Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 03.07.2018, Az.: 13 Verg 8/17

Ausschließung eines Angebots wegen unzureichender Referenzen; Gerichtliche Überprüfung der Bewertung geforderter Referenzen durch die Vergabestelle

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
03.07.2018
Aktenzeichen
13 Verg 8/17
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2018, 43808
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VK Lüneburg - 29.11.2017 - AZ: VgK-37/2017

Fundstellen

  • IBR 2019, 39
  • NZBau 2019, 213-216
  • VS 2018, 95
  • ZfBR 2019, 206

Amtlicher Leitsatz

Dem Auftraggeber steht bei der Bewertung geforderter Referenzen ein Beurteilungsspielraum zu, der von den Nachprüfungsinstanzen nur beschränkt überprüft werden kann. Der Beurteilungsspielraum ist überschritten, wenn der Auftraggeber bei der Entscheidung über den Ausschluss eines Angebots Anforderungen an die Referenzen stellt, die sich der Vergabekanntmachung (in Verbindung mit den Vergabeunterlagen) nicht mit der notwendigen Eindeutigkeit entnehmen lassen.

Die Angabe in der Bekanntmachung kann sich darauf beschränken, dass Referenzen über "vergleichbare" Liefer- und Dienstleistungsaufträge vorzulegen sind. Der Auftraggeber muss dann bei der Bewertung der Referenzen beachten, dass eine Referenzleistung schon dann vergleichbar ist, wenn sie dieser so weit ähnelt, dass sie einen tragfähigen Rückschluss auf die Leistungsfähigkeit des Bieters für die ausgeschriebene Leistung eröffnet. Bei der Beurteilung, ob eingereichte Referenzen "vergleichbar" sind, darf kein zu enger Maßstab angelegt werden. Wenn der Auftraggeber besondere Anforderungen an die Referenzen stellen will, muss er diese eindeutig benennen.

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss der Vergabekammer Niedersachsen beim Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung vom 29. November 2017 aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass die Antragstellerin aufgrund der Aufhebung des offenen Vergabeverfahrens in ihren Rechten verletzt ist.

Die weitergehende sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin und der weitergehende Nachprüfungsantrag werden zurückgewiesen.

Die sofortige Beschwerde der Beigeladenen zu 2 wird verworfen.

Die Antragstellerin und die Beigeladene zu 2 haben die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer als Gesamtschuldner zu tragen und der Antragsgegnerin die im Verfahren vor der Vergabekammer zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Im Übrigen findet eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten nicht statt. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die Antragsgegnerin war notwendig.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der erforderlichen Aufwendungen der Antragstellerin zu tragen.

Streitwert für das Beschwerdeverfahren: 10.743,20 €.

Gründe

I.

Die Antragsgegnerin schrieb mit EU-weiter Bekanntmachung vom 8. Juni 2017 die Lieferung und Installation eines Einwohnermeldesystems für den Bereich der Stadt G. sowie 27 weitere Gebietskörperschaften aus. Die Bekanntmachung enthielt eine längere Beschreibung der Beschaffung, die u.a. lautete:

"Es ist beabsichtigt, das hier ausgeschriebene Einwohnermeldeverfahren auch weiteren Kommunen in der Region Südniedersachsen anzubieten, die die Aufgabe des technischen Betriebes von Einwohnermeldeverfahren vertraglich auf die Stadt G. übertragen haben. Die Anzahl der zu lizensierenden Kunden beträgt (einschließlich der Stadt G.) nach aktuellem Stand 27 Gebietskörperschaften. Diese 27 kommunalen Kunden repräsentieren aktuell 403 800 Einwohnerinnen und Einwohner. ...Die Applikation muss als browser- und/oder javabasierte Anwendung betrieben werden können. Als wesentliche Merkmale der Software werden unter anderem erwartet: - ... - einen plattform- und betriebssystemunabhängigen Client, ... Der Auftragnehmer muss einen Vor-Ort-Betrieb (System und Datenbank) im Rechenzentrum der KDG anbieten. ... Die Übernahme der Daten aus dem derzeit eingesetzten Verfahren OK.EWO (Hersteller: AKDB / ...) ist ggf. eine ergänzende Leistung in diesem Projekt."

Unter III.1.2) der Bekanntmachung war geregelt:

"Die Vergabestelle behält sich ausdrücklich vor, im Einzelfall folgende Nachweise nachzufordern: - ... - Vorlage von Referenzen über früher ausgeführte, mit dem Ausschreibungsgegenstand vergleichbare Liefer- und Dienstleistungsaufträge in Form einer Liste der in den letzten höchstens drei Jahren erbrachten Leistungen mit Angabe des Auftragswerts, des Liefer- beziehungsweise Erbringungszeitraums sowie des öffentlichen Auftraggebers (Name, Anschrift und Benennung eines Ansprechpartners beim Auftraggeber nebst Telefonnummer). Die technische und berufliche Leistungsfähigkeit in den zur Ausführung kommenden Leistungsbereichen (Ziff. III.1.3) muss für diesen Fall zwingend durch jeweils mindestens eine Referenz nachgewiesen werden können. ...".

III.1.3 Technische und berufliche Leistungsfähigkeit

Eignungskriterien gemäß Auftragsunterlagen

...".

Mit den Vergabeunterlagen stellte die Antragsgegnerin den Interessenten u.a. eine Leistungsbeschreibung und eine Bewertungsmatrix mit aufgelisteten Anforderungen und der jeweiligen Gewichtung in Punkten zur Verfügung.

Die Antragstellerin und die beiden Beigeladenen gaben Angebote ab.

