Vergabekammer Lüneburg
Beschl. v. 04.02.2021, Az.: VgK-53/20

Ausschreibung der Lieferung von ballistischen Unterziehschutzwesten zur verdeckten Tragweise im offenen Verfahren; Ausschluss eines Bieters mangels Anerkennung des Prüfzertifikats aus formalen Gründen

Bibliographie

Gericht
VK Lüneburg
Datum
04.02.2021
Aktenzeichen
VgK-53/20
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 21665
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Zentrale Vergabe- oder Beschaffungsstellen müssen bei der Vergabe eng und wechselseitig vertrauensvoll mit dem eigentlichen Nutzer, der den Beschaffungsbedarf hat, zusammenarbeiten.

Die Vergabekammer kann im Konsens der Verfahrensbeteiligten analog zu § 128a ZPO, § 102a VwGO die mündliche Verhandlung gemäß § 166 GWB auch in digitaler Form durchführen.

Der Auftraggeber ist nicht berechtigt, nachträglich Eignungskriterien aufzustellen.

Der Auftraggeber darf den Wettbewerb nicht mittelbar durch eine Verengung auf wenige Prüfinstitute (4 bundesdeutsche Beschussämter) verengen.

Der Antragsgegner ist nicht verpflichtet, den Aufbau einer Teststellung bereits in den Vergabeunterlagen genau zu beschreiben.

Der Antragsgegner muss die Vergabeakte der Vergabekammer sofort und vollständig vorlegen, damit die Vergabekammer ihn vor dem Einwand der selektiven Auswahl schützen kann. Die Vorlagepflicht umfasst in der elektronischen Vergabe wegen der Metadaten die Originaldateien, nicht nur PDF-Derivate.

Der Antragsgegner muss die Dokumentation so aufbauen, dass sich daraus einem unterlegenen Bieter oder den Nachprüfungsinstanzen die sachlichen Gründe für die Auswahlentscheidung vollständig ergeben. Dazu gehören die Originaldokumente vom Wertungstag. Eine fast einen Monat nach der Wertung von einem Unbekannten erstellte Excel-Tabelle mit Wertungspunkten ohne Gründe für die Punktvergabe reicht auch bei subjektiven Wertungen, wie Tragekomfort, nicht aus.

In dem Nachprüfungsverfahren
der xxxxxx,
Verfahrensbevollmächtigte: xxxxxx,
- Antragstellerin -
gegen
1. xxxxxx,
2. xxxxxx,
3. xxxxxx,
zu 1 - 3 vertreten durch xxxxxx,
Verfahrensbevollmächtigte: xxxxxx,
- Antragsgegner -
beigeladen:
xxxxxx,
- Beigeladene -
wegen
Vergabeverfahren "Lieferung von ballistischen Unterziehschutzwesten SK1 ST"
hat die Vergabekammer durch den Vorsitzenden RD Gaus, den hauptamtlichen Beisitzer BOR Peter und die ehrenamtliche Beisitzerin Frau Dipl.-Wirtschaftsjur. (FH) Kayser aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 04.02.2021 beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Es wird festgestellt, dass die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt ist. Das Vergabeverfahren wird in den Stand vor Beginn der Wertung zurückversetzt. Der Antragsgegner wird verpflichtet, die Wertung erneut durchzuführen und die aus der Begründung ersichtliche Rechtsauffassung der Vergabekammer zu beachten.

  2. 2.

    Die Kosten werden auf xxxxxx € festgesetzt.

  3. 3.

    Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens (Gebühren und Auslagen der Vergabekammer) zu tragen. Der Antragsgegner ist jedoch von der Entrichtung der Kosten persönlich befreit.

  4. 4.

    Der Antragsgegner hat der Antragstellerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts war für die Antragstellerin erforderlich.

Begründung

I.

Der Antragsgegner hat mit EU-Vergabebekanntmachung vom xxxxxx.2020 die Lieferung von xxxxxx ballistischen Unterziehwesten zur verdeckten Tragweise europaweit im offenen Verfahren nach Maßgaben der VgV ausgeschrieben. Als Auftraggeber wurde in der Bekanntmachung unter Ziffer I.1) xxxxxx (im Folgenden "xxxxxx") angegeben. Nach Ziffer II.2.5 der Bekanntmachung sollte die Qualität der Schutzwesten mit 70 % und der Preis mit 30 % gewichtet werden. Der ursprünglich in der Bekanntmachung festgesetzte genannte Schlusstermin für den Eingang der Angebote wurde mit weiterer EU-Bekanntmachung vom xxxxxx.2020 auf den xxxxxx.2020 verlängert.

In der zu den Vergabeunterlagen gehörenden Leistungsbeschreibung war unter Ziffer 1.1 (Bl. 0043 der Vergabeakte) "Auftraggeber und Vertragspartner"Folgendes festgelegt:

"Auftraggeber und Vertragspartner ist xxxxxx, vertreten durch xxxxxx."

In den zu den Vergabeunterlagen gehörenden Technischen Lieferbedingungen für Unterziehschutzwesten TL-A 22, Ausgabe 1, vom 15.06.2020, des xxxxxx wurden verschiedene Kriterien als Ausschlusskriterien gekennzeichnet, deren Nichteinhaltung zum sofortigen Ausschluss des Angebotes führen sollten. Zu diesen Ausschlusskriterien gehörte die ballistische Schutzwirkung der Unterziehwesten. Unter Ziffer 1. (Bl. 0004 der Vergabeakte) "Allgemein"der Technischen Lieferbedingungen TL-A 22 war diesbezüglich u. a. Folgendes festgelegt:

" [.....]

Ballistische Unterziehschutzweste (UZSW) gem. Technischer Richtlinie (TR) "Ballistische Schutzwesten"Stand März 2008, Revisionen: 10/2008 (Nr. 4.4, letzter Absatz) und 09/2009 (Anlage 1, Geschossangaben SK4) mit der Schutzwirkung SK 1 ST (UZSW) für Damen und Herren (VPAM-APR 2006, Prüfstufe 3 und Sondermunition sowie VPAM-KDIW 2004, Stand: 18.05.2011 Klasse K1).

Die Schutzweste muss der unter Punkt 1 angegebenen Technischen Richtlinie "Ballistische Schutzwesten"in dem jeweils aktuell gültigen Stand vollständig entsprechen und nach den darin spezifizierten Vorgaben geprüft und zertifiziert sein. Eine Gebrauchsanweisung in deutscher Sprache ist beizufügen.

Anderweitige Gutachten oder Firmenaussagen werden nicht berücksichtigt.

[.....]"

In der in den Technischen Lieferbedingungen des xxxxxx in Bezug genommenen Technischen Richtlinie "Ballistische Schutzwesten", Stand März 2008, war unter Ziffer 1.6.2 "Nachweis der Forderungen"u. a. Folgendes festgelegt:

"Der Anbieter (Hersteller bzw. Vertreiber) von Schutzwesten hat durch ein Prüfzeugnis einer vom Polizeitechnischen Institut (PTI) anerkannten Prüfstelle nachzuweisen, dass die Forderungen dieser Richtlinie erfüllt werden. Die Durchführung der Prüfungen hat der Anbieter auf seine Kosten zu veranlassen.

Anstelle der in Anlage 3 genannten Prüfstellen wird auch eine vergleichbare andere amtliche Einrichtung eines EU-Staates anerkannt, soweit diese Einrichtung die zur Durchführung der geforderten Prüfungen notwendige Sach- und Fachkunde aufweist. Die Fach- und Sachkunde dieser Einrichtung muss vom Anbieter nachgewiesen werden. Das PTI behält sich vor, die Fachkunde der mit der Prüfung beauftragten Einrichtung zu verifizieren.

[.....]"

In der Anlage 3 "Begriffsdefinitionen"zur Technischen Richtlinie "Ballistische Schutzwesten"war unter dem Begriff "Prüfstelle"Folgendes ausgeführt:

"Prüfstellen sind die Beschussämter Mellrichstadt, München, Suhl und Ulm und andere vom PTI anerkannte Stellen. Der Entflammbarkeitstest kann beim Sächsischen Textilforschungsinstitut e.V., Chemnitz, oder anderen akkreditierten Prüfstellen durchgeführt werden."

Neben der Listung der Ausschlusskriterien wurden in den Technischen Lieferbedingungen für Unterziehschutzwesten TL-A 22 des xxxxxx Hinweise zur preislichen und technischen Bewertung der Angebote gegeben. So sollte nach der dortigen Bewertungsmatrix und den zugehörigen Erläuterungen (Bl. 0018 bis 0021 der Vergabeakte) hinsichtlich des Preises das Angebot mit dem niedrigsten Preis 300 Punkte erhalten. Alle anderen Angebote sollten einen Abzug von der Maximalpunktzahl in Höhe der jeweiligen prozentualen Überschreitung des günstigsten Angebotspreises erhalten.

Im Rahmen der technischen Bewertung sollte die Bewegungsfreiheit mit der Unterziehweste mit maximal 420 Punkten bewertet werden (Note 1, volle Bewegungsfreiheit). Abstufungen sollten hier in zwei Schritten erfolgen (Note 3, leichte abstellbare Beschränkungen: 210 Punkte und Note 6, eingeschränkte Bewegungsfreiheit: 0 Punkte). Die Gestaltung der individuellen Anpassbarkeit der Unterziehwesten sollte mit maximal 280 Punkten bewertet werden (Note 1, Anpassbarkeit voll gegeben). Abstufungen sollten hier ebenfalls in zwei Schritten erfolgen (Note 3, leichte abstellbare Einschränkungen: 140 Punkte und Note 6, Anpassbarkeit eingeschränkt: 0 Punkte).

Die Bewertung sowohl der Damenweste als auch der Herrenweste sollte durch jeweils drei Polizeibeamtinnen bzw. Polizeibeamte durch einen Praxistest erfolgen. In Bezug auf die Beurteilung der Bewegungsfreiheit waren in den Erläuterungen zur Bewertungsmatrix zusätzlich vier zu durchlaufende polizeiliche Einsatzszenarien (Büro/Innendienst, polizeiliche Maßnahme, Streifenfahrt und dynamische Belastung) näher beschrieben. Die pro technischem Kriterium zu vergebende Gesamtpunktzahl sollte durch eine Mittelwertbildung aller abgegebenen Beurteilungen erfolgen.

Bis zum Ende der Angebotsfrist gaben sechs Bieter ein Angebot ab.

Dem Angebot der Antragstellerin war ein Prüfzeugnis über das von ihr angebotene Produkt, Typenbezeichnung xxxxxx, vom 24.09.2020 nebst Anlagen beigefügt (Bl. 0127 bis 0138 der Vergabeakte). Das Prüfzeugnis mit der Bezeichnung xxxxxx war ausgestellt vom Forensischen Institut Zürich. Als Prüfvorschrift war dort angegeben VPAM APR 2006 (Stand: 20.11.2014)/TR DHPol (Stand 03/2008). Mit dem Prüfzeugnis wurde bestätigt, dass die vorgelegten Schutzwestenpaneele die Prüfungen bestanden haben.

Während der Angebotswertung bat der Antragsgegner, vertreten durch die xxxxxx, das PTI um Klarstellung, welche die vom PTI anerkannten Prüfstellen/-institute seien. Das PTI als Teil der Deutschen Hochschule der Polizei teilte daraufhin mit E-Mail vom 06.11.2020 im Ergebnis mit, dass dies ausschließlich die in der TR "Ballistische Schutzwesten"benannten Beschuss- und Materialprüfämter in Deutschland seien. Das Forensische Institut Zürich gehöre nicht zu den zugelassenen Prüfinstituten. Auf erneute dortige Nachfrage wurde diese E-Mail am 15.12.2020 auch dem xxxxxx zur Kenntnis gebracht.

Der Praxistest zur technischen Bewertung der Unterziehschutzwesten wurde von der xxxxxx in dem Zeitraum vom 19.10.2020 bis zum 05.11.2020 durchgeführt und das Ergebnis dem xxxxxx am 20.11.2020 mitgeteilt. Die Zusammenführung der technischen und preislichen Bewertung erfolgte durch das xxxxxx. Danach lag die Beigeladene mit 759,7 Punkten auf Rang 1. Die Antragstellerin erzielte 697,7 Punkte. Das Angebot eines weiteren Bieters, der rechnerisch 741,8 Punkte erzielt hatte, wurde nach dem Vergabevermerk des xxxxxx vom 18.12.2020 (Bl. 1018a bis 1018h der Vergabeakte) wegen einer nicht zufriedenstellenden Aufklärung nach § 60 Abs. 3 VgV abgelehnt.

