Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 18.12.2002, Az.: 8 ME 162/02

Widerruf der Bestellung zum Bezirksschornsteinfegermeister wegen Pflichtwidrigkeiten; Anforderungen an den Bezirksschornsteinfegermeister zur ordnungsgemäßen Führung des Kehrbuchs; Kehrpflicht; Eintragung vorgeschriebener gebührenpflichtiger Arbeiten in das Kehrbuch; Erforderliche persönliche oder fachliche Zuverlässigkeit des Bezirksschornsteinfegermeisters für die Ausübung seines Berufes

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
18.12.2002
Aktenzeichen
8 ME 162/02
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2002, 23085
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2002:1218.8ME162.02.0A

Fundstellen

  • GewArch 2003, 255-256
  • NdsVBl 2003, 134-136
  • NordÖR 2003, 132 (amtl. Leitsatz)

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Die ordnungsgemäße Führung des Kehrbuchs gehört zu den wesentlichen Pflichten eines Bezirksschornsteinfegermeisters.

  2. 2.

    In das Kehrbuch sind auch die nach der Kehr- und Überprüfungsordnung vorgeschriebenen gebührenpflichtigen Arbeiten einzutragen.

Gründe

1

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den erstinstanzlichen Beschluss ist unbegründet.

2

Das Verwaltungsgericht hat dessen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 12. August 2002, durch den seine Bestellung zum Bezirksschornsteinfegermeister für den Kehrbezirk 11-LK NI (Landkreis Nienburg) mit Wirkung vom 1. September 2002 widerrufen worden ist, zu Recht abgelehnt.

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Die Entscheidung über die Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs gemäß § 80 Abs. 5 VwGO setzt eine Abwägung des Interesses des Antragstellers, von der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts bis zur endgültigen Entscheidung über seine Rechtmäßigkeit verschont zu bleiben, gegen das öffentliche Interesse an dessen sofortiger Vollziehung voraus. Diese Abwägung fällt in der Regel zu Lasten des Antragstellers aus, wenn bereits im Aussetzungsverfahren zu erkennen ist, dass sein Rechtsbehelf offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg bietet (BVerfG, Beschl. v. 11. 2. 1982 - 2 BvR 77/82 - NVwZ 1982 S. 241; BVerwG, Beschl. v. 9. 9. 1996 - 11 VR 31/95 -). Dagegen überwiegt das Interesse an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung in aller Regel, wenn sich der Rechtsbehelf als offensichtlich begründet erweist (BVerwG, Beschl. v. 20. 10. 1995 - 1 VR 1/95 -). Bleibt der Ausgang des Verfahrens in der Hauptsache bei der im Aussetzungsverfahren nur möglichen summarischen Prüfung (vgl. dazu BVerwG, Beschl. v. 11. 9. 1998 - 11 VR 6/98 -) jedoch offen, kommt es auf eine bloße Abwägung der widerstreitenden Interessen an (BVerwG, Beschl. v. 29. 4. 1974 - IV C 21. 74 - DVBl. 1974 S. 566; Senatsbeschl. v. 11. 4. 2002 - 8 ME 66/02 -; Senatsbeschl. v. 27. 11. 2002 - 8 ME 157/02 -).

4

Im vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen, unter denen die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs nach § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen ist, nicht erfüllt, weil der angefochtene Bescheid sich bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtmäßig erweist.