Mit Schreiben vom 4. September 2017 äußerte die Antragsgegnerin Zweifel daran, dass die Antragstellerin die technischen Anforderungen u.a. hinsichtlich des Kriteriums "Das Verfahren steht als browser- oder javabasierte Anwendung zur Verfügung" erfüllen könne, und bat um Erläuterung des Angebots. Unter dem 18. September 2017 forderte sie von den Bietern die Vorlage von mindestens zwei Referenzen über früher ausgeführte, mit dem Ausschreibungsgegenstand vergleichbare Liefer- und Dienstleistungsaufträge mit Angabe des Auftragswerts, des Liefer- bzw. Erbringungszeitraums sowie des öffentlichen Auftraggebers unter Verwendung eines Formblatts. Die Antragstellerin reichte zwei Referenzen ein.

Mit Schreiben vom 2. Oktober 2017 informierte die Antragsgegnerin die Antragstellerin über den Ausschluss ihres Angebots mit der Begründung, die Auswertung der Referenzen habe ergeben, dass die dort jeweils zu erbringenden Leistungen nicht mit dem vorliegenden Ausschreibungsgegenstand vergleichbar seien. Bei der Vergabe sei ausdrücklich erforderlich, dass eine browser- oder javabasierte Anwendung zur Verfügung gestellt werde. Aus den Referenzen werde jedoch ersichtlich, dass die in diesen Aufträgen zu erfüllenden Leistungen nicht vollständig webbasiert zu erbringen gewesen seien. Außerdem sei es dort nicht erforderlich gewesen, eine Migration der Datenstruktur vorzunehmen. Dies sei vorliegend jedoch unerlässlich. Da auch die übrigen Angebote auszuschließen seien, plane die Antragsgegnerin, die Ausschreibung im Verhandlungsverfahren gemäß § 17 VgV fortzusetzen. In dem Verhandlungsverfahren werde die Antragsgegnerin die Antragstellerin im Kürze zur Angebotsabgabe auffordern.

Die Antragstellerin rügte die Nichtberücksichtigung ihres Angebots. In dem Schreiben machte sie u.a. geltend, dass Bestandteil beider Referenzprojekte eine Migration der Datenstrukturen gewesen seien. Darauf erwiderte die Antragsgegnerin, dass die Antragstellerin bei den Referenzprojekten lediglich ihr eigenes, veraltetes System auf ein neu entwickeltes System umgestellt, nicht aber ein fremdes System abgelöst habe.

Gegen den Ausschluss ihres Angebots hat die Antragstellerin nach erfolgloser Rüge einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer mit dem Ziel gestellt, dass die Antragsgegnerin verpflichtet wird, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht das Vergabeverfahren fortzusetzen und die erforderlichen Verfahrensschritte zu wiederholen. Die Beigeladene zu 2 hat beantragt, festzustellen, dass sie durch die Aufhebung in ihren Rechten verletzt ist und die Antragsgegnerin bei fortbestehender Beschaffungsabsicht zu verpflichten, die Aufhebungsentscheidung zurückzunehmen und das Vergabeverfahren in den Stand vor Veröffentlichung der Bekanntmachung zurückzuversetzen.

Die Vergabekammer hat das Vergabeverfahren in den Stand vor Beginn der Wertung zurückversetzt und die Antragsgegnerin verpflichtet, das Vergabeverfahren bei fortbestehender Beschaffungsabsicht ab diesem Zeitpunkt zu wiederholen. Zur Begründung hat die Vergabekammer ausgeführt, die Antragsgegnerin sei nicht berechtigt gewesen, gemäß § 14 Abs. 3 Nr. 5 VgV von einem offenen Verfahren in das Verhandlungsverfahren zu wechseln. Denn nicht alle Bieter seien ungeeignet.

Die Antragstellerin habe ausreichende Referenzen vorgelegt und damit den Eignungsnachweis erbracht. Demgegenüber habe die Antragsgegnerin die Referenzen der Beigeladenen zu 1 zu Recht nicht als vergleichbar angesehen; auch der Ausschluss der Beigeladenen zu 2 erweise sich im Ergebnis als rechtmäßig.

Dagegen wenden sich die Antragsgegnerin und die Beigeladene zu 2 mit der sofortigen Beschwerde. Die Antragsgegnerin will die Zurückweisung des Nachprüfungsantrags erreichen. Der Nachprüfungsantrag sei aufgrund der wirksamen und rechtmäßigen Aufhebung des Vergabeverfahrens durch die Antragstellerin bereits unzulässig. Keines der Angebote habe mit Blick auf die Referenzen den Ausschreibungsbedingungen entsprochen. Zumindest der Ausschluss des Angebots der Antragstellerin sei zu Recht erfolgt, weil die von ihr eingereichten Referenzen nicht mit dem Auftragsgegenstand vergleichbar gewesen seien. Damit hätten die Voraussetzungen des § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VgV für eine Aufhebung des offenen Verfahrens vorgelegen. Ziel der sofortigen Beschwerde der Beigeladenen zu 2 ist die Fortsetzung des offenen Verfahrens unter Berücksichtigung ihres Angebots. Die Beigeladene zu 2 trägt vor, die Antragsgegnerin habe die Angebote der Antragstellerin und der Beigeladenen zu 1 zu Recht ausgeschlossen, während ihr eigenes Angebot hätte berücksichtigt werden müssen, da sie ausreichende Referenzen eingereicht habe. Die Aufhebung des offenen Verfahrens sei rechtswidrig, weil kein Aufhebungsgrund gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VgV vorgelegen habe.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Beschluss der Vergabekammer Niedersachsen beim Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr vom 29.11.2017 aufzuheben und den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.

