Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 28.09.2010, Az.: 12 A 327/09

Aufenthaltstitel; Erlöschen; feststellender Verwaltungsakt

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
28.09.2010
Aktenzeichen
12 A 327/09
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2010, 41102
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGHANNO:2010:0928.12A327.09.0A

Amtlicher Leitsatz

Die Ausländerbehörde ist nicht befugt, das Erlöschen eines Aufenthaltstitels gemäß § 51 AufenthG durch Verwaltungsakt festzustellen

Tenor:

  1. Der Bescheid vom 23.12.2008 wird aufgehoben.

  2. Es wird festgestellt, dass die Niederlassungserlaubnisse der Kläger nicht erloschen sind.

  3. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.

  4. Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Vollsteckungsschuldnerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leisten.

Tatbestand

1

Die Kläger wenden sich gegen die Feststellung des Erlöschens ihrer Niederlassungserlaubnisse.

2

Die am 03.10.1972 geborene Klägerin zu 1) und ihr am 06.05.1993 geborener Sohn, der Kläger zu 2), sind russische Staatsangehörige jüdischen Glaubens. Im Juni 1998 reisten sie als jüdische Emigranten aus dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion in entsprechender Anwendung des § 1 Abs. 1 HumHAG erstmals in das Bundesgebiet ein. Unter dem 03.08.1998 erhielten beide unbefristete Aufenthaltserlaubnisse.

3

Am 19.08.2004 und erneut am 06.01.2005 ging bei der Beklagten eine schriftliche Mitteilung einer dritten Person ein, die Klägerin zu 1) wohne ab August 2003 in Moskau und habe vor, dort weiter zu leben. Die Beklagte stellte daraufhin Ermittlungen an. In diesem Rahmen sprach die Klägerin zu 1) am 24.09.2004 bei der Beklagten vor und gab an, sich zur Hälfte in Moskau und zur Hälfte in Hannover aufzuhalten. Der Kläger zu 2) besuche in Moskau eine Sprachschule und werde im Januar 2005 wieder nach Hannover kommen. Bis dahin versuche sie, in Hannover eine Wohnung zu finden. Sie selbst halte sich zurzeit bei ihrer Mutter in Hannover auf. Im April 2005 bezogen die Kläger erneut eine Wohnung in Hannover. Die Beklagte ließ die Angelegenheit auf sich beruhen.

4

Im Sommer 2008 beantragten die Kläger ihre Einbürgerung. In diesem Zusammenhang stellte die zuständige Abteilung fest, es lägen Anhaltspunkte vor, dass die Aufenthaltstitel der Kläger aufgrund eines längeren Auslandsaufenthalts erloschen sein könnten. In dem Einbürgerungsantrag hatte die Klägerin zu 1) durch ihren Bevollmächtigten mitgeteilt, die Klägerin habe von September 2003 bis Dezember 2004 eine Tätigkeit als Bürokauffrau bei der Firma D. in Moskau ausgeübt. Seit Februar 2006 arbeite sie für eine Firma mit Sitz in Duisburg. Aus den eingereichen Unterlagen ergab sich weiter, dass der Kläger zu 2) von September 2003 bis Mai 2005 eine Schule in Moskau besucht hatte und seit August 2005 die Sophienschule in Hannover besuchte.

5

Nach Anhörung stellte die Beklagte mit Bescheid vom 23.12.2008 fest, dass die Niederlassungserlaubnisse der Kläger erloschen seien. Zur Begründung verwies die Beklagte auf § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG. Die Kläger seien aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grund aus Deutschland ausgereist. Die Klägerin zu 1) habe von September 2003 bis Dezember 2004 in Moskau gearbeitet und habe dafür ihren Lebensmittelpunkt unter Aufgabe ihrer Wohnung in Hannover nach Russland verlegt. Dort halte sie sich mangels entgegenstehender Nachweise auch gegenwärtig überwiegend auf. Der Kläger zu 2) habe von September 2003 bis Mai 2005 in Moskau die Schule besucht. Auch er halte sich gegenwärtig gemeinsam mit der Klägerin zu 1) überwiegend in Russland auf.

