Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 04.03.2002, Az.: 1 A 1138/01

Asylbewerberleistungen; Ausreise; humanitäre Gründe; Passlosigkeit; Roma; Serbien

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
04.03.2002
Aktenzeichen
1 A 1138/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 42866
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Roma aus Serbien, die infolge selbst verschuldeter Passlosigkeit nicht in ihr Heimatland abgeschoben werden können, haben keinen Anspruch auf die Gewährung von Leistungen in besonderen Fällen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG.

Tatbestand:

1

Die Kläger sind Staatsangehörige Restjugoslawiens. Sie sind Roma und stammen aus Mokrin in der Vojvodina (Serbien). Sie reisten am 13. Januar 1991 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten hier Asylanträge. Diese Asylanträge sind seit dem 18. März 1999 rechtskräftig abgelehnt. Anschließend erhielten die Kläger von dem Beklagten Duldungen. Seit dem 1. Juni 1997 gewährt der Beklagte den Klägern Leistungen nach

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§§ 3 - 7 Asylbewerberleistungsgesetz - AsylbLG -.

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Mit Bescheid vom 22. Mai 2000 gewährte die namens und im Auftrage des Beklagten handelnde Stadt Northeim den Klägern ab Juni 2000 weitere Grundleistungen nach § 3 AsylbLG. Hiergegen legten die Kläger mit dem Begehren, ihnen Leistungen in besonderen Fällen nach § 2 AsylbLG zu gewähren, Widerspruch ein. Sie seien als Roma aus Serbien nicht in der Lage nach Jugoslawien zurückzukehren. Sie könnten weder abgeschoben werden noch freiwillig ausreisen.

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Diesen Widerspruch wies die Bezirksregierung Braunschweig mit Widerspruchsbescheid vom 12. Februar 2001 zurück. Hinsichtlich des Monats Juni sei der Widerspruch unzulässig, da er verfristet erhoben worden sei. Ab den Monaten Juli 2000 sei der Widerspruch zwar zulässig aber unbegründet. Die Kläger hätten aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu der ethnischen Minderheit der Roma aus dem Kosovo Duldungen erhalten. Dies stelle ein tatsächliches Abschiebungshindernis dar, das von § 2 AsylbLG nicht erfasst werde.

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Hiergegen haben die Kläger rechtzeitig Klage erhoben, mit der sie geltend machen, sie kämen aus Serbien und hätten keine Passersatzpapiere. Ohne derartige Papiere könnten sie weder freiwillig noch unfreiwillig ausreisen.

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Die Kläger beantragen,

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den Bescheid des Beklagten vom 22. Mai 2000 i.d.F. des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Braunschweig vom 12. Februar 2001 insoweit aufzuheben, als der Beklagte verpflichtet wird, ihnen Leistungen gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 AsylbLG i.V.m. Bundessozialhilfegesetz analog ab dem 1. Juli 2000 zu bewilligen.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er tritt dem klägerischen Vorbringen entgegen. Auch für Roma aus Serbien sei eine Rückreise nach Jugoslawien freiwillig möglich. Passersatzpapiere könnten besorgt werden. Im übrigen habe er Zweifel, ob es sich bei den Klägern um Roma handele.

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Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch den Einzelrichter einverstanden erklärt.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der Entscheidung gewesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage, über die das Gericht im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist unbegründet.

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Die Kläger haben gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Leistungen in besonderen Fällen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG.

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Nach § 2 Abs. 1 AsylbLG ist abweichend von den §§ 3 - 7 AsylbLG das Bundessozialhilfegesetz auf Leistungsberechtigte entsprechend anzuwenden, die über eine Dauer von insgesamt 36 Monaten, frühestens beginnend am 1. Juni 1997, Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten, wenn die Ausreise nicht erfolgen kann und aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, weil humanitäre, rechtliche oder persönliche Gründe oder das öffentliche Interesse entgegenstehen.

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Die Kläger sind zwar Leistungsberechtigte im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG, da der Beklagte ihnen Duldungen nach § 55 AuslG erteilt hat. Sie haben auch über eine Dauer von insgesamt 36 Monaten Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten. Ihre Ausreise ist indes nicht aus humanitären, rechtlichen oder persönlichen Gründen unmöglich.

