Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 04.07.2008, Az.: 2 B 1939/08

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
04.07.2008
Aktenzeichen
2 B 1939/08
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2008, 45696
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGOLDBG:2008:0704.2B1939.08.0A

In der Verwaltungsrechtssache

des DGB - Forum gegen Rechts -, vertreten durch Herrn K.,

Kaiserstraße 4 - 6, 26122 Oldenburg,

Antragsteller,

Proz.-Bev.: Rechtsanwältin Kaempf,

Cloppenburger Straße 14, 26135 Oldenburg, - VR 136/08-

gegen

die Stadt Oldenburg,

Pferdemarkt 14, 26105 Oldenburg, - 22 13 213-84/08 -

Antragsgegnerin,

Streitgegenstand: Versammlungsrecht,

hat das Verwaltungsgericht Oldenburg - 2. Kammer - am 4. Juli 2008 beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die im Bescheid der Antragsgegnerin vom 03. Juli 2008 (2 A 1938/08) enthaltene Auflage Nr. 1 wird mit folgenden Maßgaben wiederhergestellt:

    1. a)

      Wegstrecke/Kundgebungsart: Hauptbahnhof Oldenburg (Südseite, 12.30 Uhr) - Güterstr. - Stau - Gottorpstraße - Höhe IHK links auf die Moslestr. - Am Stadtmuseum (Seite Horst-Janssen-Museum) - Pferdemarktkreisel (gegen den Uhrzeigersinn) - Am Stadtmuseum (einbiegend auf der Fahrspur stadtauswärts) - (Zwischenkundgebung vor dem Horst-Janssen-Museum, 14.00 Uhr)- "Hertiekreuzung" - Am Stadtmuseum (Seite Hotel Acara) - 91er-Straße - Pferdemarkt (Wochenmarktgelände frühstens 15.00 Uhr) - 91er-Straße - Am Stadtmuseum (Seite Hotel Acara) - "Hertiekreuzung" - Moslestraße - Hauptbahnhof Oldenburg (Südseite) (Abschlusskundgebung).

    2. b)

      Der Demonstrationszug muss spätestens um 13.55 Uhr den Pferdemarktkreisel (Grenze: Bahnüberführung in der Straße "Am Stadtmuseum") verlassen haben.

    3. c)

      Der Versammlungsleiter hat vor Beginn der Veranstaltung die Teilnehmer in besonderem Maße auf die Notwendigkeit des Verlassens des Pferdemarktkreisels bis spätestens um 13.55 Uhr hinzuweisen.

      Im Übrigen wird der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt.

      Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

  2. 2.

    Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5 000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

1

I.

Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer versammlungsrechtlichen Auflage anlässlich einer Demonstration.

2

Der Antragsteller meldete am 23. Juni 2008 für den 5. Juli d.J. in der Zeit von 12.00 bis 18.00 Uhr eine Demonstration mit dem Thema "Keine Nazis in Oldenburg" an. Neben der Versammlung des Antragstellers haben zahlreiche weitere Veranstalter für den 5. Juli 2008 Demonstrationen angemeldet. Als Route gab der Antragsteller für seine Veranstaltung folgende Strecke an:

"Bahnhofsvorplatz (Südseite) - Moslestraße - Lappan - Am Stadtmuseum - Pferdemarkt - Donnerschweer Straße - Karlstraße - Straßburger Straße - Bahnhofsvorplatz".

3

Nachdem die Antragsgegnerin gegen die Route Einwände erhoben hatte, meldete der Antragsteller die Route am 3. Juli 2008 wie folgt um:

."Hauptbahnhof - Güterstraße - Stau - Gottorpstraße - Moslestraße links (Höhe IHK) -Am Stadtmuseum (Seite Horst-Janssen-Museum) - rund um Pferdemarktkreisel - Am Stadtmuseum mit einer Kundgebung um 14.00 Uhr vor dem Horst-Janssen-Museum - Hertiekreuzung - Am Stadtmuseum (Seite Hotel Acara) - 91er Straße - Wochenmarktgelände ab 15.00 Uhr bis ca. 17.00 Uhr - 91er Straße - Am Stadtmuseum (Acara-Hotel) - Moslestraße - Hauptbahnhof".

