Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 22.06.2005, Az.: 1 A 286/03

Arzneimittel; Beihilfe; Brieflaufzeit; Impfkommission; Jahresfrist; Schutzimpfung; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand; zumutbare Sorgfalt

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
22.06.2005
Aktenzeichen
1 A 286/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2005, 50860
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand:

1

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Gewährung einer Beihilfe für verschiedene Aufwendungen für ihre Kinder B. D. (geb. 9. März 1994) und C. D. (geb. 27. März 2002).

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Die Klägerin ist dem Grunde nach beihilfeberechtigt für Aufwendungen ihrer Kinder zu einem Bemessungssatz von 80 %.

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Mit Antrag vom 2. Juli 2003, laut Eingangsstempel am 7. Juli 2003 bei dem beklagten Landesamt eingegangen, beantragte die Klägerin u.a. die Gewährung von Beihilfe für mit drei Rechnungen vom 4. Juli 2002 geltend gemachten Kosten. Es handelt sich hierbei um Kosten für schriftlich verordnete Arznei- und Verbandsmittel für B., Priorix Masern Mumps Röteln FER und Pneumovax 23 AMP 1X0.5., in Höhe von 75,15 EUR sowie um Kosten für ebenfalls schriftlich verordnete Arznei- und Verbandsmittel für C. in Höhe von 163,37 EUR für Hexavac Fer O Kanuele FER 1X1 und Prevenar DFL 1 und in Höhe von 7,27 EUR für Fluor Vigantoletten 500 TAB 90 und Paracetamol 125 MG v ct SSU 10. Die Summe der Aufwendungen beträgt 245,79 EUR.

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Das beklagte Landesamt lehnte den Antrag insoweit mit Beihilfebescheid vom 9. Juli 2003 mit der Begründung ab, Aufwendungen, die seit dem Entstehen bzw. Rechnungsdatum älter als ein Jahr seien, könnten gemäß § 17 Abs. 9 BhV nicht berücksichtigt werden.

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Die Klägerin legte u.a. hiergegen Widerspruch ein und beantragte hinsichtlich der Versäumnis der Frist gemäß § 17 Abs. 9 BhV die Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand. Zur Begründung trug sie im Wesentlichen vor: Ihr Beihilfeantrag nebst beigefügter Belege sei rechtzeitig vor Ablauf der Frist des § 17 Abs. 9 BhV zur Post gegeben worden, so dass sie mit fristgerechtem Eingang bei dem entsprechenden Landesamt habe rechnen dürfen. Ihr Ehemann habe den Antrag nebst Belege am Morgen des 3. Juli 2003 um 8.45 Uhr in Hannover beim Postamt am Rathaus des in der Nähe des Zentrums gelegenen Stadtteils Bemerode direkt bei einem Schalterbediensteten aufgegeben. Entsprechend ihrer vorherigen Bitte habe ihr Ehemann sich zuvor ausdrücklich bei dem Postbediensteten erkundigt, ob der Brief am Folgetag in Aurich zugestellt werde. Anderenfalls sei eine teilweise Übersendung per Fax beabsichtigt gewesen. Ihr Ehemann habe die Auskunft erhalten, dass der Brief am nächsten Tag in Aurich zugestellt werde, da man ja „schon in Hannover“ sei. Zur Glaubhaftmachung dieses Vortrags fügte die Klägerin eine dementsprechende schriftliche eidesstattliche Versicherung ihres Ehemannes E. D. bei. Die ihrem Ehemann erteilte Auskunft habe sowohl der in der Öffentlichkeit durch die Post AG propagierten bundesweiten Zustellung eines vor 18.00 Uhr abgegebenen Briefes am Folgetag als auch den bisherigen Erfahrungen der Klägerin entsprochen. Zudem seien eventuelle Fehlleistungen eines Briefträgers bei Hauszustellungen durch die Adressierung an eine Postfachadresse von vornherein ausgeschlossen gewesen, und die Zustellung sei im Vergleich zu einer Hauszustellung sogar verkürzt.