Die Beigeladene zu 2 hat in der mündlichen Beschwerdeverhandlung beantragt,

1. den Beschluss der Vergabekammer Niedersachsen beim Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr vom 29.11.2017 aufzuheben,

2. die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Aufhebungsentscheidung zurückzunehmen,

3. die Antragsgegnerin zu verpflichten, das Vergabeverfahren in den Stand vor Nichtberücksichtigung des Angebots der Beigeladenen zu 2 zurückzuversetzen und die Prüfung und Wertung ihres Angebotes unter Beachtung der Rechtsauffassung des Vergabesenats erneut durchzuführen, sowie sonst geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um festgestellten Rechtsverletzungen abzuhelfen,

4. hilfsweise, die Antragsgegnerin zu verpflichten, das Vergabeverfahren in den Stand vor Veröffentlichung der Auftragsbekanntmachung zurückzuversetzen und unter Beachtung der Rechtsauffassung des Vergabesenates fortzusetzen,

5. festzustellen, dass die Beigeladene zu 2 durch die Aufhebung des offenen Vergabeverfahrens in ihren Rechten verletzt ist.

Nach Erörterung des Sach- und Rechtslage und Übergang in das schriftliche Verfahren hat die Beigeladene zu 2 erklärt, dass sie die Anträge zu 2 bis 4 nicht mehr weiterverfolge.

Die Antragstellerin beantragt,

1. die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin zurückzuweisen,

2. hilfsweise für den Fall, dass der Senat zu dem Ergebnis kommt, dass das Vergabeverfahren aufgehoben wurde und diese Aufhebung wirksam war,

festzustellen, dass die Aufhebung der Ausschreibung rechtswidrig war.

II.

Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin hat teilweise Erfolg. Die Antragsgegnerin ist nicht verpflichtet, das offene Vergabeverfahren in den Stand vor Beginn der Wertung zurückzuversetzen. Das offene Vergabeverfahren ist durch die Antragsgegnerin aufgehoben worden. Die Aufhebung war zwar rechtswidrig, weil die Voraussetzungen des für die Aufhebungsentscheidung herangezogenen § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VgV nicht vorlagen. Hierdurch ist die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt, was auf ihren Hilfsantrag festzustellen ist. Die rechtswidrige Aufhebung des offenen Vergabeverfahrens war aber wirksam.

Die sofortige Beschwerde der Beigeladenen zu 2 hat keinen Erfolg. Sie ist teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet.

Im Einzelnen:

1. Sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin

a) Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist zulässig.

Etwas anderes folgt nicht aus dem Einwand der Antragsgegnerin, dass das Vergabeverfahren noch vor dem Eingang des Nachprüfungsantrags wirksam beendet gewesen sei. Ein Bieter kann in den Fällen, in denen der öffentliche Auftraggeber die Ausschreibung bereits aufgehoben hat, noch in zulässiger Weise die Vergabekammer anrufen und im Rahmen des primären Rechtsschutzes geltend machen, durch Nichtbeachtung der die Aufhebung der Ausschreibung betreffenden Vergabevorschriften in seinen Rechten verletzt zu sein (BGH, Beschluss vom 18. Februar 2003 - X ZB 43/02 -, juris Rn. 14 ff.). Wenn sich in dem Nachprüfungsverfahren herausstellt, dass trotz des Vergabeverstoßes aufgrund des dem Auftraggeber zustehenden Entscheidungsspielraums eine auf Fortsetzung des aufgehobenen Vergabeverfahrens gerichtete Anordnung nicht ergehen, also Primärrechtsschutz nicht erfolgen kann, so kann der Antragsteller bei Vorliegen eines Feststellungsinteresses die Feststellung beantragen, dass er durch die Aufhebung in seinen Rechten verletzt ist (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23. März 2005 - VII - Verg 76/04 -, juris Rn. 22; Senat, Beschluss vom 10.03.2016 - 13 Verg 5/15, juris Rn.

9). Die Antragstellerin hat einen entsprechenden Hilfsantrag gestellt. Ein Feststellungsinteresse der Antragstellerin ist zu bejahen, weil ihr infolge der Verfahrensaufhebung nutzlose Aufwendungen entstanden sein können, und der Feststellungsantrag der Vorbereitung einer Schadensersatzforderung dienen kann.

b) Der von der Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren gestellte (Haupt)antrag, die Antragsgegnerin zu verpflichten, das Vergabeverfahren bei fortbestehender Beschaffungsabsicht fortzusetzen und die erforderlichen Verfahrensabschnitte sowie die Zuschlagswertung zu wiederholen, ist unbegründet. Die Aufhebung des offenen Verfahrens ist rechtswirksam. Dies gilt unabhängig davon, dass die Voraussetzungen des § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VgV, auf den die Antragsgegnerin die Aufhebung gestützt hat, nicht vorgelegen haben (dazu unten c)).

aa) Entgegen der Auffassung der Vergabekammer hat die Antragsgegnerin das offene Verfahren aufgehoben. Sie ist nicht ohne vorherige Aufhebung vom offenen in das Verhandlungsverfahren gewechselt. Zwar ist der Wortlaut des Schreibens der Antragsgegnerin vom 2. Oktober 2017 insoweit nicht eindeutig. Die Formulierung

"Da vorliegend auch die übrigen Angebote auszuschließen sind, planen wir jedoch, die Ausschreibung im Verhandlungsverfahren gem. § 17 VgV fortzusetzen.

