Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 07.07.2008, Az.: 7 B 1835/08
Alkohol; Alkoholmissbrauch; BAK; Eignung; Ereignis; Fahrt; Fahrt; Fahrzeug; Feststellung; Führer; Gewöhnung; Gutachten; Kraftfahreignung; Kraftfahrzeug; krank; medizinisch-psychologisches Gutachten; Missbrauch; Promille; Sport; Trunkenheit; Veranstaltung; Verkehr
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 07.07.2008
- Aktenzeichen
- 7 B 1835/08
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2008, 55104
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 11 Abs 3 S 1 Nr 4 FeV
- § 13 S 1 Nr 2 Buchst e FeV
- § 13 S 1 Nr 2 Buchst a FeV
- § 123 Abs 1 S 1 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Eine einzelne Trunkenheitsfahrt mit 0,9 Promille kann nur bei Hinzutreten erheblicher weiterer Umstände Grund sein, eine medizinisch-psychologische Untersuchung nach § 13 Satz 1 Nr. 2 a) oder e) FeV anzuordnen.
2. Sie kann aber je nach ihren konkreten Umständen Anlass sein, nach Ermessensausübung ein medizinisch-psychologisches Gutachten nach § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 FeV anzuordnen.
Gründe
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig, aber unbegründet.
Das Verfahren nach § 123 VwGO ist für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes statthaft, da das Begehren des Antragstellers in der Hauptsache - Erteilung einer Fahrerlaubnis der Klassen B, M, L und S - mit der Verpflichtungsklage zu verfolgen ist.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Dem Wesen und Zweck einer einstweiligen Anordnung entsprechend kann das Gericht in diesem Verfahren grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und dem Antragsteller nicht schon in vollem Umfang, wenn auch nur auf beschränkte Zeit oder unter Vorbehalt einer Entscheidung in der Hauptsache, zusprechen, was er nur in einem Hauptsacheprozess erreichen könnte (Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache). Im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG gilt dies nur dann nicht, wenn eine bestimmte Regelung zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist, d.h. wenn die sonst zu erwartenden Nachteile für den Antragsteller unzumutbar wären und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg auch in der Hauptsache spricht (s. Kopp/Schenke, Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung, 15. Auflage 2007, § 123 Rz. 14). Zumindest die letztgenannte Voraussetzung ist bei den Begehren des Antragstellers nicht erfüllt.
Der Antragsteller hat keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Es besteht bei der im Rahmen der vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage keine überwiegende Wahrscheinlichkeit (vgl. zum Maßstab Kopp/ Schenke, a.a.O., § 123 Rn. 23) dafür, dass ihm ein Anspruch auf Erteilung einer Fahrerlaubnis der Klassen B, M, L und S zusteht.
Zwar hat die Kammer- im Gegensatz zur Antragsgegnerin - erhebliche Bedenken, ob tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme nahe legen, dass beim Antragsteller der Eignungsmangel "Alkoholmissbrauch" (§ 11 Abs. 1 S. 2 Fahrerlaubnisverordnung (FeV) i.V.m. Ziff. 8.1 der Anl. 4 zur FeV) vorliegt. Dies kann jedoch dahin stehen. Denn es bestehen jedenfalls Anhaltspunkte dafür, dass beim Antragsteller ein Eignungsmangel nach der Generalklausel (§ 2 Abs. 4 S. 1 StVG, § 11 Abs. 1 S. 1 FeV) vorliegt, nämlich ein eklatanter Mangel der Fähigkeit, die eigene Fahrtüchtigkeit einschätzen zu können.
Nach § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 StVG ist die Fahrerlaubnis nur zu erteilen, wenn der Bewerber zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet ist. Die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen setzt nach § 2 Abs. 4 S. StVG und § 11 Abs. 1 S. 1 FeV insbesondere voraus, dass die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllt sind. Nach der jetzigen Fassung des § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 StVG muss die Eignung des Fahrerlaubnisbewerbers positiv feststehen. Die Nichtfeststellbarkeit der Eignung geht also zu Lasten des Bewerbers (Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl., § 2 StVG Rn. 7). Insofern unterscheidet sich der Prüfungsmaßstab des vorliegenden Falles vom Prüfungsmaßstab bei der Anfechtung einer Fahrerlaubnisentziehung, wo die Nichteignung feststehen muss (vgl. Hentschel, a.a.O., § 3 StVG Rn. 3 und § 11 FeV Rn. 23).