Mit Informationsschreiben gemäß § 134 GWB vom 11.12.2020 teilte das xxxxxx der Antragstellerin mit, den Zuschlag am 22.12.2020 auf das Angebot der Beigeladenen erteilen zu wollen. Das Angebot der Antragstellerin habe von der Wertung ausgeschlossen werden müssen, da es nicht die Vorgaben der Technischen Lieferbedingungen A-22 Punkt 1 "Allgemein"erfüllt habe. Das von der Antragstellerin eingereichte Zertifikat hinsichtlich der Schutzwirkung der Unterziehwesten sei nicht von einer durch das Polizeitechnische Institut (PTI) anerkannten Prüfstelle ausgestellt worden. Die anerkannten Prüfstellen seien die Beschussämter Mellrichstadt, München, Suhl und Ulm oder andere vom PTI anerkannte Stellen. Dazu zähle das Forensische Institut Zürich nicht.

Im Weiteren teilte das xxxxxx mit, dass auch für den Fall, dass das Angebot der Antragstellerin wertbar gewesen wäre, dieses nicht den Zuschlag erhalten hätte, da das Angebot der Beigeladenen unter Berücksichtigung der Zuschlagskriterien "Technische Lieferbedingungen"und "Preis"das wirtschaftlichere sei.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 14.12.2020 an das xxxxxx rügte die Antragstellerin das Vergabeverfahren. Sie rügte unter Beifügung einer Listung der Vereinigung der Prüfstellen für angriffshemmende Materialien und Konstruktionen (VPAM), dass das Forensische Institut Zürich eine Autorisierte Prüfstelle der Deutschen Hochschule der Polizei (DHPol), PTI, für die Prüfung und Zertifizierung von Schutzwesten sei und der Ausschluss ihres Angebotes damit rechtswidrig erfolgt sei. Zudem rügte sie, dass das Absageschreiben nicht den rechtlichen Anforderungen des § 134 GWB entsprochen habe, indem das xxxxxx hilfsweise lediglich floskelhaft mitgeteilt habe, dass ein wirtschaftlicheres Angebot in Bezug auf die Zuschlagskriterien "Technische Lieferbedingungen"und "Preis"vorgelegen habe.

Der Antragsgegner wies die Rüge mit anwaltlichem Schreiben vom 17.12.2020 als unbegründet zurück.

Hierauf hin beantragte die Antragstellerin noch am gleichen Tag die Einleitung eines Vergabenachprüfungsverfahrens.

Sie trägt vor, alle formalen Zulässigkeitsvoraussetzungen seien vorliegend erfüllt.

Soweit die Bevollmächtigten des Antragsgegners im laufenden Nachprüfungsverfahren hinsichtlich des Antragsgegners vorgetragen haben, dieser sei nicht das xxxxxx, sondern das xxxxxx und der Nachprüfungsantrag damit unzulässig, sei festzustellen, dass in der EU-Bekanntmachung unter Ziffer I.1) als öffentlicher Auftraggeber das xxxxxx benannt wurde. Der Inhalt der Bekanntmachung dürfe schon aufgrund des Transparenzgrundsatzes als richtig unterstellt werden und gehe im Zweifelsfall zulasten des Antragsgegners. Es sei der Antragstellerin nicht zuzumuten, nachzurecherchieren, ob es sich hierbei um einen Stellvertreter, eine oder keine Behörde oder einen gewinnorientierten Landesbetrieb oder ähnliches handele. Die völlig falsche Bezeichnung des öffentlichen Auftraggebers in der EU-Bekanntmachung als vergaberechtlich zentrales Dokument führe sicher nicht zur Unzulässigkeit des Nachprüfungsantrages.

Es obliege der Vergabekammer zu entscheiden, ob hier eine Rubrumsberichtigung durchzuführen oder aber das Vergabeverfahren aufgrund eines schwerwiegenden Mangels aufzuheben sei. Keinesfalls könne ein solch gravierender Fehler des öffentlichen Auftraggebers aber zu einem prozessualen Vorteil für ihn führen.

Der Nachprüfungsantrag sei auch begründet.

Der Ausschluss des Angebotes der Antragstellerin von der Wertung sei seitens des Antragsgegners rechtswidrig erfolgt. Der bereits mit der Rüge vorgelegten Auflistung der VPAM könne entnommen werden, dass das Forensische Institut Zürich (FOR) eine autorisierte Prüfstelle der DHPol, PTI, für die Prüfung und Zertifizierung von Schutzwesten darstelle. Die nun seitens des PTI aufgestellte Behauptung, dass nur die Beschussämter Mellrichstadt, München, Suhl und Ulm als Prüfinstitute zugelassen seien, sei schlicht falsch. Das PTI könne diese Tatsache auch nicht von sich weisen, da es Mitglied dieser VPAM sei und sich damit diese durch die VPAM abgegebene Erklärung zurechnen lassen müsse. Zudem sei die Geschäftsstelle der VPAM unter der gleichen Adresse wie die DHPol, PTI, zu erreichen.

Die Antragstellerin habe somit mit dem vorliegenden Zertifikat des FOR die Anforderungen der Technischen Lieferbedingungen A-22 entsprechend der Vergabeunterlagen erfüllt, so dass der Ausschluss ihres Angebotes unrechtmäßig erfolgte. Auf die in der Rügeantwort genommene alternative Möglichkeit eines Zertifikats einer vergleichbaren amtlichen Einrichtung eines EU-Staates komme es gar nicht an, denn das FOR gehöre bereits zu den unmittelbar vom PTI anerkannten Stellen.

Zudem habe die Antragstellerin im Jahr 2018 einen Auftrag des Antragsgegners zur Lieferung von 12.700 ballistischen Unterziehschutzwesten erhalten. Hierbei sei in der Leistungsbeschreibung, wie im vorliegenden Fall, ausschließlich auf die Technische Richtlinie verwiesen und die dementsprechenden Prüfzeugnisse der vom PTI anerkannten Stellen verlangt worden. Auf die dortige Bieterfrage vom 31.05.2018 habe die xxxxxx eindeutig erklärt, dass die von der VPAM autorisierten Prüfstellen eben jene seien, die auch vom PTI anerkannt würden. Dass es sich um eine Ausnahme handele, sei nicht erwähnt worden. Die Antragstellerin habe aufgrund dieses Hinweises ein Angebot mit dem Prüfzeugnis des FOR Zürich abgegeben und den Zuschlag erhalten. Der damalige Beschaffungsvorgang sei zudem über ein Jahr betrieben worden. Die nunmehrige Aussage des Antragsgegners, die Beschaffung sei besonders dringlich gewesen und die Anerkennung des FOR Zürich eine Ausnahme, trage schon von daher nicht.

Im Weiteren sei auch ein Gleichwertigkeitsnachweis über ein schweizerisches Institut möglich. Die Schweiz sei zwar nicht Mitglied der Europäischen Union, die sei aber Vertragspartei des "Agreement on Government Procurement"(GPA), einem völkerrechtlichen, plurilateralen Vertrag, den die EU unter anderem mit der Schweiz abgeschlossen habe. Dementsprechend regele Art. 25 der RL 2014/24/EU für öffentliche Auftraggeber aus der EU ein Diskriminierungsverbot für die GPA-Unterzeichnerstaaten. Die Einschränkung der TR, dass das Prüfinstitut eine amtliche Einrichtung eines EU-Staates sein müsse, habe vom Antragsgegner als öffentlicher Auftraggeber so nicht angewendet werden dürfen.

Und schließlich habe der Antragsgegner gegen die rechtlichen Anforderungen des § 134 GWB verstoßen indem er hilfsweise mitgeteilt habe, dass das Angebot der Antragstellerin selbst bei Berücksichtigung in der Wertung nicht den Zuschlag erhalten würde, da das Angebot des obsiegenden Bieters unter der Berücksichtigung der Zuschlagskriterien "Technische Lieferbedingungen"und "Preis"das wirtschaftlichere sei. Diese lediglich floskelhafte Begründung genüge nicht den Anforderungen des § 134 GWB. Wäre das der Fall, wäre die Vorinformation gänzlich sinnlos, und der Zuschlag würde unmittelbar erteilt werden können.

Nach beantragter erweiterter Akteneinsicht bezüglich des vom Antragsgegner durchgeführten Praxistests der Unterziehschutzwesten trägt die Antragstellerin diesbezüglich ergänzend vor, dass die Durchführung dieses Tests fehlerhaft erfolgt sei. Es stehe fest, dass der Antragsgegner nicht dafür Sorge getragen habe, dass die Probanden die richtigen Körpermaße für die zur Verfügung gestellten Westen gehabt hätten. Eine nicht optimal passende Weste könne aber nicht zum Gegenstand eines derart hoch gewichteten und hier alles entscheidenden Tragetests gemacht werden.

Der Antragsgegner habe offenbar die für eine ordnungsgemäße Größeneinteilung zwingend zu beachtenden Regeln ignoriert. So könne selbst bei einer passenden Konfektionsgröße nicht jeder Proband mit der Größe "S"jede Weste der Größe "S"einwandfrei testen. Wie sich aus dem Vermessungskatalog der Antragstellerin entnehmen lasse, gebe es allein innerhalb der Konfektionsgröße "Herren S"30 verschiedene Größen-Kombinationen, wie z.B. "athletisch-kurz", "normal-extralang"oder "korpulent-normal". Die für den Tragetest zur Verfügung gestellten Westen hätten aber - wie gefordert - ausschließlich der Größenkombination "normal-normal"entsprochen. Der richtige Proband hätte also zwingend die Körpermaße aufweisen müssen, wie sie in der dritten Tabelle auf S. 174 des Vermessungskataloges aufgeführt worden seien. Ob dies für die jeweilige Weste eingehalten wurde, habe der Antragsgegner aber weder kontrolliert noch protokolliert. Gleiches gelte für den nach den Technischen Lieferbedingungen auf S. 12 als Ausschlusskriterium formulierten Rundumschutz durch eine Überlappung von 4 cm zwischen dem vorderen und dem hinteren Teil des ballistischen Schutzes. Dies umso mehr, als das die Nichteinhaltung des Rundumschutzes in einem Vergabeverfahren aus dem Jahr 2010 zu einem Angebotsausschluss des Angebotes der Antragstellerin durch den Antragsgegner geführt habe.

Ein wettbewerbskonformer und transparenter Trageversuch müsse also dokumentiert belegen, dass die zur Verfügung gestellte Weste nur bei einem von den Körperproportionen her passenden Probanden getestet werde. Dies habe der Antragsgegner unterlassen.

Zudem sei bei der Bewertung ein Wechsel der Notensprünge vorgenommen worden. In den Technischen Lieferbedingungen sei die Bewertungsmatrix bekannt gemacht worden. Dort wurde festgehalten, dass der Tragetest nach den Noten 1, 3 und 6 bewertet werde. In der Bewertung im Rahmen des Tragetests sei hiervon jedoch abgewichen worden. Im Schreiben der xxxxxx an das xxxxxx vom 20.11.2020 werde jedoch angegeben, dass die Bewertung in "Anlehnung an die Bewertungsmatrix"und "zu Gunsten der Vereinfachung"mit den Noten 1 bis 3, also sehr gut, gut bzw. befriedigend gewertet wurde. Der Wechsel der Schulnotensprünge von 1, 3 und 6 in den Vergabeunterlagen auf 1, 2 und 3 gegenüber den Probanden und sodann wieder zurück auf 1, 3 und 6 in der Auswertung wirke sich immer dann verzerrend aus, wenn nicht die volle Punktzahl vergeben wurde. Damit halte der Tragetest einer Überprüfung nicht Stand und müsse wiederholt werden.

