Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 09.09.2010, Az.: 6 A 1182/09
Besonderes pädagogisches Interesse als objektive Voraussetzung für die Genehmigung einer privaten Grundschule; Zugrundelegen eines besonderen sportpädagogischen Ansatzes bei der Genehmigung einer Sportgrundschule
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 09.09.2010
- Aktenzeichen
- 6 A 1182/09
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2010, 32210
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGHANNO:2010:0909.6A1182.09.0A
Rechtsgrundlagen
- Art. 7 Abs. 5 GG
- § 143 Abs. 1 NSchG
- § 144 Abs. 1 NSchG
- § 145 NSchG
Verfahrensgegenstand
Ersatzschulgenehmigung
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Der Anspruch auf Genehmigung einer privaten Grundschule nach §§ 143 Abs. 1, 144, 145 NSchG i.V.m. Art 7 Abs. 5 GG setzt das Vorliegen eines "besonderen pädagogischen Interesses" voraus. Dieses Interesse ist eine objektive Voraussetzung für die Erteilung der Genehmigung.
- 2.
Das "besondere pädagogische Interesse" beinhaltet eine sinnvolle Alternative zum bestehenden öffentlichen und privaten Schulangebot. Die Besonderheit bedeutet nicht, dass das Konzept in jeder Hinsicht neu oder gar einzigartig ist. Es reicht grundsätzlich aus, dass ein pädagogisches Konzept wesentliche neue Akzente setzt oder schon erprobte Konzepte mit neuen Ansätzen von einigem Gewicht kombiniert werden. Für die Frage, ob darin ein hinreichendes Maß an Erneuerung zu finden ist, kommt es auf eine Gesamtbetrachtung an.
- 3.
Für eine Sportgrundschule, die sich von einer öffentlichen Grundschule nur dadurch unterscheidet, dass zusätzlich zum regulären Sportunterricht täglich eine Unterrichtseinheit aus den Bereichen Motorische Grundeigenschaften, Gymnastik, Tanz, Spiel, Konzentrationstraining vorgesehen ist sowie zusätzlich eine Stunde Sport- und Gesundheitskunde pro Woche unterrichtet wird, fehlt das "besondere pädagogische Interesse".
In der Verwaltungsrechtssache
...
hat das Verwaltungsgericht Hannover - 6. Kammer -
auf die mündliche Verhandlung vom 9. September 2010
durch
den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Littmann,
den Richter am Verwaltungsgericht Wagstyl,
den Richter am Verwaltungsgericht Heidmann sowie
die ehrenamtlichen Richterinnen B. und C.
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens, insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Geldbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe geleistet hat.
Tatbestand
Die Klägerin ist private Trägerin des in D. unter dem Namen "A. " geführten Gymnasiums. Sie beabsichtigt eine sog. Sportgrundschule im Gebäude des A. zu gründen.
Mit Schreiben vom 13.11.2008 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Genehmigung der Sportgrundschule D. als Ersatzschule in freier Trägerschaft in den Räumen des A. Dem Antrag fügte sie ein Schulkonzept mit Referenzanlagen (u.a. einer Darstellung des pädagogischen Konzepts der E. Sportgrundschule in vollgebundener Ganztagsform, E2) und weitere Unterlagen bei. Nach Erteilung der Genehmigung werde man noch den Lehrplan mit Zuordnung der Lehrkräfte für das erste Schuljahr, den Stundenplan für Lehrer und Schüler sowie die Arbeitsverträge mit den Lehrkräften und der Schulleitung nachreichen.
Mit Schreiben vom 27.02.2009 teilte die Beklagte mit, dass auf Grundlage des vorgelegten Schulkonzeptes und der eingereichten Begründung des besonderen pädagogischen Interesses eine Genehmigung nicht möglich sei. So sei das eingereichte Konzept nicht mit dem Konzept der E.-Sportgrundschule vergleichbar. Zudem sei die Umsetzung des Konzeptes für die beantragte Schule nicht nachvollziehbar dargelegt.