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Den Widerspruch wies das beklagte Landesamt mit Widerspruchsbescheid vom 4. August 2003 zurück. Das Landesamt führt zur Begründung im Wesentlichen aus: Die Anträge seien nicht innerhalb der Ausschlussfrist gemäß § 17 Abs. 9 BhV bei der Beihilfefestsetzungsstelle eingegangen. Die mit Antrag vom 2. Juli 2003 eingereichten Belege seien auf den 4. Juli 2002 datiert. Der Antrag auf Gewährung der Beihilfe sei am 7. Juli 2003 bei dem Landesamt eingegangen. Die Nichteinhaltung der Antragsfrist bewirke das Erlöschen des Anspruchs. Es läge insbesondere kein Fall der Versäumnis der Ausschlussfristen vor, bei dem Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren sei. Die Klägerin sei nicht ohne Verschulden daran gehindert gewesen, die gesetzliche Frist einzuhalten. Die rechtzeitige Absendung des Antrags genüge nicht. Die Klägerin habe nicht davon ausgehen können, dass die Postlaufzeit zu jeder Zeit einen Tag dauert, auch wenn der zuständige Postbeamte dies versichert habe.

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Am 3. September 2003 hat die Klägerin Klage erhoben, zu deren Begründung sie ihre Ausführungen aus dem Widerspruch wiederholt. Ergänzend trägt sie vor, dass bei Unaufklärbarkeit des Eingangsdatums beim beklagten Landesamt zu ihren Gunsten davon auszugehen sei, dass der Antrag rechtzeitig am 4. Juli 2003 zugegangen sei. Bei Zugrundelegung des Bemessungssatzes in Höhe von 80 % ergebe sich ein über die bereits geleistete Summe hinausgehender Beihilfeanspruch in Höhe von 196,63 EUR.

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Die Klägerin beantragt,

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das beklagte Landesamt unter teilweiser Aufhebung seines Beihilfebescheides vom 9. Juli 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. August 2003 zu verurteilen, der Klägerin über den festgesetzten Beihilfebetrag in Höhe von 2.352,37 EUR hinaus weitere 196,63 EUR zu zahlen.

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Das beklagte Landesamt beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Unter Bezugnahme auf den Widerspruchsbescheid vom 4. August 2003 trägt das beklagte Landesamt zur Begründung im Wesentlichen vor, dass die Klägerin den Beihilfeantrag nicht binnen Jahresfrist seit Ausstellungsdatum der Rechnung gestellt habe. Der Antrag sei nach dem Eingangsstempel am 7. Juli 2003 eingegangen. Die Klägerin habe die Frist auch nicht ohne Verschulden nicht eingehalten; sie habe nicht auf die bei der Post erteilte Auskunft, der Brief werde am nächsten Tag zugestellt, vertrauen dürfen. Aufgrund des einfachen nicht zeitintensiven Antragsverfahrens sei es der Klägerin unter Einhaltung der erforderlichen Sorgfalt möglich gewesen, den Antrag fristgerecht einzureichen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und den der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des beklagten Landesamtes Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist begründet.

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Die Klägerin hat einen Anspruch auf Gewährung einer Beihilfe zu den mit Rechnungen vom 4. Juli 2002 geltend gemachten Kosten für Aufwendungen ihrer Kinder B. D. und C. D. i.H.v. insgesamt 196,63 EUR; der angefochtene Bescheid des beklagten Amtes vom 9. Juli 2003 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 4. August 2003 ist mithin insoweit rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.

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1. Die Klägerin hat zwar die Ausschlussfrist des § 17 Abs. 9 S.1 BhV nicht eingehalten, ihr ist jedoch Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gem. § 32 Abs. 1 VwVfG zu gewähren.