Wir werden in diesem Verhandlungsverfahren auch Ihr Angebot berücksichtigen und Sie in Kürze zur Angebotsabgabe auffordern."

ließ offen, ob die Antragsgegnerin formlos in das Verhandlungsverfahren übergehen wollte, oder ob sie das offene Verfahren beenden und ein Verhandlungsverfahren einleiten wollte (zur Notwendigkeit der Beendigung des vorangegangenen Vergabeverfahrens: Völlink in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 3. Aufl., § 14 VgV Rn. 43; Hirsch Kälblein in: Müller-Wrede, VgV, § 14 Rn. 114; a.A. Willweber in:

Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl., § 14 VgV Rn. 64). Die Antragsgegnerin hat aber spätestens im Nachprüfungsverfahren klargestellt, dass sie eine Aufhebung des offenen Verfahrens vornehmen will. Inzwischen hat sie der Antragstellerin und den Beigeladenen mitgeteilt, dass sie den weiterhin bestehenden Beschaffungsbedarf mittels Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb decken möchte, und die Vergabeunterlagen auf der Vergabeplattform im Internet abgerufen werden könnten.

bb) Die Aufhebung des offenen Verfahrens ist wirksam.

(1.) Gemäß § 63 Abs. 1 Satz 2 VgV ist der Auftraggeber grundsätzlich nicht verpflichtet, den Zuschlag zu erteilen. Die Aufhebung ist regelmäßig auch dann rechtswirksam und vom Bieter hinzunehmen, wenn dafür kein in den Vergabeordnungen anerkannter Grund vorliegt. Dies folgt aus den Grundsätzen der Vertragsfreiheit und Privatautonomie. Aus den Bestimmungen der Vergabe- und Verfahrensordnungen ergibt sich nicht, dass ein öffentlicher Auftraggeber gezwungen wäre, ein Vergabeverfahren mit der Zuschlagserteilung abzuschließen, wenn keiner der zur Aufhebung berechtigenden Tatbestände erfüllt ist. Bieter können vom öffentlichen Auftraggeber eine Fortsetzung des Vergabeverfahrens und einen Abschluss mit einem Zuschlag nur ausnahmsweise erzwingen, wenn der Auftraggeber über keinen sachlichen Grund für eine Aufhebung des Verfahrens verfügt, sondern er dieses Instrument in diskriminierender Weise dazu einsetzt, durch die Aufhebung die formalen Voraussetzungen dafür zu schaffen, den Auftrag außerhalb des eingeleiteten Vergabeverfahrens einem bestimmten Bieter zukommen zu lassen oder unter anderen Voraussetzungen vergeben zu können (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 2014 - X ZB 18/13, juris Rn. 20 f.; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28. Dezember 2016 - VII-Verg 28/16, juris Rn. 21; Portz in: Kulartz/Portz/Marx/Prieß, VgV, § 63 Rn. 23 mit weiteren Nachweisen).

(2.) Ein solcher Ausnahmefall, in dem die Antragstellerin Anspruch auf Weiterführung des Vergabeverfahrens hätte, liegt hier nicht vor.

Dass die Antragsgegnerin mit der Aufhebung des offenen Verfahrens bezweckte, den Auftrag außerhalb des eingeleiteten Vergabeverfahrens einem bestimmten Bieter zukommen zu lassen, kann nicht festgestellt werden. Die - insoweit darlegungsbelastete - Antragstellerin trägt dafür keine hinreichenden Anhaltspunkte vor. Die Vorlage des Gesprächsvermerks ihres Mitarbeiters vom 12. Mai 2016, wonach ein Mitarbeiter der Antragsgegnerin bestätigt habe, dass die Präferenz der Stadt G. und einiger anderer Kunden bei der Beigeladenen zu 2 liege, reicht nicht aus.

Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass die Antragsgegnerin die Aufhebung des offenen Verfahrens vorschob, um in missbräuchlicher Weise den Auftrag unter anderen Voraussetzungen vergeben zu können. Zwar hatte die Antragsgegnerin bis zur mündlichen Verhandlung im Beschwerdeverfahren die Aufhebung allein darauf gestützt, dass kein Angebot eingegangen sei, das den Bedingungen entspreche, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VgV. Da die Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht erfüllt sind (dazu im Folgenden c)), fehlte es zunächst an einem sachlichen Grund für die Aufhebung. Dieser Begründungsmangel ist aber dadurch geheilt, dass die Antragsgegnerin ihre Ermessenserwägungen in der mündlichen Beschwerdeverhandlung ergänzt hat. Sie hat die Aufhebungsentscheidung hilfsweise darauf gestützt, dass in der Vergabebekanntmachung möglicherweise - entgegen dem Rechtsstandpunkt der Antragsgegnerin - hinreichend konkrete Eignungsanforderungen fehlten, und dies dazu führe, dass die von ihr für notwendig gehaltene Eignungsprüfung nicht vergaberechtskonform durchführbar sei (zu einem vergleichbaren Sachverhalt: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10. November 2010 - VII-Verg 28/10 -, juris Rn. 43f.). Diese Begründung trägt die Aufhebungsentscheidung. Ein sachlicher Grund für eine Aufhebung des Vergabeverfahrens kann nämlich darin liegen, dass der Auftraggeber es versäumt hat, die von ihm für notwendig gehaltenen Eignungskriterien in der Vergabebekanntmachung mitzuteilen, und er durch die Aufhebung die Möglichkeit eröffnen will, die Eignung der Bieter in einem neuen Verfahren nach von ihm für zweckmäßig gehaltenen und dem Auftragsgegenstand entsprechend regelgerecht bekannt gegebenen Kriterien überprüfen zu können (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 08. Juli 2009 - VII-Verg 13/09 -, juris 21; Beschluss vom 10. November 2010 - VII-Verg 28/10 -, juris Rn. 43). So liegt der Fall hier. Die Antragsgegnerin kann auch bei fortbestehender Beschaffungsabsicht nicht dazu gezwungen werden, einen Auftrag zu vergeben, bei dem aus ihrer Sicht unklar ist, ob die Eignung des Bieters vorliegt, ein Einwohnermeldesystem mit den von ihr für wesentlich gehaltenen technischen Spezifikationen zu liefern.