Am 16.03.2009 hat die Klägerin (Untätigkeits-) Klage erhoben. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor:
Das eingereichte Konzept für die Sportgrundschule D. sei zur Beurteilung des besonderen pädagogischen Interesses ausreichend. Die Forderung, aus dem Konzept müsse hervorgehen, wie sich der Betrieb der Sportgrundschule von einer öffentlichen Schule unterscheide, sei nicht mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vereinbar. Danach könne die Schulverwaltung das besondere pädagogische Interesse an der Errichtung einer Grundschule in freier Trägerschaft gerade nicht mit der Begründung ablehnen, das Konzept müsse sich von anderen Schulen unterscheiden. Unabhängig davon würden sich die Unterschiede aus dem eingereichten Konzept (Unterpunkt "Schulische Umsetzung") ergeben. Öffentliche Grundschulen würden keine zusätzliche tägliche Unterrichtsstunde aus den Bereichen "Motorische Grundeigenschaften, Gymnastik, Tanz, Spiel und Konzentrationstraining" anbieten. An öffentlichen Grundschulen würde das Fach "Sportund Gesundheitskunde" nicht erteilt werden. Zudem sei an öffentlichen Grundschulen die beschriebene wissenschaftliche Begleitung nicht vorgesehen.
Weitere Unterlagen müssten nicht nachgereicht werden. Die im Antrag getroffene Aussage, dass sich die Unterrichtsorganisation nach dem NSchG und dem Erlass des Nds. MK vom 03.02.2004 (Die Arbeit in der Grundschule) richte, genüge, da dort verbindliche Anforderungen an Lernfelder, Inhalte und Stundenzahlen aufgestellt seien. Konkretere Angaben, wie z.B. Lehrplan und Stundenplanentwurf seien der Entscheidung der Fachkonferenz vorbehalten, die es bislang noch nicht geben könne. Die geforderte Darlegung der AG-Zahlen, geplanter Veranstaltungen und der Pausengestaltung seien dem Konzept zu entnehmen bzw. seien für die Beurteilung des besonderen pädagogischen Interesses nicht relevant. Die AG-Zahlen würden sich zu dem aus der Stundentafel des Grundschulerlasses ergeben. Hinsichtlich der Pausengestaltung werde hilfsweise auf den beschriebenen Fitnessparcours verwiesen.
Unter dem 29.09.2009 hat die Kläger die Schuljahresplanung für die täglichen Unterrichtseinheiten "Motorische Grundeigenschaften, Tanz, Spiel und Konzentrationstraining" nachgereicht. Die mit dem Konzept beschriebene, für alle Fächer bestehende Möglichkeit, zusätzliche Phasen einzulegen, um kurze Fitness-, Konzentrations- und Entspannungsübungen durchzuführen, werde bewusst nicht explizit in den Schuljahresplänen der jeweiligen Fächer aufgeführt. Das Einlegen dieser Phasen solle situationsabhängig erfolgen und im Ermessen der Lehrkräfte stehen.
Die Sach- und Rechtslage ist am 12.11.2009 in einem Erörterungstermin vor dem Berichterstatter erörtert worden.
Mit Bescheid vom 29.01.2010 hat die Beklagte den Antrag auf Genehmigung einer Sportgrundschule abgelehnt. Zwar sei inzwischen ein Teil der nachgeforderten Unterlagen vorgelegt worden. Die Voraussetzungen für eine Genehmigung lägen trotzdem nicht vor. Ein Anspruch auf Genehmigung gebe es nur, wenn die im Nds. Schulgesetz normierten Voraussetzungen erfüllt seien und ein besonderes pädagogisches Interesse im Sinne von Art. 7 Abs. 5 GG vorliege. Dies sei nicht der Fall:
Das besondere pädagogische Interesse läge nicht vor. Nach dem vorgelegten Konzept bestehe die Sportgrundschule im Wesentlichen nur aus einer Grundschule mit etwas mehr Sportstunden. Dabei weise das vorgelegte Konzept z.B. weniger Sportstunden als das einer sog. sportfreundlichen Schule aus. Zudem gebe es bereits die Projektidee der "bewegten Schule", die viele Grundschulen (auch in D.) umgesetzt hätten. Es sei nicht erkennbar, dass das Konzept der Sportgrundschule wesentlich neu Akzente gegenüber bestehenden pädagogischen Konzepten an staatlichen Schulen aufweise. Es stelle daher keine Alternative zum bestehenden öffentlichen und privaten Schulangebot dar und sei nicht geeignet, die pädagogische Erfahrung zu bereichern und die Entwicklung des Schulwesens zu fördern.