5

Nach § 11 Abs. 2 Nr. 1 SchfG ist nach Anhörung des Vorstandes der Schornsteinfegerinnung die Bestellung als Bezirksschornsteinfegermeister zu widerrufen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Bezirksschornsteinfegermeister nicht die erforderliche persönliche oder fachliche Zuverlässigkeit für die Ausübung seines Berufes besitzt. Davon ist dann auszugehen, wenn der Bezirksschornsteinfegermeister Pflichtverletzungen von erheblichem Gewicht oder in großer Zahl begangen hat. In diesem Fall ist die Bestellung als Bezirksschornsteinfegermeister auch dann zu widerrufen, wenn die Aufsichtsbehörde zuvor keine Aufsichtsmaßnahmen nach § 27 SchfG verhängt hat (vgl. dazu BVerwG, Beschl. v. 8. 9. 1957 - 1 CB 91. 59 - GewArch 1959/60, 160; Senatsbeschl. v. 28. 6. 1996 - 8 M 4919/95 -; Hess. VGH, Urt. v. 8. 12. 1992 - 11 UE 3991/87 - GewArch 1993, 207; Hess. VGH, Urt. v. 19. 9. 1989 - 11 UE 1395/87 - GewArch 1990, 132; VGH Bad. -Württ. , Beschl. v. 6. 9. 1990 - 14 S 1080/90 - GewArch 1991, 69).

6

Der Senat stimmt mit dem Verwaltungsgericht darin überein, dass diese Voraussetzungen für den Widerruf der Bestellung zum Bezirksschornsteinfegermeister hier vorliegen, weil die Pflichtverletzungen, die bei der vom Landkreis Nienburg angeordneten Überprüfung des Kehrbezirks des Antragstellers am 29. April 2002 festgestellt worden sind, den Schluss auf die Unzuverlässigkeit des Antragstellers rechtfertigen. Das Vorbringen des Antragstellers im Beschwerdeverfahren ändert daran nichts.

7

Dem Prüfbericht der Bezirksschornsteinfegermeister B. und C. vom 2. Mai 2002 ist zu entnehmen, dass der Antragsteller in erheblichem Umfang Verbindungsstücke (Rauchrohre) an Ölfeuerungsanlagen nicht gekehrt hat. Die Überprüfung des Kehrbuchs 2001 hat ergeben, dass in 615 Gebäuden die Reinigung der Verbindungsstücke nicht vorgenommen worden ist. 2000, 1999 und 1998 sind die Verbindungstücke von jeweils mehr als 700 Feuerungsanlagen nicht gekehrt worden. 1997, 1996 und 1995 ist die Kehrung von jeweils von mehr als 300 bzw. 400 Feuerungsanlagen unterblieben. Damit hat der Antragsteller in erheblichem Umfang seine Kehrpflicht verletzt, die sich nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 SchfG i. V. m. § 1 der Kehr- und Überprüfungsordnung vom 3. Juni 1994 (Nds. GVBl. S. 240) bzw. § 2 Abs. 1 Nr. 1 der Kehr- und Überprüfungsordnung vom 14. August 2000 (Nds. GVBl. S. 230) auch auf die Verbindungsstücke von Zentralfeuerungsstätten erstreckte. Diese jahrelange Pflichtverletzung rechtfertigt die Annahme, dass er die erforderliche Zuverlässigkeit für die Ausübung seines Berufes nicht besitzt.

8

Dem kann der Antragsteller nicht entgegenhalten, dass die Verletzung der Kehrpflicht nicht schwerwiegend sei, weil sie zu keiner Gefährdung der Öffentlichkeit geführt habe. Denn diese Darstellung ist unzutreffend.

9

Dem Prüfbericht der Bezirksschornsteinfegermeister B. und C. ist zu entnehmen, dass die Kehrung der Verbindungsstücke ein wesentlicher Bestandteil des vorbeugenden Brandschutzes ist, weil Rückstände in nicht gereinigten Verbindungsstücken häufig Schornsteinbrände verursachen und die Reduzierung des Querschnitts der ungekehrten Rohre die Gefahr eines Abgasrückstaus mit sich bringt. Die Antragsgegnerin hat diese fachmännische Beurteilung mit nachvollziehbaren Erwägungen untermauert. Dass die Kehrung der Verbindungsstücke aus Brandschutzgründen erforderlich ist, hat auch der Bezirksschornsteinfegermeister C. der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 21. Juli 2002 bestätigt. Daher ist davon auszugehen, dass die Pflicht, die Verbindungstücke zu kehren, dem vorbeugenden Brandschutz dient und damit zu den wesentlichen Pflichten eines Bezirksschornsteinfegermeisters gehört. Deshalb kann keine Rede davon sein, dass die jahrelang unterbliebene Kehrung der Verbindungstücke keine schwerwiegende Pflichtverletzung gewesen sei.