Dafür, dass diese Begründung nicht nur zum Schein vorgetragen worden ist, sondern es der Antragsgegnerin insbesondere darauf ankommt, für die Eignungsprüfung Referenzen über vom Bieter ausgeführte Projekte mit "browser- oder javabasierten Anwendungen" zu erhalten, spricht, dass die Antragsgegnerin schon in der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung betont hat, dass sie auf solche Anwendungen Wert lege, damit bei den Anwendern des Einwohnermeldesystems kein Installationsaufwand anfalle. Dafür spricht ferner, dass die Antragsgegnerin im nunmehr begonnenen Verhandlungsverfahren von den Bietern eine Demonstration des angebotenen Systems verlangt, mit der gezeigt werden soll, dass die angebotene Softwarelösung vollständig browser- und/oder javabasiert zur Verfügung gestellt werden kann.

c) Die Antragstellerin hat für den Fall, dass der Senat zu dem Ergebnis kommt, dass das Vergabeverfahren aufgehoben wurde und diese Aufhebung wirksam war, hilfsweise die Feststellung beantragt, "dass die Aufhebung der Ausschreibung rechtswidrig war". Dieser Antrag ist, da es im Nachprüfungsverfahren um die Prüfung einer möglichen Rechtsverletzung zum Nachteil des Antragstellers geht, dahin auszulegen, dass die Antragstellerin Feststellung begehrt, dass sie durch die Aufhebung in ihren Rechten verletzt ist. Der Antrag ist zulässig (§ 168 Abs. 2 GWB) und begründet:

Die Antragsgegnerin hat die Aufhebung des offenen Verfahrens auf § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VgV gestützt, wonach der öffentliche Auftraggeber berechtigt ist, ein Vergabeverfahren ganz oder teilweise aufzuheben, wenn kein Angebot eingegangen ist, das den Bedingungen entspricht. Ihre Auffassung, dass kein den Bedingungen entsprechendes Angebot eingegangen sei, hat die Antragsgegnerin, was das Angebot der Antragstellerin anbetrifft, damit begründet, dass die Forderung, Referenzen über ausgeführte, mit dem Ausschreibungsgegenstand vergleichbare Aufträge vorzulegen, nicht erfüllt sei. Denn die bei den Referenzen zu erfüllenden Leistungen seien nicht vollständig webbasiert zu erbringen gewesen, und es sei auch keine Migration der Datenstruktur aus einem Fremdsystem vorzunehmen gewesen. Diese Begründung für den Ausschluss des Angebots der Antragstellerin ist nicht tragfähig. Es fehlt daher an der Voraussetzung, dass kein Angebot eingegangen ist, das den Bedingungen entspricht, ohne dass es noch darauf ankommt, ob der Ausschluss der beiden weiteren Angeboten ebenfalls vergaberechtswidrig war.

aa) Gemäß § 46 Abs. 1 S. 1 VgV kann der Auftraggeber im Hinblick auf die technische und berufliche Leistungsfähigkeit der Bewerber oder Bieter Anforderungen stellen, die sicherstellen, dass die Bewerber oder Bieter über die erforderlichen personellen und technischen Mittel sowie ausreichende Erfahrung verfügen, um den Auftrag in angemessener Qualität ausführen zu können. Nach § 46 Abs. 3 S. 1 VgV kann der öffentliche Auftraggeber als Beleg der erforderlichen technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit des Bewerbers oder Bieters geeignete Referenzen über früher ausgeführte Liefer- und Dienstleistungsaufträge in Form einer Liste der in den letzten höchstens drei Jahren erbrachten wesentlichen Liefer- oder Dienstleistungen verlangen. Bei der Bewertung der Referenzen steht dem Auftraggeber ein Beurteilungsspielraum zu, der von den Nachprüfungsinstanzen nur daraufhin überprüft werden kann, ob das vorgeschriebene Verfahren eingehalten worden ist, der Auftraggeber die von ihm selbst aufgestellten Bewertungsvorgaben beachtet hat, der zugrunde liegende Sachverhalt vollständig und zutreffend ermittelt worden ist, keine sachwidrigen Erwägungen angestellt worden sind und nicht gegen allgemeine Bewertungsgrundsätze verstoßen worden ist (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 9. Juni 2010 - VII-Verg 14/10 -, juris Rn. 43; Dittmann in: Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV, § 57 Rn. 120 mit weiteren Nachweisen).

Der Beurteilungsspielraum ist überschritten, wenn der Auftraggeber bei der Ausschlussentscheidung Anforderungen an die Referenzen stellt, die sich der Vergabebekanntmachung (in Verbindung mit den Vergabeunterlagen) nicht mit der notwendigen Eindeutigkeit entnehmen lassen. Gemäß § 48 Abs. 1 VgV ist in der Auftragsbekanntmachung oder - im hier nicht gegebenen Fall eines Interessenbekundungsverfahrens, § 38 Abs. 4 VgV - der Aufforderung zur Interessenbekundung neben den Eignungskriterien anzugeben, mit welchen Unterlagen Bieter ihre Eignung gemäß den §§ 43 bis 47 VgV zu belegen haben. Der Auftraggeber hat somit bereits in der Vergabebekanntmachung anzugeben, welche Nachweise zur Beurteilung der Eignung von Bietern vorzulegen sind. Diese müssen im Einzelnen aufgeführt werden, damit sich die Bieter darauf einstellen und sich rechtzeitig die entsprechenden Nachweise beschaffen können. Die Angaben der Bekanntmachung zu den mit dem Angebot vorzulegenden Eignungsnachweisen müssen zudem klar und widerspruchsfrei sein. Unklarheiten und Widersprüche gehen zu Lasten des Auftraggebers. Der Auftraggeber ist an seine Festlegung in der Bekanntmachung gebunden und darf in den Verdingungsunterlagen keine weiteren Nachforderungen stellen, sondern die in der Bekanntmachung verlangten Eignungsnachweise nur konkretisieren (vgl. Senat, Beschluss vom 24. April 2014 - 13 Verg 2/14 -, juris Rn. 46; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28. November 2012 - VII-Verg 8/12 -, juris Rn. 44; Schleswig Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 28. Juni 2016 - 54 Verg 2/16 -, juris Rn. 93 ff.). Nachträglich in Bieterrundschreiben erfolgte Einschränkungen oder Klarstellungen reichen nicht aus.

