Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 28.09.2010, Az.: 13 A 6310/09

Beihilfe; Unfall; Schadenersatz; Forderungsübergang

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
28.09.2010
Aktenzeichen
13 A 6310/09
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2010, 41103
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGHANNO:2010:0928.13A6310.09.0A

Amtlicher Leitsatz

Ist ein Schadenersatzanspruch gem. § 95 NBG a.F. auf den Dienstherrn übergegangen, so hat der Beamte insoweit Anspruch auf Beihilfe und kann nicht darauf verwiesen werden, der Unfallgegner habedem Beamten bereits pauschaliert Schadenersatz geleistet

Tenor:

  1. Der Bescheid des NLBV vom 15.07.2008 und der Widerspruchsbescheid des NLBV vom 25.11.2009 werden aufgehoben.

  2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

  3. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war notwendig.

  4. Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubigerin zuvor Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen die Rückorderung von ihm gewährter Beihilfe.

2

Der Kläger ist für seine Ehefrau beihilfeberechtigt. Die Ehefrau erlitt am 22.12.2005 durch Verschulden eines Dritten einen Verkehrsunfall und wurde dabei verletzt.

3

Der Kläger beantragte für die Aufwendungen der medizinischen Versorgung seiner Ehefrau aufgrund des Unfalls Beihilfe beim Rechtsvorgänger der Beklagten, dem damaligen NLBV. Ende Juli 2006 wandte sich das NLBV an die Landesschulbehörde mit der Bitte, etwaige Schadenersatzansprüche zu prüfen.

4

Mit Bescheid vom 11.09.2006 bewilligte das NLBV zunächst für verschiedene Aufwendungen für die Ehefrau eine Beihilfe iHv. 5.663,29 € (Beiakte A Bl. 87). Mit einem weiteren Beihilfebescheid vom 19.12.2006, der an die Stelle eines früheren Bescheides vom 26.07.2006 trat, bewilligte das NLBV weitere Beihilfen (Beiakte A Bl. 142), davon 462,31 € als unfallbedingte Aufwendungen (Beiakte B Bl. 21).

5

Unter dem 07.04.2008 teilte die Landesschulbehörde mit, dass der Unfallschädiger bereits direkt an die Ehefrau des Klägers Beträge erstattet habe und es insoweit zu einer Doppelzahlung in Höhe von 6.034,56 € gekommen sei.

6

Der Kläger wurde zur beabsichtigten Rückforderung angehört. Er räumte ein, für unfallbedingte ärztliche Aufwendungen sei seiner Ehefrau vom Unfallverursacher ein Betrag von 1.606,61 € erstattet worden. Im Übrigen trat er dem Rückforderungsverlangen entgegen.

7

Mit zwei Bescheiden jeweils vom 10.07.2008 änderte das NLBV seine Beihilfebescheide vom 11.09.2006 und vom 19.12.2006 insoweit, dass nunmehr eine um 5.663,28 € bzw. 462,31 € geringere Beihilfe festgesetzt wurde. Mit Bescheid vom 15.07.2008 forderte das NLBV entsprechend einen Betrag von 6.034,56 € zurück.

8

Gegen diese Bescheide vom 15.07.2008 legte der Kläger Widerspruch ein, wobei er eine Doppelzahlung dem Grunde nach einräumte, jedoch die Höhe bestritt. Mit Widerspruchsbescheid vom 25.11.2009, zugestellt am 04.12.2009, wies das NLBV dann die Widersprüche zurück.

9

Der Kläger hat am 18.12.2009 Klage erhoben.

10

Er trägt vor, in dem vom Unfallschädiger bzw. dem Halter des generischen Kraftfahrzeugs an die Ehefrau des Klägers erstatteten Betrages in Höhe von 16. 500 € seien nicht nur Behandlungskosten, sondern auch Beträge als Ersatz für Haushaltshilfen, Nutzungsausfallentschädigungen und Schmerzengeld u.ä. enthalten. Maximal sei es zu "Doppelzahlungen" hinsichtlich der medizinischen Behandlung nur in Höhe von 3910,70 € gekommen, so dass - bei einem Beihilfesatz von 70 v.H. - auch nur höchstens 2.737,49 € zurückgefordert werden könnten. Vermutlich liege der Betrag aber letztendlich noch niedriger.

