Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 02.03.2009, Az.: 16 K 380/08
Bestehen eines Kindergeldanspruchs bei einer Übergangszeit zwischen einer Berufsausbildung und dem Zivildienst von sechs Monaten
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 02.03.2009
- Aktenzeichen
- 16 K 380/08
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2009, 15036
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2009:0302.16K380.08.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - 24.05.2012 - AZ: III R 25/09
Rechtsgrundlagen
- § 32 Abs. 4 Nr. 2b EStG
- § 32 Abs. 5 EStG
Fundstellen
- EFG 2009, 1477-1478
- EStB 2010, 29
- MBP 2010, 34-35
- Jurion-Abstract 2009, 228859 (Zusammenfassung)
Kindergeld August 2007 bis Januar 2008
Bei einer Übergangszeit zwischen einer Berufsausbildung und dem Zivildienst von 6 Monaten besteht kein Kindergeldanspruch
Tatbestand
Streitig ist die Frage, ob die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Nr. 2 b) EStG vorliegen.
Die Klägerin ist Mutter des am 16. Dezember 1988 geborenen Sohnes B, für den sie Kindergeld bezog. Dieser machte im Juli 2007 sein Abitur. Bereits am 27. März 2007 hatte B die Ankündigung der Heranziehung zum Zivildienst zum 3. September 2007 erhalten. Nachdem der Sohn dem Bundesamt für Zivildienst ein ärztliches Attest vorlegte, ordnete dieses am 18. September 2007 eine ärztliche Nachuntersuchung auf den 28. September 2007 an. Mit Bescheid vom 7. November 2007 stellte das Bundesamt für den Zivildienst die Zivildienstfähigkeit des Sohnes fest. Einberufen zum Zivildienst wurde B zum 4. Februar 2008.
B hat sich in der Phase zwischen Abitur und Zivildienst weder im Sinne des § 32 Abs. 4 Nr. 1 EStG arbeitssuchend gemeldet, noch um einen Ausbildungsplatz beworben.
Mit Bescheid vom 24. September 2008 hob der Beklagte die Festsetzung des Kindergelds mit Wirkung ab August 2007 auf. Der dagegen gerichtete Einspruch hatte keinen Erfolg.
Die Klägerin ist der Auffassung, dass ihr Kindergeld zu gewähren sei, weil sie die Verlängerung der Übergangszeit von vier Monaten nicht zu vertreten habe. Es wäre purer Formalismus, allein auf die Frist von vier Monaten abzustellen. Würde kein Kindergeld gewährt, bedeutete dass eine Schlechterstellung der Wehr- und Zivildienstleistenden gegenüber solchen Kindern, die unmittelbar nach der Beendigung der Ausbildung ein Studium aufnähmen.
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung des Bescheides vom 24. September 2008 und der Einspruchsentscheidung vom 28. Oktober 2008 den Beklagten zu verpflichten, Kindergeld für B bis einschließlich Januar 2008 in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte verweist darauf, dass die Übergangszeit zwischen einem Ausbildungsabschnitt und dem Zivildienst mehr als vier Monate betragen habe. Damit sei der Tatbestand des § 32 Abs. 4 Nr. 2 b) EStG nicht erfüllt.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Die Klägerin kann für den Zeitraum August 2007 bis einschließlich Januar 2008 kein Kindergeld für ihren Sohn B beanspruchen.
Gem. § 32 Abs. 4 Nr. 2 b) EStG wird ein Kind beim Kindergeld berücksichtigt, das sich in einer Übergangszeit von höchstens vier Monaten befindet, die zwischen einem Ausbildungsabschnitt und der Ableistung des gesetzlichen Wehr- oder Zivildienstes liegt.
Im Streitfall scheitert der Kindergeldanspruch daran, dass zwischen dem Ende der Ausbildung im Juli 2007 und dem Antritt des Zivildienstes im Februar 2008 sechs und damit mehr als vier volle Kalendermonate liegen. Der gesetzliche Tatbestand des § 32 Abs. 4 Nr. 2 b) EStG ist damit nicht erfüllt.
Der Umstand, dass der Sohn keinen Einfluss auf die Dauer der Übergangszeit hatte, ist nach dem Gesetzeswortlaut unbeachtlich. § 32 Abs. 4 Nr. 2 b) EStG stellt nicht auf die Verantwortung des Kindes für die Dauer der Übergangszeit ab. Das Gericht sieht auch keinen Ansatzpunkt für eine Auslegung des § 32 Abs. 4 Nr. 2 b) EStG, die zu einer Verlängerung des Bezugszeitraums des Kindergeldes führt.
