Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 08.06.2005, Az.: 5 A 128/04

Beseitigung bzw. Veränderung eines Eisenbahn-Überführungsbauwerks; Anforderungen an das Rechtsschutzbedürfnis im Fall der noch andauernden Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens; Hinreichende Konkretisierung von Feststellungsanträgen

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
08.06.2005
Aktenzeichen
5 A 128/04
Entscheidungsform
Endurteil
Referenz
WKRS 2005, 34085
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGLUENE:2005:0608.5A128.04.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
OVG Niedersachsen - 05.09.2006 - AZ: 7 LA 137/05

In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Lüneburg - 5. Kammer -
auf die mündliche Verhandlung vom 8. Juni 2005
durch
den Präsidenten des Verwaltungsgerichts von Alten,
den Richter am Verwaltungsgericht Schütte,
die Richterin am Verwaltungsgericht Göll-Waechter sowie
die ehrenamtlichen Richter Tomm und Schiewe
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der beim Landgericht Lüneburg angefallenen Kosten; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Beteiligten sind zwei Bahnunternehmen. Sie streiten um die Beseitigung bzw. Veränderung eines Eisenbahn-Überführungsbauwerks.

2

Die Klägerin betreibt das Schienennetz der Deutschen Bahn AG, zu dem auch die Strecke F. gehört. Im September 2003 beantragte die Klägerin beim Eisenbahn-Bundesamt die Einleitung eines Planfeststellungsverfahrens für den Bau eines dritten Gleises im Streckenabschnitt G.. Im Bereich des Bahnhofs H. kreuzt die von der Beklagten betriebene eingleisige Eisenbahnstrecke I. mit einem Überführungsbauwerk (Eisenbahnbrücke) den zuvor genannten Schienenweg. Die beiden Widerlager der Eisenbahnbrücke stehen ganz bzw. teilweise auf dem im Eigentum der Klägerin stehenden Schienengrundstück. Bei einer Realisierung des Vorhabens der Klägerin müsste das südwestliche gelegene Widerlager vom Grundstück entfernt bzw. hinter die Grundstücksgrenze verlegt und der Brückenkörper abgebaut oder auf eine Höhe von mindestens 6,20 m über die darunter liegenden Gleise erhöht werden.

3

Die Klägerin forderte die Beklagte im Zuge diverser Besprechungen sowie mit Schreiben vom 11. November 2002 und 26. August 2003 zum Rückbau der Eisenbahnüberführung auf eigene Kosten auf und berief sich u.a. auf einen zwischen der Königlichen Eisenbahndirektion zu Hannover und der Kleinbahn Winsen/Evendorf GmbH im Jahr 1920 geschlossenen Vertrag über die Unterhaltung, Veränderung und Erneuerung der Überführung. Die Beklagte lehnte das Begehren der Klägerin ab.

4

Die Klägerin hat am 13. November 2003 beim Landgericht Lüneburg Klage erhoben. Das Landgericht hat den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten mit Beschluss vom 7. Juni 2004 für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das erkennende Verwaltungsgericht verwiesen.

5

Die Klägerin trägt vor: Das Klagebegehren sei zulässig. Ihr gehe es darum Gewissheit darüber zu erhalten, dass die Beklagte im Zeitpunkt des Vorliegens eines vollziehbaren Planfeststellungsbeschlusses das streitige Überführungsbauwerk auf eigene Kosten beseitigen bzw. verändern müsse. Das Planfeststellungsverfahren für den Ausbau des dritten Gleises auf dem Streckenabschnitt J. sei in vier Abschnitte eingeteilt. Die Verfahren zu den Abschnitten K., L. und M. seien weitgehend abgeschlossen, es fehle noch der Abschluss der Umweltverträglichkeitsprüfungen. Im Verfahren zum hier relevanten Abschnitt N. seien etwa 1.300 Einwendungen erhoben worden. Davon seien 900 bereits bearbeitet worden. Die Finanzierung des Streckenausbaus sei als vordringlicher Bedarf anerkannt worden. Wann mit der Realisierung des Bauvorhabens begonnen werden könne, sei noch offen. Die Beklagte sei zur Beseitigung bzw. Veränderung des Überführungsbauwerks verpflichtet. Die Beteiligten seien Rechtsnachfolger des im Jahr 1910 zu dem Überführungsbauwerk geschlossenen Vertrags. Die Beklagte sei vertraglich verpflichtet, dem Beseitigungs- bzw. Veränderungsverlangen nachzukommen. Die Klage sei jedenfalls aus § 604 Abs. 1 BGB begründet. Die unentgeltliche Nutzung ihres Grundstücks zum Zwecke der Eisenbahnüberführung sei als Leihe anzusehen, das Leihverhältnis habe sie inzwischen wirksam gekündigt.

