Vergabekammer Lüneburg
Beschl. v. 10.06.2021, Az.: VgK-17/2021

Rückversetzung eines Vergabeverfahrens in das Stadium vor Angebotswertung

Bibliographie

Gericht
VK Lüneburg
Datum
10.06.2021
Aktenzeichen
VgK-17/2021
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 54216
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

In dem Nachprüfungsverfahren
des xxxxxx,
Verfahrensbevollmächtigte: xxxxxx,
- Antragsteller -
gegen
die xxxxxx,
Verfahrensbevollmächtigte: xxxxxx,
- Antragsgegnerin -
beigeladen:
1. xxxxxx,
Verfahrensbevollmächtigte: xxxxxx,
- Beigeladener zu 1 -
xxxxxx,
- Beigeladene zu 2 -
wegen
Vergabeverfahren "Vergabe der Trägerschaft für die Errichtung und den Betrieb von Kindertagesstätten in xxxxxx", Referenznummer der Bekanntmachung: xxxxxx,
hat die Vergabekammer durch den Vorsitzenden MR Gause, den hauptamtlichen Beisitzer Dipl.-Sozialwirt Tiede und den ehrenamtlichen Beisitzer Dipl.- Ök. Brinkmann auf die mündliche Verhandlung vom 10.06.2021 beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Es wird festgestellt, dass der Antragsteller in seinen Rechten verletzt ist. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, das Vergabeverfahren in das Stadium vor Angebotswertung zurückzuversetzen, die Angebotswertung vollständig erneut durchzuführen und dabei die aus den Entscheidungsgründen ersichtliche Rechtsauffassung der Vergabekammer zu beachten.

    Im Übrigen wird der Nachprüfungsantrag zurückgewiesen.

  2. 2.

    Die Kosten werden auf xxxxxx € festgesetzt.

  3. 3.

    Die Kosten des Verfahrens hat die Antragsgegnerin zu tragen. Die Antragsgegnerin ist jedoch von der Entrichtung der Gebühren befreit.

  4. 4.

    Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten war für den Antragsteller notwendig.

Begründung

I.

Die Antragsgegnerin hat mit EU-Bekanntmachung vom xxxxxx.2020 die Trägerschaft für die Errichtung und den Betrieb von Kindertagesstätten in xxxxxx als Dienstleistungsauftrag im offenen Verfahren ausgeschrieben. Die Stadt xxxxxx beabsichtigt, den Bau und den Betrieb einer 6-gruppigen Kindertagesstätte in xxxxxx und den Betrieb einer 6-gruppigen Kindertagesstätte in xxxxxx an mehrere Träger zu vergeben. Die Kindertagesstätten werden in der Ortschaft xxxxxx,", (Los A) sowie in der xxxxxx, (Los B) entstehen.

Das ursprüngliche Vergabeverfahren (xxxxxx) wurde ausweislich der Dokumentation in der Vergabeakte aufgrund der Rüge eines Bieters in das Stadium vor Aufforderung zur Angebotsabgabe zurückversetzt, die ursprüngliche Bewertungsmatrix zur Abhilfe der Rüge geändert und die Bieter des ersten Verfahrens unter Übersendung der geänderten Bewertungsmatrix und der im Übrigen unveränderten Vergabeunterlagen erneut zur Abgabe eines Angebotes aufgefordert.

Für Los A gilt: Die Stadt xxxxxx stellt dem Träger das in ihrem Eigentum stehende Grundstück in xxxxxx ... im Wege der Bestellung von Erbbaurechten zum Zweck der Errichtung und des Betriebes einer Kindertagesstätte zur Verfügung. Maßgeblich ist der gesondert zu schließende Erbbaurechtsvertrag nach dem Erbbaurechtsgesetz. Der Leistungsumfang des Trägers umfasst die Planung, den Bau, die Finanzierung (inklusive Beantragung eines Investitionskostenzuschusses nach den Richtlinien über die Förderung von Kindertagesstätten der xxxxxx ...) und die Unterhaltung der Kindertagesstätte sowie deren langfristige Bewirtschaftung. Ferner verbleibt, gemäß den Vertragseckpunkten zu Los A, das zu nutzende Grundstück im Eigentum der Stadt. Dem Auftragnehmer wird das Recht zur Errichtung eines Bauwerks und zur Nutzung über den vereinbarten Zeitraum eingeräumt. Beim Erlöschen des Erbbaurechts durch Zeitablauf (nach 50 Jahren) gehen das Gebäude und die Nebenanlagen ohne Zahlung einer Entschädigung in das Eigentum der Stadt xxxxxx über [...]. Der Vertragendet frühestens 25 Jahre nach Inbetriebnahme der Kindertagesstätte. Rechtsträger (Betriebsträger) der Kindertagesstätte ist der (beauftragte) Träger. Dieser betreibt die Einrichtung in eigener Verantwortung aufgrund seines pädagogischen Konzepts mitsamt allen daraus resultierenden Rechten und Pflichten. Die Stadt gleicht das Defizit der durch die Elternbeiträge, Zuweisungen des Landes Niedersachsen, Auflösung von Sonderposten für Investitionstätigkeiten zum Anlagevermögen sowie sonstige Leistungen und Zuwendungen nicht finanzierten Betriebskosten aus [...].

Mit Bieterfrage 2 zu Los 1 wurde gefragt: "Welche Entschädigung erhält der Investor für das Gebäude, wenn nach 25 Jahren der Betrieb der Kita nicht verlängert wird bzw. ein Fall nach "4.2 Vertragseckpunkte Los_A"-Pkt.- Rechte am Gründstück Abs. (3) eintreten sollte?". Beantwortet wurde die Frage dahin gehend, dass der Investor die Hälfte des dann aktuellen Zeitwertes erhält.

Ergänzend wurde ausgeführt, dass bei Los A auch die bauliche Unterhaltung dem Auftragnehmer obliege. Hier könne ein Unterpunkt bei "Abschreibungen" erfolgen. Bei Los A habe der Auftragnehmer die Gebäude Betriebs- und Nebenkosten zu tragen und bei Los B trage dies der Auftraggeber.

Für Los B gelten die gleichen Bedingungen. Abweichend zu Los A wird aufgrund des vorhandenen baulichen Bestandes festgelegt: Die Stadt xxxxxx stellt dem Träger das angemietete Gebäude ... zum Zweck des Betriebes einer Kindertagesstätte zur Verfügung. Der Leistungsumfang des Trägers umfasst die Unterhaltung der Kindertagesstätte sowie deren langfristige Bewirtschaftung.

Nach Ziffer II.2.5 der Bekanntmachung ist der Preis nicht das einzige Zuschlagkriterium. Alle Kriterien sind in den Beschaffungsunterlagen aufgeführt. Die Einreichung von Alternativangeboten ist nach Ziffer II.2.10 nicht zulässig.

Der Zuschlag soll auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt werden, das sich für Los A (Anlage ASt 4) nach den Zuschlagskriterien "Trägeranteil an den Investitionen", "Defizitausgleich" und "Konzeption" und für Los B (Anlage ASt 5) nach den Zuschlagskriterien "Defizitausgleich" und "Konzeption" bestimmen soll.

Die Wertung für den "Trägeranteil an den Investitionen" zu Los A soll dabei nach der Wertungsmatrix wie folgt ermittelt werden:

- 12 Punkte = Größer gleich 30.000,00 €

- 8 Punkte = Größer gleich 20.000,00 €

- 4 Punkte = Größer gleich 10.000,00 €

- 0 Punkte = Kleiner 10.000 €

Die maximal erreichbare Punktzahl beträgt 12 Punkte. Berücksichtigt werde dabei der jährliche Betrag, der über eine Laufzeit von 25 Jahren vom Bieter übernommen wird.

Die Wertung für das Zuschlagskriterium "Defizitausgleich" soll für die Lose A und B nach den Wertungsmatrizes wie erfolgen:

- Weniger als 650.000,00 € = 40 Punkte

- Weniger als 700.000,00 € = 35 Punkte

- Weniger als 750.000,00 € = 30 Punkte

- Weniger als 800.000,00 € = 25 Punkte

- Weniger als 850.000,00 € = 20 Punkte

- Weniger als 900.000,00 € = 15 Punkte

- Weniger als 950.000,00 € = 10 Punkte

- Weniger als 1.000.000,00 € = 5 Punkte

Die maximal erreichbare Punktzahl beträgt 40 Punkte.

