Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 31.03.2020, Az.: 13 Verg 13/19

Sofortige Beschwerde gegen den Beschluss einer Vergabekammer; Digitale Meldeempfänger für Feuerwehrleute; Verstoß gegen den Grundsatz der produktneutralen Ausschreibung; Darlegungslast und Beweislast für die Notwendigkeit einer herstellerbezogenen Leistungsbeschreibung

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
31.03.2020
Aktenzeichen
13 Verg 13/19
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 25529
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2020:0331.13VERG13.19.00

Verfahrensgang

vorgehend
VK Niedersachsen - 11.10.2019 - AZ: VgK-29/2019

Fundstellen

  • IBR 2020, 422
  • NZBau 2021, 136-143
  • VS 2020, 63
  • VergabeR 2020, 934-945
  • ZfBR 2021, 96-104

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Zu den Anforderungen an den Vergabemerk bei einer produktscharfen Ausschreibung.

  2. 2.

    Zu der Möglichkeit, Dokumentationsmängel im Nachprüfungs- oder Beschwerdeverfahren zu heilen.

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerinnen gegen den Beschluss der Vergabekammer Niedersachsen beim Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung vom 11. Oktober 2019 zum Geschäftszeichen VgK-29/2019 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerinnen tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen außergerichtlichen Auslagen der Antragstellerin je zu 1/14.

Der Streitwert wird auf 36.886,50 € festgesetzt.

Gründe

A.

1

Die Antragsgegnerinnen, 14 Kommunen der Region H., unterhalten jeweils eigene freiwillige Feuerwehren, deren Mitglieder im Bedarfsfall über am Gürtel getragene Pager, sogenannte Digitale Meldeempfänger (DME) alarmiert werden. Die Alarmierung erfolgt über ein spezielles Funknetz, das von der Region und der Landeshauptstadt H. gemeinsam betrieben wird. Während der bei der Leitstelle installierte Digitale Alarmgeber (DAG) sowie die Verstärkerantennen in der Fläche - Digitale Alarmumsetzer (DAU) - von den Netzbetreibern beschafft und betrieben werden, beschaffen die Kommunen ihre eigene Ausrüstung, darunter auch die DME, nach ständiger Praxis selbst. Als Ende 2018 die Beschaffung von ca. 2.300 DME für die Antragsgegnerinnen notwendig wurde, wandten sie sich an die Zentrale Vergabestelle der Region H., die als ausführende Stelle im Namen der Kommunen eine zentrale Ausschreibung zur Beschaffung der erforderlichen Geräte durchführte. Zuletzt hatte die Region im Jahr 2013 einen Teil der DAU in einem nichtoffenen Verfahren ausgetauscht (vgl. den Vergabevermerk, Bl. 336 f. VgK). Die damals beschafften DAU der Fa. S. sind systemneutral, d.h. ihre Funktion ist nicht an ein bestimmtes Verschlüsselungssystem gebunden.

2

Da im Netz der Region und der Landeshauptstadt H. ausschließlich das Verschlüsselungssystem D. installiert ist und DAG sowie DAU der Fa. S. verwendet wurden, entschlossen sich die Antragsgegnerinnen nach einer im Vergabevermerk niedergelegten - im Einzelnen streitigen - Prüfung der technischen Alternativen, eine Ausschreibung beschränkt auf Endgeräte der Firma S. vorzunehmen, die mit diesem System kompatibel sind. Wegen der Prüfung und ihrer Dokumentation im Einzelnen wird auf den Vergabevermerk (Anlage AG 2, Bl. 103 ff. d.A.) nebst Anlagen verwiesen. Auf dieser Grundlage veröffentlichte die Vergabestelle für die Antragsgegnerinnen am 21. Juni 2019 die Auftragsbekanntmachung (Anlage AG 3, Bl. 113 ff. d.A.).

3

Die Antragstellerin, die DME mit dem Verschlüsselungssystem B. herstellt bzw. vertreibt und sich deshalb an der Abgabe eines Angebots für die Beschaffung von Endgeräten der Fa. S. gehindert sah, rügte mit Schreiben vom 11. Juli 2019 (Bl. 27 ff. VgK) gegenüber der Zentralen Vergabestelle der Region H. insbesondere, dass die Ausschreibung nicht produktneutral und ohne Aufteilung in Lose erfolgt sei. Die Zentrale Vergabestelle wies die Rüge mit Schreiben vom 31. Juli 2019 (Bl. 36 ff. VgK) zurück.

4

Im Nachprüfungsverfahren haben die Antragsgegnerinnen insbesondere ergänzend zur Begründung der nicht produktneutralen Ausschreibung vorgetragen. Ein "Mischsystem" von verschiedenen Verschlüsselungssystemen innerhalb eines Netzes stelle ein Sicherheitsrisiko dar. Würden mit der in H. verbauten (älteren) S.-Technik mehrere Verschlüsselungen sukzessive über dasselbe Netz ausgesendet, so würde dies zu einer erheblichen Verzögerung führen und die zeitgerechte Alarmierung sei nicht mehr gewährleistet. Die Kosten für eine Umrüstung des Systems beliefen sich auf bis zu ca. 590.000 €. Andere Kommunen bzw. Landkreise hätten aufgrund von Sicherheitsbedenken von der Einführung eines Mischsystems abgesehen und stattdessen zwei getrennte Netze mit jeweils einheitlicher Verschlüsselung realisiert. Ein erfolgreicher Betrieb eines "echten" Mischsystems existiere nicht und sei in H. auch deshalb nicht möglich, weil die Region eine sogenannte selektive Alarmierung einsetze, die das Alarmsignal in Bedarfsfällen nur an einzelne Adressaten übermittele und für die die Antragsgegnerinnen das Rufbeschleunigungsverfahren "Expressalarm" der Fa. S. nutzten, welches nur innerhalb eines einheitlichen Verschlüsselungssystems funktioniere. Bei Nutzung einer weiteren Verschlüsselung mit einem anderen Beschleunigungssystem müsse eine doppelte Ausstrahlung erfolgen. Die hierdurch entstehende Verzögerung bei den Alarmierungszeiten von bis zu 35 Sekunden und die generierte Netzüberlastung durch sukzessive Expressalarmierungen seien inakzeptabel.

5

Die Vergabekammer hat eigene Ermittlungen zu der Existenz von Mischbetrieben in Deutschland angestellt und hat insbesondere nach Schluss der mündlichen Verhandlung am 27. September 2019 eine Anfrage per E-Mail an die Leitstelle L. der Stadt C. betreffend den dortigen Mischbetrieb von Verschlüsselungsverfahren gerichtet. Die Leitstelle teilte hierauf mit, dass ein Mischbetrieb verschiedener Verschlüsselungsverfahren technisch möglich und im Land B. aufgrund der gegebenen Alarminfrastruktur auch realisiert worden sei. Nach heutigem Stand der Technik werde allerdings empfohlen, auf einen solchen Mischbetrieb zu verzichten. Die Gründe hierfür lägen in den "Schutzzielen der Verfügbarkeit, Integrität und Vertraulichkeit" der zu übermittelnden Alarminformationen. Insbesondere sei zu beachten, dass mit der verschlüsselten Alarmierung von Meldeempfängern unterschiedlichster Hersteller und Verschlüsselungsverfahren das Schlüsselmanagement und die Vergabe von Empfänger-Adressen unverhältnismäßig aufwändig werde. Aus diesem Grund hätten sich die Hersteller vor einigen Jahren auf einen gemeinsamen Verschlüsselungsstandard "B." verständigt, welcher über alle Herstellersysteme einheitlich sei. Wegen der weiteren Einzelheiten der Antwort wird auf die E-Mail vom 30. September 2019 (Bl. 332 VgK) verwiesen.

6

Die Vergabekammer hat dem Nachprüfungsantrag stattgegeben und festgestellt, dass die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt sei. Sie hat das Vergabeverfahren in den Stand vor der Ausschreibungsbekanntmachung zurückversetzt und die Antragsgegnerinnen verpflichtet, bei fortbestehender Vergabeabsicht das Verfahren unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu wiederholen. Die Antragsgegnerinnen hätten nicht hinreichend dargelegt, dass der Ausnahmetatbestand des § 31 Abs. 6 Satz 1 VgV vorliege. Zwar stelle die Verwendung des aktuellen Verschlüsselungssystems keinen Verstoß gegen die DSGVO dar. Auch könne die Antragstellerin nicht verlangen, dass die Antragsgegnerinnen ihr bestehendes System vollständig auf eine B.-Verschlüsselung umstellten. Allerdings hätten die Antragsgegnerinnen nicht ausreichend geprüft bzw. ihre Prüfung nicht ausreichend dokumentiert, ob ein Mischsystem mit der notwendigen Sicherheit möglich wäre. Von dieser Prüfung seien die Antragsgegnerinnen auch nicht deshalb befreit, weil sie nur Nutzer des von der Region und der Landeshauptstadt betriebenen Netzes seien. Hingegen sei die Gesamtvergabe ohne Losbildung nicht zu beanstanden. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf den Beschluss der Vergabekammer vom 11. Oktober 2019 (Anlage AG 1, Bl. 75 ff. d.A.) Bezug genommen.