Das vorgelegte Konzept rechtfertige nicht die Prognose, dass ein objektives öffentliches Interesse an der Errichtung dieser Grundschule vorliege. Das öffentliche Interesse an der Erprobung und Fortentwicklung pädagogischer Konzepte sei dann ein besonderes, wenn es das grundsätzliche Interesse an der gemeinsamen Erziehung aller Kinder in der öffentlichen Grundschule überwiegt. Das sei hier nicht der Fall. Viele Schulen in D. arbeiteten nach dem Konzept der "bewegten Schule". Grundschulen in D. würden am bestehenden Aktionsprogramm für die Zusammenarbeit von Schule und Sportvereinen teilnehmen. Ebenso seien Grundschulen als sportfreundliche Grundschulen ausgezeichnet worden. Die Grundschule "F. " habe ein sehr großes Spektrum "Gesundheit und Bewegung" in Bezug auf den Lernerfolg und lasse dies auch wissenschaftlich begleiten. Das vorgelegte Konzept der sog. Sportgrundschule lasse somit nichts erkennen, was wirklich neu sei und sich mit Gewinn für das staatliche Schulwesen fruchtbar machen lasse.
Im Übrigen fehle es an einer konkreteren Darlegung und Ausarbeitung der AG-Zahlen, geplanter Veranstaltungen, Pausengestaltung zumindest für den Jahrgang 1 und 2 gemäß Kerncurriculum Sport an Grundschulen. Zudem sei die Umsetzung des vorgelegten Konzeptes derzeit nicht nachvollziehbar. So fehle es an konkreten Beispielen, wie das Sportkonzept in den Fachunterricht eingebunden werden soll. Die allgemeinen Formulierungen reichten nicht aus.
Die praktische Umsetzbarkeit des Konzeptes sei nicht dargelegt. Die Klägerin verfüge über keine eigenen Sportstätten (Sporthalle, Außensportanlage). Der bestehende Nutzungsvertrag mit dem Trägerverein der G. reiche für die Umsetzung des Konzeptes nicht aus. Zudem fehle es an einem überzeugenden Konzept für den Sportunterricht im Sommer und Draußen. Der vorhandene Fitnessparcour reiche dafür nicht aus. Wie der Pausenhof für Grundschulkinder hergerichtet werden und dem besonderen Konzept einer Sportgrundschule entsprechen solle, bleibe offen.
Der Genehmigungsfähigkeit stünde auch entgegen, dass bislang keine Lehrkräfte benannt und somit keine Qualifikationen vorgelegt worden seien. Es könne nicht überprüft werden, ob das Personal für die Umsetzung des Konzeptes geeignet sei. Notwendig sei eine Sportlehrkraft sowie Zusatzqualifikationen im Bereich Sport bei den anderen Lehrkräften.
Der vorgelegte Musterarbeitsvertrag für das Lehrpersonal entspreche nicht den Anforderungen. Angestellte Lehrkräfte seien nicht nach der Entgeltgruppe E 9 sondern nach E 11 TVL einzugruppiert. Damit sei die wirtschaftliche Stellung der Lehrkräfte gem. § 145 Abs. 2 NSchG nicht gesichert.