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Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, das Überführungswerk der Eisenbahnüberführung bei Bahn-Km 149,340 der Eisenbahn strecke F. im Bereich des Bahnhofes H. unter Einschluss des Widerlagers und des Überbaus auf ihre Kosten inner halb der Grenzen des Eisenbahngrundstückes Flurstück Nr. 145, Flur 22 der Gemarkung O. ab Vorliegen eines die Örtlichkeit betreffenden vollziehbaren Planfeststellungsbeschlusses, der die Inanspruchnahme des Grundstücks für das dritte Eisenbahngleis vorsieht, abzureißen und von dem vorgenannten Grundstück zu entfernen;

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hilfsweise,

die Beklagte zu verurteilen, das zu Ziffer 1. bezeichnete Überführungsbauwerk auf ihre Kosten ab Vorliegen eines die örtlichkeit betreffenden vollziehbaren Planfeststellungsbeschlusses, der die Inanspruchnahme des Grundstücks für das dritte Eisenbahngleis vorsieht, in der Weise baulich zu verändern, dass die in dem Widerlager (südwestlich und nordwestlich) von dem zu Ziffer 1. bezeichneten Grundstück entfernt werden und die Durchfahrtshöhe unter dem Überbau auf mindestens 6,20 m über der Schienenoberkante der darunter befindlichen Gleise erhöht wird;

8

weiter hilfsweise,

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, die zu Ziffer

9

weiter hilfsweise,

die zu Ziffer 2. bezeichneten Maßnahmen auf ihre Kosten im Zuge der durch die Klägerin vorgesehenen Erstellung eines dritten Streckengleises (G.) südwestlich neben den vorhandenen Gleisen im Bereich der zu Ziffer 1. genannten Eisenbahnüberführung vorzunehmen.

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Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

11

Sie bezweifelt das Rechtsschutzbedürfnis für das klägerische Begehren und verweist auf den noch ausstehenden Planfeststellungsbeschluss, der in diesem Zusammenhang enteignende Vorwirkung haben werde. Sie wehre sich nicht gegen die Anpassung des Überführungsbauwerks an sich, sondern gegen eine Kostenübernahme.

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Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die gewechselten Schriftsätze der Beteiligten verwiesen.

Entscheidungsgründe

13

Die Klage hat keinen Erfolg.

14

Ob der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 VwGO gegeben ist, ist im jetzigen Verfahrensstadium nicht weiter zu prüfen, nachdem das Landgericht Lüneburg mit Beschluss vom 7. Juni 2004 den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten verneint und den Rechtsstreit an das erkennende Verwaltungsgericht verwiesen hat. Der Verweisungsbeschluss ist für das Verwaltungsgericht nach § 17 Abs. 2 Satz 3 GVG bindend. Nach § 17 Abs. 2 GVG ist der Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu entscheiden, d.h. ggf. auch unter Berücksichtigung rechtswegfremder Anspruchsgrundlagen.

15

Der auf eine Beseitigung des streitigen Überführungsbauwerks gerichtete Hauptantrag ist unzulässig. Das Begehren ist als allgemeine Leistungsklage zwar statthaft. Es fehlt aber an dem für jede Klage erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis.

16

Das Rechtsschutzbedürfnis liegt vor, wenn der Rechtsschutzsuchende ein schutzwürdiges Interesse an der Inanspruchnahme des gerichtlichen Rechtsschutzes hat. Daran fehlt es, wenn für den Rechtsschutzsuchenden ein gerichtliches Vorgehen keinen Nutzen bringt, auch wenn das Rechtsschutzbegehren Erfolg hätte (vgl. Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, VwGO, vor §§ 40 ff Rdnrn. 23, 31; Kopp/Schenke, VwGO, Vorb. § 40 Rdnr. 38 m.w.N.; Redeker/v. Oertzen, VwGO, 14. Aufl., § 42 Rdnr. 28). Es ist in der Regel auch dann zu verneinen, wenn vorbeugender Rechtsschutz begehrt wird. Rechtsschutz ist nach der VwGO grundsätzlich erst dann möglich, wenn der Verwaltungsakt, die Rechtsnorm oder der Realakt, die den Gegenstand des Begehrens bilden, bereits erlassen sind. An einem Rechtsschutz im Voraus besteht grundsätzlich kein schützenswertes Interesse, es sei denn, dem Rechtsschutzsuchenden ist es nicht zumutbar, nachträglichen Rechtsschutz zu erlangen (Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, a.a.O., vor §§ 40 ff Rdnr. 33).