7

Hiergegen wenden sich die Antragsgegnerinnen mit der sofortigen Beschwerde, mit der sie ihr erstinstanzliches Vorbringen wiederholen und vertiefen.

8

Sie rügen, die Vergabekammer habe bereits den Sachverhalt fehlerhaft ermittelt und wiedergegeben. Insbesondere handele es sich - wie die Antragsgegnerinnen zunächst mit der Beschwerdebegründung vorgetragen haben - bei dem Netz in C. nicht um ein Mischsystem, weil im dortigen Alarmierungsbereich drei Frequenzen koexistierten, innerhalb derer gerade kein Mischbetrieb von Verschlüsselungssystemen stattfinde. Das Einzugsgebiet der dortigen Leitstelle sei zudem deutlich kleiner. Die Vergabekammer widerspreche sich auch selbst, wenn sie ihre Entscheidung auf den vermeintlich erfolgreichen Betrieb eines Mischsystems in C. stütze, aber andererseits ausführe, dass nach dem heutigen Stand der Technik empfohlen werde, auf einen solchen Mischbetrieb zu verzichten. Zudem gehe die Vergabekammer in tatsächlicher Hinsicht fehlerhaft davon aus, dass die Antragsgegnerinnen den Netzbetreiber jedenfalls faktisch zu einer Öffnung des Netzes für den Mischbetrieb zwingen könnten. Dies sei tatsächlich nicht der Fall, weil es weder eine rechtliche noch eine faktische Grundlage für die Durchsetzung einer solchen - vom Netzbetreiber abgelehnten - Forderung gebe.

9

Zu Unrecht sei die Vergabekammer weiter der Auffassung, die Antragsgegnerinnen seien für die Beschaffung der DME nicht zuständig. Die Region H. sei nicht Partei des vorliegenden Rechtsstreits und könne deshalb auch nicht zur Einführung eines Mischsystems verpflichtet, geschweige denn von der Vergabekammer als Antragsgegnerin "qualifiziert" werden. Die von den Antragsgegnerinnen vorgetragenen Kosten der Umrüstung habe die Vergabekammer zu Unrecht und ohne nähere Begründung für nicht nachvollziehbar erachtet. Auch im Übrigen sei die Argumentation der Kammer an mehreren Stellen widersprüchlich. Ein Verstoß gegen § 31 Abs. 6 VgV liege nicht vor, weil ein sachlicher Grund für die produktspezifische Ausschreibung gegeben sei, nämlich die Gewährleistung der Sicherheit und Funktionsfähigkeit des Alarmierungssystems. Es bestehe keine Verpflichtung, Investitionen in das bestehende Alarmierungsnetz zu tätigen, um auf dieser Grundlage dann produktneutral ausschreiben zu können. Die Vergabekammer verkenne schließlich die Dokumentationserfordernisse und verkürze unzulässiger Weise die Möglichkeiten einer nachträglichen Dokumentation im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens. Die Antragsgegnerinnen hätten hier lediglich eine inhaltlich richtige Entscheidung, die bereits in wesentlichen Zügen im Vergabevermerk niedergelegt gewesen sei, in ihrer Begründung präzisiert und ergänzt, ohne hierdurch das Recht auf den Zuschlag zu beeinträchtigen. Die Frage, ob ein Mischbetrieb im Netz zugelassen werden könne, sei dem Vergabeverfahren vorgelagert und betreffe im Übrigen ausschließlich den Netzbetreiber, so dass die Antragsgegnerinnen ohnehin lediglich zu einer Kurzdokumentation verpflichtet gewesen seien. Allenfalls sei die Markterkundung im Vorfeld des Vergabeverfahrens betroffen, an die geringere Anforderungen zu stellen seien als an das Vergabeverfahren selbst.

10

Nachdem die Antragsgegnerinnen Kenntnis davon erlangt hatten, dass der Senat eine ergänzende Anfrage an die Leistelle C. zur Verifizierung der Ausführungen aus der Beschwerdeschrift gestellt hatte, haben sie ihren Vortrag dahingehend korrigiert, dass es "zu einem technischen Missverständnis" gekommen sei. Tatsächlich würden in der Region L. teilweise mehrere Verschlüsselungssysteme in demselben Netz genutzt. Eine dann notwendige sukzessive Alarmierung mit unterschiedlichen Verschlüsselungstechniken möge im ländlichen Raum hingenommen werden, in H. sei dies aber nicht akzeptabel. Hier sei - anders als in der L. - nicht die Sortenreinheit der Meldeempfänger gewährleistet. Das führe zu nicht akzeptablen Verzögerungen von bis zu 500 % und in der Folge zu einer Kapazitätsauslastung des Netzes. Diese dem Vergabeverfahren vorgelagerte Entscheidung sei einer gerichtlichen Kontrolle entzogen. Insgesamt sei "das L.-Beispiel nicht geeignet, zu belegen, dass den Antragsgegnerinnen ein Mischsystem zumutbar" sei.

11

Im weiteren Verlauf haben die Antragsgegnerinnen ergänzt, dass sich gerade bei einer Großlage geringfügige Alarmierungszeitverzögerungen potenzierten, bei einer Vorgabe von maximal neun Minuten bis zum Eintreffen am Einsatzort bei der Alarmierung jedoch jede Sekunde zähle, wobei bereits anderthalb Minuten für Gesprächs- und Dispositionszeit abgingen. Zudem würden Rettungsdienste und Feuerwehren gemeinsam alarmiert, so dass solche Verzögerungen auch die Rettungsdienste beträfen. Die Einsatzhäufigkeit verlaufe zudem regelmäßig nicht linear, sondern steige zu Spitzenzeiten (Hauptverkehrszeit 10:00 - 14:00 Uhr) an; in dieser Zeit seien im Alarmierungsnetz ca. 170 Alarme in 240 Minuten auszusenden. Dabei seien besondere Schadensereignisse mit der Notwendigkeit der Alarmierung einer Vielzahl von Rettungskräften noch nicht berücksichtigt. In einem solchen Falle koordiniere die Leitstelle 11 Notarzt-Einsatzfahrzeuge, 66 Rettungswagen, 29 Krankentransportwagen, zwei Intensivtransportwagen, einen Rettungshubschrauber, einen Intensivrettungshubschrauber, 206 Feuerwehren samt diverser Einsatzfahrzeuge, Katastrophenschutzeinheiten, das Technische Hilfswerk und eine Vielzahl damit in Zusammenhang stehender Hilfseinheiten. Müsste die Leitstelle verschiedene Verschlüsselungsstandards verwenden, käme es aufgrund eines "Flaschenhalseffekts" mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Überlastung des Alarmierungsnetzes. Es gehe wichtige Zeit für die Rettung von Menschenleben verloren.

12

Abgesehen davon genüge das Verschlüsselungsverfahren D. datenschutzrechtlichen Vorgaben aus der DSGVO.

13

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Antragsgegnerinnen wird auf die Beschwerdebegründung vom 4. November 2019 (Bl. 38 ff. d.A.), den Schriftsatz vom 28. November 2019 (Bl. 153 ff. d.A.), den Schriftsatz vom 20. Dezember 2019 (Bl. 204 ff. d.A.) und den Schriftsatz vom 4. März 2020 (Bl. 237 ff. d. A.) Bezug genommen.

14

Die Antragsgegnerinnen beantragen,

15

1. den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin vom 9. August 2019 in Abänderung der Entscheidung der Vergabekammer vom 11. Oktober 2019 (Aktenzeichen: VgK-29/19) zurückzuweisen und

16

2. die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für beide Instanzen für das Nachprüfungs- und Beschwerdeverfahren für notwendig zu erklären.

17

Die Antragstellerin beantragt,

18

1. die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerinnen gegen den Beschluss der Vergabekammer Lüneburg vom 11. Oktober 2019 (Aktenzeichen: VgK-29/19) zurückzuweisen,

19

2. die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Nachprüfungs- und Beschwerdeverfahren für notwendig zu erklären.