10

Der Antragsteller kann sich weiterhin nicht darauf berufen, dass die bei ihm beschäftigten Gesellen einen großer Teil der Kehrarbeiten durchgeführt hätten. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass der Antragsteller auch das Fehlverhalten seiner Gesellen, das ihm bekannt gewesen ist, zu vertreten hat. Nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 SchfG ist der Bezirksschornsteinfegermeister für die ordnungsgemäße Ausführung der von der Kehr- und Überprüfungsordnung vorgeschriebenen Arbeiten in seinem Kehrbezirk verantwortlich. Außerdem ist er nach dieser Bestimmung zur regelmäßigen Überprüfung der Arbeit der Gesellen und Lehrlinge verpflichtet.

11

Der Umstand, dass der Verzicht auf die Kehrung der Verbindungsstücke in der Vergangenheit weder vom Landkreis Nienburg als Aufsichtsbehörde noch der Schornsteinfegerinnung gerügt worden ist, kann den Antragsteller ebenfalls nicht entlasten. Denn die Kontroll- und Ahndungsmöglichkeiten der Aufsichtsbehörde entheben einen Bezirksschornsteinfegermeister keineswegs seiner Pflicht, die ihm obliegenden Arbeiten ordnungsgemäß und gewissenhaft auszuführen (§ 12 Abs. 1 SchfG).

12

Der Einschätzung, dass der Antragsteller aufgrund der Verletzung seiner Kehrpflichten unzuverlässig ist, steht schließlich auch nicht entgegen, dass der Antragsteller sich nach Vorlage des Prüfberichts bemüht hat, die unterlassenen Kehrungen teilweise nachzuholen. Dieses Verhalten ändert nämlich nichts daran, dass er jahrelang pflichtwidrig gehandelt und wesentliche Aufgaben des vorbeugenden Brandschutzes vernachlässigt hat.

13

Der Senat stimmt mit dem Verwaltungsgericht ferner darin überein, dass der Antragsteller auch durch die ordnungswidrige Führung des Kehrbuchs wesentliche Berufspflichten nachhaltig verletzt hat. Die Überprüfung der Kehrbücher hat ergeben, dass er einen erheblichen Teil der Verbindungsstücke jahrelang nicht in den Kehrbüchern erfasst hat. Darin liegt ein gravierender Verstoß gegen die dem Bezirksschornsteinfegermeister nach § 19 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SchfG i. V. m. § 14 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über das Schornsteinfegerwesen - VOSch - obliegende Pflicht, die Art der Feuerungsanlage und die nach der Kehr- und Überprüfungsordnung vorgeschriebenen gebührenpflichtigen Arbeiten ordnungsgemäß und vollständig im Kehrbuch aufzuführen. Diese Pflichtverletzung stellt die Zuverlässigkeit des Antragstellers in Frage, weil gerade die ordnungsgemäße Führung des Kehrbuchs zu den wesentlichen Pflichten eines Bezirksschornsteinfegermeisters gehört (vgl. BVerwG, Urt. v. 24. 3. 1964 - I C 82/61 - GewArch 1965, 16; VGH Bad. -Württ. , Beschl. v. 6. 9. 1990, a. a. O. ; Dohrn, Das Deutsche Schornsteinfegerwesen, Nr. 720, § 11 SchfG, Anm. 5 a).