Die Antragstellerin beantragt,

  1. 1.

    die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens gemäß §§ 160 ff. GWB, verbunden mit der unverzüglichen Information des Antragsgegners gemäß § 169 Abs. 1 GWB in Textform,

  2. 2.

    festzustellen, dass die Antragstellerin in ihren Rechten aus § 97 Abs. 6 GWB verletzt ist,

  3. 3.

    gemäß § 168 Abs. 1 GWB hilfsweise andere geeignete Maßnahmen zu treffen, um die Rechtsverletzung zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern,

  4. 4.

    die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts durch die Antragstellerin für notwendig zu erklären,

  5. 5.

    die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung dem Antragsgegner aufzuerlegen,

  6. 6.

    Akteneinsicht gemäß § 165 Abs. 1 GWB.

Der Antragsgegner beantragt:

  1. 1.

    Der Nachprüfungsantrag wird verworfen.

  2. 2.

    Hilfsweise: Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.

  3. 3.

    Die Kosten des Nachprüfungsverfahrens werden der Antragstellerin auferlegt.

  4. 4.

    Das Akteneinsichtsgesuch der Antragstellerin nach § 165 Abs. 1 GWB wird zurückgewiesen.

  5. 5.

    Die Hinzuziehung des Verfahrensbevollmächtigten für den Antragsgegner wird für erforderlich erklärt.

Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin sei unzulässig.

Die Antragstellerin habe in ihrem Nachprüfungsantrag das xxxxxx (xxxxxx) als Antragsgegner benannt. Antragsgegner sei hier jedoch das xxxxxx als öffentlicher Auftraggeber, da Auftraggeber stets die in § 98 bis 102 GWB bezeichneten Gebietskörperschaften oder juristischen Personen seien. Nur diese könnten Antragsgegner sein. Das xxxxxx trete in dem Vergabeverfahren lediglich als vom xxxxxx getrennt anzusehende Vergabestelle auf. Da die Antragstellerin nicht das xxxxxx als Antragsgegner benannt habe, habe sie schon rein tatsächlich keinen Nachprüfungsantrag innerhalb der Frist des § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 GWB erhoben. Insoweit könne eine Rechtzeitigkeit des Nachprüfungsantrages nur bei einer Rubrumsberichtigung vorliegen. Bleibe der Antragsgegner jedoch nicht derselbe, liege keine bloße Rubrumsberichtigung vor, sondern werde im Wege der Beteiligtenänderung ein anderer Beteiligter in das Verfahren eingeführt. Das xxxxxx werde einer solchen Antragsänderung nicht zustimmen.

Bei dem xxxxxx handele es sich nicht um eine Gebietskörperschaft oder eigenständige juristische Person und auch nicht um eine Behörde i. S. d. § 1 Abs. 4 NVwVfG. Das xxxxxx, vertreten durch einen Geschäftsführer, arbeite allein mit privatwirtschaftlichen Strukturen inklusive aller Rechte und Verpflichtungen eines Landesbetriebs. Landesbetriebe, die das Land Niedersachsen vertreten, sind dabei ausweislich Ziffer IV.B. Nr. 23 und 24 des Vertretungserlasses des Landes Niedersachsen der Niedersächsische Landesbetrieb Mess- und Eichwesen Niedersachsen sowie der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz. Der xxxxxx sei in diesem Vertretungserlass nicht erwähnt.

Die Antragstellerin sei zudem auch nicht nach § 160 Abs. 2 GWB antragsbefugt, da ihr de facto kein Schaden durch den lediglich behaupteten Vergaberechtsverstoß drohen oder entstehen könne, da ihr Angebot nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV wegen Nichterfüllung formaler Anforderungen zwingend von der Wertung auszuschließen gewesen sei. Der Vortrag der Antragstellerin hinsichtlich eines drohenden Schadens aufgrund eines vermeintlichen Vergaberechtsverstoßes beschränke sich auf die Behauptung, dass es sich bei dem FOR Zürich um ein vom PTI anerkanntes Prüfinstitut handele. Ausweislich der zweifachen Auskunft des PTI sei das FOR Zürich jedoch nicht als Prüfinstitut anerkannt. Die Antragstellerin habe sich insoweit lediglich auf die Aussage der VPAM verlassen. Die Aussagen der VPAM seien aber in keiner Weise für das PTI oder die DHPol bindend noch müssten sich diese die Aussagen oder Erklärungen der VPAM als privater Vereinigung zurechnen lassen.

Der Nachprüfungsantrag sei auch unbegründet.

Das Angebot der Antragstellerin sei nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV zwingend von der Angebotswertung auszuschließen gewesen. Der Grund für die Nichtberücksichtigung des Angebotes liege in der Nichterfüllung formaler Anforderungen in einem Vergabeverfahren, namentlich der Nichtvorlage eines Zertifikats einer vom PTI anerkannten Prüfstelle trotz transparenter Anforderung. Die Angaben der VPAM als eine vom PTI bzw. der DHPol verschiedenen Vereinigung könne hierfür nicht angeführt werden. Sei einer der Tatbestände des § 57 Abs. 1 VgV erfüllt, sei der Antragsgegner zum Ausschluss des jeweiligen Angebotes verpflichtet, Ermessenspielraum bestehe nicht.

Der Wortlaut der Anforderung in der Leistungsbeschreibung der TL-A 22 unter Ziffer 1, die als Ausschlusskriterium gekennzeichnet sei, sei eindeutig. Soweit es diesbezüglich unter Ziffer 1.6.2 der TR "Ballistische Schutzwesten"heiße, dass anstelle der in Anlage 3 genannten Prüfstellen auch eine vergleichbare andere amtliche Einrichtung eines EU-Staates anerkannt werden würde, sofern diese Einrichtung die zur Durchführung der geforderten Prüfungen notwendige Fach- und Sachkunde aufweise, sei darauf hinzuweisen, dass die Schweizerische Eidgenossenschaft weder Mitgliedstaat Europäischen Union noch des Europäischen Wirtschaftraums sei. Die Schweizerische Eidgenossenschaft gehöre lediglich dem Schengen-Raum an.

Richtig sei zwar, wie die Antragstellerin vortrage, dass die Schweizerische Eidgenossenschaft Vertragspartei des GPA als multilateralem Vertrag sei. Falsch sei jedoch, dass der Art. 25 der RL 2024/24/EU ein Diskriminierungsverbot für die GPA-Unterzeichnerstaaten enthalte. Sinn und Zweck des GPA nach dem eindeutigen Wortlaut des Art. 25 sei die Nichtdiskriminierung der "Bauleistungen, Lieferungen Dienstleistungen und Wirtschaftsteilnehmer aus den Unterzeichnerstaaten dieser Übereinkommen". Der Antragsgegner habe jedoch zu keinem Zeitpunkt Bauleistungen, Lieferungen, Dienstleistungen und Wirtschaftsteilnehmer aus den Unterzeichnerstaaten dieses Übereinkommens diskreditiert. Die Antragstellerin sei ein in der Bundesrepublik Deutschland ansässiges Unternehmen, das in Deutschland hergestellte Schutzwesten vertreibe. Wenn sie an Ausschreibungen des Bundes und der Länder teilnehmen und den Zuschlag erhalten möchte, so müsse sie die Vorgaben der TR "Ballistische Schutzwesten"einhalten.

Zudem sei das FOR Zürich schon kein diskriminierungsfähiger Wirtschaftsteilnehmer, sondern eben eine schweizerische staatliche Stelle, genauer eine Stelle des Sicherheitsdepartements der Stadt Zürich.

Hinsichtlich des Vortrages der Antragstellerin zu dem im Jahre 2018 erhaltenen Lieferauftrag für Unterziehschutzwesten sei festzustellen, dass der Antragsgegner lediglich vor dem Hintergrund der damals gegebenen Eilbedürftigkeit der Beschaffung ausnahmsweise und einmalig das Prüfzeugnis des FOR Zürich anerkannt habe. Aus der damaligen Bieterkommunikation ergebe sich, dass dies somit auch der Antragstellerin seit dem Jahr 2018 hinreichend klar und bekannt war.

Das Angebot der Antragstellerin wäre zudem auch auf der zweiten Stufe der Angebotsprüfung mangels Eignung auszuschließen gewesen. Die Antragstellerin habe nicht dargelegt, dass sie wirtschaftlich und finanziell leistungsfähig sei. Ausweislich der Angaben in ihrem Angebot sei ihr Umsatz, der sich vollständig aus dem Tätigkeitsbereich des Auftrages zusammensetze, Schwankungen von über 60 % unterworfen. Die Antragstellerin gehe selbst in ihrem Nachprüfungsantrag von einem Auftragsvolumen von 2.800.000 € aus. Dieser Betrag übersteige den Mittelwert ihres Umsatzes um fast 1 Mio. €. Die Antragstellerin biete damit, insbesondere vor dem Hintergrund der erheblichen Sicherheitsrelevanz des Beschaffungsgegenstandes, keine hinreichende Gewähr dafür, dass sie im Falle des Misslingens der Auftragserfüllung Insolvenz anmelden müsse.

Und schließlich sei ein Vergaberechtsverstoß auch nicht in der konkreten Form des Informationsschreibens vom 11.12.2021 an die Antragstellerin zu sehen. Der Antragsgegner hatte dort eindeutig mitgeteilt, dass das Angebot der Antragstellerin zwingend nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV von der Wertung auszuschließen sei. Die weiteren Ausführungen des Antragsgegners in dem Informationsschreiben stellten insoweit keine Gründe für die Nichtberücksichtigung des Angebotes der Antragstellerin dar. Nach § 134 Abs. 1 GWB seien die Gründe anzugeben, weshalb ein Angebot nicht berücksichtigt werden könne. Existiere jedoch vorliegend nur ein Grund, wieso das Angebot nicht berücksichtigt werden könne, sei auch nur dieser anzugeben.

Soweit die Antragstellerin schließlich in ihrem Schreiben vom 29.01.2021 vorgetragen habe, die Bewertung der Schutzwesten im Praxistest sei nicht mit den richtigen Größen durchgeführt worden, entbehre dies jeglicher Tatsachengrundlage und erschöpfe sich ausschließlich in unsubstantiierten Vermutungen und Behauptungen. Auch die Ausführungen der Antragstellerin, die angegebenen Noten hätten eine andere Bewertung der Westen zufolge gehabt, widerspreche den Tatsachen. Ob die Bewertungsangaben nun mit 1, 2 oder 3, oder 1, 3 und 6 oder A, B, und C bezeichnet worden seien, sei für das Ergebnis vollkommen irrelevant. Mit den jeweiligen Noten seien bestimmte, bereits mit den Vergabeunterlagen transparent gemachte Punktzahlen verbunden gewesen. Nach diesen sei das wirtschaftlichste Angebot ermittelt worden.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag und trägt zum Verfahren nicht vor.

Wegen des übrigen Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Vergabeakte und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 04.02.2021 Bezug genommen.

II.

Der zulässige Nachprüfungsantrag ist begründet.

Zentrale Vergabe- oder Beschaffungsstellen müssen bei der Vergabe eng und wechselseitig vertrauensvoll mit dem eigentlichen Nutzer, der den Beschaffungsbedarf hat, zusammenarbeiten (im Folgenden 1.).

Die Vergabekammer kann im Konsens der Verfahrensbeteiligten analog zu § 128a ZPO, § 102a VwGO die mündliche Verhandlung gemäß § 166 GWB auch in digitaler Form durchführen (im Folgenden 2.).

Der Antragsgegner ist nicht berechtigt, nachträglich Eignungskriterien aufzustellen (im Folgenden 3.b).

Der Antragsgegner hat den Web- und Anwendungsfehler der TR "Ballistische Schutzwesten", mit dem die Autoren der Richtlinie den Kreis der Prüfinstitute ausschließlich aus formalen Gründen auf 4 bundesdeutsche Beschussämter verengen, nicht ausreichend beseitigt (im Folgenden 3.c).

Wenn der Antragsgegner in den Vergabeunterlagen an derselben Stelle sowohl die TR "Ballistische Schutzwesten", als auch Unterlagen der VPAM verwendet, obwohl er die Anwendung der VPAM-Unterlagen im identischen Kontext ausschließen will, ist das intransparent (im Folgenden 3.d).

Der Antragsgegner ist nicht verpflichtet, den Aufbau einer Teststellung bereits in den Vergabeunterlagen genau zu beschreiben (im Folgenden 3.e).