4

Bereits zuvor, nämlich mit einem am 30. Mai 2008 bei der Antragsgegnerin eingegangenen Schreiben, meldete Herr C.... W. eine Veranstaltung für den 5. Juli 2008 im Zeitraum von 14.00 bis 20.00 Uhr unter dem Thema "Soziale Gerechtigkeit für alle - gegen die Politisierung der Polizei" und einer erwarteten Teilnehmerzahl von 200 Teilnehmern an. Nach einer entsprechenden Anhörung des Herrn W. durch die Antragsgegnerin akzeptierte dieser in räumlicher und zeitlicher Hinsicht eine Veränderung seines angemeldeten Demonstrationszuges. Mit einer Verfügung vom 30. Juni 2008 bestätigte die Antragsgegnerin daher gegenüber Herrn W. eine öffentliche Veranstaltung unter freiem Himmel in der Zeit von 14.00 bis 18.00 Uhr mit folgender Wegstrecke:

"Hauptbahnhof Oldenburg Nordseite (ZOB) (Auftaktkundgebung) - Karlstraße - Straßburger Straße - Donnerschweer Straße - Pferdemarkt (Zwischenkundgebung) - Donnerschweer Straße - Karlstraße - Hauptbahnhof Nordseite (ZOB) (Abschlusskundgebung)".

5

Am 3. Juli 2008 bestätigte die Antragsgegnerin dem Antragsteller die Anmeldung einer öffentlichen Veranstaltung unter freiem Himmel am 5. Juli 2008 von 12.30 Uhr bis 18.00 Uhr mit einer Teilnehmerzahl von ca. 1 000 Personen mit folgender Wegstrecke/Kundgebungsort:

"Hauptbahnhof Oldenburg (Südseite) - Güterstraße - Stau - Gottorpstraße - Höhe IHK links auf die Moslestraße - Am Stadtmuseum (Seite Horst-Janssen-Museum) bis maximal Ecke Raiffeisenstraße (Zwischenkundgebung 14.00 Uhr) - zurück Richtung "Hertiekreuzung" - Am Stadtmuseum (Seite Hotel Acara) - 91er-Straße - Pferdemarkt (Wochenmarktgelände), frühestens 15.00 Uhr - 91er-Straße - Am Stadtmuseum (Seite Hotel Acara) - "Hertiekreuzung" - Moslestraße - Hauptbahnhof Oldenburg (Südseite) (Abschlusskundgebung)".

6

Zur Begründung der Einschränkung der Route führte die Antragsgegnerin im Wesentlichen aus:

7

Im Hinblick auf erfolgte Internetaufrufe, verteilte Flugblätter und die polizeilichen Erfahrungswerte insbesondere im Zusammenhang mit dem NPD-Aufzug vom 3. September 2005 in Oldenburg mit vergleichbaren Veranstaltungen sei mit gewalttätigen Auseinandersetzungen in Oldenburg am 5. Juli des Jahres zu rechnen. Am 3. September 2005 sei es nämlich im Bereich der Oldenburger Innenstadt zu zahlreichen schwerwiegenden Straftaten gekommen. Auf der Internetseite des Aktions- und Kommunikationszentrums Alhambra werde zur Teilnahme an Gegenveranstaltungen aufgerufen. Ferner seien dort Plakate und Handzettel eingestellt worden, auf denen inhaltlich nicht nur zur Teilnahme an Demonstrationen, sondern auch zu Blockaden und Störungen des Aufzuges von Herrn W. aufgerufen werde. Auch im Bereich der möglichen Aufzugsstrecke von Herrn W. seien in zahlreichen Hausbriefkästen Flyer festgestellt worden. Dort sei ebenfalls zur Verhinderung des Aufzuges aufgefordert und indirekt zu Gewalttätigkeiten aufgerufen worden. Diese zu erwartenden Aktionen bedingten eine räumliche Trennung der gegensätzlichen Veranstaltungen zum Schutz der Beteiligten bzw. zum Schutz Unbeteiligter. Die Wahrnehmung des Grundrechts nach Artikel 8 Grundgesetz (GG) könne somit nur durch ein größeres Polizeiaufgebot sichergestellt werden. Von der angemeldeten Routenführung habe aufgrund der vorgenannten Gründe dahingehend abgewichen werden müssen, dass der Antragsteller mit seinem Aufzug in die Straße "Am Stadtmuseum" maximal bis zur Ecke Raiffeisenstraße gehen könne. Eine Fortführung rund um den Pferdemarktkreisel sei nicht möglich. Dieser Bereich werde von der Polizei abgesperrt, um die aus den vorgenannten Gründen erforderliche räumliche Trennung gewährleisten zu können. Eine Umsetzung der Routenführung rund um den Pferdemarktkreisel würde dazu führen, dass der Aufzug des Antragstellers unmittelbar an der Aufzugsstrecke von Herrn W. entlang laufe. Dies sei zum Schutz aller Beteiligten aufgrund der Gefährdungsanalyse der Polizei nicht umsetzbar. Insgesamt ließe sich festhalten, dass sich auf der vorgesehenen Strecke zumindest keine erhebliche Reduzierung der beabsichtigten Öffentlichkeitswirksamtkeit der Versammlung des Antragstellers ergebe.