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Die Kläger unterfallen nicht dem Runderlass des Niedersächsischem Innenministeriums vom 12. März 2001 (45.31-12230/1 - 1 (§ 54) 1 - 9 ). Dieser Erlass, der einen Duldungsanspruch begründet, gilt nur für Angehörige der ethnischen Minderheit der Roma aus dem Kosovo. Die Kläger stammen aus der Vojvodina in Serbien. Dieser Umstand begründet weder humanitäre noch rechtliche oder persönliche Gründe, die der Ausreise oder Abschiebung der Kläger entgegenstünden. Zu erwägen ist - allenfalls - ob humanitäre Gründe der Ausreise der Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland entgegenstehen. Dies ist zu verneinen. Unbestritten ist die Lage der Angehörigen der Roma auch in Zentralserbien schwierig. Übergriffe von Privaten, ohne dass staatliche Stellen bereit oder in der Lage wären, Schutz zu gewähren, und Übergriffe von staatlicher Seite sind aber nicht in einem Maß zu verzeichnen, dass davon die Rede sein könnte, Angehörigen dieser Bevölkerungsgruppe sei es nicht zuzumuten, nach Serbien zurückzukehren. Richtig ist auch, dass die Angehörigen dieser Bevölkerungsgruppe unter schwierigen Bedingungen leben. Das führt indessen nicht zu der Annahme, eine Rückkehr in ihr Heimatland sei ihnen aus humanitären Gründen nicht zuzumuten. Maßgebend ist nämlich, dass sich die Lage dieser Bevölkerungsgruppe in Serbien seit längerer Zeit nicht erheblich verändert hat. Angehörigen dieser Bevölkerungsgruppe, die nach Serbien zurückkehren, wird nichts anderes zugemutet, als unter im wesentlichen denselben Bedingungen zu leben (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 27.03.2001 - 12 MA 1012/01 -).

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Auch der Umstand, dass die Kläger über keine Pass- oder Passersatzpapiere verfügen und deshalb derzeit wie auch zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheides nicht abgeschoben werden können, führt nicht dazu, dass die Kläger einen Anspruch auf Leistungen nach § 2 AsylbLG haben.

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In der Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts ist zwischen den zuständigen Fachsenaten umstritten, ob die, ein tatsächliches Abschiebungshindernis nach § 55 Abs. 2 AuslG begründende Passlosigkeit überhaupt Leistungen nach § 2 AsylbLG rechtfertigt. Der, auch für die erkennende Kammer zuständige, 12. Senat verneint dies (Beschluss vom 27.03.2001 - 12 MA 1012/01). Demgegenüber hält es der 4. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts für denkbar, dass fehlende Pass- oder Passersatzpapiere die Vergünstigung des § 2 Abs. 1 AsylbLG begründen können (Beschlüsse vom 08.02.2001 - 4 M 3889/00 -; vom 25.04.2001 - 4 PA 1166/01 -).

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Das Gericht braucht nicht zu entscheiden, welcher Rechtsansicht es folgt. Denn auch der 4. Senat des Nds. Oberverwaltungsgerichts nimmt einen der Ausreise und Abschiebung entgegenstehenden persönlichen und humanitären Grund, der die Vergünstigung des § 2 Abs. 1 AsylbLG auslöst, nur dann an, wenn der Betroffene diese Situation auch durch eigene Bemühungen nicht beenden kann (Beschluss vom 25.04.2001, a.a.O.).

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Dafür ist im vorliegenden Fall nichts ersichtlich. Weder nach der Aktenlage noch nach dem Vortrag der Kläger ergibt sich, dass diese sich vergeblich bemüht hätten, Passpapiere zu erlangen. Vielmehr sind derartige Bemühungen von ihnen bisher nicht unternommen worden. Die Kläger haben damit gegen die Passpflicht des § 4 Abs. 1 AuslG verstoßen, nach der Ausländer, die in das Bundesgebiet einreisen oder sich darin aufhalten wollen, einen gültigen Pass besitzen müssen. Weder einen solchen, noch ein nach § 4 Abs. 2 AuslG zulässiges Passersatzpapier besitzen die Kläger. Dies beruht auf deren Untätigkeit und ist somit nicht unfreiwillig. In einem derartigen Fall nimmt auch der 4. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts nicht an, dass die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 AsylbLG vorliegen.