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Beihilfe wird gemäß §17 Abs. 9 S.1 BhV nur gewährt, wenn sie innerhalb eines Jahres nach Entstehen der Aufwendungen oder der Ausstellung der Rechnung beantragt wird. Die Frist berechnet sich gemäß § 31 VwVfG i.V.m. §§ 87-193 BGB. Maßgebend für die Beurteilung des Fristbeginns ist vorliegend der Zeitpunkt des Rechnungsdatums, der 4. Juli 2002. Dementsprechend endete die Frist zur Beantragung der Gewährung von Beihilfe i.S.d. § 17 Abs.9 S.1 BhV am 4. Juli 2003. Der Antrag der Klägerin ist nach Eingangstempel des Landesamtes für Bezüge und Versorgung dort am 7. Juli 2003 eingegangen; drei Tage nach Fristende.

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Die Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand ist gemäß den amtlichen Ausführungsbestimmungen zu § 17 Abs. 9 BhV bei Versäumnis der genannten Ausschlussfrist ausdrücklich zugelassen, wenn die Voraussetzungen des § 32 VwVfG vorliegen.

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Nach § 32 Abs. 1 VwVfG ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Der Antrag ist gemäß § 32 Abs. 2 VwVfG innerhalb von 2 Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragsstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Handlung nachzuholen.

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Die Klägerin war hier ohne Verschulden verhindert, die gesetzliche Frist des § 17 Abs. 9 BhV einzuhalten. Verschulden liegt vor, wenn der Betroffene die gebotene und nach den Umständen zumutbare Sorgfalt nicht eingehalten hat (BGH NJW 1985, 1711 [BGH 18.01.1985 - V ZR 233/83]). Im Verantwortungsbereich des Absenders liegt nur, das zu befördernde Schriftstück so rechtzeitig zur Post aufzugeben, dass es nach deren organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen bei regelmäßigem Betriebsverlauf den Empfänger fristgerecht erreicht ( BVerfG NJW 83, 1479). Bei einfachem Brief darf der Absender sich auf die üblichen Brieflaufzeiten oder auf eine Auskunft des Postamtes (BGH, NJW-RR 1990,508 [BGH 07.02.1990 - XII ZB 122/89]) verlassen, sofern der Brief ordnungsgemäß adressiert und frankiert war (BFH NJW 1991, 1704). Bei Absendung eines Antrags kurz vor Ablauf der zu wahrenden Frist trifft den Antragssteller jedoch eine erhöhte Sorgfaltspflicht (BGH NJW 1995, 1431). Die Klägerin hat die gebotene und nach den Umständen zumutbare Sorgfalt eingehalten. Der Ehemann der Klägerin fragte auf deren Bitten vor dem Absenden des Briefes ausdrücklich bei dem Postbediensteten nach, ob der Brief am Folgetag in Aurich zugestellt wird. Anderenfalls war eine teilweise Übersendung per Fax beabsichtigt. Dem Ehemann wurde die Auskunft erteilt, dass der Brief am nächsten Tag in Aurich zugestellt wird. Hierauf durfte sich die Klägerin verlassen zumal auch nach ihren Erfahrungen die übliche Brieflaufzeit einen Tag beträgt. Der Antrag nebst Belege wurde von dem Ehemann der Klägerin zudem bereits am Morgen des 3. Juli 2003 um 8.45 Uhr in Hannover beim Postamt am Rathaus des in der Nähe des Zentrums gelegenen Stadtteils Bemerode direkt bei einem Schalterbediensteten abgegeben. Es wurde gerade nicht bis kurz vor Schließung der Postfiliale gewartet und außerdem eine größere Filiale der Post genutzt, bei der die Klägerin davon ausgehen konnte, dass eine zeitnahe Beförderung des Briefes erfolgt. Mehr ist trotz erhöhter Sorgfaltspflicht bei Absendung des Antrags kurz vor Ablauf der zu wahrenden Frist nicht zu verlangen.