11

Der Kläger beantragt,

  1. die Bescheide der Beklagten vom 10.07.2008 und 15.07.2008 in der Form des Widerspruchsbescheides aufzuheben.

12

Die Beklagte als Rechtsnachfolgerin des NLBV beantragt,

  1. die Klage abzuweisen.

13

Für die Bearbeitung von Schadensersatzansprüchen sei die Landesschulbehörde zuständig. Diese habe der Beihilfestelle mitgeteilt, dass der Unfallverursacher der Ehefrau bereits die unfallbedingten Aufwendungen erstattet habe. Gleichwohl seien die Belege nochmals bei der Beihilfestelle eingereicht worden. Ein Schadenersatzanspruch gegen den Unfallschädiger habe nicht realisiert werden können. Der Unfallgegner habe einen Ausgleich gegenüber dem Land Niedersachsen abgelehnt.

14

Alle Beteiligten haben sich mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung und mit einer Entscheidung des Berichterstatters anstelle der Kammer einverstanden erklärt.

15

Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

16

Im Einverständnis der Beteiligten ergeht die Entscheidung gemäß § 87a Abs. 2 und 3 VwGO durch den Berichterstatter und nach § 101 Abs. 2 VwGO weiterhin ohne mündliche Verhandlung.

17

Die zulässige Klage ist begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten.

18

Dem Klageantrag entsprechend waren die Bescheide insgesamt aufzuheben. Der Kläger hat zwar in seiner Klagebegründung "Doppelzahlungen" sowohl seitens des Schädigers als auch seitens der Beihilfestelle eingeräumt, jedoch das Aufhebungsbegehren nicht entsprechend beschränkt. Dies ist auch nicht rechtsmissbräuchlich, denn wenn der Unfallschädiger an das Land Niedersachsen noch zahlen sollte, könnte sich der Kläger bzw. dessen Ehefrau entsprechenden Rückforderungsverlangen des Unfallgegners ausgesetzt sehen, soweit tatsächlich Doppelzahlungen erfolgt sind.

19

Die Beklagte bzw. deren Rechtsvorgänger durfte mit den beiden Bescheiden vom 10.07.2008 die Beihilfebescheide vom 11.09.2006 und 19.12.2006 nicht teilweise zurücknehmen. Gem. § 1 NdsVwVfG iVm. § 48 Abs. 1 VwVfG des Bundes ist eine - auch teilweise - Rücknahme nur insoweit möglich, wie der bzw. die ursprünglichen Bescheide rechtswidrig waren. Dem Kläger standen jedoch die hier streitigen, mit den Bescheiden aus dem Jahr 2006 bewilligten Beihilfen zu, so dass es insoweit jedenfalls an der Rechtswidrigkeit der Bescheide vom 11.09.2006 und 19.12.2006 mangelt. Kann die Beihilfebewilligung nicht zurückgenommen werden, ist auch keine Überzahlung eingetreten, die mit dem Bescheid 15.07.2008 zurückgefordert werden könnte.

20

Der Kläger hat einen Anspruch auf die hier streitigen Beihilfen, ohne dass es für dieses Verfahren darauf ankommt, ob - und wenn ja, in welcher Höhe - der Unfallgegner bereits direkt Zahlungen an die Ehefrau des Klägers geleistet hat.