Zwar kann sich die Angabe in der Bekanntmachung - wie hier - darauf beschränken, dass Referenzen über "vergleichbare" Liefer- und Dienstleistungsaufträge vorzulegen sind (vgl. OLG München, Beschluss vom 12. November 2012 - Verg 23/12; OLG Koblenz, Urteil vom 15. Oktober 2009 - 1 Verg 9/09 -, juris; Seeger in: Müller/Wrede, VgV/UVgO, § 46 Rn. 37). Der Auftraggeber muss dann aber bei der Bewertung der Referenzen beachten, dass vergleichbare Leistungen schon nach dem Wortlaut nicht gleiche oder gar identische Leistungen sind (OLG Frankfurt, Beschluss vom 24. Oktober 2006 - 11 Verg 8/06 -, juris Rn. 38). Vergleichbar ist eine Referenzleistung mit der ausgeschriebenen Leistung schon dann, wenn sie dieser so weit ähnelt, dass sie einen tragfähigen Rückschluss auf die Leistungsfähigkeit des Bieters für die ausgeschriebene Leistung eröffnet (OLG Frankfurt aaO.; OLG München, Beschluss vom 12. November 2012 - Verg 23/12 -, juris Rn. 47; Schleswig Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 28. Juni 2016 - 54 Verg 2/16 -, juris Rn. 103). Bei der Beurteilung, ob eingereichte Referenzen "vergleichbar" sind, darf kein zu enger Maßstab angelegt werden. Besondere Anforderungen an die Referenzen muss der Auftraggeber eindeutig benennen.

bb) Nach diesen Maßstäben hat die Antragsgegnerin ihren Beurteilungsspielraum beim Ausschluss des Angebots der Antragstellerin überschritten.

(1.) "vollständig webbasierte Anwendung"

Die Antragsgegnerin hat die fehlende Eignung der Antragstellerin zum einen damit begründet, aus den Referenzen sei nicht ersichtlich, dass den dortigen Aufträgen eine vollständig webbasierte Anwendung zugrunde gelegen habe. Die dagegen von der Antragstellerin erhobene Rüge greift durch.

Fraglich ist schon der Ausgangspunkt der Antragsgegnerin, dass die bei der Beschreibung der Beschaffung verwendete Angabe "browser- und/oder javabasiert" aus Sicht der Bieter gleichbedeutend mit "webbasiert" zu verstehen sei. Dies widerspräche dem eigenen Vortrag der Antragsgegnerin, dass "im Java-Umfeld zwischen Webanwendungen (webbasierend) und Fat-Client-Anwendungen zu unterscheiden" sei (Seite 20 der Beschwerdeschrift); trifft dies zu, dann gibt es im Java-Umfeld auch nicht webbasierte Anwendungen, die nach der Bekanntmachung als Alternative angeboten werden durften ("und/oder javabasiert"). Die Frage kann offenbleiben.

Jedenfalls hat die Antragsgegnerin in der Bekanntmachung nicht mit der notwendigen Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht, dass sie nur Referenzen akzeptieren würde, denen vollständig webbasierte Leistungen zugrunde lagen:

Die Bekanntmachung enthielt in Ziff. III.1.2 in Bezug auf Referenzen nur die Regelung, die Vergabestelle behalte sich vor, die Vorlage von Referenzen über früher ausgeführte, mit dem Ausschreibungsgegenstand "vergleichbare" Liefer- und Dienstleistungsaufträge zu fordern; die technische und berufliche Leistungsfähigkeit in den zur Ausführung kommenden Leistungsbereichen (Ziff. III.1.3) müsse für diesen Fall durch jeweils mindestens eine Referenz nachgewiesen werden können. Aufgrund dieses Hinweises war für die Bieter nicht zu erkennen, dass die Antragsgegnerin Referenzen ablehnen würde, die ausgeführte Aufträge betreffen, bei denen die Anwendung nur teilweise webbasiert ist. Die in III.1.2 der Bekanntmachung in Bezug genommene Ziff. III.1.3 verweist auf "Eignungskriterien gemäß Auftragsunterlagen". Die Auftragsunterlagen enthalten eine nähere Beschreibung der Leistung, aber keine weitergehende Regelung zu den Referenzen. Die Bekanntmachung selbst enthält in Ziff. II.2.4 unter "Beschreibung der Beschaffung" zwar neben anderen Angaben auch den Hinweis, die Applikation müsse als browser- und/oder javabasierte Anwendung betrieben werden können. Hieraus konnten die Bieter - im Zusammenhang mit den Auftragsunterlagen - wohl entnehmen, dass die ausgeschriebene Leistung eine vollständig "browser- und/oder javabasierte" Applikation haben sollte. Aus Sicht der Bieter war aber nicht mit der erforderlichen Eindeutigkeit gesagt, dass die Antragsgegnerin Referenzen, die sich auf ausgeführte Aufträge mit nur teilweise webbasierten Applikationen beziehen, als nicht vergleichbar ansehen würde. Die ausgeschriebene Leistung gehört unstreitig einem Markt an, an dem sich die Softwareprodukte rasant fortentwickelten (vgl.