6

Die Kläger haben am 15.01.2009 Klage erhoben. Die Klägerin zu 1) sei in Moskau zur Weiterbildung beschäftigt gewesen. Dabei habe es sich um eine Voraussetzung für ihre spätere Tätigkeit in Deutschland gehandelt. Sie habe sich nicht durchgehend in Moskau aufgehalten. Nach Ablauf von jeweils zwei Monaten, auf die die Arbeitsabschnitte befristet gewesen seien, sei sie jeweils nach Deutschland zurückgekehrt. Das sei anhand der Stempel in ihrem Pass belegt. Die Aufenthaltszeiten beider Kläger in Deutschland könnten deshalb genau benannt werden; insofern nimmt das Gericht auf die Aufstellung im Schriftsatz vom 23.12.2009 Bezug. Es habe von vornherein festgestanden, dass die Weiterbildung auf den Zeitraum von September 2003 bis Dezember 2004 begrenzt gewesen sei. Darüber habe die Klägerin die Beklagte auch in Kenntnis gesetzt. Aus den vorgelegten Kontoauszügen ergebe sich, dass die Klägerin stets ihren Verpflichtungen in Deutschland nachgekommen sei. Sie habe insbesondere das in Russland verdiente Geld auf ihr deutsches Konto eingezahlt und über ein deutsches Telefon verfügt. Gegenwärtig hätten die Kläger ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland. Die Klägerin zu 1), die im internationalen Bereich Investoren für Immobilienprojekte suche, reise berufsbedingt viel. Der Kläger zu 2) besuche nach langjährigem Schulbesuch in Deutschland gegenwärtig ein Internat in Moskau und halte sich in den Ferien stets in Deutschland auf. Er solle die Schule mit dem Abitur in Deutschland abschließen.

7

Die Kläger beantragen,

  1. den Bescheid vom 23.12.2008 aufzuheben sowie

  2. festzustellen, dass die Niederlassungserlaubnisse der Kläger nicht gemäß § 44 AuslG oder § 51 AufenthG erloschen sind.

8

Die Beklagte beantragt,

  1. die Klage abzuweisen

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Ergänzend beruft sie sich auf § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG. Die Kläger seien für einen längeren Zeitraum als sechs Monate aus dem Bundesgebiet ausgereist. Aufenthalte in Deutschland hätten die Kläger nicht nachgewiesen. Die von der Klägerin zu 1) eingereichte Aufstellung der Aufenthaltszeiten in Russland stimme nicht mit den Stempeln in dem Pass überein. Die Einzahlungen auf das Konto der Klägerin zu 1) seien auch an Tagen erfolgt, an denen sie eigenen Angaben zufolge, nicht in Deutschland gewesen sei. Ein Beweiswert komme den Kontoauszügen daher nicht zu.

10

Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen. Das Gericht hat die Klägerin zu 1) persönlich angehört; insofern wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage, über die das Gericht im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne (erneute) mündliche Verhandlung entscheidet, ist in vollem Umfang begründet.

12

Der Bescheid vom 23.12.2008 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (dazu unter I.). Die Niederlassungserlaubnisse der Kläger sind nicht erloschen (dazu unter II.).

13

I. Der Bescheid vom 23.12.2008 ist bereits deshalb rechtswidrig, weil ihm die Ermächtigungsgrundlage fehlt. Das Aufenthaltsgesetz kennt keine Befugnis der Ausländerbehörde, durch Verwaltungsakt das Erlöschen eines Aufenthaltstitels festzustellen.

14

Feststellende Verwaltungsakte bedürfen jedenfalls dann einer gesetzlichen Grundlage, wenn sie eine Feststellung zum Nachteil des Betroffenen enthalten und damit belastender Natur sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.11.1985 - 8 C 105/83, juris; Urt. v. 22.10.1991 - 1 C 1/91, juris; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl. 2008, § 35, Rn. 12). Eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage ist allerdings nicht erforderlich. Es genügt eine Grundlage, die sich im Wege der Auslegung ermitteln lässt (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.10.1991 - 1 C 1/91, juris; Urt. v. 22.11.1994 - 1 C 22/92, juris). Daran fehlt es hier.