8

Der Antragsteller hat am 4. Juli 2008 Klage erhoben und um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht.

9

Zur Begründung macht er im Wesentlichen geltend:

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Ihm komme es im Wesentlichen darauf an, auch den Kreisel am Pferdemarkt mit der Demonstration durchlaufen zu können. Dieses Anliegen beruhe darauf, dass der Pferdemarktkreisel ein für Oldenburg wesentlicher Demonstrationsort sei. In der jüngeren und älteren Geschichte habe es kaum eine politische Demonstration gegeben, die nicht über den Pferdemarktkreisel geführt worden sei. Bereits historisch seien dort viele Demonstrationen belegt. Es gebe einige Dokumente, die belegten, dass die Propagandaveranstaltungen der Nationalsozialisten im damaligen Deutschen Reich am Pferdemarkt stattgefunden hätten. Im Übrigen habe der Pferdemarkt damals "Platz der SA" geheißen. Mit der angemeldeten Demonstration beabsichtige das Forum gegen Rechts ein deutliches Signal gegen jegliche rechtsradikale und sich in den Fußstapfen der Nationalsozialisten wähnende Strömung zu setzen. Vor diesem Hintergrund sei es unerträglich, wenn die Antragsgegnerin ihm die Durchführung des Demonstrationszuges über den Pferdemarktkreisel verwehre, während das rechtsradikale Aufmarschieren dieser Wegstrecke bestätigt worden sei. Gegen eine Einschränkung der von ihm beabsichtigten Demonstrationsroute spreche auch der Umstand, dass eine zeitliche Überschneidung der beiden in Rede stehenden Veranstaltungen auf dem Pferdemarkt nicht zu befürchten sei. Für seine Veranstaltung sei geplant, dass der Pferdemarkt bereits um 14.00 Uhr wieder verlassen werde. Zu diesem Zeitpunkt würden sich die Teilnehmer der Veranstaltung des Herrn W. erst am Bahnhof sammeln. Es sei zwar zuzugestehen, dass die Zulassung derselben Wegstrecke für zunächst die antifaschistischen Demonstration und nachfolgend die Rechtsradikalen einigen Organisationsbedarf auf Seiten der Antragsgegnerin erfordere. Das Maß an Aufwand sei jedoch nicht geeignet, die Versammlungsfreiheit einzuschränken.

11

Der Antragsteller beantragt,

  1. die aufschiebende Wirkung der Klage (2 A 1938/08) gegen die Auflage Nummer 1 im Bescheid vom 3. Juli 2008 wiederherzustellen, soweit dort der Verlauf des Aufzugs über die Wegstrecke Am Stadtmuseum - Pferdemarktkreisel und zurück untersagt worden ist.

12

Die Antragsgegnerin beantragt,

  1. den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abzulehnen.