Die Wertung für das Zuschlagskriterium "Konzeption" erfolgt für die Lose A und B zu folgenden Inhalten/Unterkriterien:

- Pädagogischer Ansatz

- Bild vom Kind/Rolle der päd. Fachkräfte

- Umgang mit Diversität

- Beobachtungs- und Dokumentationsverfahren

- Berücksichtigung von Kinderrechten

- Arbeit in der Krippe

- Zusammenarbeit mit den Grundschulen vor Ort

- Netzwerkarbeit

- Qualitätssicherung und -entwicklung

- Gesundheitsförderung

- Sozialraumorientierung

- Erziehungs- und Bildungspartnerschaft

- Umsetzung des Orientierungsplans

- Alltagsintegrierte Sprachbildung

- Darstellung der der besonderen Eignung

Für jeden Darstellungsbereich können bis zu 2,5 Punkte erreicht werden. Die maximal erreichbare Punktzahl beträgt 37,5 Punkte.

Nach dem Leistungsverzeichnis (Seite 4) bewertet ein Gremium aus 4 Personen die Konzeptionen unabhängig voneinander. Der Mittelwert der einzelnen Bewertungen des Gremiums fließt in das Gesamtergebnis ein.

Die mit den Vergabeunterlagen zur Verfügung gestellten "Vertragseckpunkte" geben Hinweise auf die zu kalkulierenden Kosten. Für Los A sind dies besonders die Errichtung des Gebäudes, die Herstellung der Außenanlagen (inkl. Stellplätze) und deren Nutzungsdauer über den Zeitraum des eingeräumten Erbbaurechts von 50 Jahren. Der Auftragnehmer hat die notwendigen Versicherungen, die öffentlichen Abgaben zu tragen. Ihm obliegt auch die Verkehrssicherungspflicht und er hat die Betriebskosten zu tragen (siehe hierzu "Finanzierung" lfd. Nr. 6).

Nach den Vertragseckpunkten zu Los B gehören zu den Betriebskosten insbesondere:

1. Personalkosten einschließlich notwendiger Ausgaben für Vertretung

2. Fortbildungskosten in Abhängigkeit der Mitarbeiteranzahl entsprechend der Regelung der Stadt xxxxxx (aktuell bis zu 300 Euro pro Mitarbeiter und Jahr)

3. Reinigung und Winterdienst

4. Bewirtschaftungskosten (insbesondere Wäsche, Reinigungsmittel, Leuchtmittel)

5. Spiel- und Beschäftigungsmaterialien entsprechend der Regelung der Stadt xxxxxx (aktuell mindestens 20 Euro je Kind jährlich)

6. Geschäftsaufwand (insbesondere Telefon, Fachliteratur, Porto, Bürobedarf)

7. Verwaltungskosten

8. Öffentliche Abgaben

9. Abschreibungen

10. Erhaltung, Ersatzbeschaffung oder Ergänzung der Einrichtung, des Inventars oder der Spielgeräte (bis max. 3.000,00 Euro netto), wobei Einzelvorhaben 1.000,00 Euro netto nicht überschreiten dürfen

Ergänzend sind nach den Vertragseckpunkten bei Los A noch folgende Positionen zu berücksichtigen:

- Nebenkosten (insbesondere Heizkosten und Wartung der Anlage, Strom, Frisch- und Abwasser, Schornsteinfeger, Müllabfuhr, Überprüfung der elektrischen Anlagen, Prüfung der Feuerlöscher)

- Kosten der Versicherungen

- Erbbauzins

- Abschreibungen

Mit Informationsschreiben nach § 134 GWB wurde dem Antragsteller am 04.05.2021 mitgeteilt, dass auf sein Angebot nicht der Zuschlag erteilt werden kann, weil er nicht das wirtschaftlichste Angebot abgegeben habe. Mit gesondertem Schreiben wurde zu Los A erläutert, dass das Angebot in der Kategorie "Trägeranteil an den Investitionskosten" 4 von 12 Punkten, in der Kategorie "Defizitausgleich" 5 von 40 möglichen Punkten und in der Kategorie "Konzeption" 32,25 von 37,5 möglichen Punkten, somit 41,25 von 89,5 möglichen Punkten erreicht habe. Der Bietende, dem der Zuschlag erteilt werden soll, habe in diesen Kategorien jeweils 12, 30 und 35,5, damit in Summe 77,5 Punkte erreicht. Das Angebot des Antragstellers liege damit auf Platz 3 von 3 Angeboten. Zu Los B wurde gesondert erläutert, dass das Angebot in der Kategorie "Defizitausgleich" 25 von 40 möglichen Punkten und in der Kategorie "Konzeption" 32,25 von 37,5 möglichen Punkten, somit 57,25 von 77,5 möglichen Punkten erreicht habe. Der Bietende, dem der Zuschlag erteilt werden soll, habe in diesen Kategorien jeweils 40 und 35,5, damit in Summe 75,5 Punkte erreicht. Auch hier liege das Angebot des Antragstellers auf Platz 3 von 3 abgegebenen Angeboten.

Mit Schreiben vom 12.05.2021 rügte der Antragsteller die Auswertung der Angebote. Nach seiner Marktkenntnis müsse das Angebot der Beigeladenen völlig unauskömmlich kalkuliert oder könne mit ihrem Angebot überhaupt nicht vergleichbar sein, weil es Mindestanforderungen der Ausschreibung (z. B. bei Los A die vorgeschriebene Haltbarkeit des Gebäudes von mindestens 50 Jahren) nicht ausreichend berücksichtigt habe und/oder auf völlig anderen, nicht berücksichtigungsfähigen Kalkulationsgrundlagen beruhe. Die individuell erstellte Kalkulation der Beigeladenen könne daher einer rechtlichen Überprüfung nicht standhalten. Zudem würde die verzerrende Gewichtung der Unterkriterien zu den Kriterien "Trägeranteil an den Investitionskosten" und "Defizitausgleich" gerügt.

Mit Schreiben vom 14.05.2021 teilte die Antragsgegnerin mit, der Rüge nicht abzuhelfen. Sämtliche Vertragseckpunkte der Stadt xxxxxx seien von den anderen Verfahrensteilnehmern berücksichtigt worden. Auch sämtliche Kalkulationsangaben seien über die Vertragseckpunkte und durch Antworten auf Bieterfragen geklärt und nicht gerügt worden. Auch die Punkteverteilung über die Bewertungskriterien sei bekannt gewesen und nicht gerügt worden.

Daraufhin reichte der Antragsteller am 17.05.2021 seinen Nachprüfungsantrag ein.

Der Antragsteller werde durch die Angebotsauswertung in seinen Rechten verletzt. Das Angebot der Beizuladenden sei nicht wertungsfähig, da der große Preisabstand zwischen den Angeboten nur den Schluss zulasse, dass deren Angebot nicht auskömmlich kalkuliert sei und/oder dass es wesentliche von der Antragsgegnerin festgelegte Mindestanforderungen nicht berücksichtige. Nach den Erläuterungen zum Absage- und Informationsschreiben würde bestätigt, dass das Angebot des Antragstellers "sämtliche Kriterien der Ausschreibung erfüllt". In der Gesamtschau müsse daher angenommen werden, dass das Angebot der Beizuladenden nicht auskömmlich sei. Insbesondere werde bezweifelt, ob die Beizuladende

- sämtliche Vertragseckpunkte der Stadt xxxxxx bei der Kalkulation berücksichtigt hat,

- bei der Kalkulation der Personalkosten den Personalschlüssel des Landes Niedersachsen und für die Entlohnung des pädagogischen Personals (mindestens} den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD-VKA) für den Bereich des Sozial- und Erziehungsdienstes (Su-E) zum Ansatz gebracht hat,

- die Eigenmittel richtig berechnet (nämlich ohne Erträge wie Elternbeiträge) und

- Landesmittelzuschüsse zutreffend berücksichtigt hat.

Da die Kalkulationsangaben für die Kriterien "Trägeranteil an den Investitionskosten" und "Defizitausgleich" nicht einheitlich mit einem Preisblatt abgefragt worden seien, gehe der Antragsteller davon aus, dass die individuell erstellte Kalkulation der Beizuladenden nicht überprüft worden sei. Gleiches dürfte für das Angebot des zweitplatzierten Bieters gelten.

Sofern das Angebot der Beizuladenden wertungsfähig sein sollte, fehle es jedenfalls wegen fehlender konkreter Kalkulationsvorgaben an einer Vergleichbarkeit der Angebote. Die Antragsgegnerin habe keine konkreten Vorgaben für die Kalkulation der Angebote gemacht. Die Preisabfrage müsse geeignet sein, vergleichbare Angebote zu erzeugen. Die fehlende Vergleichbarkeit der Angebote, die eine vom Bieter zunächst nicht erkannte Mehrdeutigkeit der Vergabeunterlagen zur Folge habe, führe dazu, dass ein Zuschlag nicht erteilt werden dürfe.