15

Bei dem Bescheid vom 23.12.2008 handelt es sich um einen belastenden Verwaltungsakt. Der Bescheid stellt gegen den Willen der Kläger fest, dass sie ihre Aufenthaltstitel in Form einer als Niederlassungserlaubnis gemäß § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG fortgeltenden unbefristeten Aufenthaltserlaubnis verloren haben. Der als gesetzliche Folge eintretende Titelverlust wird damit für den Einzelfall verbindlich geregelt. Für die Kläger ist dies - unabhängig von der Frage der materiellen Rechtmäßigkeit der Feststellung - auch deshalb belastend, weil die Feststellung bestandskräftig werden kann und die Kläger als unmittelbare Folge mit aufenthaltsbeendenden Maßnahmen rechnen müssen.

16

Dem Aufenthaltsgesetz lässt sich die für jeden belastenden Verwaltungsakt erforderliche Ermächtigungsgrundlage weder unmittelbar noch im Wege der Auslegung entnehmen. § 44 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AuslG a.F. und ebenso § 51 Abs. 1 Nr. 6 und 7 AufenthG enthalten keinerlei Hinweis darauf, dass die Ausländerbehörde zu einer verbindlichen Feststellung berechtigt sein könnte. Es fehlt auch an einem Bedürfnis für eine derartige Feststellung (vgl. Schäfer, in: GK-AufenthG, § 51, Rn. 17 <Stand der Bearbeitung: April 2009). Wenn die Ausländerbehörde von einem Erlöschen eines Aufenthaltstitels und damit von einer Ausreisepflicht des Ausländers gemäß § 50 Abs. 1 AufenthG ausgeht, steht es ihr frei, den Ausländer zum Verlassen des Bundesgebietes aufzufordern und ihm die Abschiebung gemäß § 59 AufenthG anzudrohen. Im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung der Abschiebungsandrohung kann dann geklärt werden, ob der Ausländer tatsächlich ausreisepflichtig ist oder ob sein Aufenthaltstitel fortbesteht.

17

Soweit demgegenüber in der Rechtsprechung und der Literatur vereinzelt eine gegenteilige Auffassung vertreten wird (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 02.02.1990 - Bf IV 86/89, juris; VG Hamburg, Urt. v. 21.08.2008 - 10 K 3195/07, juris; Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl. 2005, § 51, Rn. 5), folgt das Gericht dieser Auffassung nicht. Die Entscheidung des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts steht in offenkundigem Widerspruch zu den vorzitierten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts, wenn das Gericht grundsätzlich auf eine Ermächtigungsgrundlage für belastende feststellende Verwaltungsakte verzichten möchte. Renner in seiner Kommentierung und ihm folgend die Kammer 10 des Verwaltungsgerichts Hamburg begründen ihre Auffassung in der Sache nicht.

18

II. Die Niederlassungserlaubnisse der Kläger sind nicht erloschen, und zwar insbesondere nicht gemäß § 44 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AuslG a.F. (Ausländergesetz vom 09.07.1990, BGBl. I S. 1354, mit nachfolgenden Änderungen) bzw. § 51 Abs. 1 Nr. 6 und 7 AufenthG (Aufenthaltsgesetz vom 25.02.2008, BGBl. I S. 162, mit nachfolgenden Änderungen).

19

Das Gericht lässt offen, ob sich das Erlöschen der Aufenthaltstitel der Kläger aufgrund von Sachverhalten aus den Jahren 2003 und 2004 - wie die Beklagte meint - nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 und 7 AufenthG in der ab dem 01.01.2005 geltenden Fassung oder aber nach § 44 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AuslG in der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung richtet. Denn die Vorschriften sind wortgleich. Ihre Voraussetzungen sind weder bezüglich der Klägerin zu 1) (dazu unter 1.) und noch des Klägers zu 2) (dazu unter 2.) erfüllt.