Gemäß § 11 Abs. 1 S. 2 FeV fehlt die Kraftfahreignung insbesondere, wenn ein Mangel nach Anlage 4 zur FeV vorliegt. Nach Ziff. 8. 1 der Anlage 4 zur FeV fehlt es bei Alkoholmissbrauch an der Kraftfahreignung. Die Vorschrift definiert Alkoholmissbrauch folgendermaßen: „Das Führen von Kraftfahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum kann nicht hinreichend sicher getrennt werden.“
Die Antragsgegnerin begründet ihren Ablehnungsbescheid vom 22. Mai 2008 damit, dass beim Antragsteller tatsächliche Anhaltspunkte für Alkoholmissbrauch vorlägen und er ihrer Anordnung vom 7. Juni 2007, gemäß § 13 S. 1 Nr. 2 a) FeV zur Aufklärung dieser Eignungszweifel ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, nicht nachgekommen ist. Daher hätten die Zweifel an der Kraftfahreignung des Antragstellers nicht ausgeräumt werden können; gem. § 11 Abs. 8 S. 1 FeV schließe sie aus der Weigerung des Antragstellers, sich untersuchen zu lassen, auf seine Nichteignung.
Dies ist nur wohl im Ergebnis zutreffend. Die Kammer hat erhebliche Bedenken, ob die Voraussetzungen des § 13 S. 1 Nr. 2 a) 2. Alt. FeV hier vorliegen. Es dürften hier wohl keine Tatsachen bestehen, die im Hinblick auf den Antragsteller die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen. Allerdings bestehen unter einem anderen Gesichtspunkt Zweifel an der Kraftfahreignung des Antragstellers. Solange diese nicht vollständig ausgeräumt sind, scheidet die Erteilung einer Fahrerlaubnis aus.
Konkrete Tatsachen im Sinne des § 13 S. 1 Nr. 2 a) 2. Alt. FeV, die Alkoholmissbrauch nahe legen, dürften nicht vorliegen. Zur Auslegung des § 13 S. 1 Nr. 2 a) 2. Alt. FeV hat die Kammer im Urteil vom 15. Januar 2003, 7 A 500/01 ausgeführt:
„Bei der Anwendung des Auffangtatbestandes des § 13 Nr. 2a 2. Fall FeV muss im Hinblick auf die Sonderregelung des § 13 Nr. 2 c) FeV allerdings bei einmaligen Alkoholfahrten mit Blutalkoholkonzentrationen von unter 1,6 g Promille beachtet werden, dass weitere konkrete Anhaltspunkte für einen Alkoholmissbrauch vorliegen müssen. Ihr Gewicht hat so erheblich zu sein, dass hierdurch die geringe Blutalkoholkonzentration aufgewogen wird, so dass die Fälle gleichwertig erscheinen. Die zusätzlichen Gesichtspunkte müssen um so gewichtiger sein, je weiter sich die beim Betroffenen festgestellte Blutalkoholkonzentration von dem in § 13 Nr. 2 c FeV genannten entfernt.“
Diese restriktive Auslegung wird auch von anderen Verwaltungsgericht geteilt. So heißt es beispielsweise im Urteil des VG München vom 12. Dezember 2003, M 6a K 02.3498, juris Rn. 34:
„Der Kläger hat […] ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,13 Promille geführt. Dieser Umstand könnte zwar für sich allein nicht genügen, um die Annahme von Alkoholmissbrauch im Sinne von § 13 Nr. 2 a FeV zu begründen, weil andernfalls die strengen Voraussetzungen des § 13 Nr. 2 b und § 13 Nr. 2 c FeV umgangen würden. Diese Vorschriften zeigen, dass Alkoholauffälligkeiten im Straßenverkehr - ohne Vorliegen weiterer Umstände - erst dann die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen, mithin die Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens rechtfertigen sollen, wenn entweder wiederholte Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen wurden, d. h. mindestens zweimal eine Blutalkoholkonzentration von 0,5 Promille oder eine Atemalkoholkonzentration von 0,25 mg/l oder mehr festgestellt worden ist (vgl. § 24a StVG) oder wenn einmal ein Fahrzeug bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr geführt worden ist.“