Rügeschreiben der Antragstellerin vom 11. Oktober 2017 und Rügeantwort der Antragsgegnerin vom 18. Oktober 2017). Die Antragstellerin trägt plausibel vor, dies spreche dafür, dass auch solche Leistungen vergleichbar im Sinne der Bekanntmachung seien, die Einwohnermeldesysteme für vergleichbare Auftraggeber und Aufgabenstellungen zum Gegenstand haben und - wie hier hinsichtlich der Anforderung einer browser- oder/oder javabasierten Anwendung - Applikationen nach dem aktuellen Stand der Technik zum Zeitpunkt der Ausführung (in den letzten drei Jahren) beinhalten; andernfalls wären die Referenzanforderungen aufgrund der Marktfortentwicklung zu eng. Wenn die Antragsgegnerin nur Referenzen akzeptieren wollte, denen Leistungen mit einer vollständig webbasierten bzw.

browser- und/oder javabasierte Applikation zugrunde lag, so hätte sie in der Vergabebekanntmachung eine entsprechende Mindestanforderung formulieren müssen.

Die Antragsgegnerin ist dem Vortrag der Antragstellerin nicht entgegengetreten, dass die den Referenzen zugrundeliegenden Leistungen zumindest teilweise webbasiert bzw. browser- und/oder javabasiert waren. Sie hat insoweit nur vorgetragen, es reiche nicht aus, dass nur die Verfahrensteile von KM-Einwohner - anstatt sämtliche Verfahrensteile - vollständig browserbasiert zur Verfügung gestellt wurden; insbesondere werde bei dem in der Referenz "Thüringer Landesrechenzentrum" eingesetzten Verfahren das Pass- und Ausweismodul dort lokal beim jeweiligen Client eingesetzt (Antragserwiderung vom 7. November 2017, S. 9 f.). Somit hat die Antragsgegnerin Anforderungen an die Referenzen gestellt, die sich der Vergabebekanntmachung nicht mit der notwendigen Eindeutigkeit entnehmen ließen. Sie hat daher ihren Beurteilungsspielraum überschritten.

(2.) "Migration aus Fremdsystem"

Die Antragsgegnerin hat die fehlende Eignung der Antragstellerin ferner damit begründet, dass es bei den Referenz-Aufträgen nicht erforderlich gewesen sei, eine Migration der Datenstruktur aus einem fremden System durchzuführen. Auch diese Anforderung ist der Bekanntmachung (und auch den Vergabeunterlagen) nicht mit der notwendigen Eindeutigkeit zu entnehmen. Die Bekanntmachung enthielt, wie gesagt, in Bezug auf Referenzen nur die Regelung, die Vergabestelle behalte sich vor, die Vorlage von Referenzen über früher ausgeführte, mit dem Ausschreibungsgegenstand vergleichbare Liefer- und Dienstleistungsaufträge zu fordern, ohne nähere Anforderungen im Hinblick auf die "vergleichbaren" Aufträge zu stellen. Hinsichtlich des Gegenstands der ausgeschriebenen Leistung war unter Ziff. II.2.4 u.a. geregelt: "Die Übernahme der Daten aus dem derzeit eingesetzten Verfahren OK.EWO ... ist ggfls. eine ergänzende Leistung in diesem Projekt".

Unter Ziff. 2 der Leistungsbeschreibung heißt es: "Die Übernahme der Daten aus dem derzeit eingesetzten Verfahren OK.EWO ... ist eine optionale Leistung in diesem Projekt". Schon wegen der Formulierungen, dass die Übernahme der Daten nur "ggfls. eine ergänzende Leistung" sei, bzw. dass die Übernahme der Daten "optional" sei, war für die Bieter nicht hinreichend klar, dass dieser Anforderung eine so zentrale Bedeutung zukam, dass die einzureichenden Referenzen unbedingt Leistungen mit einer entsprechenden Anforderung zum Gegenstand haben mussten.

Soweit die Antragsgegnerin vorträgt, dass sie den Begriff "optional" auf eine Bieteranfrage dahin erläutert habe, dass die Übernahme der Daten aus den derzeit eingesetzten Verfahren nicht notwendig sei, sofern sich der derzeitige Verfahrensanbieter an der Ausschreibung beteilige und den Zuschlag erhalte, kommt es darauf nicht an, weil sich Eignungskriterien nicht erst durch einen Rückgriff auf Bieterrundschreiben ergeben dürfen.

Unerheblich ist auch der weitere Vortrag der Antragsgegnerin, aus den Angaben der Antragstellerin auf dem Formblatt Referenzen ergebe sich unzweifelhaft ihr Bewusstsein um die zwingend erforderliche Ablösung eines fremden Systems.

Zum einen kommt es nur darauf an, ob die Eignungskriterien aus der Sicht eines durchschnittlichen Bieters, nicht also nach dem subjektiven Horizont der Antragstellerin die notwendige Klarheit und Eindeutigkeit aufweisen. Zum anderen wird von der Antragsgegnerin nicht erläutert und ist auch nicht ersichtlich, aus welchen Formulierungen genau sich das behauptete Bewusstsein der Antragstellerin ergeben soll. Für das Gegenteil spricht der eigene Vortrag der Antragsgegnerin, dass bei den von der Antragstellerin eingereichten Referenzen eine Datenmigration aus einem Fremdsystem gerade nicht vorgenommen worden sei.