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Die Klägerin hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand auch innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses gestellt. Die Antragsfrist beginnt, wenn der Beteiligte von der Behörde auf den verspäteten Eingang des Antrags hingewiesen worden ist. Die beklagte Landesbehörde hat die Klägerin mit Bescheid vom 9. Juli 2003 auf den verspäteten Eingang des Antrags hingewiesen. Ein schriftlicher Verwaltungsakt gilt gemäß § 41 Abs.2 S.1 VwVfG bei Übermittlung durch die Post im Inland am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Dementsprechend endet die Antragsfrist am 26. Juli 2003. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand ging dem beklagten Landesamt innerhalb der Frist am 25. Juli 2003 zu.

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Die Tatsachen zur Begründung des Antrags auf Wiedereinsetzung hat die Klägerin insbesondere durch schriftliche eidesstattliche Erklärung ihres Ehemannes glaubhaft gemacht. Dieser bestätigt die Angaben der Klägerin. Er erklärt im Wesentlichen, dass er auf Bitten der Klägerin Erkundigungen bei dem Schalterbediensteten der Post eingeholt habe, ob der Brief am Folgetage in Aurich zugestellt werde. Erst als dieser dies bejaht habe, habe der Ehemann der Klägerin den Brief vom Schalterbeamten frankieren lassen und ihn bei diesem aufgegeben.

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Eines erneuten Antrags auf Gewährung von Beihilfe bedarf es nicht, denn dieser wurde bereits vor Beantragung der Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gestellt.

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2. Die Klägerin hat auch materiell einen Anspruch auf Gewährung von Beihilfe zu Kosten für Arznei- und Verbandsmittel für B., Priorix Masern Mumps Röteln FER und Pneumovax 23 AMP 1X0.5., in Höhe von 75,15 EUR sowie für Kosten für Arznei- und Verbandsmittel für C., Hexavac Fer O Kanüle FER 1X1 und Prevenar DFL 1, in Höhe von 163,37 EUR gem. § 10 Abs. 3 BhV.

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Gem. § 10 Abs. 3 BhV sind Aufwendungen für amtlich empfohlene Schutzimpfungen beihilfefähig. In Niedersachsen gelten alle von der Ständigen Impfkommission (STIKO) empfohlenen Schutzimpfungen zugleich als öffentlich empfohlen. Die im Impfkalender beschriebenen Standardimpfungen umfassen Impfungen zum Schutz vor Diphtherie, Masern, Mumps und Röteln. Impfungen gegen Masern, Mumps und Röteln sollten laut Empfehlung im Kombinationsimpfstoff durchgeführt werden. Vorliegend wurde Beihilfe zu Kosten für Aufwendungen für B. für die Kombinationsschutzimpfung gegen Masern, Mumps und Röteln und für Aufwendungen für C. für die Schutzimpfung gegen Diphtherie geltend gemacht.

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Es besteht ebenfalls ein Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Beihilfe zu Kosten für Aufwendungen ihres Sohnes C. in Höhe von 7,27 EUR für Fluor Vigantoletten 500 TAB 90 und Paracetamol 125MG v ct SSU 10.

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Beihilfefähig sind gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 BhV u.a. Aufwendungen für schriftlich verordnete Arzneimittel aus Anlass einer Krankheit. Hiervon sind zwar grundsätzlich nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel ausgenommen, dies gilt gem. § 6 Abs. 1 Nr. 2 b) BhV jedoch nicht für Kinder bis zum vollendeten 12. Lebensjahr. Es sind solche Aufwendungen beihilfefähig gem. § 5 Abs. 1 BhV, die dem Grunde nach notwendig und der Höhe nach angemessen sind. Die geltend gemachten Aufwendungen des Säuglings C. für die schriftlich verordneten Arzneimittel, Fluor Vigantoletten 500 TAB 90 und Paracetamol 125MG v ct SSU 10, sind notwendig und auch der Höhe nach angemessen.

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Gem. § 14 Abs. 1 Nr. 4 BhV ist für jedes Kind ein Bemessungssatz von 80 % zu Grunde zu legen.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs.1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §167 VwGO i.V.m. § 708 Nr.11 ZPO. Gründe, die Berufung gemäß §124 a Abs.1 Satz 1 i.V.m. § 124 Abs.2 Nr.3 und 4 VwGO zulassen, sind nicht gegeben.