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2. Zunächst liegen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG bzw. des § 44 Abs. 1 Nr. 2 AuslG a.F. in der Person der Klägerin zu 1) nicht vor. Die Klägerin zu 1) ist nicht aus einem seiner Natur nach nicht nur vorübergehenden Grunde aus dem Bundesgebiet ausgereist. Ob der Grund für ein Verlassen des Bundesgebiets seiner Natur nach vorübergehend ist, beurteilt sich nicht (allein) nach dem inneren Willen des Ausländers, sondern aufgrund einer Würdigung der konkreten Gegebenheiten des Einzelfalles, zu denen die Dauer der Abwesenheit zählt. Je länger sie währt und je deutlicher sie über einen bloßen Besuchs- und Erholungsaufenthalt im Ausland hinausgeht, desto mehr spricht dafür, dass der Auslandsaufenthalt nicht nur vorübergehender Natur ist. Nach Sinn und Zweck des Gesetzes ist der Grund der Ausreise ferner nicht vorübergehender Natur, wenn der Ausländer zwar irgendwann in das Bundesgebiet zurückzukehren wünscht, sein Aufenthalt im Ausland aber auf unabsehbare Zeit angelegt ist. Auch wenn der Ausländer das Bundesgebiet wegen eines begrenzten Zwecks verlässt, ist demgemäß der Grund der Ausreise seiner Natur nach nicht lediglich vorübergehend, wenn sich der Zweck nicht auf einen überschaubaren Zeitraum bezieht, sondern langfristig und zeitlich völlig unbestimmt, also auf unabsehbare Zeit ausgerichtet ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.04.2009 - 1 C 6/08, juris; Beschl. v. 30.12.1988 - 1 B 135/88, juris).

21

Auf dieser Basis ist das Gericht nach Würdigung aller Umstände davon überzeugt, dass die Klägerin zu 1) das Bundesgebiet nur aus einem vorübergehenden Grund verlassen hat und sich ihr Lebensmittelpunkt weiter in Deutschland befunden hat und befindet.

22

Die Ausreise der Klägerin zu 1) im September 2003 beruhte ihren eigenen glaubhaften Angaben zufolge darauf, dass sie nach Abschluss ihrer Ausbildung in Deutschland keinen adäquaten Arbeitsplatz finden konnte und sich erhoffte, durch ein Praktikum in Russland ihre Arbeitsmarktchancen zu verbessern. Dabei war das Praktikum von vornherein befristet angelegt und die baldige Rückkehr der Klägerin nach Deutschland beabsichtigt, sodass der Aufenthalt in Moskau nicht auf unabsehbare Zeit hin angelegt war. Diese Angaben der Klägerin sind glaubhaft. Sie entsprechen dem - weit vor Erlass des angefochtenen Bescheids - eingetretenen tatsächlichen Geschehensablauf. Die Klägerin ist spätestens im April 2005 nach Deutschland zurückgekehrt, hat eine Wohnung in Hannover bezogen und - anknüpfend an ihre Erfahrungen aufgrund des Praktikums - eine gut bezahlte Arbeitsstelle bei einer in Deutschland ansässigen Firma angetreten. Die Umstände des Praktikums sind demgegenüber nicht derart, dass sie auf eine nicht bloß vorübergehende Tätigkeit schließen lassen. Die nur geringe Vergütung von anfänglich 500,- EUR bis 600,- EUR und maximal 1 500,- EUR gegen Ende des Praktikums, die bloß abschnittsweise Beschäftigung sowie die durch Vorlage des Reisepasses zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesenen zahlreichen Aufenthalte in Deutschland während der gesamten Zeit belegen, dass es sich nicht um einen Dauerarbeitsplatz mit langfristiger Perspektive gehandelt hat.