13

Sie entgegnet im Wesentlichen:

14

Sie habe als Versammlungsbehörde zusammen mit der Polizeiinspektion die Durchführung aller am 5. Juli 2008 angemeldeten Demonstrationen sicherzustellen. Dieses sei angesichts der gegensätzlichen politischen Ausrichtung der Demonstrationen und der Erkenntnisse und Erfahrungswerte auch der Polizei nur möglich unter Beachtung eines strikten Trennungsgrundsatzes. Die Demonstrationssituation sei gerade nicht als normal einzuschätzen mit der Folge, dass verschiedene Demonstrationen nacheinander den gleichen Aufzugsweg benutzen oder die Demonstrationswege sich durchaus kreuzen könnten. Es gebe angesichts der verschiedenen Veranstaltungen eine nicht unerhebliche Gefährdungssituation. Es sei bereits im September 2005 vor einer Demonstration der rechten Seite zu Störungen der Aufzugsroute durch die linke Seite gekommen sei. Es könne auch nicht ausgeschlossen werden, dass der Demonstrationszug des Antragstellers in unmittelbarer Nachbarschaft des Aufzugs- und Versammlungsorts der zuerst angemeldeten Demonstration des Herrn W. verbleibe. Auch für die vom Antragsteller angemeldete Veranstaltung sei nach den polizeilichen Erkenntnissen davon auszugehen, dass an ihr Personen teilnähmen, die dem militanten Spektrum der Veranstaltung vom 3. September 2005 zuzuordnen seien.

15

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vorgelegten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen. Er ist Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

16

II.

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist zulässig. Insbesondere stehen der Zulässigkeit des Antrages nicht die von der Antragsgegnerin in den Raum gestellten Bedenken gegen eine wirksame Bevollmächtigung entgegen. Die Kammer geht mit Blick auf die zuletzt erfolgte Eingabe des Antragstellers (per Fax um 14.32 Uhr) davon aus, dass die Bevollmächtigung des Vertreters des Antragstellers im Ergebnis nicht zu beanstanden ist, insbesondere dass zwei Unterschriften von Vertretern des DGB auf der schriftlichen Vollmacht nicht erforderlich sind.

17

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist auch im Wesentlichen begründet.

18

Nach § 80 Abs. 1 VwGO hat eine Klage gegen eine belastende Maßnahme - wie hier die Beschränkung der Demonstrationsroute durch die Auflage - grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Die aufschiebende Wirkung entfällt jedoch gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO, wenn die Behörde - wie hier - die sofortige Vollziehung einer Verfügung im öffentlichen Interesse anordnet. Dabei genügt die Begründung der Anordnung den an sie gestellten Anforderungen (§ 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO).

19

In materieller Hinsicht ist nach § 80 Abs. 5 VwGO entscheidend, ob im Einzelfall dem Interesse des Antragstellers am Schutz vor Schaffung ihn belastender vollendeter Tatsachen auf Grund eines möglicherweise rechtswidrigen Verwaltungsakts oder dem Interesse Dritter oder der Behörde an einer Durchführung der mit dem Verwaltungsakt angeordneten oder zugelassenen Maßnahmen auch vor einer abschließenden gerichtlichen Prüfung seiner Rechtmäßigkeit das größere Gewicht beizumessen ist. Im Rahmen der Interessenabwägung sind mit der im vorläufigen Verfahren gebotenen Zurückhaltung auch die Aussichten des Begehrens im Hauptsacheverfahren zu berücksichtigen. Bei einem offensichtlich Erfolg versprechenden Rechtsbehelf ü-berwiegt das Suspensivinteresse des Betroffenen jedes denkbare öffentliche Vollzugsinteresse. Der Antrag ist dagegen in aller Regel unbegründet, wenn der Antragsteller im Verfahren zur Hauptsache offensichtlich keinen Erfolg haben wird, insbesondere wenn die angegriffene Verfügung offensichtlich rechtmäßig ist. An der sofortigen Vollziehung eines offenbar zu Unrecht angefochtenen Verwaltungsaktes besteht nämlich regelmäßig ein besonderes öffentliches Interesse. Ist jedoch der Ausgang des Verfahrens in der Hauptsache bei der in dem Aussetzungsverfahren grundsätzlich nur gebotenen summarischen Prüfung offen, kommt es auf eine Abwägung der beiderseitigen Interessen an.

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Ausgehend von diesem Maßstab überwiegt nach der in diesem Verfahren erforderlichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung im Wesentlichen das Interesse des Antragstellers.

21

Die Beschränkung der Route - Verbot der Fortführung rund um den Pferdemarktkreisel - ist aller Voraussicht nach rechtswidrig.