20

Die Antragstellerin verteidigt den angefochtenen Beschluss. Die Vergabekammer habe zu Recht festgestellt, dass die Antragsgegnerinnen es verabsäumt hätten, in ihrer Dokumentation hinreichend deutlich zu machen, warum der Auftragsgegenstand es vor allem im Hinblick auf die zwingende und ausschließliche Verwendung des Verschlüsselungssystems D. ausnahmsweise rechtfertige, von einer produktneutralen Ausschreibung abzuweichen. Aus den Vergabeakten werde nicht ersichtlich, dass sich der Auftraggeber mit dem Markt hinreichend auseinandergesetzt, auch alternative Lösung ausfindig gemacht und in die Abwägung eingestellt habe. Die von den Antragsgegnerinnen vorgebrachten Einwände gegen einen Mischbetrieb verschiedener Verschlüsselungssysteme beruhten nicht auf belegten Tatsachen. Insbesondere hätten sie sich mit der leicht zu recherchierenden Tatsache eines an anderer Stelle über Jahre funktionierenden Mischbetriebes nicht nachvollziehbar und ergebnisoffen auseinandergesetzt. Die von den Antragsgegnerinnen vorgetragenen Sicherheitsbedenken seien nicht überzeugend. Insbesondere könne ein "Express-Alarm" auch von anderen Herstellern funktionsgleicher Verfahren verwendet werden. Soweit die Antragsgegnerinnen im Laufe des Verfahrens Elemente der Begründung nachgereicht hätten, habe die Vergabekammer zu Recht die Auffassung vertreten, dass diese nicht berücksichtigt werden könnten, weil ihr Inhalt deutlich den vom Bundesgerichtshof zugelassenen Umfang einer nachreichbaren Dokumentation überschreite.

21

Die Einwendungen der Antragsgegnerinnen gegen den angefochtenen Beschluss könnten nicht überzeugen. Soweit die Antragsgegnerinnen wirtschaftliche Gründe für die gemeinsame Beschaffung der DME vorbrächten, sei dies nur die halbe Wahrheit. Insoweit hätten die Antragsgegnerinnen die Option außenvorgelassen, durch den Wechsel auf eine fabrikatsneutrale Ausschreibung der DME deutlich höhere wirtschaftliche Einsparungen zu erzielen. Die Vergabestelle habe sich auch nicht hinreichend mit der Frage beschäftigt, ob das gewählte proprietäre Verschlüsselungsverfahren D. die Anforderungen aus der Datenschutzgrundverordnung erfülle. Zudem hätte die Vergabestelle berücksichtigen müssen, dass selbst der Hersteller S. zwischenzeitlich mit seinen DME den Standard B. unterstütze. Bei der Prüfung von technischen Alternativen sei die Vergabestelle erkennbar von falschen Tatsachen ausgegangen. Die Behauptungen zu den Kosten eines Mischsystems habe der Vergabevermerk nicht mit belastbaren Zahlen belegt. Die im Nachprüfungsverfahren behaupteten Aufwände seien tatsächlich nicht erforderlich, um das Netz der Region H. umzurüsten. Die Darstellung der zeitlichen Verzögerungen sei ebenfalls falsch; tatsächlich möge es allenfalls sein, dass sich die Versendung zeitlich etwas mehr als verdoppele. Dies führe aber zu keinen wesentlichen Einsatzverzögerungen. Sicherheitsbedenken, die ohnehin nicht ausreichend dokumentiert worden seien, bestünden nicht. Dies ergebe sich bereits aus dem erfolgreichen Mischbetrieb in C.

22

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Antragstellerin wird auf die Beschwerdeerwiderung vom 12. Dezember 2019 (Bl. 172 ff. d.A.) sowie den Schriftsatz vom 29. Januar 2020 (Bl. 219 ff. d.A.) Bezug genommen.

23

In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 10. März 2020 sind insbesondere die technischen Aspekte - einschließlich der Netzkapazität und der derzeitigen Auslastung - erörtert worden.

B.

24

Die zulässige sofortige Beschwerde ist unbegründet.

I.

25

Die sofortige Beschwerde ist innerhalb der Notfrist von zwei Wochen (§ 172 Abs. 1 GWB) eingegangen. Der Beschluss der Vergabekammer ist den Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerinnen erst am 21. Oktober 2019 zugestellt worden. Für die Zustellung des Beschlusses der Vergabekammer kommt es auf den Zugang per Post am 21. Oktober 2019 und nicht per E-Mail am 11. Oktober 2019 an, weil die Übersendung per E-Mail am Tag des Erlasses der Entscheidung der Vergabekammer ausdrücklich nur "vorab" erfolgte und damit aus Empfängersicht keine Zustellung, sondern nur eine frühzeitige Information bewirken sollte (vgl. BGH, Beschluss vom 10. November 2009 - X ZB 8/09, juris, Rn. 22 f.). Die sofortige Beschwerde ist am 4. November 2019 fristwahrend per Fax und am 6. November 2019 im Original bei Gericht eingegangen (Bl. 1 ff., 38 ff. d.A.).

II.

26

Die Vergabekammer hat das Vergabeverfahren zutreffend in den Stand vor der Ausschreibungsbekanntmachung zurückversetzt. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig (dazu im Folgenden unter 1.) und begründet (dazu im Folgenden unter 2.).

27

1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig. Insbesondere ist die Antragstellerin gemäß § 160 Abs. 2 GWB antragsbefugt, obwohl sie weder ein Angebot abgegeben hat noch ein solches in Bezug auf die vorliegende Ausschreibung - also für DME, die das Verschlüsselungsverfahren D. nutzen - abgeben könnte. Gleichwohl hat sie ein Interesse an dem ausgeschriebenen Auftrag hinreichend dargetan.

28

Das für die Antragsbefugnis erforderliche Interesse ist in einem solchen Fall zu bejahen, wenn der Bieter gerade durch die geltend gemachten Vergaberechtsverstöße an der Einreichung eines chancenreichen Angebots gehindert war. Es ist weder gerechtfertigt noch zumutbar, von einem Bieter die Einreichung eines Angebots zu verlangen, dessen Grundlagen er im Nachprüfungsverfahren als rechtswidrig bekämpft. Allerdings sind in diesem Fall höhere Anforderungen an die Darlegung des Interesses am Auftrag zu stellen. Der Bieter muss einen "gewichtigen Vergaberechtsverstoß" rügen und schlüssig vortragen, gerade durch den gerügten Vergabefehler an der Abgabe eines Angebots gehindert worden zu sein (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16. Oktober 2019 - VII-Verg 66/18, juris, Rn. 31, m.w.N.).

29

Diesen Anforderungen genügt der Vortrag der Antragstellerin. Die Antragstellerin macht gewichtige Vergaberechtsverstöße geltend. Als solche sind in der Rechtsprechung insbesondere die hier gerügten Verstöße gegen das Verbot diskriminierender Spezifikationen in den Ausschreibungsunterlagen und gegen das Gebot der Losbildung anerkannt (vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O., Rn. 32, m.w.N.). Der Antragstellerin droht durch den geltend gemachten Verstoß gegen das Gebot der produktneutralen Ausschreibung ein Schaden durch Beeinträchtigung ihrer Zuschlagchancen, weil sie mit DME mit dem Verschlüsselungsverfahren B. nach der bisherigen Ausschreibung mit der Produktvorgabe für DME des Herstellers S. mit dem Verschlüsselungsverfahren D. keinen Zuschlag erhalten kann, während sie anderenfalls die Chance hätte, an der Ausschreibung teilzunehmen und den Zuschlag zu erhalten.

30

Weiterhin hat die Antragstellerin die fraglichen Verstöße im Vergabeverfahren gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GWB rechtzeitig erfolglos gerügt.

31

2. Der Nachprüfungsantrag ist begründet, weil die Antragsgegnerinnen als Auftraggeberinnen die Antragstellerin mit der produktscharfen Ausschreibung in ihren Rechten gemäß § 97 Abs. 6 GWB verletzt haben. Der Nachprüfungsantrag richtet sich gegen die Antragsgegnerinnen als Auftraggeberinnen (dazu a)). Diese haben gegen den Grundsatz der produktneutralen Ausschreibung verstoßen (dazu b)).

32

a) Der Nachprüfungsantrag richtet sich zutreffend gegen die Antragsgegnerinnen als Auftraggeberinnen und nicht gegen die Region H.