Der Antragsgegner muss die Vergabeakte der Vergabekammer sofort und vollständig vorlegen, damit die Vergabekammer ihn vor dem Einwand der selektiven Auswahl schützen kann. Die Vorlagepflicht umfasst in der elektronischen Vergabe wegen der Metadaten die Originaldateien, nicht nur PDF-Derivate (im Folgenden 3.f).

Der Antragsgegner muss die Dokumentation so aufbauen, dass sich daraus einem unterlegenen Bieter oder den Nachprüfungsinstanzen die sachlichen Gründe für die Auswahlentscheidung vollständig ergeben. Dazu gehören die Originaldokumente vom Wertungstag. Eine fast einen Monat nach der Wertung von einem Unbekannten erstellte Excel-Tabelle mit Wertungspunkten ohne Gründe für die Punktvergabe reicht auch bei subjektiven Wertungen, wie Tragekomfort, nicht aus (im Folgenden 3.g).

1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig. Nach den Vergabeunterlagen handeln hier mehrere Gebietskörperschaften, die öffentliche Auftraggeber i. S. d. § 99 Nr. 1 GWB sind. Die Antragstellerin richtet den Nachprüfungsantrag nicht gegen den falschen Verfahrensbeteiligten. Der in der Rüge und in der Antragsschrift benannte Landesbetrieb ist eine der vom Land Niedersachsen vorgehaltenen zentralen Vergabestellen. Es kann hier offenbleiben, ob er hier für mehrere öffentliche Auftraggeber handelt, wie das die Vergabeunterlagen darstellen, oder ausschließlich für das xxxxxx, wie der Antragsgegner meint. Die Vergabekammer legt ihrer Entscheidung den Inhalt der Vergabeunterlagen zugrunde. Danach handelte die Behörde des xxxxxx als zentrale Beschaffungsstelle gemäß § 120 Abs. 4 GWB für zwei Bundesländer, eine Stadt und einen nicht näher benannten Kreis von Ordnungsämtern. Sollte das xxxxxx nur für das xxxxxx handeln, wäre § 120 Abs. 4 GWB nicht anzuwenden, das xxxxxx wäre dann zentrale Vergabestelle des Landes. Im Weiteren wird zur Vereinfachung von dem Antragsgegner gesprochen, gemeint ist das xxxxxx als Vertreter einer oder mehrerer Gebietskörperschaften.

Zentrale Vergabe- oder Beschaffungsstellen müssen bei der Vergabe eng und wechselseitig vertrauensvoll mit dem eigentlichen Nutzer, der den Beschaffungsbedarf hat, zusammenarbeiten. Der Nutzer muss seinen Bedarf vollständig mitteilen. Er darf und sollte der Vergabestelle vertrauen, dass sie ihn sicher durch das Vergabeverfahren führt, die Wertung entweder alleine nach den mit ihm gemeinsam erarbeiteten Ausschluss- und Zuschlagskriterien oder mit ihm rechtssicher vornimmt. Es ist die Vergabestelle, die die strengen Anforderungen insbesondere an die Dokumentation der Teststellung und der Entscheidungsgründe aus ihrer Erfahrung kennt und berücksichtigen kann.

Bei Annahme einer zentralen Vergabestelle gehört das xxxxxx als im Landeshaushalt des xxxxxx abgebildete Dienststelle eindeutig zum xxxxxx. Das xxxxxx wird im Vertretungserlass unter III Nr. 4 in Verbindung mit dem Runderlass xxxxxx vom 08.03.2013, Nds MBl. 2013, Bl. 276, bzw. unter IV B 28 des Vertretungserlasses erwähnt (Nds. MBl. 2012, Bl. 578). Die Dienststelle erhält unabhängig von der Organisationsform als Landesbetrieb gemäß § 26 Abs. 1 LHO ihre finanziellen Zuweisungen ausschließlich vom Land. Landesbetriebe gehören nicht zum Sondervermögen nach § 26 Abs. 2 LHO und fügen ihre Wirtschaftspläne als Anlage zum Haushalt bei. Auf den hoheitlichen Behördenbegriff kommt es nicht an.

Die vom Antragsgegner erst im Vergabenachprüfungsverfahren, nicht aber in der Rügeantwort, problematisierte Nennung eines angeblich falschen Antragsgegners bezieht sich auf eine ältere inzwischen aufgegebene Rechtsprechung des OLG Celle (OLG Celle, Beschluss vom 08.11.2012 - 13 Verg 7/12, anders BGH, Beschluss vom 20.03.2014 - X ZB 18/13, Rn. 19; OLG Celle, Beschluss vom 24.09.2014, 13 Verg 9/14 "Polizeiboot"und OLG Celle, Beschluss vom 31.03.2020, 13 Verg 13/19). Eine Rubrumsberichtigung der Vergabekammer ist gemäß den aktuellen Ausführungen des BGH und des OLG Celle ohne weiteres zulässig.

Der streitbefangene Auftrag übersteigt gemäß vorgelegter Kostenschätzung des Gesamtauftragswerts gemäß § 3 VgV deutlich den für die Zuständigkeit der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert gemäß § 106 Abs. 1 GWB. Der 4. Teil des GWB gilt nur für Aufträge, deren geschätzter Auftrags- oder Vertragswert ohne USt. die jeweiligen Schwellenwerte erreicht oder überschreitet, die nach den EU-Richtlinien festgelegt sind. Bei den ausgeschriebenen Leistungen handelt es sich um einen Dienstleistungsauftrag i. S. d. § 103 Abs. 4 GWB, für den gemäß § 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB i. V. m. Art. 4 der Richtlinie 2014/24/ EU in der seit 2020 geltenden Fassung zum Zeitpunkt der hier streitbefangenen Auftragsvergabe ein Schwellenwert von 214.000 € gilt. Die Anwendung der VSVgV anstelle der VgV (vgl. VK Bund, Beschluss vom 30.10.2019 - VK 1-77/19) hat hier niemand erwogen, so dass die Vergabekammer die VgV anwendet.

Die Antragstellerin ist gemäß § 160 Abs. 2 GWB antragsbefugt. Sie hat ein Interesse an dem Auftrag und fristgerecht ein Angebot abgegeben. Sie macht die Verletzung von Rechten durch die Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend, indem sie die Beanstandungen gemäß Ziffer I erhebt. Der Antragsgegner habe ihr Angebot nicht ausschließen dürfen, weil ihr Prüfzertifikat von einem Institut der VPAM erstellt worden sei. Die Wertung sei fehlerhaft erfolgt.

Die Antragsbefugnis nach § 160 Abs. 2 GWB erfordert, dass das Antrag stellende Unternehmen einen durch die behauptete Rechtsverletzung entstandenen oder drohenden Schaden darlegt. Der Antragsteller muss diejenigen Umstände aufzeigen, aus denen sich schlüssig die Möglichkeit eines solchen Schadens ergibt. An diese Voraussetzungen sind keine allzu hohen Anforderungen zu stellen. Es genügt für die Zulässigkeit eines Nachprüfungsantrags, wenn der Bieter ein ernstzunehmendes Angebot abgegeben hat und schlüssig einen durch die behauptete Rechtsverletzung drohenden oder eingetretenen Schaden behauptet, also darlegt, dass durch den behaupteten Vergaberechtsverstoß seine Chancen auf den Zuschlag zumindest verschlechtert sein können (BVerfG, Urteil vom 29.07.2004 - 2 BvR 2248/04; Schäfer in: Röwekamp/Kus/Portz, GWB-Vergaberecht, § 160, Rn. 43 ff.). Ob tatsächlich der vom Bieter behauptete Schaden droht, ist eine Frage der Begründetheit (vgl. BGH, Beschluss vom 29.06.2006 - X ZB 14/06, zitiert nach VERIS).

Die Antragsbefugnis erlischt nicht dadurch, dass die Antragstellerin in der Wertung nur Platz 3 erreicht hat. Ein Bieter, der auf einem wirtschaftlich aussichtslosen Rang liegt, hat keine Antragsbefugnis, weil er selbst mit begründeten Einwendungen gegen den Zuschlagsprätendenten nicht erreichen wird, dass er selbst eine aussichtsreiche Chance auf den Zuschlag erhielte. Das wird insbesondere für den jeweiligen Rangletzten angenommen. Es fehlt ihm daher an der Antragsbefugnis (Schäfer in: Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, § 160, Rn. 75; Hofmann in: Müller-Wrede, GWB Vergaberecht, § 160, Rn. 31, VK Niedersachsen, Beschluss vom 30.11.2020, VgK-44/2020). Die Antragstellerin ist hier mit Platz 3 davon ausreichend entfernt. Überdies hat der Antragsgegner das auf Platz 2 der Wertung liegende Angebot ausgeschlossen, ohne dass der betreffende Bieter sich dagegen mit einer Rüge gewandt hat. Ob der Antragsgegner erneut zu dieser Wertung kommt, wird sich zeigen.

Die Antragstellerin hat die geltend gemachten Verstöße bezüglich der Wertung gegen die Vergaberechtsvorschriften gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 GWB vor Einreichen des Nachprüfungsantrags rechtzeitig gerügt. Gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB muss der Bieter geltend gemachte Verstöße gegen Vergabevorschriften vor Einreichen des Nachprüfungsantrags gegenüber dem Auftraggeber rügen. Dazu setzt ihm § 160 Abs. 3 Nr. 1 GWB eine Frist von 10 Tagen, nachdem er den Verstoß gegen Vergabevorschriften erkannt hat.

Der Antragsgegner informierte die Antragstellerin am 11.12.2020 darüber, dass ihr Angebot ausgeschlossen werde und die Beigeladene den Auftrag erhalten sollte. Erst ab diesem Tag konnte die Antragstellerin Kenntnis von den Ausschlussgründen erhalten. Daraufhin rügte die Antragstellerin am 14.12.2020, also vor Ablauf von 10 Tagen, ihren Ausschluss. Sie erhob ihre Rüge damit rechtzeitig i. S. d. § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB.

Die Rüge enthielt ein konkretes Verlangen, nämlich vom Ausschluss der Antragstellerin wegen eines angeblich fehlenden ordnungsgemäßen Zertifikats abzusehen und die Wertung ordnungsgemäß zu wiederholen.

Die Antragstellerin war hier nicht verpflichtet, die Anwendung der Technischen Richtlinie "Ballistische Schutzwesten"gemäß § 160 Abs. 3 Nr. 1, 2 GWB zu rügen. Nach dieser Vorschrift ist ein Nachprüfungsantrag unzulässig, wenn Verstöße gegen Vergabevorschriften, die aufgrund der Bekanntmachung oder der Vergabeunterlagen erkennbar sind, nicht bis zum Ablauf der Frist für die Angebotsabgabe gerügt werden.

Es kommt insoweit auf die objektive Erkennbarkeit an, nicht auf die tatsächliche Erkenntnis beim Antragsteller. Eine berufsspezifische Differenzierung oder eine Differenzierung nach dem individuellen Kenntnisstand des jeweiligen Bieters lehnt die Rechtsprechung ab (OLG Celle, Beschluss vom 12.04.2016 - 13 Verg 1/16; OLG Celle, Beschluss vom 07.11.2013, 13 Verg 8/13; differenzierend VK Niedersachsen, Beschluss vom 07.02.2014, VgK-51/2013). Das OLG Celle hat im obigen Beschluss darauf hingewiesen, dass in Rechtsprechung und Literatur umstritten sei, ob der Vergaberechtsverstoß für einen Durchschnittsanbieter (vgl. BayObLG, Beschluss vom 23.11.2000 - Verg 12/00; OLG Stuttgart, NZBau 2001, 462, 463; so Schäfer in: Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, Vergaberecht, § 160, Rn. 126, mit Verweis auf EuGH, Urteil vom 23.03.2015, C538/13), oder für den konkreten Antragsteller (OLG Düsseldorf, VergabeR 2007, 200, 203 f.; KG, BauR 2000, 1620, 1621f; OLG Frankfurt, ZfBR 2009, 86, 89) erkennbar sein muss. Es kommt auf die Erkennbarkeit für einen durchschnittlichen Anbieter an (Hofmann in Müller-Wrede, GWB Vergaberecht, § 160, Rn. 70).