22

Rechtsgrundlage der in Rede stehenden Auflage ist § 15 Abs. 1 Versammlungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. November 1978 (BGBl. I S. 1789), zuletzt geändert durch Art. 1 ÄndG vom 24. März 2005 (BGBl. I S. 969) - VersG -. Nach dieser Vorschrift kann die zuständige Behörde die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. Voraussetzung ist, dass die öffentliche Sicherheit bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist und eine Güterabwägung unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit als elementarem Freiheitsrecht und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ergibt, dass ein Verbot zum Schutze anderer gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 -, Juris, mit Veröffentlichungshinweis auf NJW 1985, 2395). Dabei ist eine Gefahrenprognose zugrunde zu legen, die auf nachweisbaren Tatsachen, Sachverhalten und sonstigen Erkenntnissen beruht. Bloße Vermutungen ohne das Vorliegen hinreichender tatsächlicher Anhaltspunkte genügen dafür nicht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, Juris, mit Veröffentlichungshinweis auf NVwZ 1998, 834). Solche erkennbaren Umstände können der Versammlungszweck, die Thematik der Versammlung, Aufrufe an die Teilnehmer, die Teilnahme gewaltbereiter Gruppen und sonstige Begleitumstände sein. Die Gefahrenprognose darf dabei nicht auf Umstände gestützt werden, deren Berücksichtigung dem Schutzgehalt des Art. 8 Grundgesetz - GG - offensichtlich widerspricht. Unter öffentlicher Sicherheit wird die Unversehrbarkeit von Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre und Vermögen sowie der Bestand und die Funktionsfähigkeit des Staates, der Rechtsordnung und der grundlegenden staatliches Einrichtungen verstanden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Januar 2001 - 1 BvQ 9/01 -, Juris, mit Veröffentlichungshinweis auf NJW 2001, 1409 f. [BVerfG 26.01.2001 - 1 BvQ 9/01]; BVerfG, Beschluss vom 1. Mai 2001 - 1 BvQ 22/01 -, Juris, mit Veröffentlichungshinweis auf NJW 2001, 2076 f. [BVerfG 01.05.2001 - 1 BvQ 22/01]).

23

Derartige Erkenntnisse, die es rechtfertigen, die vom Antragsteller begehrte Route im Wesentlichen zeitlich oder räumlich zu ändern, liegen nach der in diesem Verfahren nur erforderlichen, aber auch - insbesondere angesichts der der Kammer zur Verfügung stehenden Zeit - ausreichenden summarischen Prüfung nicht in hinreichendem Maße vor.