33

aa) Zwar ist in der Antragschrift vom 8. August 2019 noch die Region H. als Antragsgegnerin bezeichnet. Insofern hat die Vergabekammer aber das Rubrum zutreffend berichtigt, nachdem die Antragsgegnerinnen im Schriftsatz vom 16. August 2019 auf Anfrage der Vergabekammer (vgl. Schreiben vom 9. August 2019, Bl. 68 VgK) klargestellt haben, dass Auftraggeber nicht die Region, sondern die einzelnen Kommunen seien, die lediglich eine gemeinsame Vergabestelle (nämlich das "Team Zentrale Vergabeangelegenheiten" der Region H.) in Anspruch nähmen.

34

Die Anforderungen an einen Nachprüfungsantrag, der unter hohem Zeitdruck gestellt werden muss, dürfen nicht überspannt werden. Ungewissheiten hinsichtlich des Auftraggebers sind von Amts wegen aufzuklären und gehen nicht zu Lasten des Bieters. Es ist deshalb anerkannt und entspricht gängiger Übung, dass sich der Bieter im Nachprüfungsantrag darauf beschränken kann, die Vergabestelle als Antragsgegner zu nennen. Selbst bei anwaltlich vertretenen Bietern steht dies der Zulässigkeit des Verfahrens nicht entgegen, sofern sich aus der Antragsschrift bzw. den Anlagen zweifelsfrei ergibt, welcher konkrete Beschaffungsvorgang bzw. welche Ausschreibung zur Überprüfung gestellt wird. Erst recht gilt dies für den Fall, dass die Antragstellerin - wie hier zunächst - nicht anwaltlich vertreten ist. Die Vergabekammer oder der Senat berichtigen dann das Rubrum von Amts wegen (vgl. Senatsbeschluss vom 24. September 2014 - 13 Verg 9/14, juris, Rn. 17 m.w.N.).

35

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze war das Rubrum - wie geschehen - zu berichtigen. Denn Antragsgegner ist nach § 162 Satz 1 GWB der öffentliche Auftraggeber, d. h. diejenige Person, die materiell aus dem abzuschließenden Vertrag Rechte und Pflichte herleiten kann. Das sind hier die Antragsgegnerinnen, wie sich sowohl aus der Auftragsbekanntmachung ergibt, in der es heißt, der Auftrag werde "von einer zentralen Beschaffungsstelle vergeben" und die Ausschreibung erfolge "für interessierte Kommunen der Region H.", als auch aus dem Vergabevermerk, in dem es heißt (auf Seite 2, Bl. 104 d.A.):

36

"Nach Einbeziehung und Abstimmung mit allen zuständigen Stellen im Haus steht fest, dass die Region H. sich bereit erklärt und in der Lage ist, die regionsangehörigen Kommunen zu unterstützen. Die Region H. führt zur zeitlichen Wahrung, zur Umsetzung der EU-DS-GSVO und zur optimalen Lösung des Projektzieles eine zentrale Ausschreibung zur Beschaffung der erforderlichen Endgeräte für die interessierten Kommunen durch. Die Region H. ist ausführende Stelle im Namen der Kommunen, wird jedoch selbst kein Produkt aus der Ausschreibung beziehen."

37

bb) Die Stellung der Antragsgegnerinnen als Auftraggeberinnen im Außenverhältnis zu der Antragstellerin und anderen Bietern wie der Beigeladenen besteht unbeschadet kommunalrechtlicher Zuständigkeitsregelungen. Es kann dahingestellt bleiben, ob sich aus § 3 Abs. 1 Nr. 5 NBrandSchG eine Zuständigkeit der Gemeinden oder eine Zuständigkeit des Landkreises - hier in Gestalt der Region H. - ergibt. Die Auftraggeberstellung der Antragsgegnerinnen bestünde auch dann, wenn sie - unterstellt - außerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs tätig würden.

38

b) Die Antragsgegnerinnen haben gegen den Grundsatz der produktneutralen Ausschreibung gemäß § 31 Abs. 6 VgV verstoßen.

39

Im Ausgangspunkt ist der öffentliche Auftraggeber in seiner Beschaffungsentscheidung zwar frei. Die Entscheidung darüber, ob und ggf. was zu beschaffen ist, wird erfahrungsgemäß von zahlreichen Faktoren beeinflusst, unter anderem von technischen, wirtschaftlichen, gestalterischen oder solchen der sozialen, ökologischen oder ökonomischen Nachhaltigkeit. Die Wahl unterliegt der Bestimmungsfreiheit des Auftraggebers, deren Ausübung dem Vergabeverfahren vorgelagert ist. Das Vergaberecht regelt demnach nicht, was der öffentliche Auftraggeber beschafft, sondern nur die Art und Weise der Beschaffung (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 31. Mai 2017 - VII-Verg 36/16, juris, Rn. 40, m. w. N.).

40

Der öffentliche Auftraggeber hat gemäß § 31 Abs. 1 S. 1 VgV die Leistungsbeschreibung aber in einer Weise zu fassen, dass sie allen Unternehmen den gleichen Zugang zum Vergabeverfahren gewährt. In der Leistungsbeschreibung darf nicht auf eine bestimmte Produktion oder Herkunft oder ein besonderes Verfahren, das die Erzeugnisse oder Dienstleistungen eines bestimmten Unternehmens kennzeichnet, verwiesen werden, wenn dadurch bestimmte Unternehmen oder bestimmte Produkte begünstigt oder ausgeschlossen werden. Solche Verweise sind nur zulässig, wenn sie durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt sind (§ 31 Abs. 6 Satz 1 letzter HS VgV) oder wenn der Auftragsgegenstand andernfalls nicht hinreichend genau und allgemein verständlich beschrieben werden kann (§ 31 Abs. 6 Satz 2, 1. HS VgV). Solche Rechtfertigungsgründe bestehen hier nicht. Insbesondere ist die produktscharfe Ausschreibung von Produkten der Firma S. mit dem Verschlüsselungsverfahren D. nicht durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt.

41

aa) Eine Rechtfertigung setzte hiernach voraus, dass der Auftraggeber nachvollziehbare objektive und auftragsbezogene Gründe angibt und die Bestimmung folglich willkürfrei getroffen hat, solche Gründe tatsächlich vorhanden (festzustellen und notfalls erwiesen) sind und die Bestimmung andere Wirtschaftsteilnehmer nicht diskriminiert (vgl. zur Parallelvorschrift in § 8 Abs. 7 VOL/A EG: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. April 2016 - VII-Verg 47/15, juris Rn. 21 m.w.N.).

42

Dem öffentlichen Auftraggeber steht bei der Einschätzung, ob die Vorgabe eines bestimmten Herstellers gerechtfertigt ist, ein Beurteilungsspielraum zu. Die Entscheidung muss aber nachvollziehbar begründet und dokumentiert sein, wenngleich eine vorherige Markterkundung nicht erforderlich ist. Die Darlegungs- und Beweislast für die Notwendigkeit einer herstellerbezogenen Leistungsbeschreibung liegt beim öffentlichen Auftraggeber (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16. Oktober 2019 - VII-Verg 66/18, juris, Rn. 41; Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Marx/Protz/Prieß, VgV, 2017, § 31 Rn. 58).

43

bb) Ausgehend von diesen Grundsätzen rechtfertigen die vorliegenden Erwägungen der Auftraggeberinnen die produktscharfe Ausschreibung von DME der Firma S. mit dem Verschlüsselungsverfahren D. hier nicht.

44

(1) Zwar erscheint es denkbar, dass eine solche produktscharfe Ausschreibung letztlich sowohl aus technischen als auch aus wirtschaftlichen Gründen in der Sache gerechtfertigt sein könnte.

45

Die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers für die Beschaffung eines bestimmten Produkts kann insbesondere aus technischen Gründen sachlich gerechtfertigt sein, wenn dadurch im Interesse der Systemsicherheit und -funktion eine wesentliche Verringerung von Risikopotentialen (Risiko von Fehlfunktionen, Kompatibilitätsproblemen, höherem Umstellungsaufwand) bewirkt wird. Der öffentliche Auftraggeber darf in diesem Fall - insbesondere in sicherheitsrelevanten Bereichen - jedwedes Risikopotential ausschließen und den sichersten Weg wählen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. April 2016, a.a.O. Rn. 22 ff., 26; Beschluss vom 31. Mai 2017 - VII-Verg 36/16, juris, Rn. 48, m. w. N.; Beschluss vom 16. Oktober 2019 - VII-Verg 66/18, juris, Rn. 52).