Die Zurückversetzung sei rechtlich geboten, wenn die ursprünglichen Vorgaben für die Angebotswertung keine taugliche Basis für einen fairen Wettbewerb bieten würden. Der öffentliche Auftraggeber sei verpflichtet ein Wettbewerbsergebnis zu vermeiden, bei dem ein Angebot den Zuschlag erhalte, das nur auf dem Papier das wirtschaftlichste sei, nicht aber bei der Vertragsdurchführung. Erkenne ein Auftraggeber, dass offenbar klarstellungsbedürftige Umstände bestehen, sei er grundsätzlich zur Korrektur der intransparenten Umstände verpflichtet.

Zudem seien die festgelegten Unterkriterien zu den Kriterien "Trägeranteil an den Investitionskosten" und "Defizitausgleich" intransparent, weil sie die Preisunterschiede unter Berücksichtigung der Gewichtung der Zuschlagskriterien nicht angemessen widerspiegeln und verzerrend wirken. Beispielsweise mache ein Preisunterschied von nur 2.000 € bei dem Kriterium "Defizitausgleich" (Bieter A bietet xxxxxx €, Bieter B bietet xxxxxx €) einen Unterschied von immerhin 5 von maximal 40 erreichbaren Punkten aus. Die relativen Abstände der Angebote untereinander müssten vom Auftraggeber bei der preislichen Bewertung der Angebote und bei der Punkteverteilung angemessen berücksichtigt werden. Dem werde die Bewertungsmatrix zu den vorgenannten Kriterien nicht gerecht. Diese beinhalte eine Gefahr von Verzerrungen, die sich bei der Auswertung der Angebote realisiert haben dürfte. Die gebildeten Preisstufen würden somit ein untaugliches Wertungssystem darstellen.

Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten sei notwendig, da der Antragsteller nicht über rechtskundiges Personal zur Durchführung dieses Verfahrens verfüge.

Mit Schriftsatz vom 08.06.2021 ergänzt und vertieft der Antragsteller seinen Vortrag. Der Antrag sei zulässig. Die erhobenen Rügen seien nicht präkludiert, denn die Vergabeverstöße seien erst mit Erhalt des Informationsschreibens erkennbar gewesen. Im Bewerbungsverfahren sei nicht erkennbar gewesen, dass die Leistungs- und Qualitätsbedingungen der Ausschreibung vor einem Zuschlag nicht mehr differenziert beurteilt werden würden und hierdurch letztlich ein Abgleich zwischen angebotener Qualität und Leistung zum angebotenen Preis nicht mehr stattfinde. Auch die Einordnung der Bewertungsmethodik als vergaberechtswidrig erfordere Spezialwissen und könne nicht vorausgesetzt werden.

Die Akteneinsicht habe bestätigt, dass die Prüfung und Wertung der Angebote nicht vergaberechtskonform erfolgt sei. Eine eingehende Prüfung, ob die beiden erstplatzierten Bieter mit ihren Angeboten tatsächlich sämtliche geforderten Mindestanforderungen einhalten, habe offenbar nicht stattgefunden. Zudem sei nicht ersichtlich, ob die Angemessenheit der Preise überprüft worden sei. Die Antragsgegnerin könne sich nicht auf die Aufgreifschwelle von 20 % berufen, da bei der Auskömmlichkeitsprüfung gemäß § 60 VgV Angebote auszuschließen seien, die nicht berücksichtigt werden dürften. Eben dies habe die Antragsgegnerin nicht näher geprüft.

Der Verzicht auf die Vorgabe konkreter Kalkulationsvorgaben und die Zulassung einer individuellen Kalkulation und Darstellung des jeweiligen Finanzierungskonzepts seien offenbar nicht geeignet, um eine Vergleichbarkeit der Angebote herzustellen. Die Antragsgegnerin habe sich nicht mit den Finanzierungskonzepten der Bieter, mit der Einhaltung der baulichen Anforderungen zu Los A oder mit der konkreten Personaleinsatzplanung unter Einhaltung der tariflichen Anforderungen des TVöD auseinandergesetzt. Wie seriös die Bieter mit den Vorgaben der Ausschreibung umgegangen seien, habe erhebliche Auswirkungen auf den Gesamtpreis.

Die Dokumentation der Prüfung und Auswertung der Angebote genüge nicht den Anforderungen des § 8 VgV. Die formale Prüfung auf Vollständigkeit, die Einhaltung der Mindestanforderungen und die Prüfung der Angemessenheit der Angebotspreise seien nicht ausreichend dokumentiert. Es fehle zudem daran, dass die konkrete Punktevergabe der Kommissionsteilnehmer zur Bewertung der pädagogischen Konzepte in einer transparenten und angemessenen Weise nachvollziehbar begründet worden sei.

In Ermangelung einer aussagefähigen Dokumentation sei nicht auszuschließen, dass die Konzepte anderer Bieter in einzelnen Kriterien auch gegenüber dem Konzept des Antragstellers zu hoch bewertet worden seien. Dies könne, trotz der festgestellten Preisabstände, durchaus auch rangverändernde Wirkung entfalten.

Insgesamt lägen schwerwiegende Dokumentationsmängel vor. Um ein transparentes Vergabeverfahren zu gewährleisten und zugleich etwaigen Manipulationsversuchen vorzubeugen, komme eine nachträgliche Heilung von Dokumentationsmängeln nicht in Betracht. Sei der öffentliche Auftraggeber seiner Dokumentationspflicht nicht ordnungsgemäß und zeitnah nachgekommen, wäre deren spätere Erstellung ohne Wiederholung des nicht dokumentierten Vorgangs im Vergabeverfahren nicht möglich.

Der Antragsteller beantragt,

  1. 1.

    der Antragsgegnerin zu untersagen, in dem streitgegenständlichen Vergabeverfahren den Zuschlag für die ausgeschriebenen Leistungen auf das Angebot der Beizuladenden zu erteilen;

  2. 2.

    die Antragsgegnerin zu verpflichten, geeignete Maßnahmen zu treffen, um die geltend gemachten Verstöße gegen Vergabevorschriften zu beseitigen;

  3. 3.

    die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten für den Antragsteller für notwendig zu erklären;

  4. 4.

    die Kosten des Verfahrens der Antragsgegnerin aufzuerlegen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

  1. 1.

    die Anträge des Antragstellers zurückzuweisen.

  2. 2.

    die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten für die Antragsgegnerin für notwendig zu erklären.

  3. 3.

    die Kosten des Verfahrens dem Antragsteller aufzuerlegen.

Der Antrag sei in vollem Umfang zurückzuweisen. Der behauptete Verstoß intransparenter bzw. fehlerhafter Punktevergabe als auch der vermeintliche Verstoß fehlender Angebotsvorgaben sei bereits mit der Bekanntmachung erkennbar gewesen, so dass diese Verstöße spätestens bis zur Frist zur Angebotsabgabe hätten gerügt werden müssen. Da die Rüge erst nach der Angebotsfrist erfolgt sei, sei der Antrag insoweit unzulässig.

Der Antrag sei insgesamt unzulässig, da es an jeder Substanz mangele und auch die Behauptungen zur Auskömmlichkeit bzw. nicht eingehaltenen Vorgaben der Ausschreibung gänzlich ins Blaue hinein erfolgt seien. Die einer Vergabe innewohnende Preisdifferenz zwischen Bietern sei kein belastbares Indiz. Willkürlich benannte Positionen, in denen eine Abweichung begründet sein könnte, würden daran nichts ändern.

Es würden sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Antragsgegnerin die Angebotsprüfung nicht sorgfältig vorgenommen und die Einhaltung der Vorgaben und eine sich aus dem Angebot ergebende Unauskömmlichkeit nicht sorgfältig geprüft hätte. Wenn eine Überprüfung gewünscht werde, und dabei das eigene Angebot zum Maßstab gemacht werde, dann sei dieser Maßstab und dessen Geeignetheit darzulegen und unter Beweis zu stellen. Das sei nicht geschehen und daher erfolgen die Behauptungen, es läge eine Unauskömmlichkeit vor oder es seien vielleicht Vorgaben bei den Lohnkosten oder der Laufzeit nicht berücksichtigt, ins Blaue hinein.