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Darauf, dass der Arbeitsaufenthalt in Moskau von vornherein von begrenzter Dauer sein sollte und der Lebensmittelpunkt der Klägerin zu 1) in Deutschland verblieben ist, weist zunächst der Reisepass der Klägerin zu 1) hin. Aus dem Pass ergibt sich, dass sie sich im Jahr 2003 insgesamt neun Mal für Zeiträume von zumeist einem Monat bis sechs Wochen außerhalb Russlands aufgehalten hat. Im Jahr 2004 war dies sieben Mal der Fall, darunter in einem Fall für die Dauer von gut drei Monaten. Zwar lassen die in dem Pass befindlichen russischen Ein- und Ausreisestempel nicht erkennen, was jeweils Ziel der Reise war. Es spricht aber nicht das Geringste dafür, dass die Behauptung der Klägerin zu 1), sie sei jeweils nach Deutschland gereist, falsch sein könnte. Im Gegenteil ist es nach den Ermittlungen der Beklagten zutreffend, dass Pässe von Ausländern, die über einen deutschen Aufenthaltstitel verfügen, bei der Einreise in das Bundesgebiet nicht gestempelt werden. Stempel anderer Staaten als Russland befinden sich in dem Pass nur in ganz geringer Zahl.

24

Das Gericht teilt nicht die Ansicht der Beklagten, es habe sich dabei um bloße Besuchsaufenthalte nach Verlagerung des Lebensmittelpunktes nach Moskau gehandelt. Dagegen spricht bereits die teilweise erhebliche Dauer der Aufenthalte, die deutlich über die übliche Dauer von Besuchen hinausgeht. Hinzu kommt die Häufigkeit der Aufenthalte, die ebenfalls den Verbleib des Lebensmittelpunktes in Deutschland belegt.

25

Soweit die Beklagte Abweichungen zwischen den Angaben der Klägerin zu 1) zu ihren Aufenthaltszeiten in Deutschland und den Stempeln in ihrem Pass erkennen möchte, ist dies teilweise sachlich unrichtig und beruht möglicherweise darauf, dass einige Stempel schlecht zu lesen sind. In dem Pass befinden sich russische Einreisestempel vom 24.05.2003 (nicht 04.05.2003) und möglicherweise - dies ist nicht klar zu erkennen - auch vom 14.07.2003 (nicht 11.07.2003). In zwei weiteren Fällen weichen die Stempel im Pass und die Angaben der Klägerin zu 1) zu den genauen Reisetagen tatsächlich geringfügig voneinander ab. Diese Abweichungen stellen aber nicht den entscheidenden Gesichtspunkt in Frage, dass die Klägerin zu 1) zahlreiche Reisen nach Deutschland unternommen hat.

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Für einen in Deutschland verbliebenen Lebensmittelpunkt in Deutschland und die von vornherein begrenzte Dauer des Auslandsaufenthalts sprechen weiter die von der Klägerin zu 1) vorgelegten Kontoauszüge. Aus den Kontoauszügen ergibt sich, dass die Klägerin zu 1) während ihres Aufenthalts in Moskau durchgehend weiter über ihr deutsches Konto verfügt hat. Den Kontobewegungen ist zu entnehmen, dass sie ihr deutsches Mobiltelefon - mit erheblichen Kosten - weiter genutzt und einige Versicherungen in Deutschland behalten hat. Insbesondere die fortgesetzte sehr teure Nutzung des deutschen Mobiltelefons belegt, dass der Auslandsaufenthalt nur vorübergehender Natur war. Andernfalls hätte es nahe gelegen, unverzüglich einen Vertrag mit einem russischen Anbieter abzuschließen. Den Kontoauszügen ist schließlich zu entnehmen, dass die Klägerin zu 1) immer wieder Teile ihres Einkommens bar auf das Konto eingezahlt hat. Die Einzahlungen fanden überwiegend an Tagen statt, an denen sie ausweislich des Passes in Deutschland gewesen ist. Die Beklagte hat zwar zu Recht darauf hingewiesen, dass einzelne Einzahlungen auch an Tagen erfolgt sind, an denen sich die Klägerin zu 1) ihren Angaben zufolge nicht in Deutschland aufgehalten hat. Die Einzahlungen müssen demnach von einer anderen Person vorgenommen worden sein. Daraus folgt aber entgegen der Ansicht der Beklagten nicht, dass die Kontoauszüge ihren Beweiswert verlieren. Im Gegenteil ist allein die Tatsache, dass fortlaufend erhebliche Einzahlungen auf das deutsche Konto erfolgt sind, ein Beleg dafür, dass die Klägerin zu 1) ihre Zukunft weiterhin in Deutschland sah.