46

Solche Gründe, die eine produktscharfe Ausschreibung grundsätzlich rechtfertigen könnten, führen die Antragsgegnerinnen ins Feld, u.a. behauptete zeitliche Verzögerungen der Text-Alarmierungen bei Verwendung zweier Verschlüsselungssysteme (D. und B.) mit einem "Flaschenhalseffekt" (Kapazitätsengpass), insbesondere bei Verwendung von D. mit "Expressalarm" und B. ohne vergleichbare Funktion. Zudem berufen sie sich auf eine fehlende Erprobung eines solchen "Mischsystems". Schließlich stützen sie sich auch auf behaupteten finanziellen Mehraufwand auf Seiten der Netzbetreiber (Landeshauptstadt H. und Region H.) bei einer Einführung von B. als zusätzlichem Verschlüsselungssystem.

47

(2) Jedoch haben die Antragsgegnerinnen als Auftraggeberinnen - in Gestalt der Zentralen Vergabestelle - diese (möglichen) nachvollziehbaren objektiven und auftragsbezogenen Gründe nicht ausreichend ermittelt und dokumentiert.

48

(a) Die Begründung insbesondere im Vergabevermerk reicht nicht aus, um die produktspezifische Ausschreibung zu rechtfertigen. Diese lässt gerade die befürchteten Probleme der Alarmierungsverzögerungen mit Kapazitätsengpässen sowie die Größenordnung des befürchteten finanziellen Mehraufwands auf Seiten der Netzbetreiber und die befürchtete Inkompatibilität nicht näher erkennen:

49

Es finden sich keine genügend konkreten Angaben zu dem bestehenden Netz, dessen Kapazitäten, zu den zeitlichen Anforderungen an die Rettungseinsätze, zu den aktuellen Alarmierungszeiten und den zu erwartenden Alarmierungszeiten bei Einsatz eines weiteren Verschlüsselungssystems neben D. sowie zu dem Aufwand der Einführung eines weiteren Verschlüsselungssystems. Einwände gegen eine solche Implementierung finden sich nur schlagwortartig, ohne dass sie eine hinreichende Auseinandersetzung mit der jeweiligen Problematik dokumentierten.

50

(aa) Der am 8. Januar 2018 beginnende Vergabevermerk verweist in der Folge auf ein Schreiben vom 7. Februar 2018 an die Nutzer des digitalen Alarmierungssystems (abgeheftet im Ordner 1 der Vergabeakte), in dem es auszugsweise heißt:

51

"Nach eingehender Beurteilung der technischen Sachlage unter Einbeziehung der gesetzlichen Vorgaben, ist man zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Verschlüsselung der digitalen Alarmierung für sämtliche BOS in der Region H. erforderlich ist und entsprechende Maßnahmen einzuleiten sind. (...)

52

Dies bedeutet, dass nach Gewährung einer Übergangsfrist spätestens ab Januar 2020 auf eine einheitliche Verschlüsselung umgestellt wird. (...)

53

Für den Empfang der Nachrichten im Klartext sind Geräte des Herstellers S. ab der Baureihe B... aufwärts zu beschaffen, die über die Verschlüsselungsoption "D." verfügen. Ältere digitale Meldeempfänger werden nicht unterstützt.

54

Es wird ausschließlich diese Verschlüsselungsmethode angeboten, da dies die größtmögliche Redundanz auf technischer Seite und die wirtschaftlichste auf der finanziellen Seite darstellt. Andere Verschlüsselungsmethoden sind mit dem bestehenden Alarmierungsnetz nur unter Inkaufnahme des Verzichts essentieller Sicherheitsmechanismen möglich. Die Variante, die Installation von proprietärer Soft- und Hardware, die das Gesamtsystem und deren Redundanzen beeinträchtigen würde, ist für das Alarmierungsnetz der Region H. nicht akzeptabel. (...)" (Fettdruck vom Senat)

55

Unter dem 21. November 2018 wird im Vergabevermerk weiter ausgeführt, es stehe nunmehr fest, dass die Region H. für die interessierten Kommunen eine zentrale Ausschreibung durchführen werde. Dabei bedürfe es

56

"der technischen Prüfung, ob zu diesem Zeitpunkt Endgeräte anderer Hersteller oder andere Verschlüsselungssysteme in die Beschaffung mit einbezogen werden können." (Fettdruck vom Senat)

57

Sodann findet sich unter der Überschrift "Technische Erwägungen" auf Seite 2 des Vergabevermerks (Bl. 104 d. A.) die Wiedergabe von Rechercheergebnissen und "festgestellten Tatsachen" des Fachbereichs 32.12.03 (Technische Unterstützung Bevölkerungsschutz). Dort heißt es zu dem Verfahren B.:

58

"Das Verfahren B. ist nach der Recherche zukünftig als gemeinsamer Verschlüsselungsstandard aller Hersteller von Alarmierungsgeräten angekündigt. Eine durchgängige Funktionsprüfung, die bereits erfolgte Implementierung in vorhandenen Endgeräten verschiedener Hersteller, sowie einen öffentlichen Hinweis auf ein anerkanntes herstellerübergreifendes System fehlt hierzu.

59

Die großen Hersteller der digitalen Meldeempfänger, wie Fa. S. und Fa. E. weisen in ihren Meldedatenblättern dieses Verfahren nicht aus. Lediglich der Hersteller O. weist das Verfahren aus. Hierzu fehlen aber auch weiterführende Informationen hinsichtlich der Betriebssicherheit in herstellerfremden Systemen, etwaige Kompatibilitätsnachweise und Referenzen hinsichtlich ähnlich gewachsener Alarmierungsnetze wie der, der Region H. und Landeshauptstadt H. Sofern dieses Verschlüsselungssystem überhaupt in das vorhandene System implementierbar wäre, würde dieses, wie auch beim AES-Verfahren eine gesonderte Prüfung erfordern. Diese gesonderte Prüfung zur Einführung eines anderen bzw. weiteren Verschlüsselungsverfahren stellt hier aber nicht das ursprüngliche Interesse der angefragten zentralen Ausschreibung dar.

60

(Verweis: Datenblätter der Hersteller für Geräte zum Empfang von Alarmierungstexten)

61

(Tabelle: Aufstellung der von den Herstellern benannten Verschlüsselung zu den Gerätschaften)" (Fettdruck vom Senat)

62

Nach dem Abdruck der Tabelle, die für das System B. den o. g. Stand - also "keine Angabe" sowohl zu den Geräten der Firma S. als auch der Antragstellerin - wiedergibt, heißt es im Vergabevermerk weiter:

63

"Können technische Alternativen zum bestehenden Netz und Verschlüsselungsverfahren etabliert werden?

64

Nach intensiver fachlicher Auseinandersetzung mit der Rettungsleitstelle und fachlich Beteiligten bestehen folgende Kritikpunkte an einer solchen alternativen Etablierung:

65

- eine andere bzw. zusätzliche Verschlüsselungsarten wie zum Beispiel das Verfahren nach B. oder A. würde die im Alarmierungsnetz zur Verfügung stehende Kapazität an eine kritische Auslastungsgrenze bringen und zu einer verlängerten Alarmierungszeit führen

66

- bei 300.000 Alarmierungen pro Jahr würde der Aufbau eines parallelen Verschlüsselungsverfahrens in das bestehende Netzwerk zu kaum kalkulierbaren Risiken führen, die im Rahmen der Gefahrenabwehr nicht zu tragen wären

67

- eine technische Umsetzung einer anderen Verschlüsselung wäre unterbrechungsfrei nicht umsetzbar

68

- der gleichzeitige Betrieb unterschiedlicher Verschlüsselungsarten würde dietechnische Betriebssicherheit gefährden, da für diesen Mischbetrieb keine zuverlässigen, belastbaren Referenzen vorliegen

69

- die Etablierung eines parallel betriebenen, neuen Alarmierungsnetzes hätte horrende wirtschaftliche und erhebliche administrative, operative Aufwände für die Region H. und Landeshauptstadt H. zur Folge.

70

Die Region H. informiert die Kommunen über die derzeitige Sachlage und zum Stand der Technik im bestehenden Alarmierungsnetz. Es wird darauf hingewiesen, dass derzeit eine Implementierung von anderen Verschlüsselungssystemen ohne wesentliche Mehraufwendungen und den o. g. betriebssicherheitlichen Bedenken nicht möglich ist.

71

(Verweis: Schreiben vom 14.2.2019 - an die Ordnungsamtsleiter der Kommunen - Sachstand zu einer geplanten zentralen Ausschreibung von digitalen Meldeempfängern durch die Region H.)"

72

(Fettdruck vom Senat)

73

In dem im Vergabevermerk in Bezug genommenen Schreiben vom 14. Februar 2019 (abgeheftet im Ordner 1 der Vergabeakte, Bl. 668) heißt es:

74

"Im Rahmen der notwendigen Umstellung der digitalen Alarmierungsverfahren (...) wird hiermit auf das Schreiben vom 07.02.2018 Bezug genommen.