Zudem sei die Punkteverteilung nicht intransparent. Mit der Bekanntmachung sei die Bewertungsmatrix einschließlich der jeweils zu erreichenden Punkte veröffentlicht worden. In der Möglichkeit durch geringfügige kalkulatorische Nachbesserungen 5 Punkte mehr zu erhalten werde keine Bieterbenachteiligung gesehen. Zudem ergeben sich die Preisunterschiede nachvollziehbar aus den Angeboten, die Nennung der maßgeblichen Kalkulationspositionen, aus denen sich die Abweichungen nachvollziehbar ergeben, würde gegen den Bieterschutz verstoßen.

Es gäbe auch keine vergaberechtliche Verpflichtung, Vorgaben zur Preiskalkulation zu machen, denn diese sei weitgehend den fachkundigen Bietern zu überlassen. Ansätze für Missbrauch, Willkür, eine zum vorzeitigen Auftragsende und damit den Haushalt treffende Unauskömmlichkeit oder eine Benachteiligung des Antragstellers liege nicht vor und würde auch nicht vorgetragen. Die mit der Bekanntmachung veröffentlichten Vertragseckpunkte würden ausreichend klare Vorgaben enthalten, wie die Struktur der Finanzierung auszusehen habe. Die Finanzierungsdarstellungen der drei Bieter seien dementsprechend zwar im Layout geringfügig unterschiedlich, inhaltlich aber absolut vergleichbar.

Die Preisunterschiede seien erklärbar und würden sich ohne Weiteres aus den vorliegenden Kalkulationen ergeben. Die Beigeladene habe schlicht besser kalkuliert als ihre Mitbewerber. Da sich dies in jeweiliger Parallelität mit einem Mitbieter so aus den absolut vergleichbaren Finanzierungskonzepten ergebe, habe keine Veranlassung bestanden, die Auskömmlichkeit in Zweifel zu ziehen.

Die Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt.

Mit Schriftsatz vom 08.06.2021 führt der Beigeladene zu 1 unter Bezugnahme auf die Akteneinsicht aus, dass der Antrag teilweise unzulässig und unbegründet sei.

Es sei bereits zweifelhaft, ob der Antragsteller hinreichend dargelegt habe, dass ein Schaden entstanden sei bzw. drohe. Unabhängig davon fehle es an der substantiierten Darlegung einer Rechtsverletzung. Der Vortrag, dass nach der Marktkenntnis ein seriös kalkuliertes Angebot nicht so viel günstiger als das eigene Angebot sein könne, reiche nicht aus.

Der Beigeladene habe ordnungsgemäß und auskömmlich kalkuliert. Dabei seien für beide Lose alle Mindestanforderungen ausreichend beachtet worden. Auch eine Angemessenheitsprüfung sei nicht erforderlich, da die Aufgreifschwelle nicht erreicht worden sei.

Soweit der Antragsteller eine fehlende Vergleichbarkeit der Angebote rüge, sei dies bereits präkludiert, da die Kalkulationsgrundlagen schon mit Bekanntmachung der Vergabeunterlagen bekannt gewesen seien. Gleiches gelte auch für die Unterkriterien zu den Wertungskriterien.

Wegen des übrigen Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Vergabeakte und das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 10.06.2021 Bezug genommen.

II.

Der Nachprüfungsantrag ist überwiegend zulässig. Er ist gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB wegen Präklusion unzulässig, soweit der Antragsteller erstmalig mit Schreiben vom 12.05.2021 und seinem Nachprüfungsantrag vermeintlich fehlende konkrete Kalkulationsvorgaben und eine Mehrdeutigkeit der Vergabeunterlagen durch intransparente Unterkriterien beanstandet hat, ohne diese für sie aus den Vergabeunterlagen erkennbaren vermeintlichen Mängel spätestens bis zum Ablauf der Frist für die Angebotsabgabe zu rügen. Soweit der Nachprüfungsantrag zulässig ist, ist er auch begründet. Die Antragsgegnerin hat gegen den vergaberechtlichen Transparenzgrundsatz gemäß § 97 Abs. 1 GWB verstoßen, indem sie es versäumt hat, alle Stufen der Angebotswertung in einer den Anforderungen des § 8 VgV genügenden Weise in der Vergabeakte zu dokumentieren. Dies gilt insbesondere auf der Stufe der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes für die völlig fehlende Begründung der Punktevergabe im Rahmen der Bewertung für das Zuschlagskriterium "Konzeption" und seiner Unterkriterien (im Folgenden 2 a). Ferner hat es die Antragsgegnerin versäumt, im Zuge der Angebotswertung zu Los A gemäß § 60 VgV die Angemessenheit der von dem Beigeladenen zu 1 angebotenen Kosten des Angebotes (jährlicher Defizitausgleich abzüglich Trägeranteil an den Immobilienkosten) zu prüfen und aufzuklären, obwohl bezüglich dieses Loses der Kostenabstand zum auf Rang 2 liegenden Angebot der Beigeladenen zu 2 die von der Rechtsprechung entwickelte Aufgreifschwelle für eine solche Überprüfung überschreitet (im Folgenden 2 b).

1. Der Nachprüfungsantrag ist überwiegend zulässig. Bei der Antragsgegnerin handelt es sich um einen öffentlichen Auftraggeber i. S. d. § 99 Nr. 1 GWB. Der streitbefangene Auftrag übersteigt auch den für die Zuständigkeit der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert gemäß § 106 Abs. 1 GWB. Danach gilt der 4. Teil des GWB nur für solche Aufträge, deren geschätzter Auftrags- oder Vertragswert ohne Umsatzsteuer die jeweiligen Schwellenwerte erreicht oder überschreitet, die nach den EU-Richtlinien festgelegt sind. Bei den ausgeschriebenen Leistungen handelt es sich um einen Dienstleistungsauftrag i. S. d. § 103 Abs. 4 GWB, für den gemäß § 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB i. V. m. Art. 4 der Richtlinie 2014/24/EU in der seit 01.01.2020 geltenden Fassung zum Zeitpunkt der hier streitbefangenen Auftragsvergabe ein Schwellenwert von 214.000 € gilt. Zwar enthält weder die europaweite Bekanntmachung noch die vorliegende Dokumentation in der Vergabeakte einen von der Antragsgegnerin gemäß § 3 VgV vorab geschätzten Auftragswert. Es ist zwischen den Beteiligten jedoch unstreitig, dass der Gesamtauftragswert den Schwellenwert deutlich überschreitet. Bereits die mit den Angeboten aller drei Bieter veranschlagten Kosten für den jährlichen Defizitausgleich übersteigen den Schwellenwert deutlich (Vergabevermerk, Bewertungsmatrix Los A und Los B).

Der Antragsteller ist auch gemäß § 160 Abs. 2 GWB antragsbefugt, da er ein Interesse am Auftrag hat und die Verletzung von Rechten durch die Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht, indem er beanstandet, dass die Antragsgegnerin in vergaberechtswidriger die Angebotswertung durchgeführt und das Angebot des Beigeladenen zu 1 als wirtschaftlichstes Angebot ermittelt habe. Das Angebot des Beizuladenden sei nicht wertungsfähig, da der große Preisabstand zwischen den Angeboten nur den Schluss zulasse, dass deren Angebot nicht auskömmlich kalkuliert sei und/oder dass es wesentliche von der Antragsgegnerin festgelegte Mindestanforderungen nicht berücksichtige. Insbesondere werde bezweifelt, ob der Beizuladende sämtliche Vertragseckpunkte der Antragsgegnerin bei der Kalkulation berücksichtigt hat, ob bei der Kalkulation der Personalkosten den Personalschlüssel des Landes Niedersachsen und für die Entlohnung des pädagogischen Personals (mindestens} den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD-VKA) für den Bereich des Sozial- und Erziehungsdienstes (Su-E) zum Ansatz gebracht und die Eigenmittel richtig berechnet (nämlich ohne Erträge wie Elternbeiträge) und Landesmittelzuschüsse zutreffend berücksichtigt hat.

Da die Kalkulationsangaben für die Kriterien "Trägeranteil an den Investitionskosten" und "Defizitausgleich" nicht einheitlich mit einem Preisblatt abgefragt worden seien, geht der Antragsteller davon aus, dass die individuell erstellte Kalkulation des Beigeladenen zu 1 nicht überprüft worden sei. Gleiches dürfte nach Auffassung des Antragstellers für das Angebot der Beigeladenen zu 2 als zweitplatziertem Bieter gelten.