Auch die Schulleitung dürfe nicht hinter den Anforderungen an eine Schulleitung an öffentlichen Schulen zurückstehen. Der Arbeitsvertrag für die Schulleitung sei nicht vorgelegt worden. Im Finanzierungsplan sei die Schulleitung nicht einzeln ausgewiesen. Eine wirtschaftlich tragbare und auf Dauer angelegte Schule verlange eine Schulleitung von mindestens 20 Stunden die Woche. Ob Herr H. diese Aufgabe zeitlich neben seiner Tätigkeit als Schulleiter des A. übernehmen könne, sei fraglich, da dieser in diesem Jahr das 73. Lebensjahr vollenden werde und daher aus der Perspektive der Kontinuität und Belastbarkeit nur übergangsweise als Schulleiter eingesetzt werden könne.
Daraufhin hat die Klägerin den Bescheid vom 29.01.2010 in das Klageverfahren einbezogen. Sie führt zur Begründung aus:
Es läge ein besonderes pädagogisches Interesse vor. Die Behauptung, das von der Klägerin vorgelegte Konzept habe weniger Sport als das Konzept einer sportfreundlichen Schule sei falsch. Es gebe keine konkreten Vorgaben für "Sportfreundliche Schulen". Der Klägerin sei keine Schule bekannt, die wie im Konzept der "Sportgrundschule" vorgesehen, mindestens eine Stunde Sport pro Tag anbiete. Gleiches gelte für die sog. "Bewegten Schulen". Selbst wenn es öffentliche Schulen mit einem ähnlichen Konzept gebe, könne dies nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht für die Ablehnung des besonderen pädagogischen Interesses herangezogen werden. Es sei zu dem nicht nachvollziehbar, weshalb die Beklagte meine bzw. was sie darunter verstehe, dass zur Beurteilung des besonderen pädagogischen Interesses eine konkretere Darlegung und Ausarbeiten der AG-Zahlen, geplanter Veranstaltungen, Pausengestaltungen zumindest für die Jahrgänge 1 und 2 gem. Kerncurriculum Sport für Grundschulen notwendig sei. Zudem habe die Beklagte die wissenschaftliche Begleitung der Sportgrundschule völlig außer Acht gelassen.
Das Konzept sei mit den dargelegten räumlichen Möglichkeiten umsetzbar. Dass notwendige Turnhallenkapazität vorhanden sei, ergebe sich aus der Erweiterungsoption im Hallennutzungsvertrag mit der G.. Der Träger der G. habe zudem mit Schreiben vom 01.04.2010 bestätigt, dass die Klägerin bei der Vergabe von Hallenzeiten gegenüber anderen Nutzern bevorzugt werde. Bis auf den regulären Schulsport könnten alle weiteren Unterrichtseinheiten aus den Bereichen Motorische Grundeigenschaften, Gymnastik, Tanz, Spiel und Bewegung entweder auf dem Sportplatz, dem Schulhof oder im eigenen 104 m2 großen Gymnastikraum oder der Schulaula durchgeführt werden. Als Außensportflächen würde die Bezirkssportanlage des TuS I. genutzt. Die Klägerin sei zu Schulzeiten faktisch die einzige Nutzerin, so dass ihr alle beantragten Zeiten zugewiesen worden seien. Dies ergebe sich aus einer mail des TuS I. vom 05.03.2010. Auch die Behauptung der Beklagten zu einem mangelnden Konzept für den Sportunterricht im Sommer sei nicht nachvollziehbar. Insoweit werde auf das bei Gericht eingereichte Konzept verwiesen.
Hinsichtlich der Einbindung des Sportkonzeptes in den Fachunterricht habe die Klägerin bereits mit Schriftsatz vom 18.12.2009 Ausführungen gemacht. Danach würden die Lehrkräfte per Dienstanweisung verpflichtet werden, im Rahmen eines pädagogisch sinnvollen Unterrichts regelmäßig von der Möglichkeit Gebrauch zu machen, zusätzliche Phasen zur Durchführung von kurzen Fitness-, Konzentrations- bzw. Entspannungsübungen auch mit Bezügen zu Musik, Tanz und Fremdsprachen einzulegen. Hierzu würden spezielle Fortbildungen angeboten.