75

In diesem wurde Ihnen mitgeteilt, dass es aufgrund der EU-Datenschutz-Grundverordnung (EU-DS-GVO) zu einer Umstellung spätestens ab Januar 2020 auf eine verschlüsselte Alarmierung kommen soll. Ausschließlich für digitale Meldeempfänger, die den Empfang einer Klartext-Alarmierungsmeldung erhalten sollen, sind Geräte des Herstellers S. erforderlich, da nur diese Geräte über die benötigte Verschlüsselungsoption "D." verfügen. Im Rahmen der letzten Ordnungsamtsleiterrunde am 21.11.2018 erfolgte eine gemeinsame Abstimmung, dass die Region H. für interessierte Kommunen eine zentrale Ausschreibung durchführen würde, weshalb ich nun auf Sie zukomme. Es gilt nun die weiteren Schritte abzustimmen und eine Ausschreibung der Gerätetypen "S. 15V" sowie "S. 35V" zu initiieren, die dem aktuellen Stand der Technik entsprechen. (...) Für bereits existierende Geräte des Herstellers S., die noch nicht über die Verschlüsselungsoption "D." verfügen, bieten wir (...) ab dem 2. Quartal 2019 die Upgrade-Funktion bei uns in der Funkwerkstatt für 3 Monate als Service für Sie an. Hierzu können die Geräte bei uns abgegeben werden und erhalten für 27,00 € netto die Verschlüsselungsoption "D.". Eine Abrechnung erfolgt anschließend separat durch die Firma S. direkt mit der Kommune. (...)" (Fettdruck vom Senat)

76

Schließlich findet sich im Vergabevermerk unter dem Datum 10. Mai 2019 der Hinweis:

77

"Hinsichtlich der anstehenden Ausschreibung und der damit verbundenen produktscharfen Benennung von Endgeräten nebst Zubehör ist eine erneute Überprüfung hinsichtlich des Einsatzes von herstellerübergreifenden Systemen und produktneutralen Endgeräten ratsam. 32.12.03 hat erneut die Recherche durchgeführt. Zum jetzigen Zeitpunkt ergeben sich keine Neuerungen hinsichtlich des Standes der Technik." (Fettdruck vom Senat)

78

An dieser Stelle sind Links zu den Produktdatenblättern verschiedener Geräte eingeführt, die zu dem Verschlüsselungsverfahren B. weiterhin u.a. für die Geräte der Fa. S. keine Angabe enthalten. Danach heißt es weiter:

79

"Aufgrund nicht vorhandener herstellerunabhängiger Technik wird der mit den Kommunen abgestimmte Produktkatalog zur Bestimmung der finalen Stückzahlen der Endgeräte nebst Zubehör für die zentrale Beschaffung zugestellt." (Fettdruck vom Senat)

80

Ende Mai/Anfang Juni 2019 schlossen die Region H. und die Kommunen die "Kooperationsvereinbarung für die gemeinsame Beschaffung digitaler Meldeempfänger in der Region H." (ebenfalls abgeheftet in Ordner 1 der Vergabeakte, Bl. 25 ff.). Dort heißt es in der Präambel:

81

"14 Kommunen in der Region H. benötigen neue digitale Meldeempfänger sowie dazu passendes Zubehör, um die digitale BOS Alarmierung im Bereich des Brand- und Katastrophenschutzes jederzeit sicherzustellen. Insbesondere um ihrer übergemeindlichen Aufgabe des abwehrenden Brandschutzes und der Sicherstellung der überörtlichen Alarmierung gem. § 3 NBrandSchutzG nachzukommen, hat die Region Interesse daran, dass die regionsangehörigen Städte und Gemeinden über einheitliche Geräte verfügen, die auch die Region und die Landeshauptstadt H. verwenden. (...)" (Fettdruck vom Senat)

82

§ 2 regelt den Ausschreibungsgegenstand folgendermaßen:

83

"Gegenstand der durchzuführenden Ausschreibung sind die in der Anlage 1 aufgeführten und beschriebenen Produkte. Aufgrund der bestehenden technischen Gegebenheiten und der von der Landeshauptstadt H. und der Region H. bereits seit Jahren implementierten Verschlüsselung D. kommen lediglich Geräte des Herstellers S. in Frage, um durch die Kompatibilität der Geräte den Alarmierungsempfang und Anzeige des Alarmierungstextes gewährleisten zu können. (...)" (Fettdruck vom Senat)

84

Nachdem das "Team Zentrale Vergabeangelegenheiten" bei der Vorbereitung der Ausschreibung mitteilte, man benötige noch

85

"den Vergabevermerk bzw. eine E-Mail, in der Sie bestätigen, dass es sich um eine Ausnahme vom Grundsatz der Produktneutralität handelt, da Sie explizit die Firma S. benennen",

86

antwortete der Fachbereich 32.12.03 hierauf am 31. Mai 2019 wie folgt (E-Mail-Verkehr abgeheftet in Ordner 1 der Vergabeakte):

87

"Begründung der Ausnahme zur Produktneutralität

88

13 Kommunen in der Region H. benötigen neue digitale Meldeempfänger sowie dazu passendes Zubehör, um die digitale BOS Alarmierung im Bereich des Brand- und Katastrophenschutzes jederzeit sicherzustellen. Insbesondere um ihrer übergemeindlichen Aufgabe des abwehrenden Brandschutzes und der Sicherstellung der überörtlichen Alarmierung gem. § 3 NBrandSchG nachzukommen, hatdie Region Interesse daran, dass die regionsangehörigen Städte und Gemeinden über einheitliche Geräte verfügen, die auch die Region und die Landeshauptstadt H. verwenden.

89

Da bei den Kommunen gleiche Beschaffungsbedarfe bestehen, soll durch eine gemeinschaftliche Durchführung eines Vergabeverfahrens Ressourcen und Kosten gespart werden. Es ist beabsichtigt, dass die Region H. die Kommunen dabei unterstützt und sicherstellt, dass die digitalen Meldeempfänger europarechtkonform eingekauft werden sowie den Anforderungen und dem Stand der Technik entsprechen.

90

Gegenstand der durchzuführenden Ausschreibung sind die in der Anlage 1 aufgeführten und beschriebenen Produkte. Aufgrund der bestehenden technischen Gegebenheiten und der von der Landeshauptstadt H. und der Region H. bereits seit Jahren implementierten Verschlüsselung D. kommen lediglich Geräte des Herstellers S. in Frage, um durch die Kompatibilität der Geräte den Alarmierungsempfang und Anzeige des Alarmierungstextes gewährleisten zu können." (Fettdruck vom Senat)

91

(bb) Deutlich wird in der Gesamtschau, dass die Region H. in ihrem eigenen Interesse die einheitliche Beschaffung initiiert und koordiniert hat, weil sie bei Fortsetzung unverschlüsselter Text-Alarmierungen datenschutzrechtliche Schwierigkeiten befürchtete, dass sie davon ausging, dass die vorhandenen Strukturen (DAG, DAU, Bestands-DME) die Einführung eines weiteren Verschlüsselungssystems aus technischen Gründen ohnehin nicht zuließen, und dass sie daher - für die Antragsgegnerinnen, aber u.U. nicht in deren ausschließlichem Interesse - eine für eine produktspezifische Ausschreibung nicht hinreichende Prüfung durchführte, jedenfalls eine tiefer gehende Prüfung nicht dokumentierte.

92

Die Antragsgegnerinnen - bzw. die von ihnen beauftragte Zentrale Vergabestelle - haben eine "gesonderte Prüfung" zur technischen Möglichkeit der Einführung eines weiteren Verschlüsselungssystems - deren Notwendigkeit sie ausweislich des Vergabevermerk erkannt hatten - mit der Begründung nicht vorgenommen, dass diese nicht das ursprüngliche Interesse der angefragten zentralen Ausschreibung darstelle. Dieses subjektive Interesse - sei es der Antragsgegnerinnen, sei es der Netzbetreiber - ist aber für sich genommen nicht geeignet, eine Ausnahme vom Grundsatz der produktneutralen Ausschreibung objektiv zu rechtfertigen.

93

Soweit der Fachbereich Technische Unterstützung Bevölkerungsschutz dennoch Ausführungen zu "technischen Alternativen" gemacht hat, beruhen die Annahmen - soweit ersichtlich - allein auf der Auswertung von Datenblättern ohne eine kritische ergänzende Überprüfung. Aus der Nichterwähnung von B. in den Datenblättern ist der - keinesfalls zwingende - Schluss gezogen worden, dass B. nicht in das bestehende System von DAG und DAU der Firma S. implementierbar sei. Auch wurde die Annahme zugrunde gelegt, herstellerunabhängige Technik sei nicht vorhanden, obwohl zumindest aktuelle DME der Fa. S. - wie auch DME anderer Hersteller - auch das Verschlüsselungsverfahren B. beherrschen.