24

Die Antragsgegnerin trägt zwar im Wesentlichen - teilweise sinngemäß - vor, nach dem vorliegenden polizeilichen Bericht anlässlich der Demonstrationen im Jahre 2005 bestehe diesseits eine deutlich erkennbare Konfliktsituation, die gegen eine rein zeitliche Betrachtung der jeweiligen Demonstrationszüge spreche. Ausweislich der ergänzend als Anlage für das Gericht beigefügten "Einsatzdokumentation (...) vom 03.09.2005" sei es damals bereits vor einer Demonstration der rechten Seite zu Störungen der Aufzugsroute durch die linke Seite gekommen. Die Räumung einer blockierten Aufzugsstrecke oder auch einer Stelle, von der Gefahrenpotential ausgehen könne, sei bekanntlich abhängig von der Anzahl der dort vorhandenen Personen. Im vorliegenden Fall könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Demonstrationszug in unmittelbarer Nachbarschaft (ohne ausreichenden Sicherheitsabstand für Wurfgeschosse) des Aufzug- und Versammlungsorts der zuerst angemeldeten Demonstration des Herrn W. verbleibe. Auch für die vom Antragsteller angemeldete Veranstaltung sei nach den polizeilichen Erkenntnissen davon auszugehen, dass an ihr Personen teilnähmen, die dem militanten Spektrum der Veranstaltung vom 3. September 2005 zuzuordnen seien. Dass der für die angemeldeten Aufzug des Antragstellers verantwortliche Versammlungsleiter nicht ausreichend zwischen autonomen Krawallmachern und Demonstranten mit ernsthaften politischen Anliegen differenziere, ergebe sich aus seinem Leserbrief, der in der NWZ vom 16. September 2005 veröffentlicht worden sei. Wörtlich werde in der Presse Folgendes ausgeführt: "Für eine Spaltung des antifaschistischen Widerstandes wird sich der DGB in dieser Region nicht hergeben!" Dies belege, dass mangels ausreichender Differenzierung gewalttätige Demonstrationsaktionen zumindest toleriert würden. Nach ihrer Einschätzung, die auf den polizeilichen Angaben beruhe und mit diesen vollständig übereinstimme, sei davon auszugehen, dass zumindest die sich dem angemeldeten Demonstrationszug anschließenden Autonomen nicht bereit sein würden, die Route in unmittelbarer Nähe des Versammlungsortes der Rechten weiterzugehen. Ein polizeilicher Einsatz mit gewaltbereiten Demonstranten sei deshalb zu erwarten. Auch Steinwürfe seien nicht auszuschließen. Sie halte deshalb die geringfügige Verschiebung der angemeldeten Route des Antragstellers für verhältnismäßig, aber auch für erforderlich. Im Übrigen nimmt die Antragsgegnerin auf eine Stellungnahme des Leiters der Polizeiinspektion Oldenburg, Herrn Ltd. Polizeidirektor K., vom heutigen Tage Bezug, in der es - teilweise sinngemäß - heißt, die Veranstaltung der NPD habe am 3. September 2005 erst um 12.30 Uhr begonnen. Bereits ca. 1 ? Stunden vor dem Eintreffen des Aufzuges seien erhebliche Aktivitäten entlang der Aufzugsroute feststellbar gewesen. Dabei sei die gesamte Aufzugsroute "locker" durch Polizeibeamte abgesperrt gewesen. Weisungen von Beamten seien konsequent missachtet worden. Nur dort, wo mit massivem Polizeiaufgebot und entsprechendem Sperrgerät gesperrt worden sei, sei es gelungen, die Strecke frei zu halten. Darüber hinaus sei nach gesicherten Aufklärungserkenntnissen derzeit mit der Anreise von ca. 600 Teilnehmern aus dem Raum Lüneburg/Hamburg/Bremen zu rechnen, wobei ca. 500 Teilnehmer der linksautonomen Szene zuzurechnen seien. Hierunter würden ca. 200 Personen sein, die der Szene "Rote Flora" in Hamburg angehörten, die am 1. Mai diesen Jahres in Hamburg durch erhebliche Krawalle und schwere Straftaten entlang der Aufzugsroute der Rechten in Erscheinung getreten sei.

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Dieses Vorbringen enthält aber hinsichtlich der vom Antragsteller begehrten Route über den Pferdemarktkreisel keine Gefahrenprognose, die in ausreichendem Maße auf nachweisbaren Tatsachen, Sachverhalten und sonstigen Erkenntnissen beruht. Die Antragsgegnerin hat nicht konkret dargelegt, aus welchen Gründen die insgesamt verfügbaren Polizeikräfte nicht in der Lage sein werden, Demonstranten, die sich dem Aufzug des Antragstellers anschließen und nicht gewillt sein werden, den Pferdemarktkreisel nach dem Betreten wieder in südlicher Richtung zu verlassen, notfalls zwangsweise dazu bewegen zu können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass dazu ggf. mindestens bis 15.00 Uhr Zeit wäre. Es ist nämlich nicht zu erwarten, dass der von Herrn W. angemeldete Aufzug schon vorher auf dem Pferdemarkt eintreffen wird. Denn dieser Aufzug wird erst um 14.00 Uhr auf der Nordseite des Hauptbahnhofs mit einer Auftaktkundgebung beginnen, die allein - nach Schätzung der Kammer - schon ca. 30 Minuten dauern dürfte, und wird sich anschließend auf einer Route bewegen, die bis zum Pferdemarkt ca. 1,5 km lang ist. Die Teilnehmer des Aufzugs des Antragstellers müssen den Pferdemarkt - wie im Beschlusstenor ausgeführt - dagegen schon spätestens um 13.55 Uhr verlassen haben. Es fehlt auch an Angaben über die Gesamtzahl der verfügbaren Polizeikräfte und die Kräfte, die im Bereich des Pferdemarktes eingesetzt werden sollen. Des Weiteren ist nicht ausreichend dargelegt worden, welche Hinderungsgründe konkret bestehen, die vom Antragsteller gewünschte Route nördlich der Bahnüberführung für den Zeitraum, in dem sich der Aufzug dort bewegen wird, für diesen freizuhalten. Außerdem genügt es nicht, dass Steinwürfe (lediglich) nicht auszuschließen sind. Der Einwand hinsichtlich des Versammlungsleiters führt ebenfalls nicht zu einem anderen Ergebnis. Die Aussage in dem genannten Leserbrief bedeutet nicht zwingend, dass er gewalttätige Aktionen autonomer Kräfte tolerieren wird. Vielmehr wird er als Versammlungsleiter ein Interesse daran haben, dass derartige Aktionen aus dem von ihm angemeldeten Aufzug nicht passieren.