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Soweit die Beklagte darauf hinweist, dass die Klägerin zu 1) im Herbst 2003 ihre Wohnung in Deutschland aufgegeben hat, stellt dies zwar grundsätzlich ein starkes Indiz für eine dauerhafte Verlagerung ihres Lebensmittelpunktes dar. Im konkreten Fall besitzt dieses Indiz aber keine ausreichende Überzeugungskraft. Denn es ist zu berücksichtigen, dass die Mutter der Klägerin zu 1) weiterhin über eine Wohnung in Hannover verfügte, in der beide Kläger während ihrer Aufenthalte in Deutschland wohnen konnten. Die Möbel der Klägerin zu 1) verblieben in Deutschland. In Moskau wohnten die Kläger nach ihren unwiderlegten Angaben in Moskau bei dem Vater der Klägerin zu 1) und verfügten dort demgemäß nicht über eine eigene Wohnung, die geeignet war, einen neuen Lebensmittelpunkt zu begründen. Die Aufgabe der Wohnung in Deutschland lässt schließlich auch aufgrund der damaligen finanziellen Situation der Kläger nicht auf eine Aufgabe des Lebensmittelpunktes in Deutschland schließen. Die Klägerin zu 1) erhielt in Moskau eine relativ bescheidene Praktikumsvergütung von am Ende 1 500,- EUR. Wie die Klägerin zu 1) zu Recht betont hat, ist dieser Betrag kaum ausreichend, um davon die Lebenshaltungskosten von zwei Personen in Moskau - einer der teuersten Städte der Welt (vgl. Arbeiten im Ausland - Moskau ist die teuerste Stadt der Welt, Artikel vom 24.07.2008, http://www.spiegel.de/wirtschaft/ 0,1518,567908,00.html) - zu bestreiten, die Flugkosten für die Heimreisen zu bezahlen und zugleich eine Wohnung in Deutschland zu finanzieren. Dass sie sich in dieser besonderen Situation entschieden hat, die Wohnung in Deutschland aufzugeben, lässt deshalb keine belastbaren Schlüsse auf eine damit verbundene Aufgabe ihres Lebensmittelpunktes in Deutschland zu.

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Für ihre Behauptung, die Klägerin zu 1) halte sich gegenwärtig überwiegend in Russland auf, bleibt die Beklagte schließlich jeden plausiblen Anhaltspunkt schuldig. Die Klägerin zu 1) arbeitet für eine in Deutschland ansässige Firma, unterhält eine Wohnung in Deutschland und zahlt hier Steuern und Sozialabgaben in einer beachtlichen Größenordnung. Dass sie für ihre Tätigkeit ihre Beziehungen nach Russland, ihre spezifischen Erfahrungen und ihre Sprachkenntnisse nutzt und sich deshalb vielfach geschäftlich in Russland aufhält, ist kein Indiz für die Aufgabe des hiesigen Lebensmittelpunktes. Im Gegenteil ist es gerade von dem Hintergrund, dass das Aufenthaltsgesetz die wirtschaftliche Integration der hier lebenden Zuwanderer fordert und zu diesem Zweck die Zuwanderung ermöglicht (vgl. §§ 18 ff. AufenthG), zu begrüßen, dass sich die Klägerin zu 1) in dem für die deutsche Wirtschaft bedeutsamen Bereich der grenzüberschreitenden Immobilienfinanzierung offenkundig erfolgreich betätigt. Allein daraus der Klägerin zu 1) nachteilige Schlüsse zu ziehen, liegt deshalb ersichtlich fern.