94

Auch aus der Dokumentation der "intensiven fachlichen Auseinandersetzung mit der Rettungsleitstelle und fachlich Beteiligten" ist die konkrete Tatsachengrundlage für die "Kritikpunkte" nicht erkennbar, dass die zusätzliche Einführung von B. die Kapazität des Netzes an eine kritische Auslastungsgrenze bringe und zu verlängerten Alarmierungszeiten führe, die technische Betriebssicherheit gefährde und kaum kalkulierbare Risiken berge. Inwieweit diesen Bewertungen überhaupt Tatsachen zu Grunde lagen, lässt sich der Dokumentation nicht entnehmen, zumal eine Abgrenzung zu der pauschaleren Annahme, das Verfahren B. könne nicht implementiert werden, nicht hinreichend deutlich wird.

95

Ebenso wenig sind in diesem Zusammenhang die Grundlagen der vergleichenden Kalkulation der "horrenden wirtschaftlichen und erheblichen administrativen, operativen Aufwände für die Region H. und Landeshauptstadt H." aufgezeigt worden.

96

Letztlich ist auch nicht dokumentiert, dass und ggf. in welcher Form eine Prüfung durchgeführt worden ist, ob und ggf. mit welchem Erfolg anderenorts bereits ein "Mischbetrieb" verschiedener Verschlüsselungsverfahren stattfindet.

97

Die Angaben sind damit insgesamt so allgemein gehalten, dass sie einer Überprüfung nicht hinreichend zugänglich sind; damit lässt die Begründung objektive und auftragsbezogene Gründe für eine produktscharfe Ausschreibung nicht in ausreichendem Maß erkennen.

98

Dies geht vor dem Hintergrund der Darlegungs- und Beweislast der Antragsgegnerinnen für die geltend gemachte Ausnahme vom Grundsatz der produktneutralen Ausschreibung zu ihren Lasten, und zwar unabhängig davon, ob dies auch auf einer oberflächlichen Markterkundung beruhen sollte. Insoweit trifft die Antragsgegnerinnen keine allgemeine Markterforschungspflicht. Ein öffentlicher Auftraggeber ist vor Einleitung eines Vergabeverfahrens und zur Vorbereitung einer Auftragsvergabe zwar ggf. zu einer Markterkundung berechtigt, nicht aber verpflichtet (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. April 2016 - VII-Verg 47/15, juris, Rn. 27). Er muss aber die maßgeblichen Grundlagen seiner Entscheidung für eine produktscharfe Ausschreibung in einer für Bieter nachvollziehbaren Weise dokumentieren.

99

(b) Die Antwort der Zentralen Vergabestelle vom 31. Juli 2019 (Bl. 36 ff. VgK) auf die Rüge der Antragstellerin kann diesem Begründungsmangel nicht abhelfen.

100

Denn diese Stellungnahme verweist in gleicher Pauschalität auf "Performanceverluste" beim "gemischten Betrieb zweier Verschlüsselungsverfahren" durch "die doppelte Aussendung von Alarmtexten", die "zur zeitlichen Verzögerung anderer Alarmierung im Netz" führe. "Die Implementierung eines weiteren Verschlüsselungsverfahrens in das bestehende System (führe) zu einem risikobehafteten, ungetesteten Mischsystem (...)." Zur Existenz von Mischbetrieben verhält sich diese Stellungnahme bereits nicht.

101

Ohne eigene Kalkulation des Aufwands für die Einführung eines weiteren Verschlüsselungssystems ist die Darstellung der Antragsgegnerin zur Wirtschaftlichkeit pauschal zurückgewiesen worden: "(...) Ihre Behauptung, dass für die Aufwendung der Ausschreibung genauso viele alternative DME und ein kompatibles DA-Netz dazu beschaffbar wären, (entbehrt) jeglicher Grundlage und Belastbarkeit."

102

(c) Auch die Ergänzungen der Begründung im Nachprüfungs- und Beschwerdeverfahren sind nicht geeignet, die produktscharfe Ausschreibung zu rechtfertigen. Zwar ist der Vortrag der Antragsgegnerinnen im Nachprüfungs- und Beschwerdeverfahren zunehmend detaillierter geworden. Dieses Vorbringen kann der Senat jedoch nicht berücksichtigen.

103

(aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs führt zwar nicht jeder Dokumentationsmangel dazu, dass eine Wiederholung der betreffenden Verfahrensabschnitte anzuordnen ist, weil anderenfalls der Ablauf des Vergabeverfahrens unangemessen beeinträchtigt werden könnte. Es ist vielmehr möglich, Dokumentationsmängel nachträglich zu heilen, etwa wenn der Auftraggeber die Dokumentation nachholt und dabei Gründe darlegt, mit denen er die sachliche Richtigkeit einer angefochtenen Vergabeentscheidung nachträglich verteidigt und die nach Aufhebung in einem wiederholten Verfahren ohne Weiteres der Entscheidung zugrunde gelegt werden können.

104

Dies ist allerdings dann anders zu beurteilen, wenn zu besorgen ist, dass die Berücksichtigung der nachgeschobenen Dokumentation lediglich im Nachprüfungsverfahren nicht ausreichen könnte, um eine wettbewerbskonforme Auftragserteilung zu gewährleisten (vgl. BGH, Urteil vom 8. Februar 2011 - X ZB 4/10, juris, Rn. 72). Dies gilt insbesondere dann, wenn der Auftraggeber gerade in Bereichen, in denen ihm ein Ermessens- oder (wie vorliegend) Beurteilungsspielraum zusteht (dazu: Conrad in: Gabriel/Krohn/Neun, Hdb. des Vergaberechts, 2. Aufl., § 36 Rn. 50) im Nachprüfungsverfahren erstmals in die vertiefte sachliche Prüfung der zur Rechtfertigung angeführten Problematik eingestiegen ist und damit erst die eigentlich notwendige Dokumentation vorgenommen hat, d. h. wenn die im Nachprüfungsverfahren diskutierten Probleme im Vergabevermerk noch nicht grundsätzlich angelegt gewesen sind. Eine solche verspätet durchgeführte (und dokumentierte) Prüfung liegt dann nahe, wenn der Auftraggeber wesentliche, seine Beschaffungsentscheidung beeinflussende Aspekte der ursprünglichen Dokumentation nach unzutreffend beurteilt hat.

105

(bb) Das ist hier der Fall. Denn aus dem Vergabevermerk lässt sich ersehen, dass die Antragsgegnerinnen - in Gestalt der Zentralen Vergabestelle - von unzutreffenden und unvollständigen Tatsachen betreffend die Kompatibilität der Verschlüsselungssysteme D. und B. ausgegangen sind und daher keine hinreichende weitergehende Prüfung durchgeführt haben. Insbesondere die E-Mail vom 31. Mai 2019 zeigt, dass die Antragsgegnerinnen von einer (tatsächlichen) Bindung an die Vergabe aus dem Jahr 2013 ausgegangen sind, bei der die Netzbetreiber im nichtoffenen Verfahren DAU der Firma S. beschafft hatten. Diese Geräte sind jedoch, wie ausweislich des Protokolls der Verhandlung vor der Vergabekammer (Bl. 333 VgK) unstreitig geworden ist, systemneutral und können mit verschiedenen Verschlüsselungssystemen - auch im Mischbetrieb - arbeiten.

106

Dementsprechend haben die Antragsgegnerinnen sich im Vergabeverfahren nach der erfolgten Dokumentation nicht mit der Frage befasst, ob die DAG der Firma S., deren Alter im Beschwerdeverfahren unbekannt geblieben ist, zusätzlich mit dem Verschlüsselungsverfahren B. versehen werden könnten, um auch in diesem Verfahren mit DMEs kommunizieren zu können, mit welchen Kosten dies verbunden wäre, wie sich ein solcher Mischbetrieb auf den "Express-Alarm" der DAG der Firma S. sowie vergleichbare Funktionen anderer Hersteller bei ein- und demselben Einsatz sowie bei aufeinanderfolgenden Einsätzen auswirken würde, ob ein solcher Mischbetrieb bereits andernorts stattfindet und wie die Netzbetreiber sich dazu stellen würden.