Die Annahme von Alkoholmissbrauch im Sinne des § 13 S. 1 Nr. 2 a) 2. Alt. FeV verlangt daher nach der Rechtsprechung des Niedersächsischen OVG “deutliche Indizien für eine weit überdurchschnittliche Alkoholgewöhnung des Betroffenen […] und außerdem weitere tatsächliche Umstände […], die die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen” (Beschluss vom 29. Januar 2007, 12 ME 416/06, juris); es muss ein auf Tatsachen gestützter Verdacht vorliegen, dass der Betroffene “häufig und in großen Mengen Alkohol zu sich nimmt und entsprechend weit überdurchschnittlich an Alkohol gewöhnt ist.” (Beschluss vom 24. November 2004, 12 ME 418/04, juris; ähnlich auch Beschluss vom 6. März 2008, 12 ME 377/07 - "Neigung, häufig und in großen Mengen Alkohol zu konsumieren" -; Beschluss vom 29. Januar 2007, 12 ME 416/06, juris sowie OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 11. September 2006, 10 B 10734/06, juris; VG München, Gerichtsbescheid vom 25. April 2007, M 6a K 06.4681, juris).
Allerdings kann schon die Feststellung einer, jedenfalls aber mehrerer schwerer Alkoholisierungen Anlass zu der Annahme geben, dass bei der betreffenden Person eine weit überdurchschnittliche Alkoholgewöhnung vorliegt. Diese Feststellung kann die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen und Anlass zur Anordnung der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens über die Fahreignung geben, wenn weitere tatsächliche Umstände hinzukommen, die den Verdacht begründen, dass der Betroffene den Konsum und die Teilnahme am Straßenverkehr nicht zuverlässig zu trennen vermag. Das kann der Fall sein bei einem Berufskraftfahrer, der in einen Dauerkonflikt gerät zwischen der Neigung, häufig und in großen Mengen Alkohol zu konsumieren, und seiner Verpflichtung, seinen Beruf in fahrtüchtigem Zustand auszuüben (Nds. OVG, Beschluss vom 6. März 2008, 12 ME 377/07).
An diesen Maßstäben gemessen, liegen die Voraussetzungen des § 13 S. 1 Nr. 2 a) 2. Alt. FeV hier wahrscheinlich nicht vor. Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller häufig übermäßig Alkohol konsumiert oder eine überdurchschnittliche Alkoholgewöhnung aufweist, liegen nicht vor. Dass bloße einmalige Führen eines Kraftfahrzeuges mit einer BAK von 0,8 bis 0,9 Promille rechtfertigt diese Annahme allein - wie ausgeführt - noch nicht. Es müssen zusätzliche Gesichtspunkte hinzutreten, die nach der oben zitierten Rechtsprechung der Kammer hier, wo die BAK nur gut die Hälfte des in § 13 S. 1 Nr. 2 c) FeV genannten Wertes von 1,6 Promille beträgt, ganz erheblich schwer wiegen müssten. Die hinzugetretenen alkoholbedingten Fahrfehler reichen hierfür nicht aus. Im Gegenteil: Dass der Antragsteller bereits bei einem so niedrigen, deutlichen unter den für absolute Fahruntüchtigkeit erforderlichen 1,1 Promille liegenden Wert Fahrfehler begeht, spricht sogar eher für eine unter durchschnittliche Alkoholgewöhnung.Dass die Polizeibeamten außerhalb des Verkehrs keine Ausfallerscheinungen beim Antragsteller feststellten, sondern dieser klar sprechen und denken konnte, deutet bei einer so niedrigen BAK ebenfalls nicht mit erheblichem Gewicht auf eine erhöhte Alkoholgewöhnung hin. Das Trinkverhalten des Antragstellers am Vorabend der Tat, auf das sich die Antragsgegnerin des weiteren stützte, ist ebenfalls kein erhebliches Indiz für einen starken regelmäßigen Alkoholkonsum über eine gewisse Dauer. Dabei kommt es nicht darauf an, ob man der Schilderung des Antragstellers oder der Schilderung der Antragsgegnerin hinsichtlich des Ablaufs des Vorabends folgt.