Voraussetzung für die Antragsbefugnis nach § 160 Abs. 2 GWB ist, dass das antragstellende Unternehmen einen durch die behauptete Rechtsverletzung entstandenen oder drohenden Schaden darlegt. Das bedeutet, dass der Antragsteller diejenigen Umstände aufzeigen muss, aus denen sich schlüssig die Möglichkeit eines solchen Schadens ergibt (vgl. Boesen, Vergaberecht, § 107 GWB, Rn. 52). Nach herrschender Meinung und Rechtsprechung sind an diese Voraussetzungen keine allzu hohen Anforderungen zu stellen. Es genügt für die Zulässigkeit eines Nachprüfungsantrags, wenn der Bieter schlüssig einen durch die behauptete Rechtsverletzung drohenden oder eingetretenen Schaden behauptet, also darlegt, dass durch den behaupteten Vergaberechtsverstoß seine Chancen auf den Zuschlag zumindest verschlechtert sein können (BVerfG, Urteil vom 29.07.2004 - 2 BvR 2248/04; Möllenkamp in: Kulartz/Kus/Portz, GWB-Vergaberecht, § 107, Rn. 35 ff.). Ob tatsächlich der vom Bieter behauptete Schaden droht, ist eine Frage der Begründetheit (vgl. BGH, Beschluss vom 29.06.2006 - X ZB 14/06, zitiert nach VERIS). Der Antragsteller hat eine mögliche Beeinträchtigung seiner Chancen auf den Zuschlag und damit einen möglichen Schaden schlüssig dargelegt.

Soweit sich der Antragsteller mit seinem Nachprüfungsantrag gegen die konkrete Angebotswertung und die Entscheidung der Antragsgegnerin wendet, auf die Angebote des Beigeladenen zu 1 den Zuschlag zu erteilen, hat der Antragsteller auch seiner Pflicht genügt, den geltend gemachten Verstoß gegen die Vergaberechtsvorschriften gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB vor Einreichen des Nachprüfungsantrags innerhalb einer Frist von zehn Kalendertagen nach positiver Kenntniserlangung gegenüber dem Auftraggeber zu rügen. Bei der Vorschrift des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB handelt es sich um eine Präklusionsregel unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben. Der Bieter soll Vergabefehler nicht auf Vorrat sammeln. Die Rügepflicht gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB entsteht, sobald ein Bieter oder Bewerber im Vergabeverfahren einen vermeintlichen Fehler erkennt. Vorausgesetzt ist die positive Kenntnis des Bieters von den Tatsachen.

Mit Informationsschreiben vom 04.05.2021 gemäß § 134 GWB teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, dass auf seine Angebote der Zuschlag nicht erteilt werden könne, weil er nicht die wirtschaftlichsten Angebote abgegeben habe. Sie beabsichtige, die Angebote des Beigeladenen zu 1 zu beiden Losen aufgrund des besseren Wertungsergebnisses anzunehmen. Mit gesonderten Schreiben vom gleichen Tage informierte die Antragsgegnerin zudem über die nach den Zuschlagskriterien in beiden Losen jeweils erzielten Punkte und die Rangfolge der Angebote.

Daraufhin rügte der Antragsteller mit Schreiben vom 12.05.2021 die vermeintliche Vergaberechtswidrigkeit der Auswertung der Angebote. Nach ihrer Marktkenntnis müsse das Angebot des Beigeladenen völlig unauskömmlich kalkuliert oder könne mit ihrem Angebot überhaupt nicht vergleichbar sein, weil es Mindestanforderungen der Ausschreibung nicht ausreichend berücksichtigt habe und/oder auf völlig anderen, nicht berücksichtigungsfähigen Kalkulationsgrundlagen beruhe.

Die Rüge vom 12.05.2021 erfolgte innerhalb der gesetzlichen 10-Tages-Frist und damit rechtzeitig.

Soweit der Antragsteller im Nachprüfungsverfahren auch mehrere Verstöße des Antragsgegners gegen die Dokumentationspflicht gemäß § 8 VgV beanstandet, hat er vom zugrundeliegenden Sachverhalt erst durch gewährte Akteneinsicht gemäß § 165 GWB erfahren. Diesbezüglich war eine vorherige Rüge daher entbehrlich.

Der Antragsteller ist dagegen gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB mit seinem Vortrag präkludiert, soweit er erstmalig mit seiner Rüge vom 12.05.2021 eine vermeintlich verzerrende Gewichtung der Unterkriterien zu den Kriterien "Trägeranteil an den Investitionskosten" und "Defizitausgleich" gerügt hat und zudem erstmalig mit seinem Nachprüfungsantrag vermeintlich fehlende konkrete Kalkulationsvorgaben und eine Mehrdeutigkeit der Vergabeunterlagen durch intransparente Unterkriterien beanstandet hat, ohne diese für sie aus den Vergabeunterlagen erkennbaren vermeintlichen Mängel spätestens bis zum Ablauf der Frist für die Angebotsabgabe zu rügen.

Gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 GWB müssen Verstöße gegen Vergabevorschriften, die in der Bekanntmachung oder in den Vergabeunterlagen erkennbar sind, spätestens bis zum Ablauf der Frist zur Bewerbung oder zur Angebotsabgabe gegenüber dem Auftraggeber gerügt werden. Bei der Feststellung der Erkennbarkeit wird nach herrschender Meinung auf einen objektiven Maßstab abgestellt. Beim Maßstab der Erkennbarkeit ist nicht auf den Vergaberechtsexperten, sondern auf diejenigen abzustellen, die Adressaten der Bekanntmachung sind, nämlich die fachkundigen Bieter; diese prägen den objektiven Empfängerhorizont, aus dem die Erkennbarkeit zu beurteilen ist (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 03.07.2018 - Verg 2/18; VK Lüneburg, Beschluss vom 14.05.2018 - VgK-11/2018; Hofmann in Müller-Wrede, GWB Vergaberecht, § 160, Rn. 70, m. w. N.). Diese Auffassung hat auch der BGH in seinem Urteil vom 03.04.2012 bestätigt. Dort hat der BGH ausgeführt: "Dafür, ob die in vorformulierten Vergabeunterlagen vorgesehenen Erklärungen diesen Anforderungen genügen, ist der objektive Empfängerhorizont der potenziellen Bieter, also eines abstrakt bestimmten Adressatenkreises, maßgeblich" (vgl. BGH, Urteil vom 03.04.2012, X ZR 130/10). In dem dort zu beurteilenden Einzelfall hat der BGH tatsächlich missverständliche, unklare Formulierungen gesehen.

Unter Berücksichtigung dieses zutreffenden Maßstabs mussten im vorliegenden Vergabeverfahren fachkundige Bieter und damit auch der Antragsteller aus den mit den Vergabeunterlagen zur Verfügung gestellten "Vertragseckpunkten" erkennen, welche Kostenfaktoren sie bei der Angebotskalkulation zu berücksichtigen hatten.

Nach den Vertragseckpunkten zu Los B gehören zu den Betriebskosten insbesondere:

1. Personalkosten einschließlich notwendiger Ausgaben für Vertretung

2. Fortbildungskosten in Abhängigkeit der Mitarbeiteranzahl entsprechend der Regelung der Stadt xxxxxx (aktuell bis zu 300 Euro pro Mitarbeiter und Jahr)

3. Reinigung und Winterdienst

4. Bewirtschaftungskosten (insbesondere Wäsche, Reinigungsmittel, Leuchtmittel)

5. Spiel- und Beschäftigungsmaterialien entsprechend der Regelung der Stadt xxxxxx (aktuell mindestens 20 Euro je Kind jährlich)

6. Geschäftsaufwand (insbesondere Telefon, Fachliteratur, Porto, Bürobedarf)

7. Verwaltungskosten

8. Öffentliche Abgaben

9. Abschreibungen

10. Erhaltung, Ersatzbeschaffung oder Ergänzung der Einrichtung, des Inventars oder der Spielgeräte (bis max. 3.000,00 Euro netto), wobei Einzelvorhaben 1.000,00 Euro netto nicht überschreiten dürfen

Ergänzend sind nach den Vertragseckpunkten bei Los A noch folgende Positionen zu berücksichtigen:

- Nebenkosten (insbesondere Heizkosten und Wartung der Anlage, Strom, Frisch- und Abwasser, Schornsteinfeger, Müllabfuhr, Überprüfung der elektrischen Anlagen, Prüfung der Feuerlöscher)

- Kosten der Versicherungen

- Erbbauzins

- Abschreibungen

Aber auch soweit der Antragsteller die festgelegten Unterkriterien zu den Kriterien "Trägeranteil an den "Investitionskosten" und "Defizitausgleich" erst nach Abgabe und Auswertung der Angebote durch die Antragsgegnerin als intransparent beanstandet, weil sie aus ihrer Sicht die Preisunterschiede unter Berücksichtigung der Gewichtung der Zuschlagskriterien nicht angemessen widerspiegeln und verzerrend wirken, ist der Antragsteller mit diesen Beanstandungen präkludiert.