Die Nachweise welche Lehrkräfte eingestellt werden sollen, könnten nur zum gegebenen Zeitpunkt nachgereicht werden. Angesichts des offenen Ausgangs des Verfahrens könne nicht die Vorlage verbindlicher Arbeitsverträge erwartet werden. Im Übrigen sei der Klägerin auch im Erörterungstermin vor dem Berichterstatter am 10.03.2010 das Nachreichen der Qualifikationsnachweise und der Verträge auch nachgelassen worden.
Die vorgesehene Eingruppierung der Lehrkräfte nach E 9 TVL erfolge im Einklang mit dem TVL. Dies ergebe sich aus einer Veröffentlichung der GEW, wonach Lehrkräfte an Grundschulen in die Entgeltgruppen 9 - 11 eingruppiert seien. Selbst wenn man davon ausginge, Grundschullehrer seien nach E 11 TVL eingruppiert (Stundenlohn 23,77 EUR), wäre der von der Klägerin vorgesehen Stundenlohn von 20,00 EUR ausreichend. Eine Abweichung von 16% verstoße nicht gegen § 145 Abs. 1 Nr. 1 NSchG.
§ 145 Abs. 1 NSchG fordere darüber hinaus lediglich die wirtschaftliche Sicherung der Lehrkräfte. Die wirtschaftliche Sicherung des Schulleiters werde nicht explizit gefordert. Diese sei bei Herrn H. aber auch gegeben, zumal er als Pensionär abgesichert sei. Zudem erhalte er ein monatliches Gehalt von 6.000 EUR brutto nach dem Arbeitsvertrag vom 14.11.2003, welcher zuletzt bis zum 06.07.2011 verlängert worden sei. Es sei nicht nachvollziehbar, woher die Beklagte die Erkenntnis nehme, die durchschnittliche Arbeitszeit eines Schulleiters betrage 20 Wochenstunden. Im vorliegenden Fall solle der Schulleiter nicht unterrichten. Zudem werde er bei administrativen Aufgaben durch den Geschäftsführer der Klägerin unterstützt. Eine gesetzliche Altersbeschränkung für Schulleiter gebe es nicht. Das Argument der Kontinuität gehe fehl, es würde auch für jede Frau im gebärfähigen Alter gelten.
Schließlich sei auch auf ein Parallelverfahren aus J. hinzuweisen. Dort sei zu Beginn des Schuljahres 2009/2010 die Grundschule "K. " der L. -Schule Gemeinnützige Bildungsgesellschaft mbH genehmigt worden. Diese Grundschule decke sich konzeptionell vollinhaltlich mit öffentlichen Schulen und dem Konzept der Sportgrundschule D.. Das Konzept der Sportgrundschule D. ginge in zwei Punkten (sportlicher Schwerpunkt, wissenschaftliche Begleitung) sogar noch darüber hinaus.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 29.01.2010 zu verpflichten, der Klägerin die Genehmigung der Sportgrundschule zu erteilen, hilfsweise, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen. Sie wiederholt ihre Argumentation aus dem Verwaltungsverfahren. Ergänzend führt sie aus, dass an Grundschulen derzeit nur Lehrkräfte mit vollständiger Lehramtsausbildung eingestellt würden, die in der Entgeltgruppe 11 TV-L eingruppiert würden.
Die in J. genehmigte Schule "M. " sei nicht mit der Sportgrundschule vergleichbar. Das besondere pädagogische Konzept bestehe dort in einem Bezug zu den Prinzipien von Maria Montessori. Eine Sportgrundschule sei dort nicht gegründet worden. Das Konzept der Sportgrundschule D. sei auch nicht mit dem der E.-Sportgrundschule in E2. vergleichbar.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Genehmigung der sog. "Sportgrundschule D. " nach §§ 143 Abs. 1, 144, 145 NSchG i.V.m. Art 7 Abs. 5 GG.
Die von der Beklagten vertretene Auffassung, es könne kein entsprechendes "besonderes pädagogisches Interesse" anerkannt werden, ist in Hinblick auf den insoweit bestehenden behördlichen Prognosespielraum in dem erforderlichen Maße auf objektiv nachprüfbare Erkenntnisse und pädagogisch-fachliche Gründe gestützt und nicht zu beanstanden.