Der Antragsgegner hat in den Vergabeunterlagen eine Prüfung und Zertifizierung nach den spezifizierten Vorgaben der TR "Ballistische Schutzwesten"gefordert. Ergänzend wies er sogar darauf hin: "Anderweitige Gutachten oder Firmenaussagen werden nicht berücksichtigt"(Dokument 1, Blatt 04). Das sind deutliche Aussagen, die den Bieter bei einer Abweichung eigentlich zu einer Rüge bis zur Angebotsabgabe veranlassen müssen. Einem in der Sicherheitsbranche tätigen Unternehmen muss die seit 2008 unveränderte Technische Richtlinie "Ballistische Schutzwesten", bekannt sein (vgl. OLG Naumburg, Beschluss vom 16.12.2016 - 7 Verg 6/16; vorgehend VK Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 27.09.2016 - 2 VK LSA 16/16; VK Bund, Beschluss vom 30.10.2019 - VK 1-77/19).

Der Antragsgegner hat mit der Bieterantwort vom 02.09.2020, 11: 52 Uhr, den in der Vergabeentscheidung 2018 von der Antragstellerin wahrgenommenen Notstand bei der Erstellung von Beschlussprüfungen der Beschussämter aufgehoben. Er hat dort (Dokument 0, Blatt 38) auf die Frage, ob wegen der ausgebuchten Termine bei den Beschussämtern solche Zertifikate auch nachgereicht werden könnten, eine solche Nachreichung unbefristet erlaubt. "Eine Zuschlagserteilung wird nur nach Einreichung des Zertifikates erfolgen". Eine solche Auskunft weicht von § 56 Abs. 4 VgV ab und ist ein ungewöhnlich weitreichendes Zugeständnis. Ein durchschnittlicher Anbieter musste hier also ein Problem sehen.

Andererseits hatte der Antragsgegner der Antragstellerin im Jahr 2018 bei einer gleichgelagerten Beschaffung unter Anwendung der Technischen Richtlinie "Ballistische Schutzwesten"und Verwendung eines Schweizer Prüfzertifikats den Zuschlag erteilt. Er hatte nur ihr und ohne Bieterinformation an alle seinerzeit gestattet, ein Prüfinstitut der VPAM zu verwenden. Zitat Vergabe 2018: Danach muss die Prüfstelle vom PTI anerkannt worden sein. Aus der Liste "Autorisierte Prüfstellen der VPAM"ist zu entnehmen, welche Prüfstellen auch vom PTI anerkannt worden sind.

In der mündlichen Verhandlung wie im Schriftsatz vom 29.01.2021 trug die Antragstellerin vor, dass sie bundesweit Prüfzeugnisse des bei der VPAM anerkannten FOR Zürich bei Anwendung der TR "Ballistische Schutzwesten"habe vorlegen dürfen. Der Antragsgegner hat in den Vergabeunterlagen nicht nur auf das PTI, sondern auch auf die VPAM verwiesen (vgl. nachfolgend 3d). Auch die TR verweist unter Ziffer 1.5 auf mitgeltende Normen der VPAM.

Es war vor diesem Hintergrund durchaus konfrontativ und nicht konfliktvermeidend, aber noch zulässig, dass die Antragstellerin ohne Bieterfrage und ohne Rüge bis zum Ablauf der Angebotsfrist ihr bereits eingeholtes Prüfzeugnis des FOR Zürich verwendet hat.

Die Vergabekammer hat abzuwägen zwischen dem Vertrauensschutz der Antragstellerin aufgrund der Zusage im Jahre 2018, die weder als Ausnahmefall, noch als Einzelfall gekennzeichnet war, sondern einen schlichten Regelverweis enthielt, und der Befugnis des Antragsgegners, in jeder Vergabe neu die Maßstäbe für die Anerkennung von Instituten zu setzen. Der Antragsgegner wird seine seinerzeit nur einem Bieter mitgeteilte Auskunft nicht als in Stein gemeißelten Verfahrensgrundsatz gemeint haben. Andererseits ist es Aufgabe des Auftraggebers, gerade im Hinblick auf die auch ihm bekannte abweichende Vergabepraxis, die Vergabeunterlagen klar und eindeutig zu fassen und ihm abweichende positiv bekannte und in dieser Vergabe oder allen künftigen Vergaben nicht gewollte Verfahrensweisen ausdrücklich auszuschließen (vgl. auch zum Umfang der Bieterkenntnis bei der Rügepflicht OLG Celle, Beschluss vom 24.09.2014, 13 Verg 9/14 "Polizeiboot").

Die Vergabekammer kommt daher in diesem Grenzfall unter besonderer Berücksichtigung der bieterfreundlichen Rechtsprechung des OLG Celle zu der Überzeugung, dass die Antragstellerin aufgrund der gegenteiligen bisherigen Vergabepraxis auch des Antragsgegners subjektiv nicht annehmen musste, dass hier nur Prüfzeugnisse deutscher Beschussämter akzeptiert werden. Sie durfte glauben, dass zumindest nach der VPAM anerkannte Zertifikate akzeptiert würden.

Die im Nachprüfungsverfahren eingeführten Mängel wie die Nichtberücksichtigung eines Ausschlusskriteriums waren nicht zu rügen, da sie erst infolge der Akteneinsicht für die Antragstellerin erkennbar wurden.

Die Antragstellerin erhob ihren Nachprüfungsantrag auch innerhalb der Frist des § 160 Abs. 3 Nr. 4 GWB. Nach der Rügezurückweisung vom 17.12.2020 erhob sie ihren Nachprüfungsantrag am selben Tage, hielt also die Frist von 15 Tagen nach Rügezurückweisung ein. Der Nachprüfungsantrag ist somit zulässig.

2. Die Vergabekammer kann im Konsens der Verfahrensbeteiligten analog zu § 128a ZPO, § 102a VwGO die mündliche Verhandlung gemäß § 166 GWB auch in digitaler Form durchführen (vgl. Ahlers, NZBau 2020, 628, Kieselmann, vergabeblog 28/5/2020). Der Ablauf der Verhandlung hat gezeigt, dass die mündliche Verhandlung erheblichen Erkenntnisgewinn gebracht hat. Die mündliche Verhandlung als essentieller Bestandteil des Nachprüfungsverfahrens darf daher auch in Corona-Zeiten nicht entfallen, ist vielmehr unter Nutzung der inzwischen vorhandenen technischen Möglichkeiten umzusetzen. .

3. Der Nachprüfungsantrag ist begründet.

a. Die Antragstellerin wendet sich mit ihrem Nachprüfungsantrag nicht gegen die Leistungsanforderungen des Antragsgegners für Schutzwesten. Diese unterfallen dessen Leistungsbestimmungsrecht. Sie wendet sich gegen ihren Ausschluss, weil ihr Prüfzertifikat aus formalen Gründen nicht anerkannt wird. Sie verlangt mit dem sehr allgemein gehaltenen Antrag zu 3 nicht unmittelbar die Erteilung des Zuschlags auf ihr Angebot, sondern zunächst nur eine neue Wertung ohne Ausschluss ihres Angebots, den sie nach Vervollständigung der Vergabeakte auf angebliche Fehler der Wertung erweitert.

b. Die Antragstellerin ist nicht wegen Eignungsmängeln auszuschließen. Das OLG Düsseldorf hat ausgeführt, dass die seit 2016 geltenden Regelungen einer strengen Handhabung von Ausschlussgründen, die allein vom Gedanken formaler Ordnung geprägt sei, die gesetzliche Grundlage entzogen habe (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 01.04.2020 - Verg 30/19 - zu § 16a EU VOB/A).

Ein Ausschluss der Antragstellerin gemäß § 45 VgV wegen unzureichender finanzieller Leistungsfähigkeit findet keine ausreichende Grundlage in der Bekanntmachung und den Vergabeunterlagen. Solche Kriterien sind unter III.1.2 der europaweiten Bekanntmachung zu benennen. Der Antragsgegner hat stattdessen unter II.1.3 der Bekanntmachung, "Technische und berufliche Leistungsfähigkeit"eine Referenzliste der in den letzten 3 Jahren erbrachten Leistungen gefordert. Die Referenzen sollten mit der ausgeschriebenen Leistung in Art und Umfang vergleichbar sein. Sie waren unter Angabe des Auftragswertes, des Auftragsumfangs und anderer Kriterien vorzulegen. Referenzen sind grundsätzlich Nachweise der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit. Das vom Antragsgegner genannte Kriterium "Auftragswert"hat dagegen neben der Beurteilung der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit auch erhebliche Bezüge zur finanziellen Leistungsfähigkeit. Da alle Eignungskriterien in der Bekanntmachung zu benennen sind, ein am Auftrag interessierter Unternehmer jedoch die gesamte Bekanntmachung lesen muss, hält die Vergabekammer eine etwaige Ungenauigkeit in der Zuordnung für nicht relevant.

Der öffentliche Auftraggeber ist gemäß dem § 122 GWB, bzw. den diese Vorschrift konkretisierenden §§ 45 ff. VgV in dem dort erläuterten Umfang berechtigt, unternehmensbezogene Kriterien festzulegen, um die Eignung der Bieter für die fachkundige und leistungsfähige Auftragsausführung sicherzustellen. Wörtlich heißt es in § 122 GWB: Öffentliche Aufträge werden an fachkundige und leistungsfähige (geeignete) Unternehmen vergeben. Ein Unternehmen ist geeignet, wenn es die durch den öffentlichen Auftraggeber im Einzelnen zur ordnungsgemäßen Ausführung des öffentlichen Auftrags festgelegten Kriterien (Eignungskriterien) erfüllt. Die Eignungskriterien dürfen ausschließlich betreffen: Befähigung und Erlaubnis zur Berufsausübung, wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit, technische und berufliche Leistungsfähigkeit. Eignungskriterien müssen mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung und zu diesem in einem angemessenen Verhältnis stehen. Sie sind gemäß § 122 Abs. 4 GWB in der Auftragsbekanntmachung, der Vorinformation oder der Aufforderung zur Interessensbestätigung aufzuführen (BGH, Urteil vom 06.10.2020 - XIII ZR 21/19, Rn. 11; Hausmann/von Hoff in: Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, GWB Vergaberecht, § 122, Rn. 47).

Hier fehlt es an den im Einzelnen vorab eindeutig festgelegten Eignungskriterien. Der Hinweis auf die Vergleichbarkeit, der die in § 46 VgV einzeln angebotenen Differenzierungsmöglichkeiten nicht nutzt, kann dies nicht ersetzen. Die frühe Information über die Eignungskriterien soll für die an einem Auftrag interessierten Unternehmen rechtzeitig Transparenz schaffen, also vor der aufwändigen Erstellung eines Angebotes. Die Unternehmen sollen anhand der Eignungskriterien bereits feststellen können, ob sich die Erarbeitung eines Angebotes für sie lohnt, ob ihr Unternehmen die Eignungskriterien erfüllt oder ob es bereits die Eignungsvoraussetzungen verfehlt (OLG Celle, Beschluss vom 03.07.2018, 13 Verg 8/17). Es sei erforderlich, dass der öffentliche Auftraggeber die Eignungskriterien klar und unmissverständlich benenne. In den Vergabeunterlagen dürften keine neuen Kriterien benannt, sondern nur die genannten Kriterien konkretisiert werden.

Die Argumente des Antragsgegners, mit denen er fordert, das zu beauftragende Unternehmen benötige einen gewissen Umsatz und Mitarbeiterstamm sind gut nachvollziehbar. Sie finden sich aber weder in III.1.2 "Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit"(Umsatz) oder III.1.3 "Berufliche Leistungsfähigkeit"der Bekanntmachung. Dort hätte er einen Mindestumsatz benennen können und mit der nachgeschobenen Argumentation vielleicht auch sollen. Die Antragstellerin hätte dann wie in der mündlichen Verhandlung angesprochen entscheiden können, ob sie diese Anforderungen selbst oder durch Patronatserklärung bzw. Eignungsleihe ihres Mutterkonzerns oder Bietergemeinschaft mit ihm erfüllt. Auf eine erstmals nach Angebotsabgabe deutlich formulierte Eignungsanforderung kann die Antragstellerin nicht mehr mit einer Angebotsausgestaltung reagieren. Sie ist daher intransparent und nicht zulässig. Die vom Antragsgegner angeführten Umsatzschwankungen finden sich bei anderen Anbietern ähnlich, scheinen daher branchentypisch zu sein.