Aus der Sicht eines verständigen Bieters gingen aus den Vergabeunterlagen für beide Lose ebenfalls eindeutig und transparent die Zuschlagskriterien, die Unterkriterien, ihre Gewichtung zueinander und die jeweils erreichbaren Wertungspunkte sowie das Procedere der Bewertung zum Zuschlagskriterium "Konzeption" durch ein vierköpfiges Gremium hervor.

Das OLG Karlsruhe (Beschluss vom 19.02.2020 - 15, Verg 1/20) hat dazu ausgeführt:

(...) Erkennbar ist ein Vergaberechtsverstoß, wenn sich die zugrunde liegenden Tatsachen aus den Vergabeunterlagen ergeben und von einem Bieter der Verstoß gegen Bestimmungen des Vergabeverfahrens erkannt werden kann. Erkannt werden können muss der Verstoß nicht lediglich in tatsächlicher Hinsicht, sondern auch in rechtlicher Hinsicht.

Maßstab ist, ob ein durchschnittlicher Bieter, der sich nicht zum ersten Mal an einer Ausschreibung beteiligt, sondern schon über gewisse Erfahrung in Vergabeverfahren verfügt, bei Anwendung der üblichen Sorgfalt und unter Zugrundelegung der üblichen Kenntnis den Rechtsverstoß sehen kann und muss (vgl. EuGH, Urteil v. 23.03.2015 - C- 538/13; Hofmann in Müller-Wrede, GWB Vergaberecht, § 160 Rn. 72). Vertiefte vergaberechtliche Kenntnisse dürfen nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden; es besteht auch regelmäßig keine Verpflichtung, die Rechtmäßigkeit durch einen Vergaberechtsfachmann überprüfen zu lassen. Ein Unternehmer, der an einem EU-weiten Vergabeverfahren teilnimmt, muss aber zumindest den Text der einschlägigen Verfahrensordnungen zur Kenntnis nehmen; Ungereimtheiten oder Widersprüchlichkeiten der Vergabeunterlagen muss er nachgehen, auch wenn er die genaue Rechtslage nicht kennt (vgl. Summa in Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, 5. Auflage 2016, § 160 GWB Rn. 277).

Der Antragsteller verfügt ebenso wie die anderen Bieter im vorliegenden Verfahren über eine große Erfahrung im Betrieb von Kindertagesstätten und beteiligt sich regelmäßig an Ausschreibungen in diesem Bereich. Er hätte den nun von ihr geltend gemachten Vergaberechtsverstoß durch vermeintlich intransparente und unvollständige Kalkulationsvorgaben wie auch einer vermeintlich intransparenten Bewertungsmatrix und hier insbesondere die monetären Kriterien bereits beim ersten Lesen der Aufforderung zur Angebotsabgabe, spätestens jedoch bei der Kalkulation und Legung seiner Angebote erkennen können und dementsprechend noch vor Ende der Angebotsfrist rügen müssen. Dazu bedurfte es keiner vertieften vergaberechtlichen Kenntnisse.

Dies gilt umso mehr, weil das ursprüngliche Vergabeverfahren (xxxxxx), an dem der Antragsteller wie auch die Beigeladenen bereits beteiligt waren, ausweislich der Dokumentation in der Vergabeakte aufgrund der Rüge eines Bieters in das Stadium vor Aufforderung zur Angebotsabgabe zurückversetzt und die ursprüngliche Bewertungsmatrix zur Abhilfe der Rüge geändert wurde.

Im Übrigen ist der Nachprüfungsantrag dagegen zulässig.

2. Soweit der Nachprüfungsantrag zulässig ist, ist er begründet.

a. Die Antragsgegnerin hat gegen den vergaberechtlichen Transparenzgrundsatz gemäß § 97 Abs. 1 GWB verstoßen, indem sie es versäumt hat, sämtliche Stufen der Angebotswertung in einer den Anforderungen des § 8 VgV genügenden Weise in der Vergabeakte zu dokumentieren. Während die erste Wertungsstufe, die Prüfung der Vollständigkeit und Ausschreibungskonformität der Angebote anhand von ausgefüllten Checklisten für jedes Angebot dokumentiert ist, fehlt in der Vergabeakte eine Dokumentation der Durchführung der Eignungsprüfung als zweite Stufe der Angebotswertung. Aber auch auf der Stufe der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes genügt die Dokumentation nur im Hinblick auf die Bewertung nach den monetären Zuschlagskriterien "Investitionskosten" und "Defizitausgleich" den vergaberechtlichen Anforderungen. Eine Begründung der Punktevergabe im Rahmen der Bewertung für das Zuschlagskriterium "Konzeption" und seiner Unterkriterien fehlt dagegen völlig.

Gemäß § 8 VgV sind die Auftraggeber verpflichtet, das Vergabeverfahren von Anbeginn fortlaufend so zu dokumentieren, dass die einzelnen Stufen des Verfahrens, die einzelnen Maßnahmen sowie die Begründung der einzelnen Entscheidungen festgehalten werden. Die Pflicht zur zeitnahen Erstellung sachdienlicher Unterlagen über jede Auftragsvergabe entspricht dem Grundsatz der Transparenz des § 97 Abs. 7 GWB, der in den Dokumentationspflichten der §§ 8 VgV, 20 EU VOB/A, § 6 KonzVgV und 8 Abs. 1 SektVO geregelt ist. Ein Verstoß gegen diese Transparenzanforderungen resultiert daher stets auch in einem Verstoß gegen § 97 Abs. 1 GWB. Die Dokumentation dient einerseits der Überprüfbarkeit der Entscheidung durch die Nachprüfungsinstanzen. Andererseits soll sie Bewerben und Bietern ermöglichen, spätestens im Nachprüfungsverfahren nachzuvollziehen, warum der Auftraggeber bei der Prüfung und Wertung ihrer Unterlagen zum jeweiligen Ergebnis kam, sowie, ob die im Verfahren verbleibenden Bieter aufgrund sachgerechter, nachvollziehbarer und ermessensfehlerfreier Entscheidungen bestimmt worden sind (vgl. Zeise in: Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV, § 8 VgV, Rn. 4, m. w. N.). Der Weg zur Vergabeentscheidung soll vom Bieter nachvollzogen und auch kontrolliert werden können. Durch die Dokumentationsvorschriften soll eine erleichterte Nachprüfung der Richtigkeit der getroffenen Feststellungen und der jeweiligen Verfahren ermöglicht werden. Diese expost-Transparenz ist schließlich auch für einen effektiven Rechtschutz erforderlich, so dass alle Entscheidungsschritte grundsätzlich zu dokumentieren sind und nicht erst nach Abschluss des Vergabeverfahrens vorliegen müssen (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 01.08.1999, NZBau 2000, S. 44 ff. [OLG Brandenburg 03.08.1999 - 6 Verg 1/99]).

Der Anwendungsbereich des § 8 VgV erstreckt sich dabei sowohl auf den formalen Verfahrensablauf als auch auf die Maßnahmen, Feststellungen und Begründungen der einzelnen Entscheidungen. Zwar muss die Dokumentation nicht notwendigerweise in einem zusammenhängenden Vergabevermerk erfolgen (vgl. Zeise, a. a. O., § 8 VgV, Rn. 6). Es ist ausreichend, aber auch erforderlich, dass das Verfahren lückenlos dokumentiert wird, wobei der Vermerk aus mehreren Teilen bestehen kann (vgl. OLG Schleswig, Beschluss vom 20.03.2008, Az.: 1 Verg 6/07; OLG Koblenz, Beschluss vom 06.11.2008, Az.: 1 Verg 3/08). Die Dokumentation muss gemäß § 8 VgV jedoch ausdrücklich zeitnah erstellt und darum laufend fortgeschrieben werden.

Gemäß § 42 Abs. 3 VgV kann der öffentliche Auftraggeber bei offenen Verfahren zwar entscheiden, ob er die Angebotsprüfung vor der Eignungsprüfung durchführt. Die Antragsgegnerin ist aber gehalten, nach Eintritt der Bestandskraft dieses Beschlusses der Vergabekammer im Rahmen der erneuten Wertung auch die Eignung der Bieter anhand sämtlicher vom Antragsgegner festgelegten Eignungskriterien gemäß § 122 GWB und §§ 42 ff. VgV zu prüfen und in einer den Anforderungen des § 8 VgV genügenden Weise in der Vergabeakte zu dokumentieren.