14

Dem kann der Antragsteller entgegenhalten, dass das Kehrbuch ordnungsgemäß geführt worden sei, weil er die Anlagenteile, die er nicht gekehrt habe, im Kehrbuch nicht habe aufführen müssen. Der Antragsteller übersieht bei diesem Einwand, dass in das Kehrbuch nach § 19 Abs. 2 Nr. 2 SchfG nicht nur die Ausführung der gebührenpflichtigen Arbeiten, sondern auch die nach der Kehr- und Überprüfungsordnung vorgeschriebenen gebührenpflichtigen Arbeiten einzutragen sind (vgl. Dohrn, § 19 SchfG, Anm. 1 c; Musielak-Cordt-Manke, Schornsteinfegergesetz, Kommentar, 4. Aufl. § 19, Rn. 3). Die Aufzeichnungspflicht erstreckt sich nach § 19 Abs. 2 Nr. 1 SchfGüberdies auf die Art der Feuerungsanlagen und damit auch auf alle für die Arbeit des Bezirksschornsteinfegermeisters bedeutsamen Einzelheiten und Bestandteile der Feuerungsanlagen (vgl. Dohrn, Nr. 720, § 19 SchfG, Anm. 1 b). Denn das Kehrbuch dient nicht nur dazu, die Kehrtätigkeit des Bezirksschornsteinfegermeisters zu dokumentieren. Es dient vielmehr auch dazu, dem Bezirksschornsteinfegermeister einen Überblick über Art und Umfang der vorhandenen kehr- oder überprüfungspflichtigen Anlagen zu verschaffen und es ihm, seinen Nachfolgern im Kehrbezirk und der Aufsichtsbehörde zu ermöglichen, unzulässige Veränderungen zu erkennen. Außerdem ist das Kehrbuch ein wichtiges Beweismittel für die Ausführung der vorgeschriebenen Arbeiten (Musielak-Cordt-Manke, § 19, Rn. 2; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 24. 3. 1964, a. a. O. ). Darüber hinaus sind die Eintragungen im Kehrbuch für die Überprüfung der Einteilung der Kehrbezirke und die Entscheidung über deren Änderung (§ 23 SchfG) von Bedeutung (vgl. Musielak-Cordt-Manke, § 19, Rn. 2).

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Der Senat folgt des Weiteren der Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass dem Antragsteller weitere Pflichtverletzungen vorzuhalten sind, die - soweit sie unstreitig sind - gegen seine Zuverlässigkeit sprechen. Soweit der Antragsteller geltend macht, dass ihm im Zusammenhang mit der Überprüfung gewerblich betriebener Dunstabzugshauben keine Versäumnisse anzulasten seien, weil er noch bis Ende 2002 Zeit gehabt hätte, die in seinem Bezirk vorhandenen Anlagen zu überprüfen, ist ihm entgegenzuhalten, dass die Pflicht zur Prüfung dieser Abzugshauben nach § 3 Abs. 9 der Kehr- und Überprüfungsordnung vom 14. August 2000 seit dem 1. Januar 2001 besteht. Da die Überprüfungspflicht im Interesse eines wirksamen Brandschutzes eingeführt worden ist, weil von schlecht gewarteten Dunstabzugshauben wegen der hohen Entzündlichkeit von Fettablagerungen eine erhebliche Brandgefahr ausgeht, wäre eine zügige Überprüfung der gewerblich betriebenen Dunstabzugshauben geboten gewesen. Nach den Feststellungen der Bezirksschornsteinfegermeister B. und C. haben bis April 2002 aber nur zwei Überprüfungen stattgefunden. Dieser Umstand bestätigt die Einschätzung, dass der Antragsteller die erforderliche Zuverlässigkeit für die Ausübung seines Berufes nicht besitzt.

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Schließlich spricht auch der Umstand, dass die Schornsteinfegerinnung für den Regierungsbezirk Hannover den Widerruf der Bestellung des Antragstellers zum Bezirksschornsteinfegermeister unter Hinweis auf die großen Zahl und die Schwere seiner Pflichtverletzungen für gerechtfertigt hält, dafür, dass der angefochtene Bescheid zu Recht erlassen worden ist.