21

Zwar besteht nach § 5 Abs. 1 der Beihilfevorschriften des Bundes (BhV), die in Niedersachsen gem. § 87c NBG a.F. in der bis März 2009 geltenden Fassung auf niedersächsische Beamte Anwendung fanden (und nach der Übergangsregelung des § 120 NBG n.F. zur Zeit weiterhin finden) ein Beihilfeanspruch nur dann, wenn ein Beamter für sich oder seinen berücksichtigungsfähigen Angehörigen Aufwendungen hatte. Dem Kläger kann jedoch nicht vorgehalten werden, dass er überhaupt keine Aufwendungen in diesem Sinne hatte, weil ihm der Unfallgegner, die D. AG, die Kosten der ärztlichen Behandlung - jedenfalls nach dem Vortrag der Beklagten - erstattet hat und mangels Aufwendungen dann auch keine Beihilfe gewährt werden kann. Denn vom Grundsatz des § 5 Abs. 4 Nr. 4 BhV (keine Beihilfe, wenn jemand Schadenersatz erhalten hat oder hätte erhalten können), macht Absatz 5 der Vorschrift dann eine Ausnahme, wenn ein gesetzlicher Schadenersatzanspruch auf den Dienstherrn übergegangen ist. Dies ist hier jedoch der Fall.

22

Nach dem seinerzeit geltenden § 95 NBG a. F. (heute § 52 NBG n.F.) ging, wenn ein Beamter oder Versorgungsberechtigter oder einer ihrer Angehörigen körperlich verletzt oder getötet wurde, ein gesetzlicher Schadensersatzanspruch, der diesen Personen infolge der Körperverletzung oder der Tötung gegen einen Dritten zusteht, insoweit auf den Dienstherrn über, als dieser während einer auf der Körperverletzung beruhenden Aufhebung der Dienstfähigkeit oder infolge der Körperverletzung oder der Tötung zur Gewährung von Leistungen verpflichtet ist. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Im vorliegenden Fall wurde eine beihilfeberechtigte Angehörige des Beamten verletzt und die Ehefrau des Klägers hatte auch gesetzliche Schadensansprüche gegen den Unfallgegner, und zwar aus § 823 BGB bzw. § 7 StVG. Nach alledem stand und steht dem Kläger für unfallbedingte Aufwendungen bei seiner Ehefrau gemäß § 87c NBG a.F., § 5 Abs. 5 BhV Beihilfe zu. Die Bewilligung der Beihilfe erfolgte zu Recht.

23

Dem kann nicht entgegengehalten werden, der Dienstherr sei nicht in der Lage, die auf ihn übergegangenen Ansprüche gegen den Unfallgegner auch durchzusetzen. Dies liegt allein im Verantwortungs- und Risikobereich des Dienstherrn.

24

Aufgrund des seinerzeit in § 95 NBG geregelten gesetzlichen Forderungsüberganges konnte der Unfallgegner hinsichtlich der medizinischen Behandlungskosten nicht mit befreiender Wirkung an die Ehefrau des Klägers leisten; auch konnte die Ehefrau des Klägers insoweit nicht mehr über den Anspruch selbst verfügen. Der Einwand des Unfallgegners gegenüber der Landesschulbehörde, er habe bereits Zahlungen an die Ehefrau des Klägers geleistet, kann nach alledem nicht durchgreifen. Nach dem Gesetz hat der Unfallgegner - soweit es um den Ausgleich von beihilfefähigen Arzt- und Arzneimittelkosten geht - Schadenersatz soweit Beihilfen zu gewähren sind an den Dienstherrn des Klägers zu zahlen und dieser wiederum hat dem Kläger entsprechende Beihilfen zu gewähren. Dies bedeutet vom Grundsatz nicht, dass der Kläger bzw. seine Ehefrau Leistungen doppelt erhalten. Der Unfallgegner kann etwaige bereits erfolgte Zahlungen an die Ehefrau des Klägers von dieser zurückfordern. Entsprechend wäre ein Streit darüber, wofür vom Unfallgegner überhaupt Schadensersatz geleistet wurde, zwischen den Unfallbeteiligten vor den Zivilgerichten auszutragen. Darauf, dass das Land Niedersachsen es bislang unterlassen hat, seine Ansprüche gegen den Unfallgegner durchzusetzen und auf eine etwaige Verjährungsproblematik kommt es beihilferechtlich nicht an.

25

Gründe für die Zulassung der Berufung gem. §§ 124a Abs. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 und 4 VwGO sind nicht ersichtlich.