Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 21.03.2002, Az.: 4 A 4028/00
Asyl; Grundsatz der doppelten Deckung; inländische Fluchtalternative; Kurde; Mitursächlichkeit; Nordirak; Rücknahme; Unrichtige Angaben; Ursächlichkeit
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 21.03.2002
- Aktenzeichen
- 4 A 4028/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 41843
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 73 Abs 2 AsylVfG
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens; Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des gegen ihn festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
Der Kläger ist irakischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Er lebte vor seiner Ausreise in Hawler (Arbil).
Am 8. Juni 1995 reiste der Kläger nach eigenen Angaben mit dem Flugzeug von Istanbul nach Hannover kommend in die Bundesrepublik Deutschland ein. Hier stellte er am 15. Juni einen Asylantrag. Bei seiner Anhörung im Rahmen der Vorprüfung am 19. Juli 1995 gab der Kläger im wesentlichen an, vom 15. April 1990 bis zum 15. April 1995 in Mossul im Gefängnis gewesen zu sein. Der Grund hierfür sei seine seit 1984 bestehende Mitgliedschaft bei der Jeketi. Nach seiner Freilassung sei er zunächst nach Kalek, einer Kreisstadt an der Grenze zwischen dem kurdischen und dem irakischen Einflussgebiet gegangen. Dort sei er von der KDP festgenommen worden. Er habe hierbei eine Verpflichtung unterschreiben müssen, keinen Kontakt mit den Jeketi wieder aufzunehmen und die KDP über jegliche Kontaktaufnahme zu unterrichten. Nach vier Tagen sei er freigelassen worden und nach Hawler zurückgegangen. Einige Tage nach seiner Rückkehr nach Hawler sei er am 21. April 1995 vom Sicherheitsdienst der Jeketi zum Verhör vorgeladen worden. Dieses, wie auch ein weiteres Ende April, Anfang Mai 1995 habe jeweils drei bis vier Stunden gedauert. Er sei von der Jeketi aufgefordert worden gegen die KDP zu kämpfen. Dies habe er verweigert. Daraufhin sei ihm gesagt worden, man werde sich wieder bei ihm melden. Daraufhin habe er sich zur Fluchte entschlossen.
Mit Bescheid vom 6. Dezember 1995 erkannte die Beklagte den Kläger als Asylberechtigten an und stellte fest, dass in seinem Fall die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. Die Entscheidung ist seit dem 28. Dezember 1995 bestandskräftig.
Im Mai 1998 wurde durch die Polizeiinspektion G. im Zuge strafrechtlicher Ermittlungen gegen den Kläger festgestellt, dass dieser sich in der Zeit vom 11. Oktober 1996 bis zum 3. November 1996 im Irak aufgehalten habe. Darüber hinaus sei er am 21. Dezember 1990 von der Grenzpolizeistation Salzburg erkennungsdienstlich behandelt worden, als er versuchte, unter dem Namen N. nach Österreich einzureisen. Daneben wurde festgestellt, dass der Kläger seinen Führerschein am 1. Juni 1994 hat verlängern lassen.
Daraufhin nahm die Beklagte nach vorheriger Anhörung des Klägers die mit Bescheid vom 6. Dezember 1995 ausgesprochene Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter zurück und wiederrief die mit dem Bescheid getroffene Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. Gleichzeitig stellte sie fest, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Zur Begründung führte die Beklagte an, dass klägerische Vorbringen, das zu seiner Anerkennung als Asylberechtigter und zu der Feststellung seiner Flüchtlingseigenschaft nach § 51 Abs. 1 AuslG geführt habe, habe sich in wesentlichen Teilen als unwahr herausgestellt. So habe sich der Kläger während der angeblichen Haft in Mossul in Österreich aufgehalten und auch seinen Führerschein verlängern lassen. Darüber hinaus habe er sich 1996 auch im Irak aufgehalten.
Hiergegen hat der Kläger rechtzeitig Klage erhoben. Er macht geltend, ihm drohe unabhängig von dem individuellen Verfolgungsschicksal politische Verfolgung, weil er illegal aus dem Irak ausgereist sei. Die Voraussetzungen für einen Widerruf seiner Asylanerkennung lägen nicht vor, da veränderte Umstände im Verfolgerstaat nicht vorlägen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 18. Februar 2000 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie tritt dem klägerischen Vorbringen unter Hinweis auf § 73 Abs. 2 AsylVfG entgegen.
Der beteiligte Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten hat sich zur Sache nicht geäußert und stellt keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten und die Ausländerakten der Stadt Göttingen Bezug genommen. Diese Unterlagen sind ebenso wie die den Beteiligten mit der Ladung übersandte Erkenntnismittelliste Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Beklagte hat ihren Bescheid vom 06. Dezember 1995, mit dem sie den Kläger als Asylberechtigten anerkannt und festgestellt hatte, dass in seinem Fall die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, zu Recht mit Bescheid vom 18. Februar 2000 zurückgenommen bzw. widerrufen.
Rechtsgrundlage hierfür ist § 73 Abs. 2 AsylVfG.