Nach § 144 Abs. 1 NSchG ist die Genehmigung zu erteilen, wenn die Ersatzschule in ihren Lernzielen und Einrichtungen sowie in der Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht hinter den öffentlichen Schulen zurücksteht und wenn eine Sonderung der Schülerinnen und Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird. Grundschulen sind gem. Art. 7 Abs. 5 GG nur zuzulassen, wenn die Unterrichtsverwaltung ein besonderes pädagogisches Interesse anerkennt oder, auf Antrag von Erziehungsberechtigten, wenn sie als Gemeinschaftsschule, als Bekenntnisschule- oder Weltanschauungsschule errichtet werden soll und eine öffentliche (Grund-) Schule dieser Art in der Gemeinde nicht besteht.
Die in § 144 Abs. 1 Satz 2 NSchG i.V.m. Art 7 Abs. 5 Satz 1 GG genannte materiellrechtliche Genehmigungsvoraussetzung eines "besonderen pädagogischen Interesses" ist eine objektive Voraussetzung für die Genehmigung privater Grundschulen. Liegt es vor, so muss die Unterrichtsverwaltung es anerkennen. Das genannte Interesse ist dabei nicht gleichzusetzen mit dem jeweiligen Interesse des Schulträgers, der Eltern oder der Unterrichtsverwaltung. Gemeint ist vielmehr das öffentliche Interesse an der Erprobung und Fortentwicklung pädagogischer Konzepte sowie an der angemessenen pädagogischen Betreuung spezieller Schülergruppen, denen das öffentliche Schulwesen keine hinreichenden Angebote macht oder machen kann.
Ob ein solches Interesse besteht, beurteilt sich nach fachlichen Maßstäben, wobei auf die gesamte Bandbreite pädagogischer Lehrmeinungen Rücksicht zu nehmen ist. Ein "besonderes pädagogisches Interesse" als Ausnahme vom Grundsatz der "Schule für alle" setzt eine sinnvolle Alternative zum bestehenden öffentlichen und privaten Schulangebot voraus; die "Besonderheit" bedeutet hierbei nicht, dass das fragliche Konzept in jeder Hinsicht neu oder gar einzigartig ist. Es muss grundsätzlich ausreichen, dass ein pädagogisches Konzept wesentliche neue Akzente setzt oder schon erprobte Konzepte mit neuen Ansätzen von einigem Gewicht kombiniert. Für die Frage, ob darin ein hinreichendes Maß an Erneuerung zu finden ist, kommt es auf eine Gesamtbetrachtung an. Die "Besonderheit" eines privaten pädagogischen Konzepts entfällt nicht bereits dann, wenn Landesgesetze und staatliche Planungen bestimmte Veränderungen im öffentlichen Schulwesen zwar vorsehen, diese aber noch nicht verwirklicht sind. Maßstab ist insoweit vielmehr der tatsächliche Zustand des öffentlichen Schulwesens, dem allenfalls noch unmittelbar bevorstehende Reformen zugerechnet werden können. Ein nach diesen Grundsätzen anzuerkennendes (besonderes) pädagogisches Interesse hat die Unterrichtsverwaltung ins Verhältnis zum grundsätzlichen verfassungsmäßigen Vorrang der öffentlichen Grundschule zu setzen; eine Anerkennung kommt nur in Betracht, wenn das pädagogische Interesse an der privaten Grundschule überwiegt.
Das jeweilige pädagogische Konzept muss im Einzelfall mit den Konzepten der staatlichen Schulverwaltung verglichen und seine Besonderheiten und Risiken müssen individuell nach pädagogisch-fachlichen Gesichtspunkten bewertet werden. Die Bedeutung des Begriffs "besonderes pädagogisches Interesse" ist dabei in vollem Umfang gerichtlich überprüfbar; nur hinsichtlich der Bewertung des pädagogischen Konzepts im konkreten Fall und der Abwägung mit dem Vorrang der öffentlichen Grundschulen besitzt die Schulverwaltung einen eigenständigen Handlungsspielraum. Dieser umfasst jedoch nicht die Fachfragen, die beim Vergleich verschiedener pädagogischer Konzepte sowie bei der Beurteilung der Neuartigkeit und fachlichen Fundierung eines vorgelegten Konzepts auftreten können und sich gegebenenfalls mit Hilfe von Sachverständigen aufklären lassen.