29

Die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG bzw. des § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor. Danach erlischt eine Aufenthaltsgenehmigung, wenn der Ausländer ausgereist und nicht innerhalb von sechs Monaten oder einer von der Ausländerbehörde bestimmten längeren Frist wieder eingereist ist. Dabei kommt es nicht auf den Willensentschluss des Ausländers und den Grund für seinen Auslandsaufenthalt an. Nach Ablauf der Sechsmonatsfrist steht vielmehr unwiderleglich fest, dass der Ausländer aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grund ausgereist und seine Aufenthaltsgenehmigung damit erloschen ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.04.2009 - 1 C 6/08, juris). Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind nicht erfüllt. Hinsichtlich des Zeitraums von 2003 bis 2005 verweist das Gericht zur Vermeidung von Wiederholungen auf die obigen Ausführungen. Die Klägerin zu 1) ist ausweislich der Stempel in ihrem Reisepass in Abständen von deutlich weniger als sechs Monaten nach Deutschland zurückgekehrt.

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2. Auch der Kläger zu 2) ist nicht aus einem seiner Natur nach nicht nur vorübergehenden Grunde aus dem Bundesgebiet ausgereist. Seine Ausreise zeitgleich mit der seiner Mutter erfolgte zum Zweck des Schulbesuchs in Moskau. Das Gericht ist davon überzeugt, dass auch der damit verbundene Auslandsaufenthalt von vornherein begrenzter Natur war. Denn bei einem Kind im Alter von gerade zehn Jahren ist grundsätzlich - und so auch hier - davon auszugehen, dass es den Lebensmittelpunkt und die Perspektiven der Erziehungsberechtigten teilt. Es ist schon vor dem Hintergrund der familienrechtlichen Regelungen zur elterlichen Sorge, die die Klägerin zu 1) ausübt, nicht davon auszugehen, dass der Kläger zu 2) einen eigenständigen Lebensmittelpunkt ohne Rücksicht auf den seiner Mutter begründet hat. Da die Klägerin zu 1) ihren Lebensmittelpunkt aus den genannten Gründen weiter in Deutschland hatte, liegt auch bezüglich des Klägers zu 2) für die Jahre 2003 bis 2005 keine Ausreise aus einem seiner Natur nach nicht bloß vorübergehenden Grund vor. Bestätigt wird dies dadurch, dass der Kläger zu 2) stets seine Schulferien in Deutschland verbracht und von August 2005 bis September 2008 das Gymnasium Sophienschule in Hannover besucht hat. Die stets bestehende Absicht, nach Deutschland zurückzukehren, hat sich demzufolge tatsächlich realisiert. Dass der gegenwärtige Auslandsaufenthalt nicht bloß vorübergehender Natur sein könnte, legt auch die Beklagte nicht dar. Im Gegenteil belegt die glaubhaft dargetane Absicht des Klägers zu 2), sein Abitur in Deutschland abzulegen, dass er seine Zukunft in Deutschland sieht.

31

Die Niederlassungserlaubnis des Klägers zu 2) ist ebenfalls nicht aufgrund eines mehr als sechs Monate dauernden Auslandsaufenthalts erloschen. Für den Zeitraum von 2003 bis 2005 sind für den Kläger zu 2) ausweislich seines Passes Reisen nach Deutschland in Abständen von deutlich weniger als sechs Monaten belegt.

32

Nur vorsorglich weist das Gericht schließlich darauf hin, dass die Niederlassungserlaubnis des Klägers zu 2) nicht aufgrund des gegenwärtigen Auslandsaufenthalts erloschen ist. Sofern dieser bereits länger als sechs Monate andauern sollte, wäre es der Beklagten nach dem Prinzip von Treu und Glauben in entsprechender Anwendung der §§ 162, 242 BGB verwehrt, dies gegenüber dem Kläger zu 2) geltend zu machen. Ihm ist nämlich die Einreise nach Deutschland unmöglich, weil die Beklagte seine Niederlassungserlaubnis - rechtswidrigerweise - als ungültig gekennzeichnet hat. Auf die Folgen ihres rechtswidrigen Handelns darf sich die Beklagte nicht zum Nachteil des Klägers zu 2) berufen, wie sie dies bislang zu Recht auch nicht getan hat.

33

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.