Der Antragsgegner hat darauf verzichtet, in der Bekanntmachung das Auftragsvolumen festzulegen. Er kann sich daher nicht nachträglich auf seine mit der Berücksichtigung der 2-fachen Optionen begründete Schätzung des Auftragswertes berufen. In II.2.7 der Bekanntmachung heißt es, der Auftrag könne nicht verlängert werden. Folglich darf es diese Verlängerungsoption nicht geben.

So wie in Ziffer III.1.3 der Bekanntmachung abgebildet forderte der Antragsgegner nur 3 Referenzen mit vergleichbarem Auftragswert. Die Antragstellerin hat 3 Referenzen mit erheblichen Auftragswerten vorgelegt, die mit dem Preisspiegel der eingegangenen Angebote in Dokument 8, Blatt 1013, vergleichbar sind. Sie hat damit die Voraussetzung erfüllt. Es ist nicht zulässig, der Antragstellerin die Benennung dreier weiterer Referenzen zum Nachteil auszulegen, indem man aus den großen und den kleinen Referenzen einen angeblich nicht ausreichenden Durchschnittswert der Referenzen berechnet.

Der Antragsgegner hat in den Eignungskriterien der Bekanntgabe nicht verlangt, dass die Referenzen von verschiedenen Auftraggebern stammen müssen. Hinzu kommt, dass ballistische Schutzwesten nahezu ausschließlich von staatlichen Auftraggebern nachgefragt werden. Die Abhängigkeit von einem oder mehreren staatlichen Auftraggebern ist kein Grund zur Annahme einer Insolvenzgefahr, sondern wird eher als solvenzunterstützend aufgefasst.

Der Antragsgegner hat berechtigterweise unter III.1.3 der Bekanntmachung kein Beschäftigungsvolumen als Eignungskriterium festgelegt. § 128 Abs. 2 GWB erlaubt, besondere Bedingungen für die Ausführung des Auftrags festzulegen. Die engen Voraussetzungen der § 36, § 47 Abs. 5 VgV sind primär für Dienstleistungsaufträge vorgesehenen. Nur bei wirklich besonderen Gründen, z.B. Verlege- oder Installationsarbeiten, kann der Auftraggeber einen auf bestimmte Fähigkeiten bezogenen Einsatz eigener Mitarbeiter fordern. Das hätte indirekt Auswirkungen auf das eigene Beschäftigungsvolumen. Dafür ist hier nichts vorgetragen.

c. Der Antragsgegner hat gegen § 31 Abs. 2, Abs. 6 VgV verstoßen, indem er den Text der TR "Ballistische Schutzwesten"mit der Verengung auf vier Beschussämter als Prüfinstitute in den Technischen Lieferbedingungen übernahm. Unter Ziffer 1 verlangte er, dass das vorzulegende Produkt nicht nur inhaltlich den Vorschriften der TR "Ballistische Schutzwesten"vollständig entsprechen müsse, sondern auch den darin genannten formalen Vorgaben, die den Kreis der Prüfinstitute ausschließlich auf 4 bundesdeutsche Beschussämter verengen.

§ 31 Abs. 2 VgV fordert, dass in der Leistungsbeschreibung die Merkmale des Auftragsgegenstandes unter Bezugnahme auf technische Anforderungen zu beschreiben sind. Unter c) und e) werden nachrangig auch (nationale e) technische Spezifikationen genannt. Dabei bezieht sich e) möglicherweise nur auf Planungsleistungen für Bauwerke.

Staatliche Normen, also Gesetze, Verordnungen auf gesetzlicher Basis gibt es bei der technischen Beurteilung von Schutzwesten nicht. Technische Richtlinien, wie die TA Lärm, oder Industrienormen, wie die DIN oder die EN, scheint es auch nicht zu geben. Die TR "Ballistische Schutzwesten"ist eine vom PTI der DHPol erstellte Qualitätsanforderung, entwickelt für den Bedarf der Polizeien der Länder und des Bundes. Sie hat keine Normwirkung (VK Bund, Beschluss vom 30.10.2019 - VK 1-77/19). Sie ist daher eine technische Spezifikation nach § 31 Abs. 2 c) oder e) VgV. Die materiellen Schutzanforderungen der TR "Ballistische Schutzwesten"sind hier inhaltlich unstreitig. Andere Vergabestellen verwenden z.B. britische Standards (VK Sachsen, Beschluss vom 29.11.2019 - 1/SVK/032-19). Die TR kann aber als Leistungsanforderung in die jeweilige Leistungsbeschreibung aufgenommen werden, wie hier geschehen.

Die VPAM versucht wohl europaweit, aber nicht auf den Raum der EU begrenzt, vergleichbare Leistungsanforderungen zu formulieren.

Die TR "Ballistische Schutzwesten"enthält aber neben den eigentlichen technischen Anforderungen an Schutz und an die Prüfung auf Blatt 17 auch Zulassungsvorschriften für die Auswahl der Prüfstellen. Die deutschen staatlichen Beschussämter sind namentlich benannt, weitere können zwar zugelassen werden, sind aber von dem PTI als Autor der TR gemäß der Aufklärung der Vergabekammer nie zugelassen worden.

Um ein Angebot nach der TR abgeben zu können, muss jeder Anbieter eine von ihm erworbene Dienstleistung in Form der Beschussprüfung vorlegen. Die Beschussämter und die weiteren Behörden und privaten Anbieter konkurrieren um diese Dienstleistung. Die TR "Ballistische Schutzwesten"bzw. das PTI als deren Autor und zugleich deren Organ für die Anerkennung weiterer Prüfstellen begrenzen in der Umsetzung ihrer Richtlinie diesen Wettbewerb, ohne dass ein sachlicher Grund dafür erkennbar ist.

Singuläre nationale Begrenzungen, die keinen Bezug zum gemeinsamen europäischen Wirtschaftsraum haben, hindern durch nicht europarechtskonforme nationale Zulassungsverfahren Bieter, die aus dem gemeinsamen Wirtschaftsraum oder im Verbund mit dem gemäß Art 25 der Vergaberichtlinie 2014/24/EU gleichgestellten GPA-Raum heraus Angebote abgeben wollen, an der Angebotsabgabe. In Erwägungsgrund Nr. 98 der Richtlinie heißt es daher: "Ferner sollten sie (gemeint sind Zuschlagskriterien oder Bedingungen für die Auftragsausführung) nicht in einer Weise ausgewählt oder angewandt werden, durch die Wirtschaftsteilnehmer aus anderen Mitgliedstaaten oder aus Drittstaaten, die Partei des GPA oder der Freihandelsübereinkommen sind, denen die Union angehört, unmittelbar oder mittelbar diskriminiert werden."

Die Begrenzung auf wenige Prüfinstitute einer Nation widerspricht dem in der Einleitung zur Vergaberichtlinie 2014/24/EU genannten Art. 114 AEUV zur Angleichung von Rechtsvorschriften. Entsprechend legt § 31 Abs. 6 VgV fest, dass in der Leistungsbeschreibung nicht auf eine bestimmte Produktion oder Herkunft, ein bestimmtes Verfahren etc. verwiesen werden darf, wenn dadurch bestimmte Unternehmen oder bestimmte Produkte begünstigt oder ausgeschlossen werden.

Die Vergabekammer (vgl. VK Niedersachsen, Beschluss vom 16.04.2010, VgK10/2010) hat schon im Jahre 2010 keine Einwendungen gegen Angebote aus Südafrika und den USA erörtert. Auch jetzt gehört die Zulassung von Prüfzeugnissen aus dem EU-Raum zum Standard (VK Niedersachsen, Beschluss vom 29.10.2020, VgK34/2020, tschechisches Zertifikat für Staubfilter, noch nicht bestandskräftig).

In anderen Entscheidungen (VK Niedersachsen, Beschluss vom 01.03.2011, VgK74/2010; Beschluss vom 27.11.2011, VgK-40/2011) befasste sie sich mit der Begrenzung des Wettbewerbs durch Anerkennung eines einzigen Prüflabors. Ein öffentlicher Auftraggeber wollte ausschließlich von seiner eigenen Zulassungsstelle zertifizierte Produkte zulassen. Die Zeit für die Zulassung eines Produktes vor dieser Stelle überstieg jedoch deutlich die im Vergaberecht vorgesehenen Angebotsfristen. Dadurch hatte der öffentliche Auftraggeber einen beschränkten Kreis zugelassener Anbieter geschaffen, in den weitere Anbieter nicht mehr zur Abgabe eines einzelnen Angebots einzudringen vermochten.

Die Vergabekammer führte aus (VK Niedersachsen, Beschluss vom 01.03.2011, VgK74/2010), das Prüfinstitut des damaligen Antragsgegners nehme in seiner Eigenschaft als Zertifizierungs- und Prüfstelle keine herausgehobene Funktion gegenüber anderen EU-weit anerkannten Instituten ein. Es befinde sich als Zertifizierungs- und Prüfstelle im Wettbewerb mit allen anderen Einrichtungen der dort namentlich benannten Liste vergleichbarer Prüfinstitute. Das OLG Frankfurt (Beschluss vom 12.11.2020, 11 Verg 13/20) hat kürzlich festgestellt, dass diese Verengung des Wettbewerbs heute noch von Vergabestellen jenes Auftraggebers mit Modifikationen so gehandhabt wird, und das als vergaberechtswidrig angesehen.

Somit hat das PTI durch die Nichtzulassung weiterer anerkannter Stellen die Zulassung auf die in der TR "Ballistische Schutzwesten"genannten Beschussämter begrenzt. Alle Anbieter ballistischer Schutzwesten, sei es aus dem europäischen Wirtschaftsraum oder sei es als Vertragspartner des internationalen Abkommens "Agreement on Government Procurement"(GPA), müssen sich somit, auch wenn sie über ein aktuelles und aussagefähiges Zertifikat eines anderen leistungsfähigen Prüflabors etwa gemäß der VPAM-Liste verfügen, erneut von einem der vier namentlich genannten Beschussämter innerhalb der Angebotsfrist, also im Offenen Verfahren nach § 15 Abs. 2 VgV innerhalb von 35 Tagen eine weitere Prüfung beschaffen. Das ist wettbewerbswidrig. In diesem Sinne entschied auch das OLG Frankfurt (Beschluss vom 12.11.2020, 11 Verg 13/20), die fehlende Zulassung eines Nachweises der Gleichwertigkeit eines anderen Prüfzeugnisses sei vergaberechtswidrig.

Die Relevanz dieser Behinderung zeigt sich unter anderem daran, dass mehrere Anbieter ein Prüfzeugnis von einem der Beschussämter nicht fristgerecht vorlegen konnten. Sie mussten hierzu eine Nachfrist gemäß § 56 Abs. 2 VgV erbitten. Positiv ist hervorzuheben, dass der Antragsgegner diese Information frühzeitig, nämlich am 02.09.2020 um 11.52 Uhr allen Bietern zur Verfügung stellte. Auch die Antragstellerin hatte 2018 in einer anderen Vergabe gegenüber dem Antragsgegner das Problem. Sie hat es mit dessen Zustimmung durch ein Zertifikat einer Prüfstelle der VPAM gelöst. So wollte sie auch hier vorgehen.

Die Vorschrift in Ziffer 1 der Technischen Lieferbedingungen (Blatt 04 der Vergabeakte) ist gemeinsam mit Ziffer 1.6. der Leistungsbeschreibung (Blatt 44 der Vergabeakte) zu lesen. Dort heißt es in weitgehender, aber nicht vollständiger Übereinstimmung mit Seite 5 Ziffer 1.6.2 der TR "Ballistische Schutzwesten": "Für alle in diesen Vergabeunterlagen genannten nationalen, europäischen oder internationalen technischen Normen wird bezüglich der Anforderungen auch die gleichwertige Art zugelassen. Die Gleichwertigkeit hat der Bieter in seinem Angebot mit geeigneten Mitteln nachzuweisen. Als geeignetes Mittel, gelten insbesondere eine technische Beschreibung des Herstellers oder ein Prüfbericht einer anerkannten Stelle, soweit nicht in den Vergabeunterlagen abweichende Regelungen getroffen werden."Den in Ziffer 1.6.2 der TR enthaltenen Vorbehalt, das PTI werde die Fachkunde der prüfenden Einrichtung verifizieren hat der Antragsgegner weggelassen. Der Antragsgegner wollte hier also den Webfehler der TR vermeiden.