Gemessen an diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben hat die Beklagte den Rechtsbegriff des "besonderen pädagogischen Interesses" im Zusammenhang mit dem vom Kläger vorgelegten Schulkonzept zutreffend angewandt und die für eine Zulassung der "Sportgrundschule D." sprechenden Gründe bei der Abwägung mit dem grundsätzlichen Vorrang der öffentlichen Grundschule angemessen gewichtet.
Die Beklagte hat die von der Klägerin genannten Aspekte zur Kenntnis genommen, die die Sportgrundschule von einer öffentlichen Grundschule nach Auffassung de Klägerin unterscheiden sollen:
- 1.
täglich eine Unterrichtseinheit aus den Bereichen Motorische Grundeigenschaften, Gymnastik, Tanz, Spiel, Konzentrationstraining ( 5 Stunden die Woche)
- 2.
eine Stunde Sport- und Gesundheitskunde pro Woche
- 3.
wissenschaftliche Begleitung durch die N. bzw. die Uni O.
- 4.
Kooperation mit dem Sportkindergarten, den örtlichen Sportvereinen
- 5.
die Möglichkeit, zusätzliche Phasen einzulegen, um kurze Fitness-, Konzentrations- bzw. Entspannungsübungen auch mit Bezügen zu Musik, Tanz und Fremdsprachen durchzuführen
- 6.
Fitnessparcours
- 7.
Talentsichtung, Bundesjugendspiele, Sportabzeichen, Pflicht Schwimmen zu lernen, Zertifikat "Sportfreundliche Schule", Projekt: Fit für Pisa
Dass die Beklagte zu dem Ergebnis gelangt, dass lediglich die unter 1. und 2. genannten Aspekte anerkennenswerte Besonderheiten sind, ist nicht zu beanstanden.
Die wissenschaftliche Begleitung eines Konzeptes ist kein inhaltlicher pädagogischer Aspekt eines Konzeptes als solches. Kooperationen mit Kindertagestätten und örtlichen Sportvereinen sind keine Besonderheit bei Grundschulen. Auch die "Möglichkeit, zusätzliche Phasen einzulegen, um kurze Fitness-, Konzentrations- bzw. Entspannungsübungen auch mit Bezügen zu Musik, Tanz und Fremdsprachen durchzuführen" stellt im Unterrichtsbetrieb einer Grundschule keine (pädagogische) Besonderheit dar, sondern ist vielmehr der Regelfall. Der Fitnessparcours unterscheidet sich nicht in relevanter Weise von den Sport- und Spielgeräten auf den Pausenhöfen von staatlichen Grundschulen.
Somit bleibt als Besonderheit der geplanten Sportgrundschule, dass im Unterschied zu öffentlichen Grundschulen zusätzlich zum regulären Sportunterricht täglich eine Unterrichtseinheit aus den Bereichen Motorische Grundeigenschaften, Gymnastik, Tanz, Spiel, Konzentrationstraining (5 Stunden die Woche) vorgesehen ist sowie eine Stunde Sportund Gesundheitskunde pro Woche.
Es ist nicht zu beanstanden, wenn die Beklagte zu dem Ergebnis gelangt, dass dieser Umstand nicht die Annahme rechtfertigt, dass ein besonderes pädagogisches Interesse an der Errichtung einer derartigen Grundschule besteht.