Der Antragsteller gibt an, er habe am Vorabend des 5. Juli 2006 zwischen 19 Uhr und 22:30 Uhr in einer Gaststätte während des Fußballländerspiels Deutschland - Italien (Halbfinale der FIFA-Weltmeisterschaft 2006) sechs bis sieben Bier à 0,3 l getrunken. Unmittelbar nach dem Spiel sei er zu Fuß nach Hause gegangen, habe dreieinhalb bis vier Stunden geschlafen und sei dann zu der berufsbedingten Fahrt mit dem Kraftfahrzeug aufgebrochen, in deren Verlauf er um 3:35 Uhr in Hamburg von der Polizei wegen Trunkenheit im Verkehr angehalten wurde.
Die Antragsgegnerin stützt sich auf eine abweichende Angabe über die Trinkzeit im polizeilichen Blutentnahmeprotokoll und geht daher davon aus, dass die sechs bis sieben Bier zwischen 19 Uhr und 20:30 konsumiert wurden. Aus dem Ergebnis der gegen 5 Uhr früh entnommenen Blutprobe rechnete sie bei einem angenommenen Trinkende von 20:30 Uhr eine BAK von 1,6 Promille für den Vorabend zurück.
Eine solche BAK rechtfertigt aber, wie § 13 S. 1 Nr. 2 c) FeV zeigt, nur dann für sich allein die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens, wenn mit ihr ein Kraftfahrzeug geführt wird. Dies hat der Antragsteller aber nicht getan. Sein Gesamtverhalten am Vorabend deutet - unabhängig davon, von welcher Variante man ausgeht - sicherlich auf einen gelegentlichen starken Alkoholkonsum zu besonderen Ereignissen - insbesondere Sportveranstaltungen - hin. Angesichts der Tatsache, dass der Kläger ansonsten nach Aktenlage noch nie mit Alkohol auffällig wurde - weder innerhalb noch außerhalb des Straßenverkehrs - deutet aber nichts darauf hin, dass ein solcher Alkoholkonsum bei ihm über eine gewisse Dauer regelmäßig erfolgte. Mit dem Fußballländerspiel liegt vielmehr ein Anlass vor, der es glaubhaft macht, dass hier eine Ausnahmesituation gegeben war. Es liegt hier keine Fallkonstellation vor, in der schon die einmalige schwere Alkoholisierung am Vorabend der Trunkenheitsfahrt einen Rückschluss auf eine Neigung, häufig und in großen Mengen Alkohol zu konsumieren, zulässt.