Diese Zulassung gleichwertiger Zeugnisse entspricht der zur Vorgängerrichtlinie der aktuell geltenden EU-Vergaberechtsrichtlinie 2014/24/EU ergangenen Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 10.05.2012 - Rs. C-368/10 Max Havelaar). Sie öffnet mit dem Hinweis auf Prüfberichte einer anerkannten Stelle die Möglichkeit, die Prüfung der Schutzweste auch durch ein anderes inhaltlich gleichwertiges Prüfzeugnis als das der namentlich genannten Beschussämter aus der PTI-Richtlinie zuzulassen.

Aber es findet sich dort auch der Zusatz, "soweit nicht in den Vergabeunterlagen abweichende Regelungen getroffen werden". Diesen sieht die Vergabekammer als Rückverweis auf Ziffer 1 der Technischen Lieferbedingen (Blatt 04 der Vergabeakte) mit Kettenverweis auf das PTI an. Damit hat die vom Antragsgegner übernommene Regelung der TR "Ballistische Schutzwesten"die Tür wieder verschlossen, bevor die Antragstellerin oder ein Dritter ohne deutsches Beschussamtszertifikat Zugang zum Wettbewerb erhalten konnte. So geschah es, als der Antragsgegner der Stellungnahme der DHPol/PTI folgte. Folglich bleibt diese Klausel in der Anwendung leider wirkungslos.

d. Der Antragsgegner hat die Vergabeunterlagen intransparent gestaltet. Er verwendet Normen der VPAM, obgleich er gemäß der von ihm zugleich verwendeten TR "Ballistische Schutzwesten"die Regeln der VPAM im identischen Kontext gerade nicht anwenden will. Diese begriffliche Verwirrung verstößt gegen § 97 Abs. 1 GWB. Nach dieser Vorschrift werden öffentliche Aufträge im Wettbewerb und im Wege transparenter Verfahren vergeben.

In Ziffer 1 der Technischen Lieferbedingungen verweist der Antragsgegner nicht nur auf die TR "Ballistische Schutzwesten", sondern ergänzend hinsichtlich der Schutzwirkung auf zwei Richtlinien der VPAM. Das erscheint naheliegend, weil die TR inhaltlich unter Ziffer 1.5 auf mitgeltende Unterlagen der VPAM verweist. Mit der Bezugnahme in den Vergabeunterlagen nicht nur auf die TR und PTI, sondern auch auf Unterlagen der VPAM hat der Antragsgegner gegenüber allen potentiellen Bietern den Eindruck erweckt, dass die VPAM dem PTI als gleichstehend anzusehen sei, Zeugnisse von Mitgliedern der VPAM folglich anerkennen werde.

Die Intransparenz wird durch die abweichende Vergabepraxis des Antragsgegners in der Vergangenheit subjektiv für die Antragstellerin verstärkt. Der Antragsgegner hat ihr unter Abweichung von seinen damaligen Vergabeunterlagen aufgrund eines Prüfzeugnisses des in diesem Vergabeverfahren abgelehnten Prüfinstitutes einen Auftrag erteilt. Die damalige Anerkennung war nach dem Vortrag des Antragsgegners im aktuellen Nachprüfungsverfahren vergaberechtswidrig. Es gibt zwar keinen Anspruch auf Gleichbehandlung im formalen Unrecht über mehrere Vergabeverfahren hinaus. Vielmehr muss im jeweiligen Konkurrentenfeld in jedem Vergabeverfahren aufgrund der Vorgaben der einzelnen Vergabe neu entschieden werden welche Entscheidung wettbewerbskonform ist und die Rechte aller Bieter aus § 97 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 6 GWB wahrt. Angesichts des engen Anbieterfeldes in diesem speziellen Markt hätte der Antragsgegner jedoch in den Vergabeunterlagen nicht auf Vorschriften der VPAM zurückgreifen dürfen, wenn er den Rechtsschein vermeiden wollte, dass Zertifikate von Mitgliedern der VPAM auch in dieser Vergabe als gleichwertig zu den Zertifikaten der Beschussämter des PTI angesehen werden können.

Eine Differenzierung zwischen PTI und VPAM erscheint angesichts der personellen und technischen Verwobenheit beider Institute auch sachlich nicht gerechtfertigt. Der Vorsitzende der VPAM ist zugleich der Leiter des Beschussamts xxxxxx und benennt seine Dienstadresse in der VPAM als deren Vorsitzender. Das Beschussamt xxxxxx ist im Internetauftritt mit der VPAM verlinkt.

Die deutsche Geschäftsstelle der VPAM befindet sich am Dienstsitz der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster. Ein Mitarbeiter wird namentlich benannt. Derselbe Mitarbeiter der DHPol führt unter derselben Adresse auch die Geschäfte des PTI. Dieselbe Adresse wird zugleich als Mitgliedsadresse der Deutschen Hochschule der Polizei in der VPAM geführt. Das legt eine Identität oder Gleichstellung von PTI, VPAM und DHPol sehr nahe.

Alle kennen sich, arbeiten miteinander, erstellen nach einheitlich vereinbarten aber nicht normierten Standards Zertifikate. Damit ist die Vorgabe, dass nur wenige hier prüfen dürfen, nach dem Sachstand der mündlichen Verhandlung nicht auf sachlich begründete Umstände zu stützen.

Aufgrund dieser Erwägungen ist der Ausschluss, weil das Zertifikat von einem schweizer Prüfinstitut erstellt worden ist, obwohl dies von der VPAM anerkannt wurde, obwohl der Antragsgegner auf die Abfrage der Vergabekammer vom 19.01.2021 keine inhaltlichen Gründe benennen konnte, die gegen die Gleichwertigkeit dieses Gutachtens sprachen, obwohl dessen Trägerschaft durch zwei schweizer Polizeibehörden deutlich für dessen Seriosität spricht, unter Berücksichtigung der unklaren Trennung in den technischen Lieferbedingungen intransparent und verstößt gegen § 97 Abs. 1 GWB.

e. Der Antragsgegner war berechtigt, die vorgesehene Wertungsmethode nicht vorab genau zu beschreiben. Es findet sich zwar unter Ziffer 3 der Technischen Lieferbedingungen eine Anforderung an die Beweglichkeit der Westen, der Antragsgegner hat aber davon abgesehen, für die von ihm vorgesehene Teststellung genaue Prüfabläufe vorzuschreiben. Das ist zulässig.

Gerade bei der Prüfung qualitativer Zuschlagskriterien mit notwendigerweise erheblichen subjektiven Elementen, wie das bei der Bewertung von Beweglichkeit und Tragekomfort der Fall ist, wäre eine genaue Vorgabe vorab in den Vergabeunterlagen nicht hilfreich, um den Probanden die Prüfung der tatsächlichen Bewegungsfreiheit in der Schutzweste zu erlauben. Es ist daher dem tatsächlichen Bewertungsgremium (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.11.2017 - Verg 16/17, 3.B.bb. Anwendererprobung durch 15 Polizeibeamtinnen und -beamte) bei solchen Teststellungen ähnlich wie bei der Bewertung von Präsentationen ein erheblicher Spielraum bei der Bewertung einzuräumen, dessen unvermeidbare Unwägbarkeiten durch eine genauere Dokumentation aufzufangen sind (vgl. BGH, Beschluss vom 04.04.2017, X ZB 3/17).

f. Der Antragsgegner hat die Vergabeakte nicht rechtzeitig in vollständiger Fassung gemäß § 163 Abs. 2 Satz 4 GWB der Vergabekammer vorgelegt. Die Vergabeakte ist nach dieser Vorschrift sofort vorzulegen. Sofort ist als Steigerung von "unverzüglich"zu lesen. Der Begriff der "Vergabeakte"umfasst alle Inhalte im Zusammenhang mit der Vergabe, mindestens ab Bekanntmachung bis zur Bieterinformation nach § 134 GWB oder dem Verfahrensstand, in dem die Vergabekammer die Akte anfordert. Diese schnelle Vorlage dient der Vermeidung von Nachträgen nach Eingang des Nachprüfungsantrags oder der Vermeidung einer lenkenden Dokumentauswahl, wie sie die Antragstellerin hier befürchtet. Die Vergabekammer muss darauf vertrauen können, dass der Antragsgegner sofort alles vorlegt, damit sie ihn vor diesen Einwänden schützen kann.

Der Antragsgegner hat die Wertungsunterlagen auch auf Anforderung nicht vollständig vorgelegt. Das betrifft im Wesentlichen Unterlagen aus der von der xxxxxx durchgeführten technischen Prüfung mit einem Wertungsanteil von 70 %. Eine vollständig vorgelegte Akte enthält zu Zeiten der elektronischen Vergabe nicht nur eine Zusammenstellung von Auszügen in PDF-Qualität, sondern alle Originaldateien der Vergabedokumentation, sei es handschriftlich oder in Dateiform mit den Metadaten. Daran fehlt es für die im Zeitraum vom 19.10.2020 bis zum 20.11.2020 von der xxxxxx ohne Beteiligung des xxxxxx durchgeführte qualitative Wertung.

g. Die Dokumentation des Antragsgegners verstößt gegen § 8 Abs. 2 Nr. 5 VgV. Danach enthält der Vergabevermerk in Textform mindestens u.a. die Gründe für die Auswahl seines Angebots.

Das bedeutet bei der Prüfung von Ausschlusskriterien wie dem Rundumschutz gemäß Ziffer 4 der Vergabeunterlagen (Dokument 1, Blatt 12) eine notwendige Aussage, ob die jeweilige Schutzweste am Körper angelegt einen Rundumschutz gewährleistet. Dieser Gesichtspunkt, auf den die Antragstellerin erst kurz vor der mündlichen Verhandlung erstmals hinwies, findet sich nicht in dem Bericht der xxxxxx. Bei allen Produkten wurde die Prüfung des Rundumschutzes nicht dokumentiert, möglicherweise auch der Rundumschutz nicht geprüft.

Die Darstellung der Gründe bedeutet bei der Gewichtung qualitativer Zuschlagskriterien, dass für jedes Kriterium und jeden Bieter kurz textlich darzustellen ist, warum das Angebot des jeweiligen Bieters in dem Zuschlagskriterium nur X Punkte erhalten hat. Die Darstellung muss geeignet sein, einer Nachprüfungsinstanz die Wertungsreihenfolge aller Angebote zu erklären. Sie sollte auch dem unterlegenen Anbieter erklären können, warum sein Angebot unterlegen war. Laut BGH (Beschluss vom 04.04.2017, X ZB 3/17, Rn. 53) muss der Auftraggeber seine für die Zuschlagserteilung maßgeblichen Erwägungen in allen Schritten so dokumentieren, dass nachvollziehbar ist, welche konkreten qualitativen Eigenschaften der Angebote mit welchem Gewicht in die Benotung eingegangen sind. Wird die Auswahlentscheidung zur Vergabenachprüfung gestellt, untersuchen die Nachprüfungsinstanzen auf die Rüge hin gerade auch die Benotung des Angebots des Antragstellers als solche und in Relation zu den übrigen Angeboten, insbesondere demjenigen des Zuschlagsprätendenten. Auch wenn dem öffentlichen Auftraggeber bei der Bewertung und Benotung ein Beurteilungsspielraum zustehen muss, sind seine diesbezüglichen Bewertungsentscheidungen in diesem Rahmen insbesondere auch darauf hin überprüfbar, ob die jeweiligen Noten im Vergleich ohne Benachteiligung des einen oder anderen Bieters plausibel vergeben wurden. Auch die VK Südbayern (Beschluss vom 27.01.2017, Z 3-3-3194-1-48-11/16) fordert eine nachvollziehbare Dokumentation der Gründe.