2. Sofortige Beschwerde der Beigeladenen zu 2

Die sofortige Beschwerde der Beigeladenen zu 2 ist unzulässig. Die Beigeladene zu 2 kann im vorliegenden Verfahren nicht erreichen, dass festgestellt wird, dass sie durch die Aufhebung des offenen Vergabeverfahrens in ihren Rechten verletzt ist.

Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist allein der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin. Die Beigeladene zu 2 hat keinen eigenen Nachprüfungsantrag gestellt. Der von ihr in der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung gestellte Feststellungsantrag ist von der Vergabekammer zu Recht nicht als eigener Nachprüfungsantrag gewertet worden. Insoweit hat die Beigeladene zu 2 vielmehr einen eigenen Nachprüfungsantrag in einem Parallelverfahren gestellt, über den das Beschwerdeverfahren 13 Verg 7/17 anhängig ist.

3. Soweit die Beigeladene zu 2 vorgetragen hat, dass die Antragstellerin zum 1. Juli 2018 mit drei weiteren Verbänden zu einer Anstalt des öffentlichen Rechts namens I. fusionieren will, kann dies für das vorliegende Beschwerdeverfahren schon deshalb keine Rolle spielen, weil die Antragsgegnerin das Vergabeverfahren wirksam aufgehoben hat. Etwaige sich daraus ergebende vergaberechtliche Konsequenzen würde die Antragsgegnerin gegebenenfalls in einem neuen Vergabeverfahren zu berücksichtigen haben.

4. Die Antragsgegnerin hat die Antragstellerin und die Beigeladenen während des Beschwerdeverfahrens informiert, dass sie ihren weiterhin bestehenden Beschaffungsbedarf nunmehr mittels Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb decken wolle, und dass dieses Verfahren jetzt begonnen werde. Die Antragstellerin hat daraufhin einen Nachprüfungsantrag vor der Vergabekammer gestellt, mit dem die Antragsgegnerin verpflichtet werden soll, das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb bis zur Entscheidung des Beschwerdeverfahrens auszusetzen. Nach Hinweis der Vergabekammer, dass fraglich sei, ob für den Nachprüfungsantrag eine Zuständigkeit der Vergabekammer oder - wegen des anhängigen Beschwerdeverfahrens - des Vergabesenats besteht, hat die Antragstellerin im vorliegenden Beschwerdeverfahren mit Schriftsatz vom 11. Mai 2018 vorgetragen, dass sie den Nachprüfungsantrag vorsorglich auch vor dem Oberlandesgericht stelle, wobei der Nachprüfungsantrag als Erweiterung ihrer Anträge zu verstehen sei. Diese Antragserweiterung hat die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 8. Juni 2018 fallen gelassen, nachdem die Vergabekammer inzwischen ihre Zuständigkeit bejaht hat. Damit ist über die Antragserweiterung nicht mehr zu entscheiden.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 175 Abs. 2, 78, 182 GWB. Die Verfahrenskosten des erstinstanzlichen Nachprüfungsverfahrens waren der Antragstellerin und der Beigeladenen zu 2 aufzuerlegen, weil sie ihr jeweiliges Verfahrensziel, dass das offene Verfahren bei fortbestehender Beschaffungsabsicht fortgesetzt wird und die erforderlichen Verfahrensschritte wiederholt werden (bzgl. der Beigeladenen zu 2 ferner die Feststellung, dass sie durch die Aufhebung in ihren Rechten verletzt ist), nicht erreicht haben. Deshalb entspricht es auch nicht der Billigkeit, dass ihnen ihre Kosten erstattet werden. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der erforderlichen Kosten der Antragstellerin hat die Antragsgegnerin zu tragen. Die Antragstellerin hat mit ihrem Hilfsantrag auf Feststellung, dass die Aufhebung rechtswidrig war, Erfolg. Sie hat zwar ihr im Beschwerdeverfahren hauptsächlich verfolgtes Ziel - dass die Antragsgegnerin das offene Verfahren zurückversetzt und jedenfalls ab der Wertung wiederholt - nicht erreicht. Das ist aber nur deshalb so, weil die (rechtswidrige) Aufhebung des offenen Verfahrens aufgrund des neuen Vorbringens der Antragsgegnerin im Beschwerdeverfahren wirksam ist. Es entspricht der Billigkeit, insoweit den Gedanken aus § 97 Abs. 2 ZPO entsprechend heranzuziehen. Die Beigeladene zu 1 ist an den Kosten nicht zu beteiligen und kann eine Erstattung ihrer Aufwendungen nicht verlangen, weil sie in beiden Instanzen keinen Antrag gestellt hat und sich auch nicht substantiell durch eigenen Vortrag am Verfahren beteiligt hat. Ihr kurzer Schriftsatz vom 4. Januar 2018 befasst sich im Wesentlichen nur mit der für das vorliegende Verfahren nicht entscheidungserheblichen Frage, ob die Antragsgegnerin das eigene Angebot der Beigeladenen zu 1 zu Recht ausgeschlossen hat. Die Beigeladene zu 2 kann eine Erstattung ihrer Aufwendungen nicht verlangen, weil sie unabhängig davon, dass die Antragsgegnerin ihr Vorbringen in zweiter Instanz geändert hat, mit ihrem Feststellungsantrag aus den oben unter II. 2 genannten Gründen keinen Erfolg haben konnte.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 50 Abs. 2 GKG (5 % der Bruttoauftragssumme von 214.864,02 €). Die das neu eingeleitete Verhandlungsverfahren betreffende Antragserweiterung mit Schriftsatz vom 11. Mai 2018 hat nicht zu einer Streitwerterhöhung geführt, da sie im Ergebnis nur darauf zielt, die Chance der Antragstellerin auf Zuschlagserteilung im hier streitbefangenen offenen Verfahren zu erhalten.