Dies zeigt überdies auch ein Vergleich des hier vorliegenden Sachverhaltes mit den Fällen, in denen die Rechtsprechung bisher § 13 S. 1 Nr. 2 a) 2. Alt. FeV bejaht hat. Es ging dort entweder um Trunkenheitsfahrten mit Alkoholisierungsgraden nahe der 1,6 Promille zu Tageszeiten, an denen eine starke Alkoholisierung unüblich ist (so in den Fällen VG Oldenburg, Urteil vom 15. Januar 2003, 7 A 500/01, VG München, Gerichtsbescheid vom 25. April 2007, M 6a K 06.4681, juris; VG München, Urteil vom 12. Dezember 2003, M 6a K 02.3498. juris), oder um Fälle in denen Personen, die vor vielen Jahren eine oder mehrere Trunkenheitsfahrten begangen hatten, nun in anderem Zusammenhang mit Alkohol auffällig werden, wobei entweder die Häufigkeit der Vorfälle oder eine von normalen Konsumenten kaum zu erreichende BAK auf ein Alkoholproblem hindeuteten (so in den Fällen Nds. OVG, Beschluss vom 6. März 2008, 12 LA 404/07; Beschluss vom 24. November 2004, 12 ME 418/04, juris; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 11. September 2006, 10 B 10734/06, juris). Als nicht ausreichend sah es dagegen zum Beispiel der Bayerische VGH an, wenn jemand, der vor mehreren Jahren ein Kraftfahrzeug mit 1,18 Promille geführt hatte, nun ohne Verkehrsbezug um 7 Uhr morgens eine einer BAK von 2,58 Promille entsprechende Atemalkoholkonzentration aufweist (BayVGH, Beschluss vom 12. April 2006, 11 ZB 05.3395, juris). Eine einmalige Trunkenheitsfahrt mit 0,8 bis 0,9 Promille um 3 Uhr morgens nach einem Fußballländerspiel durch eine Person, die sonst noch nie alkoholauffällig wurde, ist damit nicht vergleichbar.
Auch auf § 13 S. 1 Nr. 2 e) FeV kann die Gutachtenanforderung nicht gestützt werden. „Eine Auslegung des § 13 Nr. 2 e FeV dahin, dass ein früherer Alkoholmissbrauch schon für sich allein, also ohne Hinzutreten auf seine Fortdauer hindeutender konkreter Umstände, die Behörde zur Anforderung eines medizinisch-psycholigschen Gutachtens zwingt, stünde nämlich mit der Regelung in § 13 Nr. 2 c FeV in Widerspruch, nach der diese Folge nur bei einer Trunkenheitsfahrt mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr vorgesehen ist.“ (BayVGH, Beschluss vom 12. April 2006, 11 ZB 05.3395, juris, Rn. 12). Hier gibt es aber - wie soeben ausgeführt - keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Vorfall vom 5. Juli 2006 auf einen fortdauernden Alkoholmissbrauch hindeutet.
Das Fehlen von Anhaltspunkten für Alkoholmissbrauch führt aber dennoch nicht dazu, dass der Antragsteller einen Anspruch auf Erteilung der Fahrerlaubnis glaubhaft gemacht hat. Denn selbst wenn man den von ihm geschilderten Ablauf des Vorabends der Tat zugrunde legt, begründet dies allgemeine, nicht unter den Begriff des Alkoholmissbrauchs zu fassende Eignungszweifel.
Wie die Formulierung „insbesondere“ in § 11 Abs. 1 S. 2 FeV zum Ausdruck bringt, kann die Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeuges auch dann fehlen, wenn kein Mangel nach Anl. 4 zur FeV vorliegt. Die Anl. 4 zur FeV enthält keine abschließende, sondern nur eine beispielhafte Aufzählung der die Eignung ausschließenden Umstände (vgl. Hentschel, a.a.O., § 11 FeV Rn. 7). Zur Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen gehört nach den Generalklauseln § 2 Abs. 4 StVG, § 11 Abs. 1 S. 1 FeV insbesondere auch die notwendige charakterliche Zuverlässigkeit (Hentschel, a.a.O., § 2 StVG Rn. 7, 12). Ein Gutachten darf angefordert werden, wenn bei vernünftiger, lebensnaher Einschätzung die ernsthafte Besorgnis begründet ist, dass der Betroffene sich als Führer eines Kraftfahrzeugs nicht verkehrsgerecht umsichtig verhalten werde, was es auf der anderen Seite ausschließt, jeden Umstand, der auf die entfernt liegende Möglichkeit eines Eignungsmangels hindeutet, als hinreichenden Grund für die Anforderung eines Gutachtens anzusehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Juli 2001, 3 C 13/01, DAR 2001, 522).
