch die Offenhaltung von Verkaufsstellen angelockt werden und die Veranstaltungen "begleitend" durchgeführt werden. Deshalb scheiden Veranstaltungen zur Einführung allgemeiner Verkaufssonntage und vergleichbare Veranstaltungen von lokaler Bedeutung aus, die den Zweck des Ereignisses erst begründen. Dies ist der Hintergrund, wenn in Zweifelsfällen mit Merkmalen wie "Tradition" oder "überörtliche Bedeutung" Definitionshilfen gegeben werden. Das bedeutet andererseits nicht, dass nur seit Jahren durchgeführte Traditionsveranstaltungen zu den "ähnlichen Veranstaltungen"zu rechnen sind. Denn der Zweck des § 14 LadSchlG besteht darin, den Bedürfnissen eines aus anderem anerkannten Anlass resultierenden beträchtlichen Besucherstroms Rechnung zu tragen und dem Einzelhandel durch die Einbeziehung der Verkaufsstellen in die Veranstaltung die Möglichkeit zu geben, den Besucherandrang geschäftlich zu nutzen. Insbesondere bei Märkten und Messen dient die Regelung damit zugleich der Gleichbehandlung von örtlichen Verkaufsstellen und Veranstaltungsbeschickern. Darüber hinaus soll dem Versorgungsbedürfnis der auswärtigen Besucher des Veranstaltungsortes Rechnung getragen werden. Die Belange des Schutzes des Verkaufspersonals kommen in der zeitlichen und gegenständlichen Beschränkung und der Höchstzahl der freigabefähigen Tage zum Ausdruck (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 21.3.2001 - 7 K 707/00 -, GewArch 2001, 259; Urt. v. 18. 7. 2002 - 7 KN 88/02 -, NdsVBl. 2002, 288; OVG Bremen, Urt. v. 4.9.2001 - 1 D 307/01 -, GewArch 2001, 472 m.w.N.).
Gemessen an diesen Voraussetzungen ist die angegriffene Verordnung insoweit mit den Bestimmungen des Ladenschlussgesetzes unvereinbar, als die Öffnung der Verkaufsstellen am Sonntag, dem 5. September 2004 anlässlich der "Laatzener Autoparade" zugelassen wird. Es handelt sich bei dieser Veranstaltung insbesondere darum, dass verschiedene Autohäuser der Region (wohl über 15) jeweils einige Modelle im Umfeld des Leine-Centers präsentieren wollen. Daneben werden einige sich überwiegend an Kinder wendende Aktivitäten angeboten.
Es fehlt an hinreichenden Anhaltspunkten dafür, dass die Veranstaltung als solche von so eigenständiger und erheblicher Bedeutung ist, dass sie bei objektiver Betrachtung geeignet erscheint, einen starken Besucherstrom und ein entsprechendes Bedürfnis nach verlängerten Ladenöffnungszeiten hervorzurufen. Das Ausstellen von Kraftfahrzeugen am Sonntag auch in geöffneten Schauräumen ist im Autohandel heute weithin üblich und stellt als solches keine besondere Attraktion dar. Zwar soll hier ein markenübergreifendes Angebot in engen räumlichen Zusammenhang vorgestellt werden, welches aber in der Breite die verschiedenen Automarken nur unvollständig repräsentiert. Die ferner vorgesehenen Aktivitäten sind nach Art und Umfang ebenfalls nicht von solchem Gewicht, dass sie unabhängig von einer Öffnung der Verkaufsstellen eine erhebliche Zahl von Besuchern auch aus dem Umland erwarten lassen und es deshalb gerechtfertigt wäre, sämtlichen wohl über 70 Verkaufsstellen im Leine-Center die Möglichkeit der Öffnung am Sonntag zu geben. Vielmehr sollen die Spiele und Aktionen offenkundig auch die Offenhaltung der Verkaufsstellen begleiten und Besucher in die Geschäfte locken. Im Übrigen sprechen auch die von der Antragsgegnerin mitgeteilten Zahlen gegen einen von der "Autoparade" ausgelösten beträchtlichen Besucherstrom. Wenn das Leine-Center an "normalen" Tagen 20.000 bis 25.000 Besucher verzeichnet, würde eine Zahl von 25.000 bis 30.000 Besuchern, wie sie an verkaufsoffenen Sonntagen festgestellt wurden und offenbar auch an dem streitigen Tag erwartet werden, nicht den Schluss auf die besondere Anziehungskraft der Veranstaltung selbst erlauben. Vielmehr deutet alles darauf hin, dass ein Besucherandrang vornehmlich durch das Offenhalten der Verkaufsstellen bewirkt wird.
Da der Antrag der Antragstellerin in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg hat, hat die Antragsgegnerin als Unterlegene insoweit die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 1 VwGO). Was den erledigten Teil angeht, entspricht es demgegenüber billigem Ermessen im Sinne des § 161 Abs. 2 VwGO, der Antragstellerin die Verfahrenskosten mit der Folge der hälftigen Teilung der Gesamtkosten (§ 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO) aufzuerlegen. Hinsichtlich der am 4. Juli 2004 ermöglichten Sonntagsöffnung wäre die Antragstellerin voraussichtlich unterlegen. Sie hatte einen Nachteil nicht zu befürchten, denn ihr Arbeitgeber sah sich infolge verweigerter Zustimmung des Betriebsrats zu einer Öffnung an diesem Tag nicht in der Lage; eine Heranziehung zur Dienstleistung war für die Antragstellerin mithin nicht absehbar. Hätte der Senat auch die Begründetheit des Antrags in den Blick zu nehmen gehabt, wäre er zu einer anderen, der Antragstellerin günstigen Beurteilung nicht gelangt. Insoweit hätte sich eine offensichtliche Begründetheit des Antrags in der Hauptsache in diesem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ebenso wenig feststellen lassen wie seine offensichtliche Unbegründetheit. Die deshalb erforderliche Abwägung hätte ergeben, dass der Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung insoweit nicht dringend geboten war. Bei einer Unwirksamkeit der Verordnung hätte die Antragstellerin ohne öffentlich-rechtliche Grundlage eine fünfstündige zusätzliche Arbeitsleistung zu erbringen gehabt. Gründe dafür, aus zwingenden persönlichen Gründen auf gerade diesen Zeitabschnitt als frei verfügbare Zeit angewiesen zu sein, hat sie nicht vorgetragen. Die Mehrarbeit wäre ihr gemäß den einschlägigen tariflichen Bestimmungen vergütet worden. Würde sich die angefochtene Verordnung insoweit als rechtmäßig erweisen, hätten demgegenüber die Inhaber der Verkaufsstellen bei Aussetzung der Vollziehung einen erheblichen Schaden erlitten, da die ihnen an diesem Tag entgangenen Einnahmen nicht ersetzt würden (vgl. Senat, Beschl. v. 02.06.1999 - 7 M 1875/99 -, NdsVBl. 1999, 296 = GewArch 1999, 425). Außerdem hätte dem Versorgungsbedürfnis der Besucher der Veranstaltungen an diesem Tag nicht Rechnung getragen werden können, das als vorhanden vorausgesetzt wird, wenn eine "ähnliche Veranstaltung" im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 1 LadSchlG vorliegt. Bei Abwägung dieser Gesichtspunkte hätte der Senat schwerwiegende Gründe, die eine einstweilige Anordnung bezogen auf die Sonntagsöffnung am 4. Juli 2004 unabweisbar gemacht hätten, nicht zu erkennen vermocht.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG a.F.).
Streitwertbeschluss:
Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 4.000,-- Euro festgesetzt.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 20 Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG (a.F.).
Bremer
Volk