Die xxxxxx hat laut ihrem Schreiben vom 20.11.2020 an das xxxxxx die Prüfung der Praxistauglichkeit alleine durchgeführt. Hier fehlte erkennbar die unter 1) dargestellte notwendige vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Vergabestelle und Nutzer. Die Praxistauglichkeit wurde am 22.10.2020 und am 28.10.2020 geprüft. Die xxxxxx übersandte der Vergabestelle im Bericht nur die gemittelten Prüfwerte (Dokument 8, Blatt 1014). Das Anschreiben befasst sich hinsichtlich des Angebots der Antragstellerin nicht mit dem Praxistest, sondern mit dem formalen Ausschluss der Antragstellerin wegen eines nicht ordnungsgemäßen Zeugnisses. Die xxxxxx als Nutzer übernimmt hier wesentliche Inhalte der von der zentralen Vergabestelle verantwortlich durchzuführenden Wertung. Ob das ein Wunsch der xxxxxx oder ein Anliegen des xxxxxx war, kann die Vergabekammer nicht aufklären.

Die einzige wertende Datei wurde am 20.11.2020 nachträglich erstellt. Die Vergabekammer hat anhand der auf ausdrückliches Verlangen nachgereichten Excel-Tabelle aus deren Metadaten nachgewiesen, dass diese Tabelle erst mehr als 4 Wochen nach der qualitativen Wertung erstellt wurde. Sie ist entweder von der xxxxxx zeitgleich mit dem Abgabeschreiben oder von der Vergabestelle erstellt worden. Sie lässt keinen Autor erkennen, was im Landesdienst allenfalls innerhalb der Polizei üblich sein kann, wie in der mündlichen Verhandlung angesprochen. Es ist wegen des erheblichen Abstandes zur Prüfung der Praxistauglichkeit unklar, welche individuellen Wertungen der Probanden in der Datei abgebildet werden. Es muss weitere Dokumente geben, auf denen vom 22./28.10.2020 bis zum 20.11.2020 die Prüfeindrücke der Probanden unmittelbar und vermutlich von ihnen selbst festgehalten wurden. In der Vergabeakte fehlen leider solche handschriftlichen Vermerke oder von den Probanden ausgefüllte Prüfbögen.

Der BGH hat in seiner Schulnotenentscheidung dem Auftraggeber großen Spielraum bei der qualitativen Wertung eingeräumt, aber im zweiten Schritt die Transparenz durch eine über den Wortlaut des § 8 VgV hinausgehende Dokumentation seiner Entscheidung hergestellt. Die Nachprüfungsinstanzen können nur anhand der Dokumentation nachprüfen, ob sich die subjektiven Eindrücke der vom Antragsgegner für die Passform eingesetzten Probanden originär und nach dem vom Auftraggeber zuvor festgelegten Verfahren in der Wertung wiederfinden. Das ist bei weitem nicht immer der Fall (vgl. VK Niedersachsen, Beschluss vom 11.08.2020, VgK-16/2020).

Der Dokumentationsfehler ist auch nicht durch eine nachgeschobene Begründung im Nachprüfungsverfahren heilbar. Das OLG Celle (Beschluss vom 31.03.2020, 13 Verg 13/19) hat die Rechtsprechung hierzu wie folgt zusammengefasst. Nach BGH (Beschluss vom 08.02.2011, X ZB 4/10) führe zwar nicht jeder Dokumentationsmangel dazu, dass eine Wiederholung der betreffenden Verfahrensabschnitte anzuordnen sei, weil anderenfalls der Ablauf des Vergabeverfahrens unangemessen beeinträchtigt werden könne. Es sei möglich, Dokumentationsmängel nachträglich zu heilen, etwa wenn der Auftraggeber die Dokumentation nachholt und dabei Gründe darlege, mit denen er die sachliche Richtigkeit einer angefochtenen Vergabeentscheidung nachträglich verteidige, und die nach Aufhebung in einem wiederholten Verfahren ohne Weiteres der Entscheidung zugrunde gelegt werden können.

Dies sei allerdings dann anders zu beurteilen, wenn die nachgeschobene Dokumentation lediglich im Nachprüfungsverfahren nicht ausreichen könne, um eine wettbewerbskonforme Auftragserteilung zu gewährleisten. Dies gelte insbesondere, wenn der Auftraggeber gerade in Bereichen, in denen ihm ein (wie vorliegend) Beurteilungsspielraum (dazu: Conrad in: Gabriel/Krohn/Neun, Hdb. des Vergaberechts, 2. Aufl., § 36, Rn. 50) zustehe, im Nachprüfungsverfahren erstmals in die vertiefte sachliche Prüfung der zur Rechtfertigung angeführten Problematik eingestiegen sei und damit erst die eigentlich notwendige Dokumentation vorgenommen habe.

Da es hier um Beurteilungsspielräume mit den oben dargestellten unmittelbaren Folgen für die Wertungsreihenfolge geht, über dies die Prüfungen nun 4 Monate her sind, hält die Vergabekammer die isolierte Nachholung der Dokumentation nicht für zulässig. Der Antragsgegner wird die gesamte Wertung einschließlich der technischen Merkmale wiederholen müssen. Dabei wird er zur Vermeidung von Vorfestlegungen andere Probanden einsetzen müssen. Idealerweise wird er Kolleginnen und Kollegen heranziehen, die die Westen später auch tatsächlich tragen, z.B. Beamtinnen und Beamte des xxxxxx.

Die Annahme des Antragsgegners, dass sich nur Polizeibeamtinnen und -beamte freiwillig zum Test melden werden, deren Konfektionsgröße einer der mitgeteilten Westengrößen entspricht, ist naheliegend und gut nachvollziehbar. Es ist erforderlich, dass die Westen getestet werden, die mit dem Angebot vorgelegt wurden. Es wird daher zwangsläufig dazu kommen, dass die Westen nicht so optimal passen, wie die später individuell von den Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten nach ihren eigenen Körpermaßen bestellten Westen. Auch das ist hinzunehmen und bei der Bewertung zu berücksichtigen, wie die Beigeladene in der mündlichen Verhandlung angemerkt hat.

Gerade der unterlegene Anbieter hat gleichwohl einen Anspruch darauf, dass die für die Wertung wichtigen Inhalte festgehalten werden. Der Antragsgegner wird daher die Probandinnen und Probanden die Konfektionsgröße angeben lassen (als Eigenerklärung). Er wird feststellen, ob die Westen der Größe entsprechen, er wird den Probandinnen und Probanden die Prüfungsmaßstäbe vor der Prüfung erklären und idealerweise nicht nur beschreibend festhalten, welche Bewegungsabläufe für jeden Westentest durchzuführen sind, sondern auch, dass dies geschehen ist. Er wird von dem vorgegebenen Prüfungsmaßstab mit den ursprünglich benannten Noten nicht abweichen.

Er wird die Abstufungen den Probandinnen und Probanden so erklären, wie sie in den Vergabeunterlagen beschrieben sind. Er wird den Probanden und Probanden die Gelegenheit geben, ihre subjektiven Eindrücke unmittelbar niederzulegen, dies in die Dokumentation aufnehmen.

4. Gemäß § 168 GWB trifft die Vergabekammer die geeigneten Maßnahmen, um eine Rechtsverletzung zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern. Sie ist dabei an die Anträge nicht gebunden und kann auch unabhängig davon auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens einwirken.

Hier liegt ein Grund vor, mit Maßnahmen auf die Rechtmäßigkeit des Verfahrens einzuwirken. Die Zurückversetzung auf den Zeitpunkt vor Beginn der Wertung ist das mildeste der geeigneten Mittel um die Rechtsverletzungen zu heilen, weil die festgestellten und zuvor gerügten oder erst während des laufenden Nachprüfungsverfahrens erkennbaren Fehler in der der Wertung, insbesondere im Angebotsausschluss und der Dokumentation der Wertung liegen. Es obliegt dem Antragsgegner, nach weiterer Angebotsprüfung eine neue Vergabeentscheidung zu treffen.

III. Kosten

Die Kostenentscheidung folgt aus § 182 GWB.

Die in Ziffer 2 des Tenors festgesetzte Gebühr ergibt sich aus einer Interpolation des Auftragswertes innerhalb des Gebührenrahmens gemäß § 182 Abs. 2 GWB. Die von der Vergabekammer festzusetzende regelmäßige Mindestgebühr beträgt 2.500 €, die Höchstgebühr 50.000 € und die Höchstgebühr in Ausnahmefällen 100.000 €.

Die Gebührenermittlung erfolgt anhand einer Gebührentabelle des Bundeskartellamtes in der zzt. gültigen Fassung vom Dezember 2009. Hiernach wird der Mindestgebühr von 2.500 € eine Ausschreibungssumme von bis zu 80.000 € zugeordnet und dem regelmäßigen Höchstwert von 50.000 € eine Ausschreibungssumme von 70 Mio. € (höchste Summe der Nachprüfungsfälle 1996 - 1998) gegenübergestellt. Dazwischen wird interpoliert.

Nach dem Angebot der Antragstellerin legt die Vergabekammer dessen den Wert von netto xxxxxx € zugrunde. Die Optionen sind inhaltlich nicht bestimmt, weil der Umfang der Nachlieferung unklar bleibt. Sie können daher in diesem Fall nicht zu 50 % des angenommenen Wertes hinzugerechnet werden. Hinzu kommt die Umsatzsteuer von 19 %. Somit beträgt der Verfahrenswert xxxxxx € brutto. Dieser Betrag entspricht dem mutmaßlichen Interesse der Antragstellerin am Auftrag.

Bei einer Vergabesumme von xxxxxx € brutto ergibt sich eine Gebühr in Höhe von xxxxxx €. Diese Gebühr schließt einen durchschnittlichen sachlichen und personellen Aufwand ein. Gutachterkosten oder Kosten durch Zeugenvernehmungen in der mündlichen Verhandlung sind nicht angefallen.

Die in Ziffer 3 des Tenors verfügte Kostenlast folgt aus § 182 Abs. 3 Satz 1 GWB. Danach hat ein Beteiligter, soweit er im Nachprüfungsverfahren unterliegt, die Kosten zu tragen. Der Begriff der Kosten umfasst sowohl die Gebühren, als auch die Auslagen der Vergabekammer.

Der Antragsgegner ist jedoch von der Pflicht zur Entrichtung der Kosten gemäß § 182 Abs. 1 Satz 2 GWB i. V. m. § 8 Abs. 1 Nr. 3 BVerwKostG befreit (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 13.07.2005, Az.: 13 Verg 9/05; OLG Dresden, Beschluss vom 25. 01. 2005, Az.: WVerg 0014/04). Zwar ist das BVerwKostG mit Wirkung vom 15.08.2013 aufgehoben worden, jedoch ist es aufgrund der starren Verweisung aus § 182 Abs. 1 Satz 2 GWB auf das BVerwKostG in der Fassung vom 14.08.2013 hier weiter anzuwenden. Inhaltlich entspricht die dortige Regelung § 8 BGebG.

Gemäß Ziffer 4 des Tenors hat der Antragsgegner der Antragstellerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Aufwendungen gemäß § 182 Abs. 4 Satz 1 GWB zu erstatten. Gemäß § 182 Abs. 4 Satz 4 GWB i. V. m. § 80 Abs. 2 VwVfG in entsprechender Anwendung war antragsgemäß auszusprechen, dass die Zuziehung eines Rechtsanwalts durch die Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren notwendig war. Obwohl das GWB für das Nachprüfungsverfahren 1. Instanz vor der Vergabekammer keine rechtsanwaltliche Vertretung vorschreibt, ist wegen der Komplexität des Vergaberechts, des Verfahrensrechts im Nachprüfungsverfahren sowie der Komplexität des konkreten streitbefangenen Vergabeverfahrens rechtsanwaltliche Beratung und Begleitung für die Antragstellerin erforderlich.

Gemäß § 182 Abs. 4 Satz 2 GWB sind die Aufwendungen der Beigeladenen nur erstattungsfähig, soweit sie die Vergabekammer aus Billigkeit der unterliegenden Partei auferlegt. Die Beigeladene hat hier keinen Sachantrag gestellt, das Verfahren nicht schriftsätzlich gefördert. Es gab daher keinen Grund Aufwendungen der Beigeladenen aus Billigkeitsgründen der unterlegenen Parteien aufzuerlegen.

Gaus
Peter
Kayser