Danach ist sowohl die Anerkennung als Asylberechtigter als auch gemäß Satz 2 dieser Bestimmung die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, zurückzunehmen, wenn die jeweilige Rechtsstellung auf Grund unrichtiger Angaben oder infolge Verschweigens wesentlicher Tatsachen erteilt worden ist und der Ausländer auch aus anderen Gründen nicht anerkannt werden könnte, bzw. ihm die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt werden könnte. Diese Voraussetzungen sind erfüllt.
Der Kläger hat über die angeblich erlittene Haft unrichtige Angaben gemacht. Zu Zeiten, zu denen er angeblich im Irak in Haft gewesen sein will, war er an der Grenze zwischen Österreich und Deutschland und hat auch seinen irakischen Führerschein verlängern lassen. Die Angaben über die angeblich im Irak erlittene Haft waren für die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter mit Bescheid der Beklagten vom 06. Dezember 1995 jedenfalls mitursächlich. Dies folgt aus der Formulierung, aufgrund des vom Kläger im Rahmen der persönlichen Anhörung beim Bundesamt geschilderten Sachverhalts und unter Berücksichtigung der dort vorliegenden Erkenntnisse sei davon auszugehen, dass dem Kläger im Falle seiner Rückkehr in den Irak mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung drohe. Eine derartige Mitursächlichkeit reicht für die Anwendung der Rücknahmevorschrift des § 73 Abs. 2 AsylVfG aus. Dies ist für die entsprechende Vorschrift des für das allgemeine Verwaltungsrecht anwendbaren § 48 VwVfG anerkannt (vgl. Kopp, VwVfG, 7. Aufl., § 48 Rdnr. 101 m.w.N.) Die Regelung und damit auch die hierzu ergangene Rechtsprechung kann bei der Auslegung des § 73 Abs. 2 AsylVfG ergänzend herangezogen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.09.2000 -9 C 12.00-, EZAR 214 Nr. 13).
Entgegen der Ansicht des Klägers setzt die Rücknahme nach § 73 Abs. 2 AsylVfG nicht voraus, dass der Ausländer zum Zeitpunkt der die Anerkennung als Asylberechtigter aussprechenden Entscheidung nicht auch unter anderen Gesichtspunkten "hier der unerlaubten Ausreise und der Asylantragstellung- hätte als Asylberechtigter anerkannt werden können. Der Grundsatz der sog. doppelten Deckung, auf den sich der Kläger für seine abweichende Ansicht beruft, besagt etwas anderes. Er beinhaltet, dass die Rücknahme ausgeschlossen ist, sofern sich aus anderen Gründen die Gefahr politischer Verfolgung ergibt, das heißt, dass der Ausländer aus anderen als den früher bekannten Gründen anerkannt werden könnte. Unerheblich ist dabei, ob diese Gründe bereits bei der Anerkennungsentscheidung vorgelegen haben oder später erst entstanden sind (Renner, AuslR, 7. Aufl., § 73 Rdnr. 24; GK-AsylVfG 1992, Stand: Mai 1996 zu der inhaltsgleichen Vorgängervorschrift des § 16 Abs. 2 AsylVfG Rdnr. 39). Dieser Grundsatz folgt aus der gesetzlichen, auf die Gegenwart, das heißt den Zeitpunkt der Rücknahmeentscheidung bezogenen, Formulierung, dass der Ausländer nicht aus anderen Gründen als Asylberechtigter anerkannt werden könnte. Aus § 73 Abs. 2 AsylVfG kann nicht geschlossen werden, dass quasi unter allen denkbaren rechtlichen Gesichtspunkten eine Alternativprüfung dahingehend zu erfolgen hat, ob der Asylbewerber zum Zeitpunkt der Anerkennungsentscheidung auch aus anderen als den nach den Umständen des Bescheiderlasses maßgeblichen Umständen als Asylberechtigter hätte anerkannt werden können. Nur auf den Zeitpunkt der Rücknahmeentscheidung hat eine solche Alternativprüfung zu erfolgen (insoweit möglicherweise a.A. Renner, a.a.O.).
Aus diesem Grund kommt es auf die Frage, ob die seinerzeit den Bescheid erlassende Einzelentscheiderin den Kläger auch ohne dessen individuellen Vortrag als Asylberechtigten anerkannt hätte und wie ein etwaig sich anschließendes Klageverfahren ausgegangen wäre, nicht an. Folglich brauchte das Gericht dem Hilfsbeweisantrag des Klägers nicht nachzugehen.
Zum Zeitpunkt der Rücknahmeentscheidung am 18. Februar 2000 stand dem Kläger nicht aus einem anderen Grunde ein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter und auf Feststellung seiner Flüchtlingseigenschaft zu.
Der Kläger ist Kurde und stammt aus Hawler (Arbil) im Nordirak. Kurden, die aus dem Nordirak stammen und dort über persönliche Anknüpfungspunkte verfügen, steht nach der ständigen der Kammer und des zuständigen Fachsenates des Nds. Oberverwaltungsgerichts im Nordirak eine inländische Fluchtalternative offen, die die Zuerkennung von Asyl und der Flüchtlingseigenschaft ausschließt (vgl. nur OVG Lüneburg, Urteil vom 05.06.2001 -9 L 3749/99-).