Äußerste Grenze der Auslegung einer Rechtsnorm ist der natürliche Wortsinn der Rechtsvorschrift. § 32 Abs. 4 Nr. 2 b) EStG enthält mit der Formulierung "Übergangszeit von höchstens vier Monaten" ein deskriptives, kein normatives Tatbestandsmerkmal. Jede Gesetzesauslegung, die auch eine Übergangszeit von mehr als vier Kalendermonaten genügen lassen würde, wäre nicht mehr durch den Gesetzeswortlaut gedeckt; das Gericht würde in verfassungswidriger Weise seine Bindung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz) missachten und unter Verletzung des Grundsatzes der Gewaltenteilung seine Wertungen an Stelle des insoweit allein dazu berufenen unmittelbar demokratisch legitimierten Gesetzgebers setzen. Eine Gesetzesauslegung, die zu einer Verlängerung der Übergangszeit wegen vom Kind nicht zu vertretender Umstände führt, kommt auch deshalb nicht in Betracht, weil das Gesetz durchaus Verlängerungstatbestände kennt. So kann beispielsweise nach § 32 Abs. 5 EStG die Bezugsdauer des Kindergeldes über das 25. Lebensjahr hinaus um die Dauer des Grundwehr- oder Zivildienstes verlängert werden. Es kann deshalb nicht ohne weiteres unterstellt werden, dass das Fehlen eines Verlängerungstatbestandes innerhalb des § 32 Abs. 4 Nr. 2 b) EStG auf einem Versehen des Gesetzgebers beruht.
Das Gericht hat auch keinerlei verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Regelung des § 32 Abs. 4 Nr. 2 b) EStG. Bei der Festsetzung von Kindergeld werden die Familienkassen als Leistungsverwaltung tätig. Unmittelbare Leistungsansprüche können dem Grundgesetz indes nicht ohne weiteres entnommen werden. Verfassungsrechtliche Bedenken könnten gegen die Regelung des § 32 Abs. 4 Nr. 2 b) EStG nur dann bestehen, wenn diese Regelung zu einer gleichheits- und systemwidrigen Benachteiligung einzelner Anspruchssteller führen würde. Davon kann aber nicht die Rede sein.
Die Gesetzessystematik des § 32 Abs. 4 EStG stellt darauf ab, ob eine typische Unterhaltssituation gegeben ist. Eine solche besteht bei volljährigen Kindern nur noch, wenn diese Aktivitäten in Bezug auf die Erlangung einer Berufstätigkeit oder einer Berufsausbildung entfalten. Von diesem Grundsatz stellt § 32 Abs. 4 Nr. 2 b) EStG eine den Kindergeldberechtigten begünstigende Ausnahme dar, indem er trotz Fehlens einer typischen Unterhaltssituation dennoch einen Kindergeldanspruch begründet. Diese Ausnahme findet ihre Rechtfertigung in dem Umstand, dass sie mit dem Beginn und/oder dem Ende eines Ausbildungsabschnitts verknüpft wird und nur eine kurze Zeitspanne umfasst, für die es sich für das Kind nicht recht lohnt, sich eine befristete Beschäftigung zu suchen. Würde die Übergangsphase verlängert, würde der Systembruch, den § 32 Abs. 4 Nr. 2 b) EStG im System der Kindergeldtatbestände bedeutet, nicht vermindert, sondern verschärft.
Entgegen der Ansicht der Klägerin benachteiligt die Regelung des § 32 Abs. 4 Nr. 2 b) EStG auch nicht einseitig Wehr- und Zivildienstleistende. Übergangszeiten können grundsätzlich jedes Kind treffen. So ist zum Beispiel daran zu denken, dass ein Ausbildungsbetrieb kurz vor Ausbildungsbeginn in Insolvenz fällt und das Kind erst zu einem späteren Zeitpunkt einen anderen Ausbildungsplatz findet oder ein Studienplatz erst im nachfolgenden Semester zur Verfügung steht.
Unstreitig liegt im streitbefangenen Zeitraum kein anderer Kindergeldtatbestand vor. Insbesondere war B nicht bei einer Agentur für Arbeit als Arbeitssuchender gemeldet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Das Gericht lässt die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO im Hinblick auf das derzeit beim BFH anhängige Revisionsverfahren III R 5/07 zu, das die gleiche Rechtsfrage zum Gegenstand hat.