17

Das Rechtsschutzbedürfnis für das Beseitigungsverlangen besteht hier deshalb nicht, weil der Erlass und die Umsetzung des von der Klägerin erwarteten Planfeststellungsbeschlusses und damit die Notwendigkeit, dass das streitige Überführungsbauwerk beseitigt werden muss, derzeit nicht absehbar ist. Ungewiss ist sowohl das "ob" als auch das "wann" des beabsichtigten Streckenausbaus mit der Folge, dass sich die gerichtliche Geltendmachung des Beseitigungsverlangens derzeit als Klageerhebung "zur Unzeit" erweist, für die ein Rechtsschutzbedürfnis nicht besteht. Die Klägerin hat den Verfahrensstand zum Ausbau des dritten Streckengleises auf dem Streckenabschnitt J. in der mündlichen Verhandlung dahin geschildert, dass im Planfeststellungsverfahren für den hier interessierenden Abschnitt Winsen etwa 1.300 Einwendungen erhoben worden seien. Davon seien bisher 900 von der P. bearbeitet worden. Die Stellungnahmen zu den etwa 400 restlichen Einwendungen stehen danach noch aus, ebenso die weiteren Schritte - u.a. der Erörterungstermin - nach §§ 20 AEG, 73 VwVfG bis zum Abschluss des Verfahrens. Ob der Plan festgestellt und das Bauvorhaben tatsächlich durchgeführt werden wird, ist danach noch offen, selbst wenn für die Finanzierung des Streckenausbaus ein vordringlicher Bedarf des Bundes anerkannt worden ist. Da der Plan noch nicht festgestellt ist, ist auch die Frage des konkreten Trassenverlaufs und die Notwendigkeit, dass das von der Beklagten genutzte Überführungsbauwerk beseitigt werden muss, noch nicht abschließend beantwortet. Das Interesse der Beklagten an einer weiteren Nutzung der Eisenbahnbrücke ist als Belang in die Abwägung nach § 18 Abs. 1 Satz 2 AEG einzustellen und zu bewerten. Das Ergebnis der Abwägung ist offen. Das Gericht kann aber im Wege der vorliegenden Leistungsklage den erforderlichen Abwägungen im Planfeststellungsverfahren nicht vorgreifen. Angesichts des Ungewissen Ausgangs des Planfeststellungsverfahrens und der offenbar auch noch unklaren Finanzierung des Vorhabens (vgl. dazu z.B. Presseberichte in der Lüneburger Landeszeitung vom 3. und 4./5.6.2005) ist ein rechtlich geschütztes Interesse daran, der Klägerin bereits jetzt, d.h. "auf Vorrat", einen Vollstreckungstitel auf Beseitigung des von der Beklagten seit Jahrzehnten genutzten Überführungsbauwerks zu verschaffen, nicht gegeben.

18

Der Hilfsantrag zu 1. ist auf die bauliche Veränderung des Überführungsbauwerks gerichtet, d.h. auf die Entfernung der vorhandenen Widerlager vom überbauten Grundstück der Klägerin und Erhöhung der Eisenbahnbrücke auf eine Durchfahrtshöhe von mindestens 6,20 m über den darunter befindlichen Schienen. Er ist ebenso wie der Hauptantrag unzulässig. Das Veränderungsverlangen dürfte auf einen kompletten Abriss des vorhandenen Überführungsbauwerks mit der Notwendigkeit der Neuerrichtung eines Ersatzbauwerks hinauslaufen. Für die gerichtliche Geltendmachung eines solchen Begehrens fehlt es derzeit ebenfalls aus den oben genannten Gründen an dem erforderlichen Rechtsschutzinteresse.

19

Die weiterhin hilfsweise gestellten Feststellungsanträge sind ebenfalls unzulässig. Mit der Feststellungsklage nach § 43 VwGO kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Die Klage setzt voraus, dass sich das Rechtsverhältnis bereits hinreichend konkretisiert hat. Sie soll nicht dazu führen, dass die Gerichte allein mit der Klärung abstrakter Rechtsfragen befasst werden (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., § 43 Rdnr. 17 m.w.N.). Das Feststellungsinteresse muss auf eine alsbaldige Feststellung gerichtet sein. Es fehlt in der Regel bei einer vorbeugenden Feststellungsklage, wenn nicht ein spezielles, auf die Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes gerichtetes Rechtsschutzinteresse besteht und mit dem weiteren Abwarten unzumutbare Nachteile für den Kläger verbunden sind (Kopp/Schenke, a.a.O., § 43 Rdnr. 24).

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Die Feststellungsanträge sind nach diesen Maßstäben unstatthaft. Sie sind geknüpft an die von der Klägerin vorgesehene Erstellung eines dritten Gleises im Bereich des hier streitigen Überführungsbauwerks. Die Realisierung des Vorhabens ist nach den zuvor gemachten Ausführungen derzeit nicht absehbar. Die Feststellungsanträge beziehen sich auf ein in der Zukunft liegendes Ereignis, das derzeit noch ungewiss erscheint. Das streitige Rechtsverhältnis hat sich danach noch nicht hinreichend konkretisiert. Es fehlt auch das besondere Feststellungsinteresse daran, dass das Verwaltungsgericht während des laufenden Planfeststellungsverfahrens zum Ausbau des dritten Schienengleises und im Vorgriff auf den noch ausstehenden Planfeststellungsbeschluss rechtsverbindliche Feststellungen zu einem Sachverhalt trifft, der als Belang der Beklagen im Rahmen der Abwägung nach § 18 Abs. 1 Satz 2 AEG relevant ist. Das Begehren der Klägerin stellt sich im Hinblick auf seine Ausrichtung auf ein zukünftiges Ereignis als vorbeugende Feststellungsklage dar, für die derzeit kein berechtigtes Interesse besteht.

21

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 173 VwGO i.V.m. § 17 b Abs.2 GVG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.

22

Gründe für die Zulassung der Berufung nach § 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO liegen nicht vor.

Streitwertbeschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 200.000,-- EUR festgesetzt.

v.Alten
Schütte
Göll-Waechter