Aber auch auf der vierten Wertungsstufe, der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes, genügt die Dokumentation nur im Hinblick auf die Bewertung nach den monetären Zuschlagskriterien "Investitionskosten" und "Defizitausgleich" den vergaberechtlichen Anforderungen. Eine Begründung der Punktevergabe im Rahmen der Bewertung für das Zuschlagskriterium "Konzeption" und seiner Unterkriterien fehlt dagegen völlig. Die Antragsgegnerin hat sich ausweislich der Vergabeakte und der Erklärung der Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung der Vergabekammer darauf beschränkt, die Punkte selbst in einer Bewertungsmatrix zu dokumentieren.

Nach der Rechtsprechung ist nicht zu beanstanden, wenn eine Bewertungsmethode festgelegt, bekannt gemacht und angewendet wird, nach der - wie auch im vorliegenden Fall - das Angebot, das im Vergleich zu den anderen Angeboten die Erwartungen des Auftraggebers am besten erfüllt, die Maximalpunktzahl beim jeweiligen Unterkriterium erhält. Eine relative Bewertungsmethode ist als solche nicht zu beanstanden (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 25.03.2021 - 13 Verg 1/21 - zitiert nach ibr-online; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 03.03.2010 - Verg 48/09).

Der öffentliche Auftraggeber muss aber nach Eröffnung der Angebote seine maßgeblichen Erwägungen in allen Schritten so eingehend dokumentieren, dass nachvollziehbar ist, welche konkreten Details des jeweiligen Konzepts ausschlaggebend für die Punktevergabe gewesen sind. Die Begründung muss dazu alle Informationen enthalten, die notwendig sind, um die Entscheidungen des Antragsgegners nachvollziehen zu können (vgl. OLG Celle, a.a.O unter Verweis auf BGH, Beschluss vom 04.04.2017 - X ZB 3/17).

Die Antragsgegnerin muss daher ihre für die Zuschlagserteilung maßgeblichen Erwägungen in allen Schritten so eingehend dokumentieren, dass nachvollziehbar ist, welche konkreten qualitativen Eigenschaften der Angebote mit welchem Gewicht und Ergebnis in die Benotung eingegangen sind. Auch wenn dem Auftraggeber bei der Bewertung und Benotung ein Beurteilungsspielraum zusteht, sind seine diesbezüglichen Bewertungsentscheidungen insbesondere auch daraufhin überprüfbar, ob die jeweiligen Noten im Vergleich ohne Benachteiligung des einen oder anderen Bieters plausibel vergeben wurden (vgl. OLG München, Beschluss vom 26.02.2021 - Verg 14/20 - zitiert nach ibr-online).

Die Antragsgegnerin ist daher gehalten, im Rahmen der erneut durchzuführenden Bewertung der vorliegenden Angebote die Bewertung und Punktevergabe zum qualitativen Zuschlagskriterium "Konzeption" und der dazu festgelegten Unterkriterien jeweils zumindest kurz, aber transparent und nachvollziehbar in Textform zu begründen. Besondere Stärken oder Schwächen der angebotenen Konzeptionen bei den einzelnen Unterkriterien im Vergleich zu den jeweils anderen Angeboten können dabei z.B. hervorgehoben werden.

b. Ferner hat es die Antragsgegnerin versäumt, im Zuge der Angebotswertung zu Los A gemäß § 60 VgV die Angemessenheit der von der Beigeladenen zu angebotenen Kosten des Angebotes (jährlicher Defizitausgleich abzüglich Trägeranteil an den Immobilienkosten) zu prüfen und aufzuklären, obwohl bezüglich diese Loses der Kostenabstand zum auf Rang 2 liegenden Angebot der Beigeladenen zu 2 die von der Rechtsprechung entwickelte Aufgreifschwelle für eine solche Überprüfung überschreitet.

Gemäß § 60 Abs. 3 Satz 1 VgV kann der Zuschlag auf Angebote, deren Preise im offenbaren Missverhältnis zur Leistung stehen, abgelehnt werden, wenn der Auftraggeber die Höhe des angebotenen Preises oder der angebotenen Kosten nicht zufriedenstellend aufklären kann. Stellt der Auftraggeber fest, dass der Preis oder die Kosten des Angebots deshalb ungewöhnlich niedrig sind, weil die Verpflichtungen nach § 128 Abs. 1 GWB, insbesondere der für das Unternehmen geltenden umwelt-, sozial- und arbeitsrechtlichen Vorschriften nicht eingehalten werden, ist dem Auftraggeber untersagt, auf das Angebot den Zuschlag zu erteilen (§ 60 Abs. 3 Satz 2 VgV). Erscheint dem Auftraggeber ein Angebotspreis oder die Kosten eines Angebots im Verhältnis der zu erbringenden Leistung ungewöhnlich niedrig, so hat er gemäß § 60 Abs. 1 VgV vom Bieter Aufklärung zu verlangen. Die Prüfung der Angemessenheit der Preise auf der dritten Wertungsstufe verfolgt den Zweck, auf der vierten und letzten Wertungsstufe, die die abschließende Angebotswertung zum Gegenstand hat, nur ernsthaft kalkulierte Angebote zuzulassen. Normzweck ist zwar vorrangig der Schutz des Auftraggebers. Beim Zuschlag auf ein ungewöhnlich niedriges Preis- oder Kostenangebot besteht die Gefahr, dass der Auftraggeber zumal dann, wenn der Vertrag einen größeren Umfang oder eine längere Laufzeit haben soll, infolge wirtschaftlicher Schwierigkeiten leistungsunfähig wird, dass schlecht geleistet wird oder Nachforderungen gestellt werden, die zu Verteuerungen der Beschaffung führen (vgl. Dicks in: Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV, § 60 VgV, Rn. 3; Horn in: Müller-Wrede, VOL/A, 3. Auflage, § 19 EG, Rn. 172). Der BGH hat jedoch mit Beschluss vom 31.01.2017 - X ZB 10/16 (zitiert nach ibr-online) bekräftigt, dass diese Vorschrift auch subjektiven Bieterrechtsschutz entfaltet. Erscheine ein Preis für eine zu erbringende Leistung ungewöhnlich niedrig, habe jeder Bieter einen Anspruch darauf, dass der Auftraggeber Aufklärung über die Preisbildung verlange. Auf das tradierte Kriterium der "Marktverdrängungsabsicht" komme es laut BGH in der Zulässigkeitsprüfung des Nachprüfungsantrags nicht an, da es einem Antragsteller regelmäßig unmöglich sei, hierzu Konkretes vortragen zu können.

Zum Zweck der Angemessenheitsprüfung muss der Auftraggeber vom Bieter die Erläuterung der Kalkulation des Angebotes verlangen und bei der Entscheidung über die Berücksichtigungsfähigkeit des Angebotes das Ergebnis dieser Überprüfung berücksichtigen.

Bei der Angemessenheitsprüfung des § 60 VgV handelt es sich um eine Plausibilitätsprüfung, die sich auf die Frage der Angemessenheit des Gesamtpreises des niedrigsten Angebotes richtet. Zwar ist der öffentliche Auftraggeber verpflichtet, eine derartige Überprüfung im Wege der Aufklärung vorzunehmen, wenn ihm das preislich günstigste Angebot ungewöhnlich niedrig erscheint. Auch kann sich der Auftraggeber nicht allein auf eigene Kalkulationen stützen, sondern er muss darauf hinwirken, die erforderlichen Informationen über die konkrete Preisbildung vom betreffenden Bieter zu verlangen (vgl. Horn in: Mütter-Wrede, VOL/A, 3. Auflage, § 19 EG, Rn. 180). Trägt der Bieter durch nachvollziehbare Angaben zur Aufklärung bei, ist der Auftraggeber nicht per se gehindert, den Zuschlag sogar auf ein Unterkostenangebot (unauskömmliches Angebot) zu erteilen (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 08.11.2001, Az.: 13 Verg 12/01; Dicks in: Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV, § 60 VgV, Rn. 32, m. w. N.) Bei einem grundsätzlich leistungsfähigen Bieter kann es verschiedenste Gründe geben, im Einzelfall auch ein nichtauskömmliches oder jedenfalls sehr knapp kalkuliertes Angebot abzugeben. Derartige Angebote sind im Sinne eines Wettbewerbs erwünscht, solange an der ordnungsgemäßen Durchführung der Leistung keine Zweifel bestehen.