Es ist nicht erkennbar, dass diesem Konzept der Klägerin ein besonderer (sport-) pädagogischer Ansatz zu Grunde liegt, der sich auf die Kernaufgaben der Grundschule in relevanter Weise auswirkt. Nach § 6 NSchG werden in der Grundschule die Grundlagen für die Lernentwicklung und das Lernverhalten aller Schülerinnen und Schüler geschaffen. Es werden verschiedene Fähigkeiten entwickelt, insbesondere sprachliche Grundsicherheit in Wort und Schrift, Lesefähigkeit, mathematische Grundfertigkeiten und erste fremdsprachliche Fähigkeiten. Zugleich werden die Schülerinnen und Schüler in den Umgang mit Informations- und Kommunikationstechniken eingeführt. Die Entwicklung dieser Fähigkeiten bestimmt die Arbeit in der Grundschule (vgl. Ziffer 2.2 des RdErl. des Nds. MK vom 03.02.2004 - SVBl. 2004, 85 - "Die Arbeit in der Grundschule") und spiegelt sich dementsprechend auch in der Stundentafel für die öffentlichen Grundschulen wider (vgl. Ziffer 4.1. des RdErl. vom 03.02.2004). Danach nehmen die Fächer Deutsch, Mathematik, Sachunterricht und Englisch jeweils ca. 2/3 der zur Verfügung stehenden Stunden ein. Das Konzept der Klägerin unterscheidet sich insoweit inhaltlich nicht von diesen Vorgaben für öffentliche Schulen und zeigt auch keinen davon unterschiedlichen pädagogischen Ansatz, der sich in relevanter Weise auf den Unterricht in diesen Kernfächer auswirkt bzw. diese prägt. Vielmehr beschränkt sich das Konzept der Klägerin darauf, die Stundenzahl in einem Fach zu erhöhen, welches nicht dem Kernbereich der Arbeit in der Grundschule zuzurechnen ist.
Dies hat die Beklagte erkannt und ihrer Entscheidung zu Grunde gelegt.
Die darauf beruhende Einschätzung der Beklagten, dass dadurch keine wesentlichen neuen Akzente gesetzt werden, und dass dieses Konzept nicht geeignet ist, die pädagogische Erfahrung zu bereichern und die Entwicklung des Schulwesens zu fördern, hält sich im Rahmen des der Beklagten zustehenden Prognosespielraums. Die anschließende Abwägung mit dem Ergebnis, dass im konkreten Fall das grundsätzliche verfassungsrechtlich normierte öffentliche Interesse an der gemeinsamen Erziehung aller Kinder im Grundschulalter in der öffentlichen Grundschule das öffentliche Interesse an der Erprobung und Fortentwicklung pädagogischer Besonderheiten überwiegt, ist nachvollziehbar, zumal sich das Konzept der Sportgrundschule z.B. auch nicht an den Bedürfnissen einer angemessenen pädagogischen Betreuung spezieller Schülergruppen orientiert, denen das öffentliche Schulwesen keine hinreichenden Angebote macht oder machen kann. Die Klägerin kann sich nicht auf die von ihr genannten Vergleichsfälle (E.- Sportgrundschule E2., K. J.) berufen. Beide Schulen unterscheiden sich von den öffentlichen Grundschulen durch abweichende pädagogische Konzepte, welche nicht mit dem Konzept der Beklagten vergleichbar sind.
Die E.-Sportgrundschule in E2. ist eine vollgebundene Ganztagsschule mit besonderem Sport- und Bewegungsprofil, dem ein sportpädagogisches Konzept zu Grunde liegt. Bewegung ist dort das Grundprinzip schulischen Lernens. Es findet bewegter Unterricht mit freien und angeleiteten Aktivpausen statt. Hinzukommen Förderprogramme rund um die Bereiche Bewegung und Wahrnehmung. Träger dieser E.-Sportgrundschule ist im Übrigen ein Sportverein mit mehreren Tausend Mitgliedern, über hundert Beschäftigten und mit umfänglichen eigenen Sportanlagen. Der Träger ist auch Träger eines Kindergartens und anderer sozialer Einrichtungen.
Auch die L. -Schule "K. " ist nicht mit der Sportgrundschule vergleichbar. Das pädagogische Konzept ist durch Montessori-Pädagogik beeinflusst und weist zahlreiche pädagogische Besonderheiten auf (Lernlabor usw.), die mit der Sportgrundschule nicht vergleichbar sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf§§ 167 VwGO, 708 Nr. 11 ZPO.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.
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Heidmann
Wagstyl