26

Darüber hinaus hat die Antragsgegnerin nicht dargelegt, dass externe Polizeikräfte nicht hinzugezogen werden können. Das beschließende Gericht übersieht nicht, dass der Notwendigkeit des Einsatzes von gegebenenfalls externen Polizeikräften unter dem Vorbehalt der tatsächlichen Verfügbarkeit dieser Kräfte steht. Die Antragsgegnerin hat jedoch im vorliegenden Verfahren nicht bzw. nicht ausreichend vorgetragen, dass sie den Grundrechten des Antragstellers entsprechende Anstrengungen unternommen hat, externe Polizeikräfte hinzuzugewinnen.

27

Die Bestimmung von Auflagen nach § 15 Abs. 1 VersG ist grundsätzlich Aufgabe der Versammlungsbehörde, die aufgrund ihrer Sach- und Ortsnähe am ehesten beurteilen kann, welche Auflagen geeignet, erforderlich und angemessen sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. April 2001 - 1 BvQ 17/01 -, Juris, mit Veröffentlichungshinweis auf NJW 2001, 2072). Sind solche Auflagen aber nicht erlassen worden oder sind erlassene Auflagen- wie hier - zu beanstanden und kann ihr Erlass wegen der Eilbedürftigkeit nicht abgewartet werden, ist es Aufgabe der Verwaltungsgerichte nach § 80 Abs. 5 Satz 4 VwGO, die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage mit Auflagen zu verbinden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. April 2001, a.a.O.; Nds. OVG, Beschluss vom 5. Mai 2006 - 11 ME 117/06 -, Juris, mit Veröffentlichungshinweis auf NdsVBl. 2006, 226). Ein derartiger Fall liegt hier - was den Ort und zeitliche Komponenten der Demonstration angeht - vor.

28

Bei der Frage nach einer Auflage hinsichtlich der Demonstrationsroute und der zeitlichen Gestaltung der Veranstaltung hat das Gericht zu berücksichtigen, dass eine Überschneidung bzw. Kollision mit der weiteren am 5. Juli 2008 in Oldenburg in Rede stehenden Demonstration des Herrn W. in räumlicher und zugleich zeitlicher Hinsicht vermieden wird. Vor diesem Hintergrund ist vorzugeben, dass der Demonstrationszug möglichst frühzeitig den Pferdemarkt wieder verlässt, um den Sicherheits- und Einsatzkräften die Möglichkeit zu geben, gegebenenfalls diesen Bereich bis zum Eintreffen der Teilnehmer der Demonstration des Herrn W. zu räumen.

29

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Es ist angemessen, der Antragsgegnerin die gesamten Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, weil der Antragsteller nur zu einem geringen Teil, nämlich wegen der in der Auflage zusätzlich enthaltenen geringfügigen zeitlichen Einschränkungen des Demonstrationszuges unterlegen ist.

Streitwertbeschluss:

III.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. § 52 Abs. 1 und 2 GKG unter Berücksichtigung der Empfehlungen in Nr. 1.5 und 45.4 des Streitwertkataloges 2004 ( NVwZ 2004, 1327 ff. = DVBl. 2004, 1525 ff.) - Auffangwert -. Dabei hat das Gericht berücksichtigt, dass die Entscheidung eine Vorwegnahme der Hauptsache darstellt.

DGB - Forum gegen Rechts -
Kaempf
Stadt Oldenburg
Riemann
Osterloh
Dr. Menzel