Der konkrete Ablauf des Abends des 4. Juli 2006 und des frühen Morgens des 5. Juli 2006 begründen die ernsthafte Besorgnis, dass der Antragsteller sich als Führer eines Kraftfahrzeuges nicht verkehrsgerecht umsichtig verhalten wird. Sein Verhalten im Vorfeld der Trunkenheitsfahrt deutet darauf hin, dass er die Anforderungen, die die Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr stellt, und seine Fähigkeit, diese Anforderungen in der konkreten Situation zu erfüllen, in erheblichem Maße nicht richtig einzuschätzen weiß.
Da der Antragsteller bereits um 3:35 Uhr in Hamburg war, muss er angesichts der Entfernung von ca. 135 km zwischen Delmenhorst und Hamburg circa gegen 2 Uhr bis spätestens 2:30 Uhr losgefahren sein. Er hat also nach Spielende um 22:30 Uhr wohl sogar eher etwas weniger als die von ihm angegebenen dreieinhalb bis vier Stunden geschlafen; keinesfalls aber mehr.
Bei einer Person, die zwischen 19 Uhr und 22:30 Uhr sechs bis sieben Bier - also circa ein Bier alle halbe Stunde - trinkt, und dann nach maximal vierstündigem Schlaf gegen 2:30 Uhr mit einem Kraftfahrzeug zu einer Fernfahrt von über 100 km aufbricht, in der Annahme, der Alkohol sei nun ausreichend abgebaut (Einlassung des Antragstellers vom 2. Juli 2007, Bl. 63 der Beiakte A), und in dem subjektiven Gefühl, fahrtüchtig zu sein (Einlassung des Antragstellers über seinen Verteidiger im Strafverfahren, Bl. 59 der Beiakte A), bestehen begründete Zweifel daran, ob sie mit der erforderlichen Sicherheit abzuschätzen kann, wann sie zum sicheren Führen eines Kraftfahrzeuges in der Lage ist und wann nicht. Denn die Fehleinschätzung der eigenen Fahrtüchtigkeit ist hier so eklatant, dass sie das „Normalmaß“ einer fahrlässigen Trunkenheitsfahrt im unteren Promillebereich erheblich überschreitet.
Dies gilt umso mehr, als nichts darauf hindeutet, dass es sich bei der berufsbedingten Fahrt um ein überraschendes, am Vorabend für den Antragsteller noch nicht vorhersehbares Ereignis gehandelt hat. Seine gesamte Einlassung deutet vielmehr darauf hin, dass er bereits während des Fußballspiels wusste, dass er nur wenige Stunden nach Mitternacht zu einer Fernfahrt mit dem Kraftfahrzeug aufbrechen würde, und er es trotzdem nicht als erforderlich ansah, seinen Alkoholkonsum zu mäßigen und für ausreichenden Schlaf zu sorgen.
Diese Kombination von bewusstem starkem Alkoholkonsum nur wenige Stunden vor Antritt einer Fernfahrt und bewusst in Kauf genommenem Schlafmangel, die schließlich zu erheblichen Fahrfehlern auf der Autobahn führte (ihre Erklärung durch den Kläger Bl. 59 Beiakte A überzeugt nicht - vgl. den Strafbefehl des AG Hamburg-Altona vom 22. September 2006, 2208 Js 635/06), weckt Zweifel an der Kraftfahreignung des Antragstellers. Die Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen, dass der Antragsteller sich auch in Zukunft bei einem ähnlichen Anlass wieder so verhalten und seine Fähigkeiten im Straßenverkehr grob überschätzen könnte.
Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Antragsteller vor der Trunkenheitsfahrt bereits wegen einer Vielzahl von Ordnungswidrigkeiten einen Punktestand von 11 Punkten erreicht hatte. Durch die gemäß § 40 FeV i. V.m. Ziff. 1.2 Anl. 13 zur FeV mit sieben Punkten zu bewertende Verurteilung nach § 136 StGB hätte er eigentlich 18 Punkte erreicht. Er würde dann gemäß § 4 Abs. 3 S. 1 Nr 3 StVG kraft Gesetzes als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen gelten; eine Wiedererteilung der Fahrerlaubnis käme gemäß § 4 Abs. 10 S. 3 StVG auch nach Ablauf der Sperrfrist in aller Regel nur nach Beibringung eines Gutachtens in Betrachtet. Diese Rechtsfolge tritt hier nur deswegen nicht unmittelbar ein, weil der Antragsteller die Schwellen von 14 und 18 Punkten auf einmal überschritt und die Antragsgegnerin daher keine Gelegenheit hatte, bei Überschreiten der 14 Punkte seine Teilnahme an einem Aufbauseminar anzuordnen; daher verharrte sein Punktestand bei 17 Punkten (vgl. § 4 Abs. 5 S. 2 StVG). Derzeit beträgt sein Punktestand zwar Null, da mit Entziehung der Fahrerlaubnis durch den Strafbefehl des Amtsgerichts Hamburg-Altona alle Punkte für frühere Zuwiderhandlungen gelöscht wurden (Hentschel, a.a.O., § 4 StVG Rn. 7). Dies führt jedoch nicht zu einem Verbot, die zugrunde liegenden Verstöße bei Entscheidungen über die Fahrerlaubnis zu Lasten des Antragstellers zu berücksichtigen (vgl. Hentschel, a.a.O., § 4 StVG Rn. 8). Bei der Frage, ob Zweifel an der Kraftfahreignung bestehen, kann hier also durchaus zu Lasten des Antragstellers berücksichtigt werden, dass die Vielzahl von Ordnungswidrigkeiten und Straftaten, die er in den zwei Jahren vor dem 5. Juli 2006 im Straßenverkehr begangen hat, eigentlich einer Fahrerlaubniserteilung ohne vorheriges Eignungsgutachten entgegen stünde.
Zur Klärung dieser Eignungszweifel könnte die Antragsgegnerin nach § 11 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 FeV die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anordnen, da sie mit einer einmaligen Straftat nach § 316 StGB zusammen fallen (vgl. Hentschel, a.a.O., § 11 FeV Rn. 12 m. w. N.). Dies steht allerdings - anders als bei Anzeichen für Alkoholmissbrauch nach § 13 S. 1 Nr. 2 a) FeV - in ihrem Ermessen (vgl. Hentschel, a.a.O., § 11 FeV Rn.12). Bei Ausübung dieses Ermessens wäre auch zu berücksichtigen, dass das medizinisch-psychologische Gutachten für den Antragsteller als Empfänger von ALG II eine hohe finanzielle Belastung darstellt und - wie sich aus der Beiakte A ergibt - die Beibringung des Gutachtens bislang vor allem daran gescheitert ist. Bestehen andere, für den Antragsteller weniger belastende Möglichkeiten, die angesprochenen Eignungszweifel sicher auszuräumen, wäre ihnen nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Vorzug zu geben. Sollte dies dagegen nur mittels einer medizinisch-psychologischen Untersuchung möglich sein, kann diese trotz der finanziellen Situation des Antragstellers verlangt werden. Denn auch diese gibt ihm keinen Anspruch darauf, zum motorisierten Straßenverkehr zugelassen zu werden, bevor alle Eignungszweifel vollständig ausgeräumt sind.
Die Klärung dieser Zweifel an der Kraftfahreignung des Antragstellers muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes reicht die Feststellung aus, dass derzeit nicht ausgeräumte Zweifel bestehen. Daher besteht derzeit keine überwiegende oder gar hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Antragsteller einen Anspruch auf Erteilung der Fahrerlaubnis hat; ein Anordnungsanspruch wurde nicht glaubhaft gemacht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe war für das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gemäß § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO abzulehnen, da die Rechtsverfolgung aus den oben angeführten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg verspricht.
Die Streitwertfestsetzung beruht §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG und orientiert sich an Nr. 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004, 1327 ff.). Hiernach ist ein Wert von 5.000 Euro anzusetzen. Da im vorliegenden Eilverfahren lediglich eine vorläufige Regelung getroffen wird, ist der Wert gemäß Ziffer 1.5. des Streitwertkatalogs zu halbieren.