Der Eindruck eines unangemessen niedrigen Preises kann aufgrund eines Vergleichs mit Preisen eingegangener Konkurrenzangebote, aber auch auf der Grundlage von Erfahrungswerten bei wettbewerblicher Preisbildung - z.B. anhand früherer vergleichbarer Ausschreibungen - gewonnen werden (vgl. Dicks in; Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV, § 60 VgV, Rn. 6). Die Frage, ab welchem Preisabstand der Auftraggeber Anlass zu Zweifeln an der Angemessenheit des Preises haben muss, hängt vom Einzelfall, insbesondere vom Auftragsgegenstand und von der Marktsituation ab. Bezugspunkt für die prozentuale Abweichung ist das nächsthöhere Angebot (= 100 %) - vorliegend also das Angebot der Beigeladenen zu 2. Eine Vereinheitlichung dieser Werte ist allerdings nicht geboten. Es kommt vielmehr auf den Einzelfall an (vgl. Dicks in: Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV, § 60 VgV, Rn. 8, 9, m. w. N). Gemäß § 7 des Niedersächsischen Tariftreue- und Vergabegesetzes (Nds. GVBI. Nr. 20/2013, S. 259 ff., neu gefasst durch Artikel 1 des Gesetzes vom 20.11.2019, Nds. GVBl. S. 354) können öffentliche Auftraggeber die Kalkulation eines (vermeintlich) unangemessen niedrigen Angebotes, auf das der Zuschlag erteilt werden könnte, überprüfen; bei einer Abweichung von mindestens 10 v. H. vom nächsthöheren Angebot sind sie dazu verpflichtet. Diese gesetzliche Aufgreifschwelle gilt jedoch ausdrücklich nur für öffentliche Bauaufträge. Für Liefer- und Dienstleistungen im Sinne der VgV gibt es eine derart verbindliche Aufgreifschwelle nicht. Rechtsprechung und Schrifttum orientieren sich zumindest für den Liefer- und Dienstleistungsbereich mehrheitlich an einer 20 %-Schwelle (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23.03.2005, VII Verg 77/04; OLG Frankfurt/M., Beschluss vom 30.03.2004, Az.: 11 Verg 4/04; BayObLG, VergabeR 2004, S. 242 ff.; Dicks in: Kulartz/Marx/Portz/Prieß, VOL/A, 2. Auflage, § 16, Rn. 215, m. w. N.; Horn in: Müller-Wrede, a. a. O., § 19, Rn. 178). Das OLG Düsseldorf (Beschluss vom 23.01.2008, Az.: VII-Verg 36/07) hat ebenfalls entschieden, dass in einem Fall, in dem der Abstand des Angebotes der dort erstplatzierten Beigeladenen zu 1 zu dem nächst höheren Angebot der dortigen Beigeladenen zu 2 sowie der Abstand zwischen diesem und dem nächst platzierten Angebot eines dritten Bieters weniger als 20 % betrug, die Aufgreifschwelle, die einen im Verhältnis zu der angebotenen Leistung ungewöhnlich niedrigen Angebotspreis indiziert, nicht erreicht ist.

Vorliegend wird diese Aufgreifschwelle zwar nicht bei Los B, aber bei Los A nicht nur erreicht, sondern deutlich überschritten. Ausweislich der Dokumentation in der Vergabeakte (Tabellarische Übersicht "Auswahlkriterien und Gewichtung für die Trägerentscheidungen (Bewertungsmatrix Los A") beträgt der Abstand des preislich niedrigsten Angebotsgesamtpreises (jährlicher Defizitausgleich abzgl. Trägeranteil an den Investitionskosten) des Beigeladenen zu 1 zum preislich auf Rang 2 liegenden Angebot der Beigeladenen zu 2 deutlich über 20 %.

Angesichts dieses deutlichen Preisabstandes bestand und besteht für die Antragsgegnerin die Pflicht, von einem ungewöhnlich niedrigen Angebotspreis des Beigeladenen zu 1 für das Los A auszugehen und in die Angemessenheitsprüfung einzutreten. Auch diese Überprüfung und ihr Ergebnis muss die Antragsgegnerin in einer den Anforderungen des § 8 VgV genügenden Weise in der Vergabeakte zu dokumentieren.

Auch diesbezüglich ist der Nachprüfungsantrag daher begründet.

III. Kosten

Die Kostenentscheidung folgt aus § 182 GWB in der seit dem 18.04.2016 geltenden Fassung (Art. 1 des Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts (Vergaberechtsmodernisierungsgesetz - VergRModG) vom 17.02.2016 (BGBl. I, S. 203), in Kraft getreten gemäß dessen Art. 3 am 18.04.2016).

Die von der Vergabekammer festzusetzende regelmäßige Mindestgebühr beträgt 2.500 €, die Höchstgebühr 50.000 € und die Höchstgebühr in Ausnahmefällen 100.000 €.

Die Gebührenermittlung erfolgt anhand einer Gebührentabelle des Bundeskartellamtes in der zzt. gültigen Fassung aus Dezember 2009. Hiernach wird der Mindestgebühr von 2.500 € (§ 182 Abs. 2 GWB) eine Ausschreibungssumme von bis zu 80.000 € zugeordnet und dem regelmäßigen Höchstwert von 50.000 € (§ 182 Abs. 2 GWB) eine Ausschreibungssumme von 70 Mio. € (höchste Summe der Nachprüfungsfälle 1996 - 1998) gegenübergestellt. Dazwischen wird interpoliert.

Der zugrunde zu legende Auftragswert beträgt xxxxxx €. Dieser Betrag entspricht der von der Antragsgegnerin geprüften Angebotssumme der Angebote des Antragstellers für beide Lose und damit ihrem Interesse am Auftrag. Dabei hat die Vergabekammer den jährlichen Defizitausgleich für beide Lose - für Los A reduziert um den von dem Antragsteller angebotenen jährlichen Trägeranteil an den Investitionskosten - und gemäß § 3 Abs. 11 Nr. 2 VgV den 48-fachen Monatswert zugrunde gelegt.

Bei einer Gesamtsumme von xxxxxx ergibt sich eine Gebühr in Höhe von xxxxxx €. Diese Gebühr schließt einen durchschnittlichen sachlichen und personellen Aufwand ein.

Die in Ziffer 3 des Tenors verfügte Kostentragungspflicht folgt aus § 182 Abs. 3 Satz 1 GWB. Danach hat ein Beteiligter, soweit er im Nachprüfungsverfahren unterliegt, die Kosten zu tragen. Hier war zu berücksichtigen, dass der Nachprüfungsantrag des Antragstellers in der Hauptsache überwiegend Erfolg hatte.

Die Antragsgegnerin ist jedoch von der Pflicht zur Entrichtung der auf sie entfallenden Kosten gemäß § 182 Abs. 1 Satz 2 GWB i. V. m. § 8 Abs. 1 Nr. 3 BVerwKostG befreit (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 13.07.2005, Az.: 13 Verg 9/05; OLG Dresden, Beschluss vom 25.01.2005, Az.: WVerg 0014/04). Zwar ist das BVerwKostG mit Wirkung vom 15.08.2013 aufgehoben worden, jedoch ist es aufgrund der starren Verweisung aus § 182 Abs. 1 Satz 2 GWB auf das BVerwKostG in der Fassung vom 14.08.2013 hier weiter anzuwenden. Inhaltlich entspricht die dortige Regelung § 8 BGebG.

Die Beigeladenen haben vorliegend keinen eigenen Antrag zur Hauptsache gestellt. Sie waren daher nicht anteilig an den Kosten zu beteiligen.

Kosten des Antragstellers:

Gemäß Ziffer 4 des Tenors hat die Antragsgegnerin dem Antragsteller die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Aufwendungen gemäß § 182 Abs. 4 GWB zu erstatten. Gemäß § 182 Abs. 4 GWB i. V. m. § 80 Abs. 2 VwVfG in entsprechender Anwendung war auf den Antrag des Antragstellers gemäß Ziffer 4 des Tenors auszusprechen, dass die Zuziehung eines Rechtsanwalts im Nachprüfungsverfahren für den Antragsteller notwendig war. Ungeachtet der Tatsache, dass das GWB für das Nachprüfungsverfahren 1. Instanz vor der Vergabekammer keine rechtsanwaltliche Vertretung vorschreibt, bedurfte der Antragsteller gleichwohl wegen der Komplexität des Vergaberechts und des das Nachprüfungsverfahren regelnden Verfahrensrechts einerseits sowie auch der Komplexität des konkreten streitbefangenen Vergabeverfahrens rechtsanwaltlicher Beratung und Begleitung.

Angesichts der Tatsache, dass die Antragsgegnerin im Nachprüfungsverfahren in der Hauptsache unterlegen ist, hat sie die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlichen Kosten des Antragstellers zu tragen.

IV. Rechtsbehelf

...

Gause
Tiede
Brinkmann