107

Diese Defizite haben sich im Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer gezeigt: Im Schriftsatz der Antragsgegnerinnen vom 6. September 2019 (dort Seite 6 ff., Bl. 249 ff. VgK) finden sich erstmals konkrete Ausführungen zum "Express-Alarm" von S., zum Ablauf einer Alarmierung und zu den Verzögerungen bei Einsatz eines weiteren Verschlüsselungssystems. Dort haben die Antragsgegnerinnen trotzdem noch mit Schriftsatz vom 4. Oktober 2019 (dort Seite 4, Bl. 366 VgK) vortragen lassen, dass "die Implementierung weiterer Verschlüsselungsverfahren im streitgegenständlichen Funknetz (...) mit erheblichen Aufwänden verbunden (wäre): zunächst wäre die gesamte DAG Technologie in der Leitstelle zu erneuern." Wie die mündliche Verhandlung vor dem Senat gezeigt hat, gehen alle Verfahrensbeteiligten inzwischen davon aus, dass die vorhandenen DAG von S. in der Lage sind, mehrere Verschlüsselungsverfahren anzuwenden, auch wenn sie die Alarmierungssignale - je nach Darstellung der Beteiligten im Detail abweichend - nur sukzessive versenden können. Eine komplette Erneuerung der DAG in der Leitstelle ist dazu gerade nicht in jedem Fall erforderlich, sondern "nur" eine zusätzliche Programmierung.

108

Auch in der Beschwerdebegründung vom 4. November 2019 (dort Seite 6 f., Bl. 43 f. d. A.) heißt es noch, dass mit der Markterkundung zunächst festgestellt werden sollte, welche Anbieter D. unterstützen. In einem weiteren Schritt habe die Zentrale Vergabestelle geprüft, ob das Netz auf andere Verschlüsselungen umgerüstet werden könne. Dafür habe sie die für den Netzbetrieb zuständigen Personen um eine entsprechende Stellungnahme gebeten, die einen Wechsel auf ein anderes Verschlüsselungssystem abgelehnt hätten, weil die Umrüstung den Austausch von wesentlicher Technik im Netz und erheblichen Programmieraufwand erfordern würde; vor diesem Hintergrund hätten sie auch die Erweiterung des Netzes auf weitere Verschlüsselungssysteme abgelehnt.

109

Dementsprechend haben die Antragsgegnerinnen erstmals mit dem Schriftsatz vom 4. Oktober 2019 konkret eine - im Einzelnen streitige - Kalkulation des Aufwands (dort Seite 9 ff., Bl. 418 ff. VgK) und des zeitlichen Ablaufs der "doppelten" Alarmierung (dort Seite 7, Bl. 416 VgK) vorgenommen.

110

Auf eine fehlende Bewährung eines Mischbetriebs sind die Antragsgegnerinnen erst mit Schriftsatz vom 6. September 2019 (dort Seite 21, Bl. 204 VgK) - bezogen auf die Landkreise D. und V. - eingegangen. Später - mit Schriftsatz vom 4. Oktober 2019 (dort Seite 6, Bl. 415 VgK) - haben sie eine Teststellung der Netzbetreiber aus dem Jahr 2018 mit verschiedenen DME erwähnt, jedoch ohne Details zum Netz, zu den getesteten DME, zu den angewendeten Verschlüsselungssystemen und zu den Testergebnissen selbst zu nennen. Diese Teststellung sei jedoch die Grundlage für einen Verzicht auf die Etablierung eines Mischnetzes gewesen, weil die entsprechenden Schnittstellenrisiken als nicht beherrschbar erachtet worden sein sollen. Ihre Erwägungen zu dem Netzbetrieb in der L. im selben Schriftsatz (dort Seite 8, Bl. 417 VgK), korrigiert im Beschwerdeverfahren mit Schriftsatz vom 28. November 2019 (Bl. 153 ff. d. A.) tragen diese Entscheidung ebenfalls nicht hinreichend.

111

Aus diesem Grunde ist nicht zu erkennen, dass die im Beschwerdeverfahren detaillierter dargelegten Gründe in einem wiederholten Verfahren ohne Weiteres der Entscheidung zugrunde gelegt werden könnten.

112

(3) Es kann daher auch dahingestellt bleiben, ob die im Nachprüfungs- und Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründe zur objektiven Rechtfertigung der produktscharfen Ausschreibung tatsächlich erwiesen sind, wobei der Senat dies nicht aus eigener Sachkunde beurteilen könnte. Umgekehrt steht ebenso wenig fest, dass die Wiederholung des Verfahrens zu dem Ergebnis führen muss, dass nur eine Ausschreibung in Betracht kommt, die DME mit B. nicht ausschließt.

113

(4) Die in Frage stehende produktscharfe Ausschreibung ist auch nicht ohne Berücksichtigung der vorbezeichneten Erwägungen schon deshalb gerechtfertigt, weil die Region und die Landeshauptstadt H. Veränderungen an dem von ihnen betriebenen Netz abgelehnt hätten und die Antragsgegnerinnen diese Vorgabe hinnehmen müssten.

114

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 NBrandSchG haben Landkreise die zur Alarmierung und Kommunikation erforderlichen Anlagen einzurichten. Sofern eine Änderung des Netzes hiernach erforderlich wäre, hätten die Antragsgegnerinnen einen Anspruch auf ein entsprechendes Tätigwerden der Region H. und könnten sich zumindest im Ausgangspunkt nicht auf deren Verweigerung zurückziehen.

115

Aus dem Vergabevermerk ist bereits nicht ersichtlich, dass die Antragsgegnerinnen mit der Landeshauptstadt H. und der Region H. als Betreiber des Netzes Kontakt aufgenommen haben, um die sich aus dem vorhandenen Netz und der erforderlichen Verschlüsselung ergebenden Anforderungen an die zu beschaffenden DME festzustellen und um ggf. verbindlich deren Bereitschaft abzufragen, ein weiteres Verschlüsselungssystem neben D. (evtl. gegen Kostenübernahme) einzuführen. Auch insoweit deutet die in Bezug genommene Dokumentation darauf hin, dass eine ergebnisoffene Abwägung möglicherweise unterblieben und eine u.U. vorschnelle Festlegung auf die Beibehaltung des bisherigen Standards erfolgt sein könnte.

116

Im Übrigen lässt sich erst nach Feststellung der wesentlichen für und wider die Implementierung eines zweiten Verschlüsselungsstandards sprechenden Erwägungen beurteilen, ob entsprechende Veränderungen an dem von der Region und der Landeshauptstadt H. betriebenen Netz erforderlich i.S.d. § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 NBrandSchG wären. Eine genaue Abgrenzung, inwieweit auch wirtschaftliche Gründe - und in diesem Zusammenhang auch die Eröffnung von Wettbewerb im wirtschaftlichen Interesse der einzelnen Kommunen - eine Verpflichtung der Landkreise zu Veränderungen der bestehenden Netzstruktur - gegebenenfalls gegen Kostenerstattung - begründen können, kann mangels Feststellung der insoweit wesentlichen Umstände offenbleiben.

117

3. Ob das der Ausschreibung zugrunde gelegte Verschlüsselungsverfahren D. datenschutzrechtlichen Anforderungen genügt und ob entsprechende Mängel Rechte der Bieter im Vergabeverfahren begründen könnten, kann nach allem offenbleiben.

III.

118

Die Kostenentscheidung folgt für das Beschwerdeverfahren aus § 175 Abs. 2 i.V.m. § 78 Satz 2 GWB. Danach haben die im Beschwerdeverfahren unterlegenen Antraggegnerinnen die Kosten des Verfahrens zu tragen und zwar einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin. Sie haben die Kosten und Auslagen nach Kopfteilen zu tragen (OLG Koblenz, Beschluss vom 10. Juli 2018 - Verg 1/18, juris, Rn. 49; OLG Frankfurt, Beschluss vom 26. September 2017 - 11 Verg 11/17, juris, Rn. 61). Die notwendigen Auslagen der Beigeladenen sind dieser nach § 78 Satz 1 GWB entsprechend billigem Ermessen nicht zu erstatten, weil sich die Beigeladene nicht aktiv am Beschwerdeverfahren beteiligt hat.

119

Die Notwendigkeit der Hinzuziehung von Verfahrensbevollmächtigten für das Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer hat diese festgestellt. Die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten im Beschwerdeverfahren ist nicht gesondert für notwendig zu erklären, weil es sich bei dem Beschwerdeverfahren ohnehin um einen Anwaltsprozess handelt, § 175 Abs. 1 Satz 1 GWB.

120

Der Streitwert beträgt gemäß § 50 Abs. 2 GKG 36.886,50 € (5 % von 737.730 €).